TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/29 W209 2176486-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.10.2020
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Entscheidungsdatum

29.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W209 2176486-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX 1997, Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch Mag. Robert BITSCHE, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2017, Zl. 1098676705-151972321, betreffend Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz, Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Feststellung, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig ist, sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.10.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste im November 2015 illegal und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 10.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Die Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Steiermark fand am 10.12.2015 statt. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF im Wesentlichen an, er habe Afghanistan aufgrund des Krieges und Zwangsrekrutierungsversuchen durch die Taliban verlassen. In Iran, wo er mit seiner Ziehfamilie gelebt habe, habe er nicht bleiben können, da sein Aufenthalt illegal gewesen sei und viele Afghanen in den Krieg nach Syrien geschickt worden seien.

3. Am 10.10.2017 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen. Der BF legte verschiedene Dokumente zum Nachweis seiner Integrationsbemühungen in Österreich vor. Zu seinen Fluchtgründen befragt verwies der BF im Wesentlichen auf die in Afghanistan vorherrschende Sicherheitslage und gab an, er könne dort ohne Familie nicht selbstbestimmt leben. Er sei einmal verletzt worden, weil er eine Woche lang nicht in die Moschee gegangen sei, und immer wieder aufgefordert worden, in den Dschihad zu ziehen. Im Falle einer Rückkehr wäre er gezwungen, entweder für die Taliban oder die Armee zu arbeiten.

4. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 11.10.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die behauptete Bedrohung durch die Taliban sei nicht glaubwürdig und es habe auch sonst keine Verfolgung festgestellt werden können. Es drohe dem BF keine Gefahr, welche die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der BF erhob am 13.11.2017 fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass er in Afghanistan Verfolgung zu befürchten habe, die Sicherheitslage – insbesondere für ihn aufgrund seines langen Auslandsaufenthalts – schlecht sei und er dort überdies weder über finanzielle Mittel und noch über ein Unterstützungsnetzwerk verfüge.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.10.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein einer Dolmetscherin für die Sprachen Dari und dem Rechtsvertreter des BF durch, in welcher der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen sowie zu seiner Integration in Österreich befragt wurde. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte der BF weitere Integrationsunterlagen vor und gab die ebenfalls anwesende Vertrauensperson eine mündliche Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX 1997. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und schiitisch muslimischen Glaubens. Seine Volksgruppenzugehörigkeit konnte nicht festgestellt werden. Seine Muttersprache ist Dari. Er ist ledig und kinderlos.

Der BF wurde in Afghanistan geboren. Seine Herkunftsprovinz konnte nicht festgestellt werden. In seiner frühen Kindheit übersiedelte er mit seiner Familie, bestehend aus seinen Zieh-Eltern und deren Kindern, nach Teheran, Iran. Der Verbleib seiner leiblichen Eltern ist unbekannt.

Der BF arbeitete ab dem Alter von etwa sieben Jahren für seine Familie als Straßenhändler. Er besuchte weiters unregelmäßig einen Alphabetisierungskurs, erlangte aber nicht die Kompetenz zu lesen und zu schreiben.

Im Jahr 2012 wurde er nach Afghanistan abgeschoben. Er lebte daraufhin für ein Jahr in der Provinz Kabul, arbeitete als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft und auf Baustellen, bevor er nach Teheran zurückkehrte.

In Teheran nahm er keinen Kontakt mehr zu seiner Zieh-Familie auf, sondern arbeitete bei einem Schuster als Schuhputzer. Seine Flucht finanzierte der BF durch seine Erwerbsarbeit.

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 10.11.2015 durchgehend in Österreich auf.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der BF verließ Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen als Afghane ohne Aufenthaltsberechtigung und aus Angst vor Abschiebung oder Rekrutierung für den Krieg in Syrien. Bei einer Neuansiedlung in Afghanistan droht keine konkret gegen ihn gerichtete physische oder psychische Gewalt.

Während seines Aufenthalts in Afghanistan wurde der BF weder direkt von den Taliban noch von anderen Personen aufgefordert mit den Taliban zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban.

