TE Lvwg Erkenntnis 2020/11/23 VGW-151/019/11480/2020

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Veröffentlicht am 23.11.2020
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Entscheidungsdatum

23.11.2020

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

NAG 2005 §19 Abs2
AVG §13 Abs3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pichler über die Beschwerde des mj. A. B., vertreten durch den Kindesvater C. B., gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 13. August 2020, Zl. MA35-..., betreffend Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG),

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer ist ein am ... 2009 geborener afghanischer Staatsangehöriger. Die Mutter des Beschwerdeführers ist D. B., der Vater des Beschwerdeführers ist C. B.. Letzterer verfügt über einen Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot Karte plus für das Bundesgebiet.

2. Der Beschwerdeführer stellte – gemeinsam mit seiner gesetzlichen Vertretung – am 21. Juni 2019 persönlich bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Islamabad einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“. Dieser Antrag wurde von der österreichischen Vertretungsbehörde in Islamabad an die belangte Behörde weitergeleitet und langte bei dieser am 26. Juli 2019 ein. Im Antrag ist neben der Mutter D. B. auch der Vater des Beschwerdeführers C. B. als gesetzlicher Vertreter genannt.

3. Der Beschwerdeführer stellte – gemeinsam mit seiner gesetzlichen Vertretung – am 12. September 2019 persönlich bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Islamabad einen weiteren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“. Dieser Antrag wurde von der österreichischen Vertretungsbehörde in Islamabad an die belangte Behörde weitergeleitet und langte bei dieser am 8. Oktober 2019 ein.

4. Mit einem als „Behebung von Verfahrensmangel – „Aufforderung gemäß § 13 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG“ - betitelten Schreiben, an den Vater des Beschwerdeführers als gesetzlicher Vertreter adressierten Schreibens vom 27. Mai wurde von der Behörde darauf hingewiesen, dass (unter anderem für den Beschwerdeführer) bereits am 21. Juni 2019 ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels und am „8.10.2019“ (gemeint offenbar der Antrag vom 12. September 2019) ein zweiter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt worden sei. Dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers wurde mitgeteilt, dass ein „Verbesserungsauftrag“ erteilt werde und wurde dieser aufgefordert, der belangten Behörde bis 2. Juli 2020 mitzuteilen, welchen der beiden Anträge die Behörde „weiter behandeln soll“ bzw. „bekannt zu geben, welchen der beiden Anträge [der Beschwerdeführer bzw. sein gesetzlicher Vertreter] zurückziehen wollen“. Ferner wurde von der belangten Behörde darauf hingewiesen, dass der Antrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen werde, sollte dem Verbesserungsauftrag nicht fristgerecht entsprochen werden.

Eine Äußerung ist nicht erfolgt.

5. Der nunmehr angefochtene Bescheid vom 13. August 2020 hat folgenden Spruch (andere Hervorhebungen im Original):

„Ihr Antrag vom 21.6.2019 wird zurückgewiesen, da Sie unzulässigerweise mehrere Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt haben.“

Begründend führte die belangte Behörde aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Beschwerdeführer sowohl am 21. Juni 2019 als auch am 12. September 2019 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei der österreichischen Botschaft in Islamabad gestellt habe. Der Vater des Beschwerdeführers sei mit Schreiben der Behörde vom 27. Mai 2020 aufgefordert worden, einen der beiden Anträge zurückzuziehen und sich für einen der Anträge zu entscheiden. Auf die Rechtsfolgen sei hingewiesen worden. Da der Aufforderung nicht nachgekommen worden sei, sei der Antrag zurückzuweisen gewesen.

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer – vertreten durch den Kindesvater als gesetzlicher Vertreter – fristgerecht mit Schreiben vom 30. August 2020 Beschwerde, welche die belangte Behörde unter Anschluss der Verwaltungsakten dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vorlegte.

II. Beweiswürdigung:

1. Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde und Würdigung des Beschwerdevorbringens.

2. Der maßgebliche Sachverhalt ist aufgrund der Aktenlage feststellbar:

Die Feststellung zu den persönlichen Daten des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage, die Feststellungen, wer seine Eltern sind aus der aktenkundigen Geburtsurkunde.

Die Feststellungen zu den beiden Anträgen und zu deren Einlangen bei der belangten Behörde sind im Behördenakt dokumentiert. Dies gilt auch für den „Verbesserungsauftrag“ der belangten Behörde vom 27. Mai 2020.

Auch die übrigen Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus der Aktenlage, die Feststellungen zum angefochtenen Bescheid aus der aktenkundigen Urschrift desselbigen.

III. Rechtslage:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes 2005, BGBl I 100/2005, lauten:

„6. Hauptstück

Verfahren

Allgemeine Verfahrensbestimmungen

§ 19. (1) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind persönlich bei der Behörde zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter persönlich einzubringen.

[…]

(2) Im Antrag ist der Grund des Aufenthalts bekannt zu geben; dieser ist genau zu bezeichnen. Nicht zulässig ist ein Antrag, aus dem sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergeben, das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge und das Stellen weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens nach diesem Bundesgesetz einschließlich jener bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts. Die für einen bestimmten Aufenthaltszweck erforderlichen Berechtigungen sind vor der Erteilung nachzuweisen. Besteht der Aufenthaltszweck in der Ausübung eines Gewerbes, so gilt die von der Gewerbebehörde ausgestellte Bescheinigung, dass die Voraussetzungen für die Gewerbeausübung mit Ausnahme des entsprechenden Aufenthaltstitels vorliegen, als Nachweis der erforderlichen Berechtigung. Der Fremde hat der Behörde die für die zweifelsfreie Feststellung seiner Identität und des Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel vorzulegen.

