TE Vwgh Beschluss 2020/12/15 Ra 2020/21/0444

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.12.2020
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §58 Abs10
AVG §56
BFA-VG 2014 §9
MRK Art8
VwGG §33 Abs1
VwGG §55
VwGG §58 Abs2
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der P O in G, vertreten durch Mag. Dr. Anton Karner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Steyrergasse 103/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. September 2020, I410 2209312-2/9E, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Antrag der Revisionswerberin auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1        Der von der Revisionswerberin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 5. Mai 2017 gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde mit dem im Beschwerdeweg ergangenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 21. Jänner 2019 - verbunden mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat - zur Gänze abgewiesen.

2        Hierauf stellte die Revisionswerberin am 26. März 2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - letztlich - nach § 55 AsylG 2005 einen Antrag auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK“.

3        Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 15. Mai 2019 einerseits gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurück, weil entsprechend der genannten Bestimmung gegen die Revisionswerberin eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen worden sei und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich gemacht hätte, nicht hervorgehe. Überdies stützte das BFA diese Antragszurückweisung wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht (Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses) noch auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005.

4        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. September 2020 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision mit dem primären Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst entscheiden und den beantragten Aufenthaltstitel „gewähren“.

6        Die Revisionswerberin hatte am 5. August 2019 einen Asylfolgeantrag gestellt, der mit Bescheid des BFA vom 30. Oktober 2020 zur Gänze abgewiesen wurde. Unter einem stellte das BFA gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG fest, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen die Revisionswerberin auf Dauer unzulässig sei. Demzufolge wurde ihr gemäß § 58 Abs. 2 und 3 iVm § 55 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ erteilt.

7        Im Hinblick darauf wurde der Revisionswerberin mit Verfügung vom 12. November 2020 Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und inwieweit - trotz der mittlerweile erfolgten Erteilung des gegenständlich beantragten Aufenthaltstitels - an einer Entscheidung über die vorliegende Revision noch ein rechtliches Interesse bestehe.

8        Der Rechtsvertreter der Revisionswerberin äußerte sich hierauf dahin, dass zwar keine inhaltliche Entscheidung über die Revision, jedoch der Zuspruch von Kostenersatz begehrt werde, weil der nachträglich ergangene Bescheid des BFA „nichts an der prinzipiellen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung ändert“.

9        Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, die Revision nach seiner Anhörung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine (echte) Klaglosstellung im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGG nur dann vor, wenn eine formelle Aufhebung der beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Entscheidung vorgenommen wurde. Das ist hier in Bezug auf den oben angeführten Bescheid des BFA vom 30. Oktober 2020 nicht der Fall, weil damit nicht das hier in Revision gezogene Erkenntnis formell aufgehoben, sondern ihm lediglich materiell derogiert wurde.

11       In solchen Konstellationen ist der Verwaltungsgerichtshof zwar stets davon ausgegangen, dass die Revision wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses unter sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen ist, die Kostenentscheidung ist jedoch mangels formeller Klaglosstellung nicht nach § 55 VwGG, sondern nach § 58 Abs. 2 VwGG zu treffen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0249, Rn. 8 bis 10, mwN).

12       Demnach ist gemäß § 58 Abs. 2 VwGG für die Kostenentscheidung hypothetisch zu prüfen, ob die vorliegende außerordentliche Revision bei einer inhaltlichen Behandlung Erfolg gehabt hätte. Das ist entgegen der Meinung der Revisionswerberin nicht der Fall.

13       Einerseits war nämlich die Beurteilung des BVwG, dass sich seit dem Erkenntnis des BVwG vom 21. Jänner 2019 bis zur Erlassung des Bescheides des BFA vom 15. Mai 2019 die für die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG maßgeblichen Verhältnisse nicht entscheidend geändert hätten und damit der Zurückweisungsgrund nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 gegeben gewesen sei, vertretbar (siehe zu diesem für das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG bei einer Beurteilung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 maßgeblichen Kalkül VwGH 4.4.2019, Ro 2019/21/0003, Rn. 9, und darauf verweisend VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0182, Rn. 13). Diesbezügliche Einwände in der Revision, die sich auf die nach dem BFA-Bescheid vom 15. Mai 2019 eingetretenen Entwicklungen beziehen, gehen ins Leere, weil dabei außer Acht gelassen wird, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom BFA unter dem Gesichtspunkt „entschiedene Sache“ vorgenommenen Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 jener der Erlassung des behördlichen Bescheides war (vgl. etwa VwGH 26.6.2020, Ra 2017/22/0183, Punkt 6.2. der Entscheidungsgründe, mwN, wonach für diese Prüfung jene Umstände maßgeblich sind, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind).

14       Andererseits kam der Revisionswerberin der Aktenlage zufolge im Verfahren über den am 5. August 2019 gestellten Asylfolgeantrag gemäß § 13 Abs. 1 AsylG 2005 ein Aufenthaltsrecht zu, was gemäß § 58 Abs. 9 Z 2 erste Alternative AsylG 2005 der Zulässigkeit eines (gesonderten) Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 überdies entgegen stand.

15       Schon angesichts dessen kam der Zuspruch von Aufwandersatz für die Revision nicht in Betracht.

Wien, am 15. Dezember 2020

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210444.L00

Im RIS seit

02.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten