TE Lvwg Erkenntnis 2020/10/30 LVwG-AV-1163/001-2020

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Veröffentlicht am 30.10.2020
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Entscheidungsdatum

30.10.2020

Norm

BAO §279

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch den Richter
Hofrat Mag. Hubmayr über die Beschwerde des Herrn A, ***, ***, vom 23. Juni 2020 gegen den Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 5. Juni 2020, Zl. ***, mit welchem eine Berufung vom 18. März 2020 betreffend Kanalbenützungsgebühr abgewiesen wurde, zu Recht:

1.   Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

2.   Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 279 Bundesabgabenordnung – BAO

§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1.       Sachverhalt und verwaltungsbehördliches Verfahren:

Mit als Abgabenbescheid bezeichneter Erledigung der Stadtgemeinde *** vom 3. März 2020, Kundennummer: ***, wurde Herrn A (in der Folge: Beschwerdeführer) für seine Liegenschaft in ***, ***, eine jährliche Kanalbenützungsgebühr ab 1. April 2016 vorgeschrieben. Der Jahresbetrag der Kanalbenützungsgebühr wurde – unter Zugrundelegung einer Berechnungsfläche von 899,11 m² und eines Einheitssatzes von € 2,60 – mit € 2.337,69 errechnet.

Dagegen brachte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18. März 2020 eine als „Widerspruch“ bezeichnete Berufung ein.

Vorgebracht wurde im Wesentlichen, dass die Anwendbarkeit des § 5b NÖ Kanalgesetz im gegenständlichen Fall zu prüfen und die Kanalbenützungsgebühr entsprechend zu vermindern sei.

Diese Berufung wurde vom Stadtrat der Stadtgemeinde *** in seiner Sitzung am 28. April 2020 behandelt. Im Sitzungsprotokoll wurde dazu unter Pkt. 3.) ausgeführt, dass dem Stadtrat über die Berufung berichtet worden sei. Entsprechend der durchgeführten Härtefallprüfung liege hier laut § 5b Abs. 2 NÖ Kanalgesetz kein offensichtliches Missverhältnis vor.

Zum Beschluss des Stadtrates wurde Folgendes festgehalten:

„Antrag: Ich stelle den Antrag, der Stadtrat möge den Einspruch von Herrn A ablehnen. Beschluss: einstimmig angenommen“

Ein Beschluss über die Begründung der Berufungsentscheidung ist dem Sitzungsprotokoll nicht zu entnehmen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Juni 2020 zu ***, in welchem auf einen Beschluss in der Stadtratssitzung vom 28. April 2020 Bezug genommen wurde, wurde die „Bescheidbeschwerde“ „als unbegründet abgewiesen und der Bescheid der Bürgermeisterin vom 18.3.2020 vollinhaltlich bestätigt.“

Als Begründung lautete wie folgt:

„In Ihrer Beschwerde haben Sie den § 5b des NÖ. Kanalgesetzes zitiert und gebeten, den erwähnten Bescheid einer Härtefallprüfung zu unterziehen. Härtefälle liegen nach Abs. 2 vor, wenn die Schmutzfracht pro 300 m2 Berechnungsfläche bei widmungsgemäßer Verwendung geringer als ein EGW (Einwohnergleichwert) ist. Zwar kann eine Verminderung der Kanalbenützungsgebühr nach Abs. 3 in Betracht gezogen werden, trotzdem liegt in Ihrem Fall nach Abs. 2 kein offensichtliches Missverhältnis vor, denn der Wert der Berechnungsfläche Liegenschaft/EGW liegt beim Ihnen bei 128,44 m2 (Grundfläche/gemeldete Personen [899,11/7]). Auf 300 m2 hochgerechnet fallen somit 2,34 EGW. Die Schmutzfracht pro 300 m2 bei widmungsgemäßer Verwendung liegt daher deutlich über der Grenze eines offensichtlichen Mißverhältnisses im Sinne des § 5 Abs. 1 des NÖ. Kanalgesetzes, die mit einem Wert von 1,0 angegeben ist. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.“

Dagegen brachte der Beschwerdeführer in seiner nunmehrigen Beschwerde vom 23. Juni 2020 im Wesentlichen vor, dass von der Berechnungsfläche 598 m² Verkaufsfläche seien, die restlichen 300 m² würden nicht ständig bewohnt, im Moment nur von 5 Personen.