[...].“

IV. Rechtliche Erwägungen:

1. Im Falle der Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels durch die Erstbehörde ist Prozessgegenstand im Rechtsmittelverfahren ausschließlich die Frage, ob die von der Behörde getroffene prozessuale Entscheidung rechtmäßig erfolgt ist. Im gegenständlichen Fall wies die belangte Behörde den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels lediglich aus Formalgründen, nämlich wegen des von der belangten Behörde angenommenen Vorliegens eines weiteren Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, zurück. Demnach lag ausschließlich ein verfahrensrechtlicher Bescheid vor, mit dem eine Entscheidung in der Sache, d.h. in der Angelegenheit, die den Inhalt des Antrages bildete, abgelehnt wurde (VwGH 28.8.2008, 2008/22/0072; 3.4.2009, 2008/22/0447). Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht Wien im vorliegenden Fall ausschließlich zu prüfen, ob die von der belangten Behörde ausgesprochene Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers rechtmäßig erfolgt ist; eine den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels erledigende inhaltliche Entscheidung ist dem Verwaltungsgericht Wien hingegen – vor dem Hintergrund der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung – verwehrt (vgl. zur Rechtslage nach der Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit etwa VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002; 17.12.2019, Ra 2017/04/0141).

2. Die Beschwerde ist begründet:

2.1. Gemäß § 19 Abs. 2 NAG ist das Stellen weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens nach diesem Bundesgesetz einschließlich jener bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts nicht zulässig. Ein solcher weiterer Antrag ist zurückzuweisen. Gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 2 NAG ist es somit nicht zulässig, einen weiteren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu stellen, solange das Verfahren über einen bereits zuvor eingebrachten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei der Behörde, beim Verwaltungsgericht oder bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts noch nicht abgeschlossen ist. Nur dieser weitere Antrag ist unzulässig und daher zurückzuweisen, nicht aber der zeitlich zuerst eingebrachte Antrag. Insbesondere kommt der Behörde nach dem klaren Wortlaut des § 19 Abs. 2 NAG kein Wahlrecht zu, welchen der beiden Anträge sie zurückzuweisen hat. Ziel der Bestimmung des § 19 Abs. 2 NAG ist es, zu verhindern, dass ein weiterer Antrag gestellt wird, solange das Verfahren über den ersten Antrag noch offen ist (vgl. VwGH 28.3.2012, 2009/22/0297). Die Behörde kann daher – gestützt auf § 19 Abs. 2 NAG – den zeitlich früheren Antrag nicht zurückweisen, sondern besteht die Möglichkeit der Zurückweisung nur für jenen weiteren Antrag, der während des noch anhängigen Verfahrens über den ersten Antrag gestellt wird.

Die belangte Behörde konnte sohin nicht den ersten – am 21. Juni 2019 gestellten – Antrag des Beschwerdeführers gestützt auf § 19 Abs. 2 NAG zurückweisen.

2.2. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es sich beim Stellen mehrerer Anträge um keinen Formmangel im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG handelt: Für die Erteilung eines Auftrages zur Behebung eines Mangels dahingehend, dass bekannt zu geben ist, welcher der beiden (zeitlich nacheinander) gestellten Anträge „weiter bearbeitet werden soll“ oder „bekannt zu geben, welchen der beiden Anträge Sie zurückziehen wollen“, bietet § 13 Abs. 3 AVG keine Rechtsgrundlage. Wie bereits dargelegt, ist der zeitlich spätere Antrag zurückzuweisen, weil dessen Zulässigkeit § 19 Abs. 2 NAG entgegen steht, ohne dass es irgendeiner „Behebung von Verfahrensmängel[n]“ bedarf.

Für den von der belangten Behörde an den gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers gerichteten Auftrag zur „Behebung von Verfahrensmängel[n]“ mangelt es daher an einer gesetzlichen Grundlage. Im Falle eines ohne gesetzliche Grundalge ergangenen Mängelbehebungsauftrages kann eine Zurückweisung eines Anbringens aber nicht auf diesen gestützt werden (VwGH 13.10.2020, Ra 2020/22/0106).

Die Zurückweisung des zeitlichen ersten Antrages des Beschwerdeführers vom 21. Juni 2019 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels kann daher auch nicht auf den „Verbesserungsauftrag“ der belangten Behörde vom 27. Mai 2020 gestützt werden.

2.3. Die Zurückweisung des zeitlich zuerst gestellten Antrages des Beschwerdeführers vom 21. Juni 2019 ist daher rechtswidrig erfolgt, weshalb der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

3. Von der – von keiner Partei beantragten mündlichen Verhandlung – konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG abgesehen werden, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

4. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert (vgl. nochmals VwGH 28.3.2012, 2009/22/0297). Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Mangel; Verbesserungsauftrag; mehrere Anträge; weitere Anträge; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.151.019.11480.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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