TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/12 W261 2231208-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.11.2020
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Entscheidungsdatum

12.11.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §3

Spruch

W261 2231208-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzerin und als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg, vom 28.04.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ersatz des Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer brachte am 16.02.2016 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form von Ersatz des Verdienstentganges ein. Dabei gab er an, das Verbrechen habe sich zwischen 1979 und 1984 im Kinderheim XXXX in XXXX im XXXX in Tirol ereignet. Der Beschwerdeführer leide an psychischen Problemen, Hepatitis B, an einer überstandenen Drogensucht, Angstzuständen, an einem Augenleiden und habe Probleme mit den Zähnen. Er sei Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 70 %. Er sei als Einzelhandelskaufmann tätig gewesen, habe an schwerer Drogensucht gelitten und habe sich anschließend Therapien unterzogen. Der Beschwerdeführer legte eine Reihe von Zeitungsartikeln, eine Kopie seines Passes, seines Meldezettels, diverse Zeugnisse, medizinische Befunde und eine Reihe anderer Unterlagen vor.

2. Die belangte Behörde forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 23.05.2016 auf, Angaben zu den Gewalterfahrungen in seinem Leben vor und während der Zeit der Heimunterbringung darzustellen. Darüber erläuterte die belangte Behörde die Rechtslage und ersuchte den Beschwerdeführer auch Angaben zu seinen beruflichen Tätigkeiten zu übermitteln. Weiters übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen Vordruck einer Einverständniserklärung, welche es der belangten Behörde ermöglichen solle, Auskünfte von den jeweils zuständigen Stellen über den Beschwerdeführer im Rahmen des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens einholen zu können.

3. Mit Schreiben vom 15.06.2016 beantwortete der Beschwerdeführer die von der belangten Behörde gestellten Fragen und übermittelte die geforderte Einverständniserklärung und weitere bzw. neuerlich teilweise schon mit dem Antrag vorgelegte Unterlagen.
4. Die belangte Behörde ersuchte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 13.07.2016 ergänzend weitere Fragen zu beantworten. Der Beschwerdeführer beantwortete diese Fragen mit Emailnachricht vom 15.07.2016, wobei er angab, dass er nicht wisse in welchem Bezug er ein Schädelhirntrauma erlitten habe, dies könne nur im Zusammenhang mit Schlägen, welche er in der XXXX erlitten habe, geschehen sein. Er werde die weiteren Fragen gesondert beantworten.

5. Mit Eingabe vom 25.07.2016 beantwortete der Beschwerdeführer die ergänzenden Fragen der belangten Behörde. Er habe als Kleinkind durch einen Sturz vom Hochpater ein Schädelhirntrauma erlitten, dies sei selbstverschuldet gewesen und habe keine ernsten gesundheitlichen Schäden nach sich gezogen. Er sei wegen der Scheidung seiner Eltern ins Heim gekommen, seine beiden Schwestern seien bei Tanten untergebracht worden. Seine Schwestern würden heute ein zufriedenes Leben führen, was darauf hinweise, dass die familiäre Situation nicht dazu beigetragen habe, dass der Beschwerdeführer an seinen Krankheiten leide. Er habe den Beruf des Kellners erlernt, diesen jedoch nicht abgeschlossen. Er liebe Musik und wäre gerne Musiklehrer geworden. Er leide an einer chronischen Hepatitis B, weswegen er immer wieder müde und schwach sei. Er habe aus Neugier und aufgrund der Schmerzen der Seele wegen seines Heimaufenthaltes begonnen, Drogen zu nehmen. Er sei wegen des Drogenkonsums und der damit verbundenen Beschaffungskriminalität in Haft gekommen. Er sei als Hilfsarbeiter mit leichten Tätigkeiten mit einer Arbeitszeit von fünf Stunden beschäftigt gewesen. Er habe einen Pflegegeldantrag gestellt. Der Beschwerdeführer schloss diesem Schreiben eine Reihe von Unterlagen an.

6. Der Beschwerdeführer erkundigte sich in weiterer Folge mehrfach bei der belangten Behörde, ob weitere Unterlagen benötigt werden würden. Er teilte der belangten Behörde am 19.09.2016 mit, dass er derzeit auf der Straße lebe und wegen Alkohol und Depressionen in der psychiatrischen Anstalt in XXXX gewesen sei. Mit Emailnachricht vom 03.03.2017 teilte er mit, dass er sich derzeit im Krankenhaus XXXX wegen akuten Nierenversagens aufhalte. Er müsse sich nach dem Krankenhausaufenthalt eine Wohnung suchen und werde die neue Adresse umgehend mitteilen.

7. Die belangte Behörde fragte am 1505.2017 bei der Pensionsversicherungsanstalt (in der Folge: PVA) an, aufgrund welcher körperlichen Leiden der Beschwerdeführer den Antrag auf Invaliditätspension gestellt habe, und ersuchte gleichzeitig, die entsprechenden Befunde zu übermitteln.