Der vom BF geschilderte Vorfall, dass der BF in Afghanistan bedroht und mit dem Messer verletzt wurde, weil er die Moschee nicht besucht hatte, hat sich nicht ereignet. Aufgrund der Tatsache, dass der BF die Moschee nicht regelmäßig besucht, droht ihm in Afghanistan bei einer Ansiedlung in einer Großstadt keine physische oder psychische Gewalt. Er hat keine Verhaltensweise verinnerlicht, die ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Glaubensabfall vorgehalten würden.

Auch sonst wäre der BF im Falle der Rückkehr keiner Gefährdung in seiner psychischen und physischen Integrität durch Gewalthandlungen aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt.

1.3. Zu einer möglichen Neuansiedlung des BF im Herkunftsstaat

Die (Zieh-)Eltern und Geschwister des BF wohnen derzeit in Iran. Es besteht keine Unterstützungsmöglichkeit durch die Angehörigen des BF. Er hat keinen Kontakt zu seiner Familie.

Der BF hat den maßgeblichen Teil seines Lebens außerhalb von Afghanistan verbracht und verfügt dort über kein Unterstützungsnetzwerk.

Der BF wurde in einer afghanischen Familie sozialisiert und ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut. Der BF spricht und versteht Dari, hat jedoch nur rudimentäre Schreib- und Lesefähigkeiten erworben. Darüber hinaus ist an seinem Akzent deutlich erkennbar, dass er nicht in Afghanistan aufgewachsen ist.

Der BF nimmt regelmäßig Medikamente mit dem Wirkstoff Escitalopram gegen Angstzustände ein; dieser ist auch in Afghanistan verfügbar. Davon abgesehen ist der BF gesund und gehört keiner COVID-19-Risikogruppe an.

Der BF kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der BF hat keine Ortskenntnisse bezüglich Herat oder Mazar-e Sharif. Er ist jedoch in Teheran aufgewachsen und hat dort gelebt und gearbeitet. Er ist mit städtischen Strukturen grundsätzlich vertraut.

Der BF sind anpassungs- und arbeitsfähig.

Der BF verfügt über Berufserfahrung als Hilfskraft auf Baustellen, in der Landwirtschaft und in der Gartenarbeit sowie im Straßenverkauf sowie in der Schuhpflege. Eine Berufsausbildung kann der BF nicht vorweisen.

Vor dem Hintergrund der aufgrund der COVID-19-Pandemie weiter erschwerten Lage in Afghanistan und insbesondere in Mazar-e Sharif und Herat (s. u.) ist nicht zu erwarten, dass der BF ohne ein nachhaltig unterstützungsfähiges soziales Netzwerk grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft in einer der genannten Städte dauerhaft befriedigen könnte, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, zuletzt aktualisiert am 21.07.2020 (LIB)

?        UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)

?        EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

?        ecoi.net Themendossier zu Afghanistan: „Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Masar-e Scharif“ vom 16.10.2020 (ECOI)

?        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)

?        EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018 (EASO Netzwerke)

?        OCHA Operational Situation Report: COVID-19 Multi-Sectoral Response vom 15.10.2020 (OCHA).

1.4.1 Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für die Zivilbevölkerung geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.4.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrende im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

Der durchschnittliche Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können (EASO Netzwerke, Kapitel 4.1).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapitel 4.2.). Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Aktuelle Lage im Zusammenhang mit COVID-19

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken. Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird. Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen –insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen. Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden. In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen. Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan*innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19, Kurzinformation 29.06.2020).

1.4.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen. Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Offiziellen Daten zufolge, gibt es in Afghanistan derzeit über 40.000 bestätigte Fälle von COVID-19, etwa 33.500 Personen sind genesen und knapp 1.500 sind verstorben. Aufgrund knapper Ressourcen, beschränkten Testkapazitäten und mangels nationalem Sterberegister sind die tatsächlichen Zahlen wahrscheinlich höher. Die COVID-19 Testraten sind weiterhin extrem niedrig in Afghanistan: Rund 116.000 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet. Zu den Provinzen mit der höchsten Falldichte zählen Balkh, Herat, Kabul und Kandahar (OCHA, vgl. LIB Kurzinformation 29.06.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19

Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen. Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert. Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

1.4.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

1.4.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind muslimischen Glaubens, davon gehören 80 - 89,7% der sunnitischen Glaubensrichtung an. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Angehörige anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB, Kapitel 16).

