TE Vwgh Beschluss 2020/12/17 Ra 2020/18/0295

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des B A, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Salztorgasse 2/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2020, W171 2193268-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 15. Juni 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, als Kameramann Veranstaltungen gefilmt zu haben, bei denen junge Männer gezwungen worden seien, als „bacha bazi“ (Tanzjungen) vor Kommandanten zu tanzen. Er habe einmal auch selbst Damenbekleidung anziehen und tanzen müssen, weswegen er nach Kabul geflohen sei. Dort sei er von den Kommandanten bedroht worden, weil er bei dem Fernsehsender, wo er gearbeitet habe, veranlasst habe, dass der „bacha bazi“-Missbrauch aufgedeckt werde.

2        Mit Bescheid vom 19. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG - soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren relevant - aus, dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei aufgrund widersprüchlicher Angaben zu den zeitlichen Abläufen sowie zum fluchtauslösenden Ereignis vor seiner Flucht nach Kabul, detailarmer Angaben etwa zum Inhalt der Sendung sowie ausweichender Antworten und Unplausibilitäten insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen. So sei etwa nicht nachvollziehbar dargestellt worden, wie es zur Ausstrahlung des Beitrags in einer Live-Sendung gekommen sei, warum ein Kameramann für den Inhalt einer Sendung verantwortlich gemacht worden sei und warum er selbst mit der Sendung in Verbindung gebracht worden sei. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz stellte das BVwG fest, dass es dem Revisionswerber, der ursprünglich aus der Provinz Kunduz stamme, jedoch vor seiner Ausreise in Kabul gelebt habe, wo sich auch die Mitglieder seiner Familie aufhalten würden, unter Berücksichtigung seiner näher dargelegten persönlichen Umstände, insbesondere durch in Kabul bestehende soziale bzw. familiäre Anknüpfungspunkte, möglich sei, sich dort - etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten - eine Existenz zu sichern sowie eine Unterkunft zu finden. Dem jungen, gesunden und erwerbsfähigen Revisionswerber, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, drohe auch unter Berücksichtigung der Verbreitung von Covid-19 in Afghanistan keine reale Gefahr der Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK. Es hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, wonach sich zum Entscheidungszeitpunkt in Afghanistan die Versorgungslage derart schwerwiegend verschlechtert hätte, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lebenssituation geraten würde.

5        Die Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde von diesem abgelehnt und diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 12. Oktober 2020, E-2653/2020-15, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

6        Der Revisionswerber wendet sich in der Zulässigkeitsbegründung der Revision gegen die Nichtzuerkennung von Asyl und subsidiärem Schutz. Dazu wird zusammengefasst vorgebracht, dem BVwG seien Feststellungsmängel unterlaufen, weil die in der Medienbranche tätigen Personen in Afghanistan einer besonderen Verfolgungsgefahr ausgesetzt seien und nach den UNHCR-Richtlinien von August 2018 ein Risikoprofil erfüllen würden. Das BVwG hätte den Revisionswerber - als eine in einem politisch aktiven Fernsehsender beschäftigte Person - unter die Risikogruppe der Medienmitarbeiter subsumieren und zu dem Schluss gelangen müssen, dass ihm in Afghanistan konventionsrelevante Verfolgung oder zumindest „ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 3 EMRK“ drohe. Weiters hätte das BVwG die Provinz Kunduz als Heimatregion des Revisionswerbers feststellen und daher in Bezug auf Kabul eine Zumutbarkeitsprüfung unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Versorgungs-, Wohn- und Arbeitsmarktsituation vornehmen müssen.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Wenn der Revisionswerber unter Verweis auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (im Folgenden: UNHCR-Richtlinien) geltend macht, das BVwG hätte ihn unter die Risikogruppe der Medienmitarbeiter subsumieren müssen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die UNHCR-Richtlinien sich primär auf in der Medienbranche tätige Personen beziehen, die durch ihre kritische Berichterstattung in das Blickfeld staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure geraten sind. Nach den UNHCR-Richtlinien kann für Journalisten und andere in der Medienbranche tätige Personen, die kritisch über von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren als sensibel betrachtete Themen berichten, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder religiösen Einstellung oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor dieser Verfolgung zu bieten, bestehen (UNHCR-Richtlinien, S. 59).

12       Soweit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision Verfahrensmängel geltend gemacht werden, reicht es nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel - in konkreter Weise - darzulegen (vgl. VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0002, mwN).