Die Beschwerde wurde dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich unter Anschluss des bezughabenden Verwaltungsaktes am 16. Oktober 2020 zur Entscheidung vorgelegt.

2.       Anzuwendende Rechtsvorschriften:

2.1. Bundesabgabenordnung (BAO):

§ 1. (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.

§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden. …

§ 279. (1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

§ 288. (1) Besteht ein zweistufiger Instanzenzug für Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden, so gelten für das Berufungsverfahren die für Bescheidbeschwerden und für den Inhalt der Berufungsentscheidungen die für Beschwerdevorentscheidungen anzuwendenden Bestimmungen sinngemäß. Weiters sind die Beschwerden betreffenden Bestimmungen (insbesondere die §§ 76 Abs. 1 lit. d, 209a, 212 Abs. 4, 212a und 254) sowie § 93 Abs. 3 lit. b und Abs. 4 bis 6 sinngemäß anzuwenden.

3.       Würdigung:

3.1. Zu Spruchpunkt 1:

Wie oben unter 1. zum Sitzungsprotokoll des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 28. April 2020 dargestellt, hat das Landesverwaltungsgericht bei der Prüfung der von der Abgabenbehörde vorgelegten Aktenunterlagen festgestellt, dass in dem Protokoll zu dieser Sitzung (Pkt. 3.), in welcher die Berufung des Beschwerdeführers behandelt wurde, kein Beschluss über die erforderliche Begründung der Entscheidung aufscheint.

Aus dem Stadtratsprotokoll ist ersichtlich, dass der Stadtrat beschlossen hat, „den Einspruch von Herrn A abzulehnen“. Gegenstand der abschließenden Abstimmung im Stadtrat war demzufolge nur der Spruch der Entscheidung, über die Begründung der Entscheidung sagt das Sitzungsprotokoll nichts aus. Es kann dem Sitzungsprotokoll nicht entnommen werden, dass der Stadtrat eine Begründung für seine Erledigung beschlossen hat.

Es wäre jedoch nach Maßgabe des Gesetzes zwingend erforderlich gewesen, dass der Stadtrat seine Entscheidung auch entsprechend begründet und die maßgebliche Begründung in das Sitzungsprotokoll aufgenommen hätte, zumal der angefochtene Berufungsbescheid vom 5. Juni 2020, in welchem auf diesen Beschluss Bezug genommen wird und dem dieser Beschluss zugrunde liegt, sehr wohl eine Begründung enthält.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. VwSlg. 11.366 A/1984, sowie VwGH 81/05/0090, 86/05/0139, 95/05/0186, 2003/06/0149) hat Gegenstand der Beschlussfassung eines Kollegialorganes, wie es der Stadtrat der Stadtgemeinde *** ist, sowohl der Spruch der Entscheidung als auch die Grundzüge der Begründung zu sein. Entspricht der Spruch und die Begründung eines Bescheides des Kollegialorganes nicht der vorangegangenen Beschlussfassung des Kollegialorganes, dann ist dies eine der Unzuständigkeit gleichkommende Rechtswidrigkeit, weil diesem Bescheid, welcher nach seinem Erscheinungsbild intendiert, dem Kollegialorgan zugerechnet zu werden, kein entsprechender Beschluss dieses Organs zugrunde liegt; ein solcher Bescheid ist in diesem Fall also so zu betrachten, als ob er von einer unzuständigen Behörde erlassen worden wäre (vgl. u.a. VwGH 90/13/0028, 91/05/0068, 92/04/0188, 93/08/0273, 94/06/0083, 93/13/0008).