8. Die PVA übermittelte mit Schreiben vom 29.05.2017 die angeforderten Unterlagen. Demnach beziehe der Beschwerdeführer seit 01.05.2017 eine Invaliditätspension in der Höhe von € 889,84. Laut dem vorgelegten ärztlichen Gutachten der PVA vom 10.03.2017 sei der Beschwerdeführer letztmals im Jahr 2000 in einem Dienstverhältnis gestanden. Seit 17 Jahren würde er AMS, Notstand, I-Pension und aktuell Reha-Geld beziehen. Der Beschwerdeführer leide als Hauptdiagnose an einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach komplexer Traumatisierung, ICD-10: F62:0, einer Suchterkrankung und an wiederkehrenden depressiven Episoden und als Nebendiagnosen an Polytoxikomanie, ICD-10: F19.2, Alkoholabhängigkeit, ICD-10: F10.2, Benzodiazepinabhängigkeit, ICD-10: F13.2, weiters an Hepatitis, Bluthochdruck, Zustand nach Nierenversagen Februar 2017. Es sei aus psychiatrischer Sicht keine Arbeitsfähigkeit gegeben, eine solche sei auch nicht mehr zu erwarten, eine unbefristete Invaliditätspension sei zu empfehlen.

9. Die belangte Behörde ersuchte das XXXX mit Schreiben vom 15.05.2017 um Übersendung der Zöglingsakte bzw. Heimakte des Beschwerdeführers. Mit Schreiben vom 02.06.2017 übermittelte die XXXX die geforderten Unterlagen.

10. Im Juni und Juli 2017 erfolgte ein Emailverkehr zwischen der belangten Behörde und dem Beschwerdeführer, wonach dieser angab, dass er sich bemühe, die von der belangten Behörde georderten Unterlagen aus dem Kinderheim zu besorgen. Er habe einen Antrag nach dem Heimopfergesetz gestellt, sobald er mehr darüber wisse, werde er dies bekannt geben.

11. Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom 24.08.2017 das Landesgericht XXXX als Arbeits- und Sozialgericht um Überlassung eines Aktes betreffend ein Verfahren zwischen der PVA und dem Beschwerdeführer. Das Landesgericht XXXX als Arbeits- und Sozialgericht kam diesem Ersuchen am 31.08.2017 nach.

12. Der Beschwerdeführer übermittelte der belangten Behörde mit Schreiben vom 27.09.2017 ergänzende Unterlagen.

13. Die belangte Behörde ersuchte deren ärztlichen Dienst mit Schreiben vom 18.12.2017 um Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Fragen, ob die Misshandlungen im Heim zu kausalen Gesundheitsschädigungen geführt hätten, ob diese in Folge die Drogensucht verursacht hätten, aus welcher in Folge die Hepatitis B/C Erkrankung entstanden sei, und ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliege, für welche kausale Erkrankungen die Ursache seien.

14. Der Beschwerdeführer legte in weiterer Folge laufend weitere ergänzende Unterlagen vor. Unter anderem mit Schreiben vom 09.03.2018 eine psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 05.03.2018, eines Psychologen, Psychotherapeuten und Coach, wonach der 4-jährige Heimaufenthalt des Beschwerdeführers in der XXXX (1989-1993), und die dort erlittenen physischen und psychischen Misshandlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem kausalen Zusammenhang mit den sich in der Folge entwickelten psychiatrischen Krankheitsbildern stehen würden. Diese Krankheiten seien mit hoher Wahrscheinlichkeit für die bestehende Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit des Beschwerdeführers verantwortlich und letztendlich dafür ausschlaggebend.

15. Der medizinische Sachverständige der belangten Behörde, ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und gerichtlich beeideter Sachverständiger, kam in seinem medizinischen Sachverständigengutachten vom 13.04.2018, welches aufgrund einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 13.04.2018 erstellt wurde, zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichtgradig, F33.0, Zustand nach Polytoxikomanie, F19.20, Alkoholabhängigkeitssyndrom, F10.24, residual affektives Zustandsbild nach langjährigem Suchtgiftmittelmissbrauch F19.71, kombinierte Persönlichkeitsstörung, F61.0, Z. n. Hepatitis leide. Es könne davon ausgegangen werden, dass die zerrütteten Familienverhältnisse und die Traumatisierungen im Kinderheim die Persönlichkeitsentwicklung des Beschwerdeführers negativ beeinflusst hätten. Inwieweit die Drogenabhängigkeit damit zu tun habe, lasse sich nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit beantworten. Die Straffälligkeit sei wohl im Zusammenhang mit dem Drogenkonsum zu sehen.

16. Der Beschwerdeführer übermittelte in weiterer Folge diverse Unterlagen, wie Zeitungsausschnitte über Missbräuche durch Organe der Kirche.

17. Die belangte Behörde ersuchte den befassten Sachverständigen mit Schreiben vom 13.11.2018 um die ergänzende Beantwortung einiger Fragen, insbesondere um eine genaue Auflistung der kausalen und akausalen Leiden des Beschwerdeführers.

18. Der Beschwerdeführer erkundigte sich mehrfach nach dem Verfahrensstand. Mit Emailnachricht vom 27.05.2019 teilte die belangte Behörde mit, dass sich der Akt nach wie vor beim Sachverständigen zur Gutachtenserstellung befinde.

