TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/14 Ra 2019/02/0232

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Veröffentlicht am 14.12.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E07204020
E3R E05205000
E3R E07204020
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
90/02 Kraftfahrgesetz

Norm

EURallg
KFG 1967 §134 Abs1b
VStG §19
VStG §19 Abs1
VStG §19 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §38
32006L0022 HarmonisierungDV-RL Strassenverkehr AnhIII idF 32016R0403
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Krems gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 4. April 2019, LVwG-S-434/001-2019, betreffend Übertretungen des KFG (mitbeteiligte Partei: P I in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Bezirkshauptmannschaft Krems vom 22. Jänner 2019 wurde der Mitbeteiligte auf Grund einer Anzeige der Landespolizeidirektion Niederösterreich bestraft. Über ihn wurden gemäß § 134 Abs. 1 iVm. Abs. 1b KFG zu Spruchpunkt 1. wegen Überschreitungen der täglichen Lenkzeit nach § 134 Abs. 1 KFG iVm. Art. 6 VO (EG) Nr. 561/2006 bzw. Art. 6 AETR eine Geldstrafe von € 400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 26 Stunden), zu Spruchpunkt 2. wegen Nichteinhalten der täglichen Ruhezeit nach § 134 Abs. 1 KFG iVm. Art. 8 VO (EG) Nr. 561/2006 bzw. Art. 8 AETR eine Geldstrafe von € 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 20 Stunden), zu Spruchpunkt 3. wegen Nichteinhalten der Fahrtunterbrechung nach § 134 Abs. 1 KFG iVm. Art. 7 VO (EG) Nr. 561/2006 bzw. Art. 7 AETR eine Geldstrafe von € 400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 26 Stunden) und zu Spruchpunkt 4. wegen Unterlassen der Verwendung der Fahrerkarte im Kontrollgerät nach § 134 Abs. 1 iVm. § 102a KFG, Art. 34 VO (EU) Nr. 165/2014 eine Geldstrafe von € 1.400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 94 Stunden) verhängt sowie ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben.

2        Der nur gegen die Strafhöhe erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem angefochtenen Erkenntnis insofern Folge, als es die Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen zu Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses auf € 200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden), zu Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses auf € 150,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 10 Stunden), zu Spruchpunkt 3. des Straferkenntnisses auf € 200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) und zu Spruchpunkt 4. des Straferkenntnisses auf € 900,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage) herabsetzte und den Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor der revisionswerbenden Bezirkshauptmannschaft mit insgesamt € 145,-- bestimmte. Es sprach aus, dass der Mitbeteiligte keinen Kostenbeitrag für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu leisten habe und dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

3        Begründend hielt das Verwaltungsgericht zunächst den behördlichen Verfahrensgang dahingehend fest, dass der Mitbeteiligte mit dem oben genannten Straferkenntnis wegen Verwaltungsübertretungen, die mit den näher zitierten verletzten Verwaltungsvorschriften bezeichnet werden, bestraft worden sei und dem Ganzen die bereits erwähnte Anzeige zu Grunde liege. Nach der Darstellung des Beschwerdevorbringens hielt das Verwaltungsgericht fest, die „verfahrensrelevante Sach- und Rechtslage aufgrund der Ergebnisse des durchgeführten behördlichen Ermittlungsverfahrens und der diesbezüglichen Aktenlage erhoben und der vorliegenden Entscheidung zu Grunde gelegt“ zu haben. In der Folge sah das Verwaltungsgericht folgenden Sachverhalt als erwiesen an: „Der [Mitbeteiligte] war am [...] als Lenker des Lastkraftwagens [...] durch Beamte der Landespolizeidirektion [...] einer Kontrolle unterzogen worden, im Zuge welcher die nachmalig angezeigten Übertretungen festgestellt werden konnten.“ Als Rechtslage wird § 134 Abs. 1 KFG zitiert und danach schließen Erwägungen zur Strafbemessung mit der Wiedergabe von § 19 VStG an. Das nach der Aktenlage erkennbare Fehlen von Verwaltungsvorstrafen sei mildernd zu werten und Erschwerungsgründe lägen nicht vor. Dies führe zum Ergebnis, dass die verhängten Geldstrafen unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Mitbeteiligten „unter Bedachtnahme auf eine generelle und spezielle Deliktsprävention tat- und tätergerecht angepasst“ werden könnten.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, zu der eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde.

5        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6        Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit geltend, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Offenlegung der maßgeblichen Gründe für das bei der Strafbemessung geübte Ermessen sowie zu den Voraussetzungen für eine außerordentliche Strafmilderung abgewichen.