Der in Ausfertigung des Sitzungsbeschlusses ergangene Berufungsbescheid vom 5. Juni 2020, der eine eingehende Begründung enthält, entspricht somit nicht dem Stadtratsbeschluss vom 28. April 2020, der in keinster Weise eine Begründung umfasst, sodass der angefochtene Berufungsbescheid durch den Beschluss des Kollegialorganes nicht gedeckt und somit rechtswidrig ist.

Da im gegenständlichen Fall die rechtliche Begründung somit lediglich dem Ausfertiger des Berufungsbescheides überlassen worden ist, war der angefochtene Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** wegen Unzuständigkeit als rechtswidrig aufzuheben (vgl. u.a. VwGH 2086 und 2087/76, 2266/76, 81/05/0090), wobei Verletzungen von Rechten des Beschwerdeführers betreffend die Entscheidung durch eine unzuständige Behörde nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. VwGH 83/05/0137) selbst dann wahrzunehmen sind, wenn sie nicht geltend gemacht wurden.

Da im Stadtrat nur über die Abweisung der Berufung abgestimmt wurde, eine Begründung dieses Bescheides aber nicht Gegenstand der Beschlussfassung war und somit anlässlich der Abstimmung im Stadtrat eine Begründung für die Berufungserledigung auch nicht beschlossen worden ist, erweist sich der angefochtene Bescheid der belangten Behörde bereits aus diesem Grund infolge Unzuständigkeit als rechtswidrig. Der Beschwerde war daher Folge zu geben und der angefochtene Bescheid aufzuheben, ohne auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Sache näher einzugehen.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 274 Abs.1 BAO unter Entfall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde nicht beantragt. Zudem steht bereits aufgrund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

3.2. Zu Spruchpunkt 2:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Hinblick auf die obigen Ausführungen liegen jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

4.       Ergänzende Feststellungen:

Die gegenständliche Entscheidung war aufgrund der Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften (fehlende Beschlussdeckung durch die zuständige Behörde) ohne Einlassung in die Sache zu treffen. Der Stadtrat wird in weiterer Folge über die wiederum unerledigte Berufung zu entscheiden haben.

Entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht ein Rechtsanspruch auf entsprechende Verminderung der Kanalbenützungsgebühr schon bei der Vorschreibung, wenn ein offensichtliches Missverhältnis iSd § 5b Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 vorliegt. Ein offensichtliches Missverhältnis liegt nach § 5b Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977 jedenfalls dann vor, wenn die Schmutzwasserfracht pro 300 Quadratmeter Schmutzwasserberechnungsfläche bei widmungsgemäßer Verwendung geringer als ein EGW ist. Was als offensichtliches Missverhältnis anzusehen ist, ist damit aber nicht abschließend geregelt, sondern es kann auch in anderen Fällen ein relevantes Missverhältnis vorliegen. Dies bedeutet aber, dass ein offensichtliches Missverhältnis nicht nur dann vorliegt, wenn § 5 Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977 erfüllt ist, sondern auch vorliegen kann, wenn die Schmutzfracht pro 300 m² nicht geringer als ein EGW ist (vgl. VwGH 97/17/0460, 94/17/0373).

Ein offensichtliches Missverhältnis ist nach § 5b Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977 jedenfalls dann gegeben, wenn die Schmutzfracht pro 300 m² Berechnungsfläche bei widmungsgemäßer Verwendung geringer als ein EGW ist. Ein offensichtliches Missverhältnis kann aber auch in anderen Fällen, in denen die Schmutzfracht pro 300 m² Berechnungsfläche größer oder gleich einem EGW ist vorliegen (vgl. VwGH Ra 2019/16/0071).

Zur erstinstanzlichen Erledigung vom 3. März 2020 ist festzuhalten, dass aus der dem Verwaltungsgericht vorgelegten Ausfertigungskopie nicht ersichtlich ist, welcher Behörde diese Erledigung zuzurechnen wäre.

Schlagworte

Finanzrecht; Kanalbenützungsgebühr; Verfahrensrecht; Kollegialorgan; Beschlussdeckung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.1163.001.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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