19. Der medizinische Sachverständige erstattete am 17.07.2019 eine psychiatrisches und neurologisches Ergänzungs-Gutachten, wonach einzig die Persönlichkeitsstörung zu 50 % als kausales Leiden anzusehen sei, wobei dieses auch ohne die angeschuldigten Ereignisse im annähernd selben Zeitraum aufgetreten wäre. Die Persönlichkeitsstörung sei mit 50% schlimmer aufgetreten, als dies der Fall gewesen wäre, wenn die traumatisierenden Ereignisse nicht stattgefunden hätten. Die Arbeitsunfähigkeit liege sowohl wegen kausaler als auch akausaler Erkrankungen vor. Eine nähere Differenzierung sei aufgrund des äußerst komplexen Zustandsbildes nicht möglich.

20. Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten zur Frage ein, ob mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, dass der Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt, bedingt durch die vorfallskausale Gesundheitsschädigung zu 50 %, nicht möglich gewesen sei, einen passenden Lehrberuf zu finden, und diesen auch abzuschließen bzw. überhaupt einer Arbeit nachzugehen, oder ob schon allein aufgrund der genannten akausalen Gesundheitsschädigungenes dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen sei, einen passenden Lehrberuf zu finden, und diesen auch abzuschließen bzw. überhaupt einer Arbeit nachzugehen, bzw. einen kontinuierlichen Berufsverlauf zu haben. Ob die kausale Persönlichkeitsstörung zu 50 % geeignet sei, eine Arbeitsunfähigkeit oder Einschränkung der Arbeitsfähigkeit hervorzurufen, oder ob der Beschwerdeführer allein schon aufgrund der akausalen Leiden arbeitsunfähig wäre. Weiters ersuchte die belangte Behörde um die Beantwortung der Fragen ob schon alleine aufgrund der akausalen Gesundheitsschädigungen Arbeitsunfähigkeit vorläge, und falls ja, ab wann? Diese ersuchte mitzuteilen, welchen Beruf der Beschwerdeführer ab 01.03.2016 noch ausüben könne. Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom 02.10.2019 um Gutachtenserstellung im Wege der Amtshilfe und ersuchte den Sachverständigen auch, eine Zusammenfassung des (bereits erstellten) psychiatrischen und des arbeitsmedizinischen Gutachtens zu erstellen.

21. Der arbeitsmedizinische Sachverständige kam in dessen aktenmäßig erstellten arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachten vom 14.01.2020 zum Ergebnis, dass es dem Beschwerdeführer bereits aufgrund der akausalen Leiden nicht möglich gewesen sei, einen Lehrberuf zu finden und abzuschließen bzw. überhaupt einer Arbeit nachzugehen. Die akausalen psychischen Leiden und der mit diesen ab dem 15. Lebensjahr in Verbindung stehende Drogenkonsum und die dadurch vorliegenden Symptome sowie die absolvierten Behandlungsmaßnahmen hätten dazu geführt, dass ein Lehrberuf nicht gefunden und eine Berufslehre nicht erfolgreich abgeschlossen hätten werden können, und es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen wäre, einer Arbeit nachzugehen, sowie in einem längerfristigen Arbeitsverhältnis zu bleiben. Allein schon aufgrund der akausalen Schädigungen sei eine Unterbrechung des kontinuierlichen Berufsverlaufes anzunehmen, und es läge allein aufgrund der akausalen Leiden eine Arbeitsunfähigkeit vor. Der Beschwerdeführer sei arbeitsunfähig, er wäre auch ohne die Erlebnisse im Kinderheim nicht arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer sei aufgrund der akausalen Leiden ab 2016 nicht in der Lage, den zuletzt ausgeübten Beruf als Bürohilfskraft auszuüben.

22. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25.02.2020 die eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten im Rahmen des Parteiengehörs und legte diesem dar, dass aufgrund des Ermittlungsverfahrens davon auszugehen sei, dass eine anspruchsbegründende Straftat vorliege, für welche ein kausaler Zusammenhang mit einer psychischen Gesundheitsschädigung (kombinierte Persönlichkeitsstörung zu 50%) angenommen werden könne. Allerdings sei diese psychische Gesundheitsschädigung nicht die Ursache dafür sei, dass der Beschwerdeführer ab dem Antragsmonat arbeitsunfähig sei. Daher sei beabsichtigt, den Antrag des Beschwerdeführers abzuweisen.