13       Sofern die Revision einen Verfahrensmangel des BVwG rügt, zeigt sie in ihrem Zulässigkeitsvorbringen damit keinen relevanten Verfahrensfehler auf. Dass - wie die Revision anzunehmen scheint - jede bei einem politische Formate ausstrahlenden Fernsehsender beschäftigte Person per se Anspruch auf Asyl hätte, ist den von der Revision angesprochenen und oben auszugsweise zitierten Richtlinien nicht zu entnehmen. Diese Beurteilung hat stets auf der Grundlage der im Einzelfall getroffenen Feststellungen zu erfolgen.

14       Das BVwG stellte zwar fest, dass der Revisionswerber als Kameramann gearbeitet habe, hat dem Fluchtvorbringen aber vertretbar die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Dass die Beweiswürdigung des BVwG in einer unvertretbaren Weise erfolgt wäre, bringt die Revision nicht vor.

15       Sofern die Revision eine fehlende Auseinandersetzung mit der Heimatregion des Revisionswerbers und in weiterer Folge die unterlassene Zumutbarkeitsprüfung in Bezug auf die Hauptstadt Kabul moniert, übersieht sie, dass das BVwG Kabul erkennbar als Herkunftsregion des Revisionswerbers angenommen und sich daher mit der Frage der Möglichkeit einer Rückkehr dorthin auseinandergesetzt hat.

16       Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 25. Mai 2020, Ra 2019/19/0192, dargelegt, dass zur Bestimmung der Heimatregion der Frage maßgebliche Bedeutung zukommt, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat (vgl. VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192; EASO, Richterliche Analyse, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes [2018], 83; vgl. idS auch VwGH 27.6.2016, Ra 2016/18/0055). Zur Beantwortung der Frage, wo sich die Heimatregion des Asylwerbers befindet, bedarf es somit einer Auseinandersetzung damit, welche Bindungen der Asylwerber zu den in Betracht kommenden Städten - etwa in Hinblick auf familiäre und sonstige soziale Kontakte und örtliche Kenntnisse - aufweist (vgl. erneut 25.5.2020, Ra 2019/19/0192).

17       Das BVwG stellte fest, dass der Revisionswerber ursprünglich aus der Provinz Kunduz stamme, er jedoch vor seiner Ausreise in Kabul gelebt habe, wo sich auch die Mitglieder seiner Familie aufhalten würden. Er habe sich bis zu seiner Ausreise seine Existenz in Kabul durch seine Tätigkeit als Kameramann sichern können. Zudem bestehe die Möglichkeit der Unterstützung durch seine Familie, auch habe der Revisionswerber Kenntnis von den örtlichen Gegebenheiten. Die Revision tritt diesen Feststellungen nicht entgegen. Es erscheint fallbezogen unter Beachtung der festgestellten Bindungen des Revisionswerbers zu Kabul nicht unvertretbar, Kabul als dessen Herkunftsregion anzunehmen.

18       Sofern die Revision unter Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine fehlende Auseinandersetzung des BVwG mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Versorgungs-, Wohn- und Arbeitsmarktsituation rügt, ist darauf hinzuweisen, dass - wie die Revision auch zutreffend ausführt - diese Judikatur in Bezug auf die Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative, und nicht zur Möglichkeit der Rückkehr in die Heimatregion, ergangen ist.

19       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (vgl. VwGH 16.7.2020, Ra 2020/18/0231, mwN).

20       Beim Revisionswerber handelt es sich nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen um einen 22-jährigen, gesunden, erwerbsfähigen Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung als Kameramann, der über ein familiäres Netzwerk in Kabul verfügt. Vor diesem Hintergrund vermag die Revision eine Unvertretbarkeit der Einschätzung des BVwG, wonach mit Blick auf die persönliche Situation des Revisionswerbers eine Rückkehr auch unter dem Aspekt der Verbreitung von Covid-19 in Afghanistan keine reale Gefahr der Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK bewirke, nicht aufzuzeigen (vgl. dazu auch VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188; VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0236, mwN). Denn die Revision übersieht mit dem Vorbringen, das BVwG hätte Feststellungen zur tatsächlichen Unterstützungsfähigkeit und -willigkeit der Familie des Revisionswerbers treffen müssen, auch, dass die Argumentation des BVwG nicht ausschließlich auf der Möglichkeit der Unterstützung des Revisionswerbers durch seine Familie beruhte, sondern sowohl seine eigene Erwerbsmöglichkeit durch Wiederaufnahme seiner Arbeit als Kameramann als auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe in diese miteinbezog.

21       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 17. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180295.L00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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