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 - 19% geschätzt. Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die Jafari-Schiiiten (Zwölfer-Schiiten). 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten, die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB, Kapitel 16.1).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25-30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB, Kapitel 16.1).

1.4.6. Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghan*innen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.4.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrende. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

COVID-19

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte. Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

1.4.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

1.4.9. Provinzen und Städte

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Die Provinz hat 1.475.649 Einwohner (LIB, Kapitel 3.5).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Im Jahr 2018 gab es 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.5).

In der Provinz Balkh – mit Ausnahme der Stadt Mazar- e Sharif – kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Mehrere Quellen schildern einen Anstieg der Kriminalität in der Stadt. Offizielle Statistiken gibt es hierzu nicht. UNHCR liegen keine spezifischen Informationen zur Kriminalitätsrate in IDP-Siedlungen vor (ACCORD Masar-e Sharif).

Gemäß EASO findet in Mazar-e Sharif willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Laut einer Auskunft von UNHCR Mazar-e Sharif vom März 2020 sei die Fahrt vom Flughafen in die Stadt im Allgemeinen möglich und nicht bedenklich. Rückkehrende, die per Flugzeug nach Masar-e Scharif kommen würden, würden vom Flughafen üblicherweise mit dem Taxi in die Stadt fahren (ACCORD Masar-e Sharif).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Mazar-e Sharif gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Masar-e Sharif).

Laut Angaben von UNHCR Masar-e Scharif vom März 2020 habe es in und um Masar-e Scharif in den letzten Monaten und Jahren in Hinblick auf Rückkehrende und Binnenvertriebene (internally displaced persons, IDPs) zwei große Entwicklungen gegeben: Der Umfang der von verschiedenen Organisationen geleisteten Unterstützung habe zugenommen. Gleichzeitig sei jedoch die Zahl der Rückkehrenden und IDPs weiter gestiegen, was den positiven Auswirkungen der zusätzlichen Unterstützung entgegenwirke (ACCORD Masar-e Sharif).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrende und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Hinsichtlich der Ernährungsmittelsicherheit ist Balkh im Klassifizierungssystem (IPC) von FEWS NET im Zeitraum Oktober 2020 bis Jänner 2021 weitgehend in der Phase 2 („Stressed“) eingestuft, ein Teil befindet sich in der dritthöchsten Stufe (Phase 3 – „Crisis“). Die Lage in Mazar-e Sharif gilt ebenfalls als „stressed“. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden. In Stufe 3 weisen Haushalte Lücken im Nahrungsmittelkonsum mit hoher oder überdurchschnittlicher akuter Unterernährung auf oder sind nur geringfügig in der Lage, ihren Mindestnahrungsmittelbedarf zu decken – und dies nur indem Güter, die als Lebensgrundlage dienen, vorzeitig aufgebraucht werden bzw. durch Krisenbewältigungsstrategien (ECOI, Kapitel 3.1).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 – teils öffentliche, teils private – Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

Herat

Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.095.117 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 2.13).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, in dem die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Im Jahr 2019 gab es 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.13).

In der Provinz Herat - mit Ausnahme in der Stadt Herat - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt der Provinz ist Herat-Stadt. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Die Stadt Herat hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 2.13).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 20).

In der Stadt Herat gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Herat).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die größten und bedeutendsten IDP- und RückkehrerInnen-Siedlungen in Herat- Stadt und Umgebung sind: Shahrak-e-Sabz (im Distrikt Gusara), Kahddestan (im Distrikt Indschil), Shaidayee (5km östlich der Stadt Herat) und Urdo Bagh. Die Versorgung der dort lebenden Menschen ist schlecht, der Zugang zur Grundversorgung ist eingeschränkt (ACCORD Herat).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Hinsichtlich der Ernährungsmittelsicherheit ist Herat im Klassifizierungssystem (IPC) von FEWS NET (s.o.) im Zeitraum Oktober 2020 bis Jänner 2021 weitgehend in der Phase 3 („Crisis“) eingestuft. Die Situation in der Provinzhauptstadt ist etwas besser; diese befindet sich in Phase 2 (ECOI, Kapitel 3.1).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-

Patienten gebaut wurde und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde. Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (LIB, Länderspezifische Anmerkungen COVID-19).