23. Der Beschwerdeführer gab mit Eingabe vom 21.04.2020 eine schriftliche Stellungnahme ab. Das Schreiben der belangten Behörde sei schlüssig. Jedoch würden einige Punkte nicht der Wahrheit entsprechen. Er habe in der XXXX nie gestohlen, er habe sich lediglich zurückgeholt, was ihm gehört habe. Er sei aus Angst vor weiterer Gewalt ab und zu geflüchtet, was ihm aber nicht gelungen sei. Sein Stiefvater habe ihn nur einmal und nicht drei Mal am Penis berührt. Es habe einen Vorfall im Kinderheim gegeben, bei welchem er einem Geistlichen (Pater) „auf den Schwanz habe greifen müssen“. Er sei auch von den großen Buben geschlagen worden, welche jedoch Erzieher, Lehrer und Pater gewesen seien, und nicht Mitschüler, wie dies die Heimleitung versuche darzustellen. Auch seien seine zwei Schwestern nicht psychisch beeinträchtigt oder in psychiatrischer Behandlung gewesen, sondern diese seien aufgrund der Scheidung der Eltern traurig gewesen, was wohl erlaubt sein müsse. Der wichtigste Punkt sei für ihn die Scheidung seiner Eltern, er könne nicht nachvollziehen, dass seine beiden Schwestern dies, obwohl sie das Gleiche erlebt hätten, so gut verkraftet hätten, während diese einen großen Einfluss auf seine Person gehabt haben soll. Seine beiden Schwestern hätten bis heute ein Leben ohne Auffälligkeiten geführt. Er wisse nicht, ob eine Befangenheit des Sachverständigen vorliege, er habe jedoch gehört, dass man die Hand, die einen füttere, nicht beiße. Man habe ihm gesagt, dass für den Fall, dass er eine Ablehnung seines Antrages kommen sollte, er eine Berufung einlegen könne. Er bedanke sich für die Mühe.

24. Mit angefochtenem Bescheid vom 28.04.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 16.02.2016 auf Ersatz des Verdienstentganges gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 3 und § 10 Abs. 1 VOG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes im Kinderheim XXXX von 1981 bis 1984 Opfer von Misshandlungen gewesen sei. Es könne mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die kombinierte Persönlichkeitsstörung zu 50 %, unter welcher der Beschwerdeführer unter anderem leide, kausal auf diese antragsbegründenden Straftaten zurückzuführen sei. Diese Gesundheitsschädigung habe den beruflichen Werdegang nicht maßgeblich beeinflusst, und sei auch mit der für das Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit keine wesentliche Bedingung für das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit ab 01.03.2016. Daher sei der Antrag des Beschwerdeführers abzuweisen gewesen.

25. Der Beschwerdeführer erhob mit Eingabe vom 18.05.2020 rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin führte er aus, dass ihm noch immer nicht bewusst sei, was er hätte entschärfen können. Aus den vorgelegten Stellungnahmen und Gutachten und medizinischen Befunden sei zu entnehmen, dass die Erziehungsmethoden in der XXXX einen großen Einfluss auf sein Leben gehabt hätten. Wenn die belangte Behörde anderer Meinung sei, müsse man das zur Kenntnis nehmen und so, wie es sei, akzeptieren. Diese Beschwerde, wo er zu 100 % überzeugt sei, dass dieser Aufenthalt in der XXXX einen maßgeblichen negativen Einfluss auf sein Leben gehabt habe, richte sich an die Person, die zu diesem Beschluss (Abweisung) gekommen sei. Er lege dazu einen Befund seines Psychiaters vor, welcher belege, dass ein Zusammenhang zwischen seiner Erkrankung und den erlittenen Misshandlungen bestehe. Der Beschwerdeführer schloss der Beschwerde einen Befundbericht eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie und Psychotherapeuten vom 24.08.2017 an, wonach ursächlich für die psychischen Erkrankungen des Beschwerdeführers sicher die vielen Jahre in der XXXX seien, die er vom 10. bis zum 14. Lebensjahr dort verbracht habe.

26. Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 19.05.2020 zur Entscheidung vor, wo dieser am 22.05.2020 einlangte.

28. Das Bundesverwaltungsgericht holte am 06.11.2020 einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister ein, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und in Österreich lebt. Laut einem am selben Tag eingeholten Auszug aus dem AJ Web bezieht der Beschwerdeführer aktuell Invaliditätspension. Aus einem am 09.11.2020 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer insgesamt 13 strafrechtliche Verurteilungen aufweist.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1      Zum Beschwerdeführer und den allgemeinen Voraussetzungen:

Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger.

Der Beschwerdeführer beantragte am 16.02.2016 beim Sozialministeriumservice den Ersatz des Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz.

Er wurde am XXXX als drittes Kind seiner Eltern in XXXX geboren. Er wuchs in XXXX auf. Seine Eltern waren beide berufstätig, die Mutter war als Kellnerin bzw. Raumpflegerin und der Vater war als Kellner tätig.

Die Eltern des Beschwerdeführers ließen sich nach jahrlangen Konflikten scheiden, als der Beschwerdeführer ca. neun Jahre alt war. Der Beschwerdeführer lebte sodann gemeinsam mit seinen beiden älteren Schwestern bis zur Heimunterbringung bei seiner Mutter. Die Mutter des Beschwerdeführers war selbst alkoholkrank. Die berufstätige Mutter des Beschwerdeführers war mit der Alleinerziehung ihrer drei Kinder überfordert. Der Beschwerdeführer hatte keinen guten Kontakt zu seinem Vater.

Der Beschwerdeführer wurde auf Wunsch seiner Mutter wegen Lernschwierigkeiten von 07.01.1981 bis 06.07.1984 im Kinderheim XXXX in Fügen im XXXX untergebracht. Während dieser Zeit war der Beschwerdeführer psychischen, physischen und sexuellen Misshandlungen ausgesetzt. Der Beschwerdeführer erhielt Schläge, zum Teil aus nichtigen Gründen, heftig mit der Hand auf den Kopf, zwei- bis dreimal pro Monat auch Schläge mit einem Stecken. Es gab an Schultagen täglich Ohrfeigen und Kopfnüsse. Der Beschwerdeführer musste als Strafe im Winter kalt duschen, in der Nacht mit aufgelegten Büchern auf die ausgestreckten Hände stehen, oder er erhielt die Androhung „nicht nach Hause fahren zu dürfen“. Der Beschwerdeführer wurde beim Nacktduschen von Schwester XXXX , von Schwester XXXX und anderen Erziehern beobachtet. Während der Zeit seines Aufenthaltes in der XXXX musste er einem Gastpater „auf den Penis greifen“. Im Ferienlager XXXX musste der Beschwerdeführer auf dem Boden und einem Holz knien.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von seinem Stiefvater vor dem Heimaufenthalt sexuell missbraucht wurde.

Von der Ombudsstelle für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch der XXXX erhielt der Beschwerdeführer 40 Einheiten für psychotherapeutische Krankenbehandlung.

Im Jahr 2000 erhielt er als Heimopfer von der sogenannten KLASNIC-Kommission eine Entschädigung in der Höhe von € 15.000,-.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er ist seit 02.06.2016 obdachlos. Der Beschwerdeführer ist beim Verein XXXX in XXXX polizeilich gemeldet.

1.2     Ausbildungs-, Beschäftigungsverlauf und Lebensumstände des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer begann nach vier Jahren Volksschule, vier Jahren Hauptschule und einem Jahr Polytechnischem Lehrgang in XXXX eine Lehre als Einzelhandelskaufmann und als Kellner, beide Lehren schloss der Beschwerdeführer nicht ab.

Der Beschwerdeführer war Zeit seines Berufslebens immer wieder bei unterschiedlichen Arbeitgebern kurzzeitig als Hilfsarbeiter tätig. Er bezog mehrfach Arbeitslosengeld, Krankengeld, Notstandshilfe und Überbrückungsgeld.

Der Beschwerdeführer absolvierte im Jahr 2014 im zweiten Bildungsweg eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann. Er arbeitete zuletzt im Zeitraum vom 01.08.2001 bis 31.12.2001 als Bürohilfskraft.

Der Beschwerdeführer bezog vom 01.12.2007 bis 31.07.2011, vom 01.06.2012 bis 31.01.2014 und seit 01.05.2017 laufend Pension aufgrund geminderter Erwerbsfähigkeit.

Im Zeitraum vom 01.02.2014 bis 30.04.2017 bezog der Beschwerdeführer Rehageld und hatte einen Anspruch auf KV Sachleistungen.

In den Zeiträumen vom 01.12.2007 bis 31.03.2008, vom 01.02.2009 bis 28.02.2009, vom 01.06.2012 bis 31.08.2012, vom 01.05.2015 bis 14.11.2015 und vom 10.12.2015 bis 31.12.2015 bezog der Beschwerdeführer Pensionsvorschuss.

Die dauerhafte Invaliditätspension wurde dem Beschwerdeführer von der Pensionsversicherungsanstalt ab dem Jahr 2017 aufgrund folgender Diagnosen gewährt:

Hauptdiagnose:

?        Andauernde Persönlichkeitsänderung nach komplexer Traumatisierung, ICD-10: F62:0,

?        wiederkehrenden depressiven Episoden

Nebendiagnosen:

?        Polytoxikomanie, ICD-10: F19.2

?        Alkoholabhängigkeit, ICD-10: F10.2

?        Benzodiazepinabhängigkeit, ICD-10: F13.2

Weitere Diagnosen:

Hepatitis, Bluthochdruck, Zustand nach Nierenversagen Februar 2017.

Das Strafregister des Beschwerdeführers weist im Zeitraum von 1985 bis 2010 insgesamt 13 strafrechtliche Verurteilungen auf. Der Beschwerdeführer verbüßte mehrfach Freiheitsstrafen wegen Delikten im Zusammenhang mit seiner Beschaffungskriminalität, um seine Sucht finanzieren zu können. Zuletzt wurde der Beschwerdeführer am 21.04.2012 aus der Strafhaft entlassen, seit diesem Zeitpunkt ist der Beschwerdeführer nicht mehr straffällig geworden.

1.3      Festgestellte Funktionsbeeinträchtigungen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer konsumierte seit dem 15. Lebensjahr illegale Drogen, wobei er ab dem 18. Lebensjahr auch Opiate (Kokain und Heroin) zu sich nahm. Im Zeitraum von 1992 bis 1997 war er oftmals ins Entwöhnungsbehandlung auf der XXXX in XXXX und im Jahr 2007 in XXXX , im Zeitraum 1999 bis 2006 befand sich der Beschwerdeführer in einem Substitol-Substitutionsprogramm. Im Jahr 1992 absolvierte er einen Drogenentzug am XXXX , 2006 im Haus XXXX und 2011 in der XXXX in XXXX . Der Beschwerdeführer nimmt nach eigenen Angaben seit dem Jahr 2007 keine illegalen Drogen mehr, es bestand jedoch eine ernsthafte Alkoholproblematik. Seit Oktober 2007 befand er sich in unregelmäßiger fachärztlicher Behandlung auf Grund einer depressiven Anpassungsstörung. Seit April 2011 unterzog sich er Beschwerdeführer einer ambulanten psychosozialen und klinisch-psychologischen Betreuung bei der XXXX Im November 2014 war der Beschwerdeführer stationär an der Psychiatrie Abteilung XXXX des Landeskrankenhauses XXXX .

