TE OGH 2020/12/28 11Os110/20s

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Veröffentlicht am 28.12.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Orhan M***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 25. September 2020, GZ 121 Hv 9/20y-38, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem – auch einen Freispruch von gleichartigen Vorwürfen enthaltenden – Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 5. August 2020, GZ 121 Hv 9/20y-33, wurde Orhan M***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall SMG, eines solchen Verbrechens nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG sowie des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall SMG schuldig erkannt.

[2]       Der Angeklagte erklärte unmittelbar nach Urteilsverkündung (nach Rücksprache mit seinem Verteidiger) Rechtsmittelverzicht, die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab (ON 32 S 12 f). Laut Aktenvermerk des Vorsitzenden des Schöffensenats vom 5. August 2020 teilte die Sitzungsvertreterin in der Folge telefonisch mit, (nach Revision) ausdrücklich auf Rechtsmittel gegen das Urteil zu verzichten (ON 34 S 1; vgl auch BS 3).

[3]       Mit Schriftsatz vom 6. August 2020 – somit innerhalb der dreitägigen Frist des § 284 Abs 1 StPO – meldete die Staatsanwaltschaft schriftlich gegen das Urteil Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 35).

[4]       Das Landesgericht für Strafsachen Graz fertigte das Urteil dennoch in gekürzter Form aus (ON 33) und übermittelte dieses samt Akten mit Verfügung vom 28. August 2020 der Staatsanwaltschaft Graz zur Einsicht (ON 32 S 1). Mit am 23. September 2020 beim Landesgericht für Strafsachen Graz eingelangtem, als Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung bezeichnetem Schriftsatz (ON 37) beantragte die Staatsanwaltschaft Graz (unter anderem), der Oberste Gerichtshof möge die Akten dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückstellen, ein § 270 Abs 1, Abs 2 StPO entsprechendes schriftliches Urteil auszufertigen.

[5]       Der Vorsitzende des Schöffensenats wies die Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss vom 25. September 2020 (ON 38) unter Hinweis auf den unwiderruflichen Rechtsmittelverzicht gemäß § 285a Z 1 letzter Fall StPO als unzulässig zurück.

Rechtliche Beurteilung

[6]       Dagegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft.

[7]       Wie die Anklagebehörde zutreffend einwendet, genügt der telefonisch erklärte Rechtsmittelverzicht nicht den Förmlichkeiten einer Rechtsmittelerklärung. Gemäß § 84 Abs 2 StPO können Rechtsmittel, Rechtsbehelfe ebenso wie alle sonstigen Eingaben an das Gericht schriftlich, per Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr (§ 89a GOG) eingebracht werden. Eine mündliche Rechtsmittelerklärung ist zwar unmittelbar nach Urteilsverkündung gegenüber dem Verhandlungsrichter möglich, nicht aber zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der dreitägigen Frist außerhalb der zum Urteil führenden Gerichtssitzung (RIS-Justiz RS0132571; Ratz, WK-StPO § 284 Rz 10; Murschetz, WK-StPO § 84 Rz 11; Weiß in Schmölzer/Mühlbacher, StPO2 § 284 Rz 1, 7; Hetlinger, JBl 2011, 338 [341]; vgl auch § 32 Abs 1 StAG; § 15 Abs 1 DV-StAG). Ein telefonisch erklärter Rechtsmittelverzicht ist – ebenso wie eine solche Rechtsmittelanmeldung – unwirksam (Ratz, WK-StPO § 284 Rz 7 und 11; vgl auch – zur Rechtslage vor BGBl I 2010/111 – RIS-Justiz RS0059714).

[8]       Da die – bei Gesamtbetrachtung recht merkwürdig anmutende – telefonische Mitteilung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, auf Rechtsmittel zu verzichten, demnach keine Wirksamkeit entfalten konnte, ist die am 6. August 2020 erfolgte schriftliche Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung als rechtzeitig und gültig anzusehen.

[9]       Demgemäß war der Beschwerde in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur Folge zu geben.

[10]           Das Landesgericht für Strafsachen Graz wird das Urteil nach Maßgabe des § 270 Abs 2 StPO auszufertigen und der Staatsanwaltschaft eine Abschrift zur Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde zuzustellen haben (vgl 14 Os 46/14k).

Textnummer

E130336

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00110.20S.1228.000

Im RIS seit

20.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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