TE Vwgh Erkenntnis 1988/5/18 88/02/0050

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Veröffentlicht am 18.05.1988
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Index

StVO
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
AVG §45 Abs2
B-VG Art89 Abs2
B-VG Art90 Abs2
MRK Art6 Abs2
VStG §1
VStG §25
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sittenthaler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des Dr. JH, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 10. März 1988, Zl. MA 70-10/2456/87/Str, betreffend Bestrafung wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der vorliegenden Beschwerde in Verbindung mit der dieser angeschlossenen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 10. März 1988 wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung des § 24 Abs. 1 lit. a StVO für schuldig befunden und hiefür bestraft.

In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer wende ein, es gebe keinen Beweis dafür, daß er tatsächlich derjenige gewesen sei, welcher das Fahrzeug abgestellt habe. Dem sei entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer Zulassungsbesitzer des gegenständlichen Fahrzeuges sei. Als solchem obliege ihm primär die Verfügungsgewalt über dasselbe und komme er demnach in erster Linie selbst als Lenker in Betracht, sofern nicht eine andere Person als Lenker hervorgekommen sei. Im gegenständlichen Verfahren sei trotz Aufforderung gemäß § 103 Abs. 2 KFG keine andere Person als Lenker hervorgekommen und habe es der Beschwerdeführer auch im weiteren Verfahren unterlassen, einen anderen in Frage kommenden Lenker bekanntzugeben, obwohl ihm dies im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht durchaus zuzumuten gewesen wäre, wobei auch kein Motiv dafür erkennbar sei, daß der Beschwerdeführer den wahren Täter „decke“ und dadurch die verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung auf sich nehme. Vielmehr lasse die beharrliche Unterlassung einer diesbezüglichen Auskunft den eindeutigen Schluß zu, daß der Beschwerdeführer als Verfügungsberechtigter des gegenständlichen Fahrzeuges dieses damals selbst gelenkt und am angeführten Ort abgestellt habe. Seine Tätereigenschaft sei daher mit der im Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit als erwiesen anzusehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) schließt die (gemäß § 24 VStG 1950) auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendende Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG 1950 eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d.h. ob sie unter anderem den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen, weshalb wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung zur Aufhebung des Bescheides führen. Auf dem Boden dieser Rechtslage hält aber der angefochtene Bescheid einer Überprüfung auf seine Rechtmäßigkeit stand:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 23. Oktober 1986, Zl. 86/02/0086 und die dort zitierte Vorjudikatur) stand es nämlich der belangten Behörde infolge des Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel frei, ihren Erwägungen und Schlußfolgerungen das Verhalten des Beschwerdeführers als Zulassungsbesitzer zugrundezulegen. Weiters entspricht die von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides dargelegte Mitwirkungspflicht des Beschuldigten dieser Rechtsprechung.

Der Beschwerdeführer bringt dazu vor, er habe seiner Verpflichtung gemäß § 103 Abs. 2 KFG zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers nicht entsprochen, weil diese verfassungswidrig sei. Er verweist diesbezüglich auf den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Dezember 1987, Zl. B 774/87, betreffend die amtswegige Prüfung des ersten bis dritten Satzes im § 103 Abs. 2 KFG in der Fassung der 10. KFG-Novelle. Der Bezugnahme auf § 103 Abs. 2 KFG durch die Behörde - so der Beschwerdeführer - seien die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes im erwähnten Beschluß vom 4. Dezember 1987 entgegenzuhalten. Eine generelle Mitwirkungspflicht des Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren widerspreche aber nicht nur der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK, sondern auch dem Anklageprinzip des Art. 90 Abs. 2 B-VG und der Verpflichtung der Behörde, von Amts wegen den entscheidungswesentlichen Sachverhalt selbst zu ermitteln.

Damit vermag der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht darzutun: Abgesehen davon, daß verfassungsrechtliche Bedenken den Beschwerdeführer keineswegs zur gesicherten Annahme veranlassen durften, der bedenklichen Norm sei der Gehorsam zu verweigern, ist darauf hinzuweisen, daß der Verfassungsgerichtshof in den im erwähnten Beschluß vom 4. Dezember 1984 bezogenen Erkenntnissen vom 3. März 1984, Slg. Nr. 9950/1984, und vom 8. März 1985, Slg. Nr. 10 394/1985, einen Verstoß der damals geprüften Bestimmungen des § 103 Abs. 2 KFG 1967 gegen Art. 90 Abs. 2 B-VG darin erblickt hat, daß der „Beschuldigte“ (im weitesten Sinn) unter Strafsanktion gezwungen werde, ein Geständnis eines strafbaren Verhaltens abzulegen. Dies schließt jedoch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes eine Mitwirkungspflicht des Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren nicht aus (vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes im zitierten Erkenntnis vom 3. März 1984 unter Z. III.2.b). Die Mitwirkungspflicht besteht aber auch trotz des Verfahrensgrundsatzes, daß die Verwaltungsbehörde von Amts wegen vorzugehen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Dezember 1985, Zl. 85/18/0051). Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf Art. 6 Abs. 2 MRK verweist, ist ihm entgegenzuhalten, daß diese Bestimmung - unabhängig von der Frage, ob sich der von Österreich zu Art. 5 MRK abgegebene Vorbehalt auch darauf bezieht - keinesfalls eine Aufhebung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. März 1978, Zl. 1757/77) und auch nicht bewirkt, daß es der Strafbehörde verwehrt wäre, ihren Erwägungen und Schlußfolgerungen das Verhalten des Beschuldigten zugrunde zu legen.

Da bereits der Inhalt der vorliegenden Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 18. Mai 1988

Schlagworte

Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Beweismittel Beschuldigtenverantwortung freie Beweiswürdigung Individuelle Normen und Parteienrechte Diverses VwRallg9/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1988:1988020050.X00

Im RIS seit

13.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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