Die Beschwerdeführerin leidet an folgenden Gesundheitsschädigungen:

-        Rezidivierende depressive Störung F33.0

-        Zustand nach Polytoxikomanie, F19.20

-        Alkoholabhängigkeitssyndrom, F10.24

-        Resiual effektives Zustandsbild nach langjährigem Substanzmissbrauch, F19.71

-        Kombinierte Persönlichkeitsstörung, F61.0

-        Z.n. Hepatitis

Der Beschwerdeführer ist seit 21.12.2000 Inhaber eines Behindertenpasses.

1.4     Kausalität

Es besteht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein Kausalzusammenhang zwischen den festgestellten psychischen, physischen und sexuellen Misshandlungen im Kinderheim und zu 50 % mit der festgestellten kombinierten Persönlichkeitsstörung, F61.0. Alle anderen Leiden und Funktionsbeeinträchtigungen des Beschwerdeführers, insbesondere auch seine Suchterkrankungen, stehen in keinem kausalen Zusammenhang mit dem von ihm erlittenen Misshandlungen im Kinderheim.

Die diagnostizierte kausale Gesundheitsschädigung kombinierten Persönlichkeitsstörung, F61.0. zu 50 % hat den beruflichen Werdegang des Beschwerdeführers nicht maßgeblich beeinflusst und ist auch mit der für das Verbrechensopfergesetz maßgeblichen Wahrscheinlichkeit keine wesentliche Bedingung für das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit seit 01.03.2016.

2.       Beweiswürdigung:

2.1     Zum Beschwerdeführer und den allgemeinen Voraussetzungen:

Die Feststellungen über die Staatsbürgerschaft und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers basieren auf den im Rahmen der gegenständlichen Antragstellung vorgelegten Kopien des seines Reisepasses.

Die Feststellungen zur familiären Situation des Beschwerdeführers vor der Heimunterbringung, zum Überstellungsgrund sowie zum Beginn und Ende des Heimaufenthaltes gründen sich auf die im Verwaltungsakt einliegenden Kopien des Heimaktes, welcher sich im Wesentlichen auch mit den Angaben des Beschwerdeführers deckt. Auffallend ist nur, dass der Beschwerdeführer mehrfach angibt, in der Zeit von 1979 bis 1984 im Kinderheim untergebracht gewesen zu sein, während sich aus dem Heimakt zweifelsfrei ergibt, dass der Beschwerdeführer seit 07.01.1981 im Kinderheim und nicht bereits seit dem Jahr 1979 untergebracht war (vgl. AS 234 und AS 240ff).

Aus einem im Heimakt aufliegenden Bericht der XXXX vom 04.03.1980 ist zu entnehmen, dass die Ehe der Eltern des Beschwerdeführers vor einem Jahr geschieden wurde (vgl. AS 238), woraus die Feststellung resultiert, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Scheidung seiner Eltern ca. neun Jahre und nicht, wie er selbst mehrfach angibt, sieben Jahre alt gewesen sein muss. Es mag durchaus sein, dass die Eltern bereits davor getrennt gelebt haben, und der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt dieser Trennung ca. sieben Jahre alt gewesen ist.

Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Misshandlungen, welche dieser im Kinderheim erleiden musste, werden von ihm hinreichend konkret geschildert und decken sich auch mit den Erfahrungen anderer ehemaliger Heimkinder, welche zeitgleich in der XXXX untergebracht waren. Daher kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die genannten psychischen, physischen und sexuellen Misshandlungen erdulden musste.

Die behaupteten sexuellen Übergriffe durch seinen Stiefvater, welche vor der Unterbringung im Kinderheim XXXX stattgefunden haben sollen, können nicht festgestellt werden, weil der Beschwerdeführer hierzu – außer seinen eigenen Angaben – keine weiteren Beweismittel vorlegte. Es finden sich in den gesamten vorgelegten Unterlagen keine Hinweise auf einen allfälligen Missbrauch durch den Stiefvater. Er schilderte auch bei der Untersuchung durch den von der belangten Behörde beigezogenen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Psychiatrie am 13.04.2018 im Zuge der Anamnese nichts über einen sexuellen Missbrauch durch seinen Stiefvater (vgl. AS 395f).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer 40 Stunden Psychotherapie zugesprochen erhalten hat, beruht auf einem im Akt aufliegenden Schreiben der Ombudsstelle der XXXX vom 09.11.2015 (vgl. AS 109).