1.4.10. Situation für Rückkehrende

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Davon waren 32.260 zwangsweise und 31.189 freiwillige Rückkehrende; 25.561 Personen kehrten aus dem Iran und aus Pakistan zurück; 1.265 aus Europa. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrende sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für Rückkehrende unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrende dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrende besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Mobiltelefone sind weit verbreitet und die meisten Haushalte verfügen zumindest über eines. In manchen Regionen kann es vorkommen, dass es Netzabdeckung nur tagsüber gibt (EASO Netzwerke).

Rückkehrende aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrende aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrender aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrende. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrenden. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrende aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrende nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn Rückkehrende mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihnen mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als der übrigen afghanischen Bevölkerung, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Haben die Rückkehrenden lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrenden die größte Schwierigkeit dar. Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose gibt es in Afghanistan nicht. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für jene, die in Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrende leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrenden im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrende erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (LIB, Kapitel 23).

Für Rückkehrende leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit in Afghanistan Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrende. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrenden aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrende in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwillig Rückkehrenden vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrenden innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrende erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Rückkehrende erhalten ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität, zur Staatsangehörigkeit, zur Religionszugehörigkeit, zur Muttersprache und zum Familienstand des BF ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des BF im Asylverfahren.

Die Schilderungen des BF zum Aufwachsen in einer afghanischen Ziehfamilie in Iran, in Unkenntnis seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Herkunftsfamilie, seinem (Arbeits-)Alltag in Teheran, seinem etwa einjährigen Aufenthalt in Kabul infolge einer Abschiebung aus Iran sowie seinem Leben nach der Rückkehr und der Finanzierung seiner Flucht dorthin gründen auf der diesbezüglich schlüssigen und stringenten Aussage des BF in der mündlichen Verhandlung, die im Wesentlichen mit den bisherigen Angaben im Verfahren übereinstimmen.

Der BF gab sowohl vor dem BFA als auch in der mündlichen Verhandlung an, seine Volksgruppenzugehörigkeit nicht zu kennen. Im Rahmen der Erstbefragung wurde die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken vermerkt. Vor dem Hintergrund der übrigen nachvollziehbaren Angaben des BF zu seiner Familiensituation in Iran war glaubhaft, dass der BF mangels Kontakt zu leiblichen Verwandten seine genaue Herkunft nie erfahren hat.

Der BF sagte zwar, dass seine Zieheltern aus Ghazni stammen würden, konnte aber keine Angaben zu seinem Geburtsort und seiner Herkunftsprovinz machen. Dies war im Lichte der glaubwürdigen Aussage, er habe Afghanistan in seiner frühen Kindheit verlassen, auch plausibel.

Die Feststellungen zur Einreise und zum Aufenthalt des BF ergeben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus dem Asylantrag und den Meldebestätigungen.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Der BF legte in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig und in Übereinstimmung mit seinem bisherigen Vorbringen im Verfahren seine Beweggründe für die Ausreise aus Iran dar. Was die behauptete Verfolgung in Afghanistan betrifft, blieb sein Vorbringen während des gesamten Verfahrens vage und wurde dieses auch nicht im Rahmen der mündlichen Verhandlung konkretisiert.

Der BF gab vor dem BFA an, er sei während seines Aufenthalts in Kabul einmal mit dem Messer verletzt worden, nachdem er eine Woche lang der Moschee ferngeblieben sei. Nähere Angaben, etwa zum Täter oder zu Ort, Zeit und Umständen des Vorfalls, machte der BF nicht und antwortete auf Nachfragen nur ausweichend. In der mündlichen Verhandlung ergänzte der BF sein Fluchtvorbringen dahingehend, dass er in Afghanistan zunächst einen Monat lang arbeitslos auf der Straße gelebt habe, dann habe er von bewaffneten Männern mit langen Bärten und Turban Arbeit erhalten, er sei von diesen jedoch wie ein Sklave behandelt, misshandelt und nur mit Essensresten versorgt worden. Diese Menschen hätten ihn auch mit Gewalt gezwungen, in die Moschee zu gehen.