7        Damit erweist sich die Revision - entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes, der zudem nur formelhaft, im Wesentlichen mit dem Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG, und damit nicht gesetzmäßig im Sinne des § 25a Abs. 1 VwGG begründet ist - als zulässig und berechtigt:

8        Gemäß § 134 Abs. 1 KFG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu € 5.000,--, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen, wer u.a. den Artikeln 5 bis 9 und 10 Abs. 4 und 5 der VO (EG) Nr. 561/2006, der VO (EU) Nr. 165/2014 oder den Artikeln 5 bis 8 und 10 AETR zuwiderhandelt. Gemäß Abs. 1b par. cit. werden die Verstöße gegen die VO (EG) Nr. 561/2006 und gegen die VO (EG) Nr. 165/2014 anhand des Anhanges III der RL 2006/22/EG, in der Fassung der VO (EU) 2016/403, nach ihrer Schwere in vier Kategorien (schwerste Verstöße - sehr schwere Verstöße - schwere Verstöße - geringfügige Verstöße) aufgeteilt. Die Höhe der Geldstrafe ist nach der Schwere des Verstoßes zu bemessen und hat im Falle eines schweren Verstoßes nicht weniger als € 200,--, im Falle eines sehr schweren Verstoßes nicht weniger als € 300,-- und im Falle eines schwersten Verstoßes nicht weniger als € 400,-- zu betragen. Dies gilt auch für Verstöße gegen die Artikel 5 bis 8 und 10 AETR, die ebenso nach Maßgabe des Anhanges III der RL 2006/22/EG einzuteilen sind. Mit dem genannten Anhang III werden die in Rede stehenden Verstöße gegliedert nach den Rechtsgrundlagen (Artikel der jeweiligen RL) und unterteilt nach dem zeitlichen Ausmaß der Über- oder Unterschreitung in verschiedene Schweregrade kategorisiert.

9        Infolge der vom Mitbeteiligten nur gegen die Strafhöhe des Straferkenntnisses erhobenen Beschwerde erwuchs der Schuldausspruch in Rechtskraft und es war nur mehr der Strafausspruch Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

10       Bei der Strafbemessung handelt es sich um eine einzelfallbezogene Abwägung, die im Allgemeinen keine grundsätzliche Rechtsfrage darstellt (VwGH 9.6.2017, Ra 2017/02/0018, mwN). Die Strafbemessung unterliegt als Ermessensentscheidung insgesamt nur insofern der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof im Rahmen von dessen Befugnissen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG, als dieser gegebenenfalls zu prüfen hat, ob von dem im Gesetz eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde (VwGH 24.5.2017, Ra 2016/02/0157, mwN). Es obliegt dem Verwaltungsgericht in der Begründung seines Erkenntnisses, die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien und die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erforderlich ist (vgl. VwGH 27.1.2016, Ro 2015/03/0042, mwN).

11       Schon die objektiven Strafbemessungskriterien nach § 19 Abs. 1 VStG, wonach Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat sind, erfordern eine Feststellung der als erwiesen angenommenen oder bereits einem rechtskräftigen Schuldspruch zu Grunde liegenden Tat. Darüber hinaus kommt es nach § 19 Abs. 2 leg. cit. als wesentliche Komponente für die Strafbemessung auf das Verschulden an, sodass auch Sachverhaltsfeststellungen, die eine dahingehende Beurteilung ermöglichen, ebenso unausweichlich sind wie zu den Erschwerungs- und Milderungsgründen, zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie allfälligen Sorgepflichten.

12       Tatsachenfeststellungen zu den aufgezeigten Umständen fehlen im angefochtenen Erkenntnis zur Gänze, sodass es schon deshalb der Rechtsverfolgung oder -verteidigung durch die Parteien nicht zugänglich ist und mit einem wesentlichen Begründungsmangel behaftet ist, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass für die Strafbemessung erforderliche Feststellungen zu einem anderen Ergebnis führen können.

13       Hinzu kommt, dass die angewendete Strafsanktionsnorm des § 134 Abs. 1b KFG unterschiedlich hohe Mindeststrafen nach der Schwere des Verstoßes anordnet. Die im angefochtenen Erkenntnis enthaltene bloße Wiedergabe der verletzten Verwaltungsvorschriften reicht dafür nicht aus, weil der für die Kategorisierung der Schwere der Verstöße maßgebliche Anhang III der RL 2006/22/EG, in der Fassung der VO (EU) 2016/403, nicht nur auf die Erfüllung bestimmter Artikel der VO (EG) Nr. 561/2006 abstellt, sondern auch auf die Dauer der Über- oder Unterschreitung von Lenk- und Ruhezeiten. Es wäre daher auch zur Bestimmung der Strafuntergrenze nach § 134 Abs. 1b KFG erforderlich gewesen, die der Strafbemessung zu Grunde liegenden Taten so präzise festzustellen, dass sie nach den Merkmalen des zitierten Anhanges III überprüft werden können.

14       Lediglich aus der Wiedergabe des Beschwerdevorbringens und den Rechtsausführungen im angefochtenen Erkenntnis kann gemutmaßt werden, ob das Einkommen, die Unterhaltsverpflichtung und das Fehlen von Vorstrafen in die Strafbemessung Eingang gefunden haben. In dem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine ordnungsgemäß begründete verwaltungsgerichtliche Entscheidung aus drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elementen besteht: 1. der im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, 2. der Beweiswürdigung, 3. der rechtlichen Beurteilung. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei über die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. etwa VwGH 15.9.2016, Ra 2016/02/0135, mwN).

15       Da der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall mangels ordnungsgemäßer Begründung des angefochtenen Erkenntnisses an dessen Überprüfung iSd § 41 VwGG gehindert ist, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 14. Dezember 2020

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Gemeinschaftsrecht Verordnung Strafverfahren EURallg5/2 Verfahrensbestimmungen Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019020232.L00

Im RIS seit

18.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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