Die Feststellung zur Auszahlung einer Entschädigung der sogenannten KLASNIC-Kommission in der Höhe von € 15.000,- beruht auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers bei einer medizinischen Untersuchung im Rahmen des Verfahrens vor dem Landesgericht XXXX als Arbeits- und Sozialgericht laut Gutachten DDr. XXXX vom 03.08.2015 (vgl. AS 305).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer ledig und kinderlos ist, beruht auf seinen eigenen Angaben bei diversen medizinischen Untersuchungen. Die Feststellung zur aktuellen Obdachlosigkeit des Beschwerdeführers und der polizeilichen Meldung beim Verein XXXX beruht auf den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.2     Zu den Ausbildungs-, Beschäftigungsverlauf und Lebensumstände des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Schul- und Ausbildung des Beschwerdeführers beruhen im Wesentlichen auf seinen eigenen Angaben bzw. werden auch durch die Anamnesen bei diversen medizinischen Untersuchungen belegt.

Die Feststellungen zu seinen beruflichen Tätigkeiten und den Bezügen von Mitteln aus dem AMS, Krankengeld, Notstandsgeld und Überbrückungshilfe, aber auch die Feststellungen zum Bezug von Invaliditätspension, Rehageld und Pensionsvorschuss beruhen auf die Einsichtnahme in den vom Bundesverwaltungsgericht am 06.11.2020 eingeholten Auszug aus dem AJ Web.

Die Feststellung der Ausbildung als Einzelhandelskaufmann im zweiten Bildungsweg beruht auf einem im Akt aufliegenden psychiatrischen Gutachten DDr. XXXX vom 03.08.2015 (vgl. AS 301). Die Feststellung, dass die letzte berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers im Jahr 2001 stattgefunden hatte, beruht auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem AJ-Web vom 06.11.2020.

Jene Feststellungen, welche die Diagnosen beschreiben, weswegen dem Beschwerdeführer ab Mai 2017 dauerhaft Invaliditätspension zugesprochen wurde, beruhen auf dem ärztlichen Gutachten bei Nachuntersuchung bezüglich Invalidität eines Facharztes für Psychiatrie der PVA vom 10.03.2017, welches im Beschwerdeakt aufliegt (vgl. AS 149ff).

Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers beruhen auf dem vom Bundesverwaltungsgericht am 09.11.2020 eingeholten Auszug aus dem Strafregister.

2.3      Zu den festgestellte Funktionsbeeinträchtigungen des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zum Drogenkonsum des Beschwerdeführers und den Behandlungen, welchen er sich in diesem Zusammenhang unterzog, beruhen im Wesentlichen auf einem ärztlichen Gutachten zum Antrag auf Gewährung der Invaliditätspension eines Facharztes für Psychiatrie der PVA vom 03.02.2015 (vgl. AS 150ff) und decken sich auch im Wesentlichen mit den Ausführungen in der psychologisch-psychotherapeutischen Stellungnahme vom 05.03.2018 (ua zitiert AS 391ff).

Die Feststellungen zu den Erkrankungen des Beschwerdeführers beruhen auf dem von der belangten Behörde eingeholten psychiatrisch und neurologischen Sachverständigengutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 13.04.2018 (vgl. AS 386 ff) samt Gutachtensergänzung vom 17.07.2019 (vgl. AS 406 ff). Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der medizinische Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vom Beschwerdeführer zahlreich vorgelegten Befunden und Stellungnahmen auseinander. Diese medizinischen Sachverständigengutachten blieben im Wesentlichen unbestritten.

Die Feststellung zum Behindertenpass des Beschwerdeführers beruht auf der von diesem selbst vorgelegten Kopie des Behindertenpasses (vgl. As 72).

2.4     Zur Kausalität

Die Feststellung, dass die kombinierte Persönlichkeitsstörung zu 50 % kausal auf die vom Beschwerdeführer erduldeten Misshandlungen im Kinderheim XXXX zurückzuführen sind, beruht auf das schlüssige und nachvollziehbare Ergänzungsgutachten des Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie vom 17.07.2019 (vgl. AS 406 ff). Es lässt sich jedoch nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen nicht mit der für das Verbrechensopfergesetz maßgeblichen Wahrscheinlichkeit feststellen, dass der Drogenkonsum und die Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit, welche den Beschwerdeführer seit seiner Jugend begleitet haben, kausal auf die erlittenen Misshandlungen im Kinderheim XXXX zurückzuführen sind.

Die Feststellung, dass die diagnostizierte kausale Gesundheitsschädigung kombinierte Persönlichkeitsstörung zu 50 % den beruflichen Werdegang des Beschwerdeführers nicht maßgeblich beeinflusst hat, und diese auch mit der für das Verbrechensopfergesetz maßgeblichen Wahrscheinlichkeit keine wesentliche Bedingung für das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit seit 01.03.2016 ist, beruht auf das schlüssige und nachvollziehbare arbeitsmedizinische Sachverständigengutachten vom 14.01.2020 (vgl. AS 420 ff), welches dieser auf Grund der Aktenlage erstellte.

