TE Vwgh Beschluss 2020/11/19 Ra 2020/21/0338

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Veröffentlicht am 19.11.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des H S in W, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Juli 2020, W220 1417622-2/7E, betreffend Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Rückkehrentscheidung samt Begleitaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, beantragte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 5. Jänner 2011 die Gewährung von internationalem Schutz. Dieser Antrag wurde im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes (bereits) vom 30. Mai 2011, verbunden mit einer Ausweisung des Revisionswerbers nach Indien, vollinhaltlich abgewiesen.

2        Der Revisionswerber verblieb im Bundesgebiet und stellte am 1. März 2016 den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.

3        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 3. November 2016 ab. Weiters erließ das BFA gemäß § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Indien zulässig sei, und bestimmte gemäß § 55 FPG eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise des Revisionswerbers. Gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 2 AsylG-DV 2005 wies es einen vom Revisionswerber gestellten Antrag auf Heilung eines Mangels (Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses) ab.

4        Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung (vom 16. Juni 2020) ergangenen Erkenntnis vom 3. Juli 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Antrag auf Erteilung des genannten Aufenthaltstitels gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen werde. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Begründend stellte das BVwG im Wesentlichen fest, der unbescholtene Revisionswerber halte sich seit 5. Jänner 2011 im Bundesgebiet auf. Seit Juni 2011 sei ihm bewusst gewesen, dass dieser Aufenthalt unrechtmäßig und er zur Ausreise verpflichtet sei. Er sei unverheiratet - führe auch keine Lebensgemeinschaft - und kinderlos, habe in Indien zehn Jahre lang die Schule besucht und danach drei Jahre lang - ohne es abzuschließen - ein Studium betrieben. Im Herkunftsstaat lebten die Mutter und ein Bruder des Revisionswerbers. In Österreich teile er sich mit drei Freunden eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Er habe Deutschkurse besucht, am 8. Februar 2016 die Prüfung „ÖSD-Zertifikat A2“ bestanden und könne sich in gebrochenem Deutsch ausdrücken. Nach der Einreise bis zum Jahr 2015 habe er etwa 20 bis 25 Stunden pro Woche bei der Zustellung von Zeitungen ausgeholfen. Seither arbeite er rund 30 Stunden wöchentlich als Zeitungszusteller, wodurch er zwischen € 600,-- und € 1.000,-- pro Monat verdiene. Er sei kranken- sowie unfallversichert und verfüge für den Fall der Erteilung einer Arbeitsbewilligung über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag als Aushilfe in einer Pizzeria. Leistungen aus der Grundversorgung beziehe er nicht. Er sei gesund und arbeitsfähig, verfüge über Sozialkontakte, hingegen nicht über intensive Bindungen. Nach seiner Rückkehr sei aufgrund des bisherigen Lebens in Indien, des Beherrschens einer Landessprache (Punjabi) auf Muttersprachenniveau und Kontakten zu seiner Mutter und seinem Bruder mit der Möglichkeit einer Reintegration zu rechnen. Dort liege auch keine konkrete Gefährdung oder Bedrohungssituation vor. Es sei nicht anzunehmen, dass der Revisionswerber in eine Notlage geraten würde. Hieran ändere die Ausbreitung des COVID-19-Erregers nichts, zumal es sich dabei um eine weltweite Problematik handle und der 1988 geborene Revisionswerber keiner Risikogruppe angehöre.

In seiner Interessenabwägung verwies das BVwG auf die eben angeführten Umstände sowie den langen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet, allerdings auch auf den unsicheren Aufenthaltsstatus und darauf, dass dem Revisionswerber die Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte seit Juni 2011 bewusst gewesen sei. Insgesamt könne nicht von einem Überwiegen der persönlichen Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich gegenüber dem hohen öffentlichen Interesse an der Beendigung seines unrechtmäßigen Aufenthalts ausgegangen werden. In Österreich bestehende Sozialkontakte könnten nach einer Rückkehr im Weg moderner Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden.

Aufgrund (inhaltlich näher dargestellter) widersprüchlicher Aussagen habe er nicht glaubhaft vermitteln können, dass er sich - abgesehen von einem einmaligen Aufsuchen der indischen Botschaft zu nicht näher spezifizierten „Visa /Reisepass /Konsularangelegenheiten“ - konkret um die Ausstellung eines Reisepasses bemüht hätte. Die Beschaffung eines Reisepasses erscheine somit nicht unmöglich oder unzumutbar, der vom Revisionswerber insoweit herangezogene Heilungstatbestand in Bezug auf die unterbliebene Vorlage eines Reisepasses sei damit nicht erfüllt.

Da der Revisionswerber somit entgegen dem ihm erteilten Auftrag keinen Reisepass vorgelegt habe, sei er seiner gesetzlich normierten Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nachgekommen, sodass die Voraussetzungen des § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 erfüllt seien. Die Beschwerde sei daher mit der dargestellten Maßgabe abzuweisen gewesen.

6        Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision erweist sich als unzulässig.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8        Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich der Revisionswerber unter Hinweis auf seinen mehr als neunjährigen Aufenthalt und das dabei erreichte Maß an Integration gegen die Interessenabwägung des BVwG. Insoweit lässt sich der Revision aber nichts Konkretes entnehmen, was die vom BVwG nach mündlicher Verhandlung (somit auch nach dem dabei persönlich vom Revisionswerber gewonnenen Eindruck) einzelfallbezogen vorgenommene Beurteilung nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes revisibel machen könnte. Insbesondere wird nicht aufgezeigt, dass das BVwG, das bereits alle zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände in seine Beurteilung einbezogen hat, ungeachtet seines langjährigen - zehn Jahre aber noch nicht erreichenden und seit Mitte 2011 rechtswidrigen - Aufenthalts in Österreich in unvertretbarer Weise von den in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätzen abgegangen wäre (vgl. dazu etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0103, Rn. 13, mwN).

9        Der Revisionswerber rügt dann noch, das BVwG habe auf veraltete und die aktuelle Situation aufgrund der COVID-19-Pandemie ignorierende Länderfeststellungen Bezug genommen und sei damit den Anforderungen an die Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts nicht ausreichend nachgekommen.

10       Mit diesen Ausführungen ist der Revisionswerber darauf zu verweisen, dass es nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht, in der Revision die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz des damit geltend gemachten Verfahrensmangels in konkreter Weise darzulegen (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0099, Rn. 10 und 11, sowie VwGH 28.5.2020, Ra 2020/21/0073, Rn. 18).

11       Eine solche Relevanzdarstellung lässt sich dem Zulässigkeitsvorbringen wie auch den weiteren Revisionsausführungen nicht entnehmen. Vor dem Hintergrund der Argumentation des BVwG, dass der COVID-19-Erreger eine (definitionsgemäß weltweite) Pandemie ausgelöst habe und es sich beim Revisionswerber um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann handle, der keiner Risikogruppe angehöre, kann hieraus somit eine Unvertretbarkeit der Beurteilung des BVwG nicht abgeleitet werden.

12       Insgesamt vermag die Revision nach dem Gesagten keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.

Wien, am 19. November 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210338.L00

Im RIS seit

11.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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