TE Vwgh Erkenntnis 1952/12/16 0803/51

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Veröffentlicht am 16.12.1952
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Index

AVG
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §41 Abs2
AVG §45 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsidenten Ehrhart und die Räte Dr. Werner, Dr. Borotha, Dr. Hrdlitzka und Dr. Dorazil als Richter, im Beisein des Landesregierungsrates Dr. Riemer als Schriftführer, über die Beschwerde des Dr. PM und der GC, beide in S, gegen den Bescheid der Landesregierung Salzburg vom 15. Februar 1951, Zl. 6321-I-1950, betreffend Abweisung einer Berufung gegen die Erteilung einer Baubewilligung, nach der am 5. Mai 1952 durchgeführten öffentlichen Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Heinrich Thun, und der Vertreter der mitbeteiligten Partei, Dr. EB und GV, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Landesregierung über die Berufung im abweisenden Sinne abgesprochen, die die Beschwerdeführer in ihrer Eigenschaft als Anrainer gegen den Bescheid des Stadtmagistrates Salzburg vom 31. Oktober 1950, Zl. VI BD - 3978/50, eingebracht hatten. Mit diesem Bescheid wurde gemäß § 14 der Bauordnung für die Stadt Salzburg vom 2. April 1886, LGBl. Nr. 27, festgestellte daß der von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Wien XX., Webergasse 2-6, auf den Parzellen 1977, 1978, 1981/1 und 1983/1 des Grundbuches der Stadt Salzburg, Abt. Äusserer Stein, beabsichtigte Bau eines Unfallkrankenhauses, bestehend aus dem Trakt A - Ambulanz, Trakt B - Bettentrakt, Trakt C - Verwaltungstrakt, bei Einhaltung der der Bauverhandlung vorgelegenen Pläne und der von den Amtssachverständigen gestellten, in der Verhandlungsschrift enthaltenen Bedingungen in öffentlicher Beziehung zulässig und ausführbar ist. Mit diesem Bescheid wurden des weiteren die von den genannten Anrainern vorgebrachten Einwendungen der Entwertung ihrer Grundstücke und der darauf befindlichen Obstgärten auf den Zivilrechtsweg verwiesen; soweit die Einwendungen unterlaufene Verfahrensmängel, Nichtbeachtung der Bestimmungen der §§ 68 (offene Bauweise) und 70 (Höhe und Länge der Gebäude bei offener Bauweise) sowie Beeinträchtigung ihrer Häuser und Gründe durch Minderung der Besonnung, Luftzufuhr und Belichtung zum Gegenstande hatte, wurden sie als unbegründet abgewiesen.

Die Akten des Verwaltungsverfahrens zeigen, daß die Salzburger Landesregierung als Nachfolger des in der Landesverfassung vom 9. November 1918 vorgesehen gewesenen Landesrates am 31. Juli 1950 auf Grund des § 3 des Gesetzes vom 5. Juli 1919, LGBl. Nr. 99, und des § 2 der Verordnung vom 26. Juli 1919, LGBl. Nr. 100, beschlossen hat, daß für den Bau des Unfallkrankenhauses eine Gesamthöhe von 25,5 m zwecks Errichtung eines 5. Stockwerkes bewilligt wird. Hievon werden mit „Bescheid“ des Amtes der Salzburger Landesregierung vom 31. Juli 1950 die antragstellende Bauwerberin, die Baubehörde, nicht aber die Anrainer verständigt.

Die von den Anrainern erhobene Beschwerde macht inhaltliche Gesetzwidrigkeit und Gesetzwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Über die Beschwerde hat der Gerichtshof unter Bedachtnahme auf die Ausführungen der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei erwogen:

Die Beschwerdeführer haben schon in ihrer Eingabe vom 16. Oktober 1950 eine Einwendung des Inhalts erhoben, daß die Frist zwischen der Zustellung der Ladung zur Verhandlung (13. Oktober 1950, 15h nachmittags) und dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (18. Oktober 1950) zu kurz bemessen wurde. Es wären ihnen, da ein Samstag und ein Sonntag in die Frist fielen, kaum 2 Tage zur Verfügung gestanden, um die Baupläne einzusehen, sich mit einem Sachverständigen zu beraten und eingehend begründet gegen das Bauvorhaben Stellung zu nehmen. Bei der Bauverhandlung hatten die Beschwerdeführer diese Einwendungen aufrecht erhalten. Die Erstbehörde hatte diese das Verfahren betreffenden Einwendungen abgewiesen und in der Begründung hiezu ausgeführt, daß die Bauverhandlung gemäß § 40 AVG mit Ladungsbescheid ordnungsgemäß ausgeschrieben wurde. Die Verhandlung wäre, da keine bestimmte Frist für die Ausschreibung angeordnet sei, so ausgeschrieben worden, daß sämtliche Verhandlungsteilnehmer rechtzeitig und vorbereitet erscheinen konnten. In der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid wurde aus den gleichen Gründen das abgeführte Verfahren als mangelhaft bezeichnet. Es wäre den Beschwerdeführern in der kurzen Zeit (praktisch 1 Tag) unmöglich gewesen, das ganze umfangreiche Bauvorhaben zu studieren, sich mit einem Sachverständigen zu beraten und zu dem Vorhaben eingehend Stellung zu nehmen. Es handle sich nicht um ein normales Bauvorhaben, sondern um ein gigantisches Projekt. Es sei daher vollkommen irrig, was der angefochtene Bescheid zur Widerlegung der Einwendungen bemerkt. Die belangte Berufungsbehörde hat in dem gerügten Vorgang eine Verletzung von Verfahrensvorschriften nicht erblickt und daher keine Veranlassung gefunden, den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG aufzuheben. Der Gerichtshof ist zwar der Anschauung, daß die Vorgangsweise des Stadtmagistrates Salzburg verfahrensrechtlich nicht in Ordnung war. Die Beschwerdeführer sind im abgeführten Baubewilligungsverfahren als Anrainer und damit als Parteien im Sinne des § 8 AVG behandelt worden. Als solche hatten sie ein aus § 41 Abs. 2 AVG ableitbares subjektiv-öffentliches Recht, daß die Erstbehörde die Bauverhandlung zeitlich derart anberaumt hätte, daß ihnen die Gelegenheit der gehörigen Vorbereitung gegeben war. Auf die Einhaltung dieser Vorschrift hätte die Erstbehörde umsomehr Bedacht nehmen müssen, als die Ladung unter Hinweis auf die gemäß § 42 AVG eintretenden Präklusionsfolgen vorgenommen wurde, die Anrainer daher der Gefahr ausgesetzt waren, daß Einwendungen, die sie wegen mangelhaften Studiums des Bauprojektes bei der Bauverhandlung noch nicht vorbringen konnten, nicht mehr berücksichtigt würden. Daß es sich bei dem Bau eines Krankenhauses um kein alltägliches, sondern um ein für die Verhältnisse einer Landeshauptstadt ungewöhnliches Bauvorhaben handelt, braucht wohl nicht näher ausgeführt zu werden. Eine zu Aufhebung des Berufungsbescheides führende Verletzung von Verfahrensvorschriften kann der Gerichtshof aber in dem geschilderten und mit dem Gesetz nicht im Einklang stehenden Vorgang nicht erblicken. Die Beschwerdeführer unterliessen es nämlich, ihren Standpunkt, eine längere Frist zwischen Zustellung der Ladung und Vornahme der Bauverhandlung fordern zu können, dadurch zur Geltung zu bringen, daß sie die Vertagung der Verhandlung spätestens bei der Bauverhandlung beantragten. Dadurch, daß sie, wenn auch als Anrainer, die Einwendungen erhoben, an der Bauverhandlung teilnehmen, ohne den Vertagungsantrag zu stellen, haben sie eine Prozeßsituation geschaffen, die eine Verfolgung des gerügten Mangels im Stadium der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde ausschließt.

Eine weitere Mangelhaftigkeit des Verfahrens erblicken die Beschwerdeführer in dem Umstand, daß die Erstbehörde es unterließ, die Auswirkungen des Bauvorhabens auf die Umgebung, insbesondere die Anrainer, durch Aufstellung eines Leergerüstes oder durch sonstige Vorkehrungen festzustellen, und daß die belangte Behörde den diesbezüglichen Ausführungen in der Berufung nicht Rechnung trug. Die belangte Behörde hatte hiezu ausgeführt, daß die Bauordnung keinerlei Vorschriften bezüglich der Aufstellung eines Leergerüstes kenne, die Bauwerberin daher nicht verhalten werden könne, solche Vorkehrungen zu treffen. Hiezu ist zu bemerken, daß die Beschwerdeführer ein subjektiv-öffentliches Recht auf Ermittlung des Sachverhaltes in der behaupteten Form nicht besitzen. Schon aus diesem Grunde kann in der Unterlassung der Vornahme einer solchen Untersuchung überhaupt keine Gesetzwidrigkeit in der Ermittlung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes erblickt werden.