Zwar mag es zutreffen, dass der BF sich unter schlechten Bedingungen als Hilfsarbeiter verdingt hat, doch ist das Vorbringen darüber hinaus als übersteigert und sohin nicht glaubhaft zu bewerten. Schon in der Einvernahme vor dem BFA machte der BF wenig konkrete Angaben und reagierte ausweichend auf Nachfragen. Während er in der Einvernahme nicht sagen konnte, wer ihn attackiert habe, gab er in der mündlichen Verhandlung nunmehr konkrete Täter an, und schilderte seine Umstände in Afghanistan wesentlich detailreicher und bedrohlicher als in der früheren Einvernahme. Auch dass seine Arbeitgeber bewaffnet gewesen seien, sagte der BF erstmals in der mündlichen Verhandlung.

Abgesehen davon, dass der geschilderte Zwang nicht glaubhaft war, ist es im relativ anonymen städtischen Umfeld, außerhalb eines Familienverbands, nicht zu erwarten, dass der BF wegen Fernbleiben von der Moschee zum Ziel von physischer oder psychischer Gewalt würde. Der BF gab auch an, nach wie vor schiitisch muslimischen Glaubens zu sein.

Und selbst wenn der geschilderte Vorfall als wahr unterstellt würde, ließe sich aus dem Vorbringen keine konkrete Gefahr für den BF im gesamten Staatsgebiet ableiten.

Auch zur behaupteten „Zwangsrekrutierung“ beschränkte sich der BF vor dem BFA auf die vage Behauptung, er sei mehrmals – von nicht näher bezeichneten Personen – aufgefordert worden, in den Dschihad zu ziehen. Eine konkrete mit dieser Aufforderung verbundene Drohung gab er nicht an. Kontakte zu den Taliban schilderte der BF nicht. In der mündlichen Verhandlung erwähnte der BF derartige Vorfälle gar nicht mehr. Das ursprüngliche Vorbringen, der BF müsse im Falle der Rückkehr entweder mit den Taliban oder der Regierung zusammenzuarbeiten, war daher insgesamt nicht glaubhaft.

Das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe wurde weder konkret vorgebracht, noch kamen Hinweise darauf im Verfahren hervor. Insbesondere eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit des BF zur schiitischen Minderheit ist im Lichte der Länderinformationen nicht anzunehmen, wenn es auch zu Diskriminierungen von Schiiten durch Sunniten kommt. Auch inwiefern der BF als einer von vielen Rückkehrenden aus dem Ausland derart exponiert wäre, dass er Ziel von Gewalt werden würde, wurde vom BF weder ausgeführt, noch gab es für eine solche Annahme konkrete Anhaltspunkte.

2.3. Zur möglichen Neuansiedlung im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zu den Folgen einer Neuansiedlung des BF in seinem Herkunftsstaat, und zwar in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif, sowie zur Erreichbarkeit der genannten Städte, ergeben sich maßgeblich aus den Angaben des BF zu seiner persönlichen Situation in Zusammenschau mit den oben angeführten Länderberichten.

Die Feststellungen zum Aufenthaltsort sowie der finanziellen Unterstützungsfähigkeit der Angehörigen sowie zum fehlenden Kontakt des BF zu diesen ergeben sich aus den plausiblen, widerspruchsfreien und im ganzen Verfahren gleich gebliebenen Angaben des BF, die auch im Administrativverfahren nicht in Zweifel gezogen wurden.

Die Feststellungen zu den fehlenden Ortskenntnissen bezüglich Herat und Mazar-e Sharif, dem fehlenden sozialen Netz in Afghanistan, der Vertrautheit des BF mit städtischen Strukturen und seiner afghanischen Sozialisation ergeben sich aus den diesbezüglichen schlüssigen und im ganzen Verfahren im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des BF zu seinem Lebenslauf in Iran (Teheran) und Afghanistan. Die anwesende Dolmetscherin bestätigte überdies in der mündlichen Verhandlung, dass der BF Dari nicht mit einem für Afghanistan üblichen Akzent spreche.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF sowie dessen Nichtzugehörigkeit zu einer COVID-19-Risikogruppe basieren auf dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Hintergrund der aktuellen Informationslage zu COVID-19. Entgegensprechende Anhaltspunkte sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Eine in der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung (BGBl. II Nr. 203/2020) genannte Indikation liegt beim BF nicht vor (s. https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen/FAQ--Risikogruppen.html).

Die Verfügbarkeit von Escitalopram in Afghanistan, konkret in Herat und Mazar-e Sharif, ergibt sich aus einer Anfragebeantwortung der Staatendok

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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