Ein weiterer Punkt der Beschwerde beschäftigt sich mit der Verletzung des den Beschwerdeführern als Anrainern zustehenden subjektiv-öffentlichen Rechtes auf Einhaltung der Verbauungsvorschriften durch die Baubehörde und die Bauwerberin. In dieser Hinsicht hatten die Beschwerdeführer in ihrer an den Stadtmagistrat Salzburg gerichteten Eingabe vom 16. Oktober 1950 vorgebracht: Für die zu verbauenden Gründe käme offenes Bausystem in Betracht. Nach § 70 der Bauordnung dürfe die zulässige Höhe des Gebäudes nicht mehr als 3 Stockwerke über dem Erdgeschoß betragen und die Höhe des Hauses bis zum Dachsaum 17 m nicht übersteigen. Die zulässige Länge des Gebäudes dürfe 45 m nicht überschreiten. Der projektierte Bau sollte hingegen 6 Stockwerke und eine Länge von 90 m erhalten. Die Erstbehörde hatte demgegenüber die Abweisung der Einwendungen wie folgt begründet: Der V. Abschnitt der Bauordnung, der die ausnahmsweisen Bauerleichterungen behandle, spreche im § 67 von den Bauerleichterungen, die nur über spezielles Ansuchen und nur bei Wahl des offenen Bausystems bewilligt werden können. Nach § 103 entscheide der Gemeinderat über die Anwendung der im V. Abschnitt enthaltenen Bestimmungen. Die §§ 67-77 wären nur dann anwendbar, wenn ein Bauwerber eine, der im V. Abschnitt enthaltenen Bauerleichterungen vom Gemeinderat bewilligt haben wolle. Diese Voraussetzungen träfen nicht zu. Im vorliegenden Fall hätte der Gemeinderat darüber zu entscheiden gehabt, ob die in Frage kommenden Parzellen überhaupt bebaut werden können und unter welchen Bedingungen, nicht aber darüber, welche ausnahmsweisen Bauerleichterungen zuzugestehen wären. Hier hätte die Landesregierung nach § 3 des Gesetzes vom 5. Juli 1919, LGBl. Nr. 99, zu entscheiden gehabt, was auch mit dem Bescheid vom 31. August 1950 geschehen sie. Mit Beschluß vom 17. Juli 1950 hätte der Gemeinderat die von der Bauwerberin erworbenen Parzellen als Bauland qualifiziert und gleichzeitig (Bescheid des Magistrates vom 26. Juli 1950) die Verbauungsgrundlagen bestimmt. Die Berufung wieder holte das Vorbringen der Beschwerdeführer über die Festsetzung der offenen Bauweise und die Anwendbarkeit der Vorschriften des § 70 über Gebäudehöhe und -länge. Im angefochtenen Bescheid wird die Abweisung der Berufung in diesem Punkte auf die Erwägung gestützt, daß die über den Rahmen des § 28 der Bauordnung hinausgehende Gebäudehöhe (im B-Trakt) auf Grund des § 3 des Gesetzes, LGBl. Nr. 99/1919, durch den Bescheid des Amtes der Landesregierung zugestanden wurde, das für das Bauwerk eine Gebäudehöhe von 25.5 m zwecks Errichtung eines 5. Stockwerkes bewilligt hatte. Es erübrige sich daher ein Eingehen auf die Einwendung der Anrainer. In der Beschwerde wird dieser Standpunkt bekämpft.

Der Gerichtshof stand in dieser Hinsicht bei der Fällung des Erkenntnisses zunächst vor der Frage, wie er den von der Landesregierung nach § 3 des Gesetzes, LGBl. Nr. 92/1919, vorgenommenen grundsätzlichen Ausspruch der Zulässigkeit der Bauerleichterung zu qualifizieren habe. Ausgehend von der Auffassung, daß in diesem Ausspruch die Erlassung einer Verordnung gelegen ist, hat er an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, diese Verordnung deshalb, als gesetzwidrig aufzuheben, weil sie nur für Wohn-, und Wirtschaftsgebäude erlassen werden durfte. Mit dem Erkenntnis vom 7. Oktober 1952, Zl. V 20/52, hat der Verfassungsgerichtshof diesen Antrag zurückgewiesen. In der Begründung seines Erkenntnisses hat er näher ausgeführt, daß die Zulässigkeitserklärung der Landesregierung keine Verordnung sei. Der Verwaltungsgerichtshof ist nun in Bindung an diese Rechtsansicht der Auffassung, daß die Zulässigkeitserklärung einen Bescheid im Sinne des § 56 AVG darstellt. Das Verfahren, das der Erlassung dieses Bescheides vorauszugehen hat, ist seit dem Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetze abzuwickeln, d.h. der Ausspruch der Landesregierung ist nur nach Anhörung der im Verfahren wegen Erteilung der Baubewilligung als Parteien beteiligten Personen, zulässig und muß auch diesen, zugestellt werden. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die Beschwerdeführer in ihrer Eigenschaft als Anrainer von der Landesregierung vor Erlassung des Bescheides hätten gehört werden und daß ihnen auch der Bescheid hätte zugestellt werden müssen. Solange der Bescheid den Anrainern nicht zugestellt war, durfte die Baubehörde erster Instanz in die Durchführung der Bauverhandlung nicht eintreten. Da sie es trotzdem getan hat, belastete sie ihr Verfahren mit Mangelhaftigkeit. Die belangte Behörde selbst hat diesen Mangel nicht wahrgenommen und es infolgedessen unterlassen, die erstinstanzliche Entscheidung wegen Verfahrensmangels zu beheben. Aus diesem Grunde ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet; er mußte daher aufgehoben werden (§ 42 Abs. 2 lit. a VwGG.).

Wien, am 16. Dezember 1952

Schlagworte

Verwaltungsstrafverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1952:1951000803.X00

Im RIS seit

20.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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