Die Drogen- und Alkoholsucht und Medikamentenabhängigkeit des Beschwerdeführers hat nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen in seinem Gutachten vom 13.04.2018 ausgeführt, dass sich nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang zwischen den Suchterkrankungen und den Misshandlungen im Heim herstellen lässt (vgl. AS 397), weswegen derselbe Sachverständige diese Leiden in seinem psychiatrischen und neurologischen Ergänzungs-Gutachten als nicht kausales Leiden feststellt (vgl. AS 408).

Darin kommt der arbeitsmedizinische Sachverständige schlüssig und nachvollziehbar zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer bereits durch seine akausalen Leiden und insbesondere aufgrund des ab dem 15. Lebensjahr bestehenden Drogenkonsums daran gehindert gewesen war, einen Lehrberuf zu finden und eine Berufsausbildung erfolgreich abzuschließen und dauerhaft einer Arbeit nachzugehen. Es liegt bereits durch die akausalen Leiden eine Unterbrechung des kontinuierlichen Berufsverlaufes des Beschwerdeführers vor. Rückblickend bestand bereits seit dem Jahr 1988, als der Beschwerdeführer 19 Jahre alt war und begonnen hatte, Heroin zu konsumieren, eine Arbeitsunfähigkeit. Der Beschwerdeführer ist jedenfalls seit Jahren arbeitsunfähig, er wäre auch ohne die erlebten Misshandlungen im Kinderheim XXXX arbeitsunfähig geworden. Im Vordergrund stehen laut diesem arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachten beim Beschwerdeführer seine Suchterkrankungen, welche es ihm verunmöglicht haben, sich im Berufsleben zu etablieren.

Aufgrund dieser Erwägungen wurden die genannten Feststellungen getroffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Zur Entscheidung in der Sache:

Die gegenständlich maßgebliche Bestimmung des Verbrechensopfergesetzes (VOG), lauten:

„Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1.       durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben, oder

2. …

3. …

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind, oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.

Hilfeleistungen

§ 2 Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:

1.       Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;

Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges

§ 3. (1) Hilfe nach § 2 Z 1 ist monatlich jeweils in Höhe des Betrages zu erbringen, der dem Opfer durch die erlittene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 3) als Verdienst oder den Hinterbliebenen durch den Tod des Unterhaltspflichtigen als Unterhalt entgangen ist oder künftighin entgeht. Sie darf jedoch zusammen mit dem Einkommen nach Abs. 2 den Betrag von monatlich 2 068,78 Euro nicht überschreiten. Diese Grenze erhöht sich auf 2 963,23 Euro, sofern der Anspruchsberechtigte seinen Ehegatten überwiegend erhält. Die Grenze erhöht sich weiters um 217,07 Euro für jedes Kind (§ 1 Abs. 5). Für Witwen (Witwer) bildet der Betrag von 2 068,78 Euro die Einkommensgrenze. Die Grenze beträgt für Waisen bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres 772,37 Euro, falls beide Elternteile verstorben sind 1 160,51 Euro und nach Vollendung des 24. Lebensjahres 1 372,14 Euro, falls beide Elternteile verstorben sind 2 068,78 Euro. Diese Beträge sind ab 1. Jänner 2002 und in der Folge mit Wirkung vom 1. Jänner eines jeden Jahres mit dem für den Bereich des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes festgesetzten Anpassungsfaktor zu vervielfachen. Die vervielfachten Beträge sind auf Beträge von vollen 10 Cent zu runden; hiebei sind Beträge unter 5 Cent zu vernachlässigen und Beträge von 5 Cent an auf 10 Cent zu ergänzen. Übersteigt die Hilfe nach § 2 Z 1 zusammen mit dem Einkommen nach Abs. 2 die Einkommensgrenze, so ist der Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges um den die Einkommensgrenze übersteigenden Betrag zu kürzen.

(2) Als Einkommen gelten alle tatsächlich erzielten und erzielbaren Einkünfte in Geld oder Güterform einschließlich allfälliger Erträgnisse vom Vermögen, soweit sie ohne Schmälerung der Substanz erzielt werden können, sowie allfälliger Unterhaltsleistungen, soweit sie auf einer Verpflichtung beruhen. Außer Betracht bleiben bei der Feststellung des Einkommens Familienbeihilfen nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376, Leistungen der Sozialhilfe und der freien Wohlfahrtspflege sowie Einkünfte, die wegen des besonderen körperlichen Zustandes gewährt werden (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindenzulage und gleichartige Leistungen). Auf einer Verpflichtung beruhende Unterhaltsleistungen sind nicht anzurechnen, soweit sie nur wegen der Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 gewährt werden.

…“

Der Beschwerdeführer, ein österreichischer Staatsbürger, begehrte im gegenständlichen Verfahren den Ersatz des Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz.

Voraussetzung für Hilfeleistungen nach dem VOG ist, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG mit Wahrscheinlichkeit vorliegt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.03.2014, Zl. 2013/09/0181).

Wie bereits zuvor ausgeführt, wurde der Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall mit der für das Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit während seiner Unterbringung im Kinderheim XXXX vom 07.01.1981 bis 06.07.1984 durch die psychischen, physischen und sexuellen Misshandlungen der dortigen ErzieherInnen Opfer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG.

Aufgrund der an ihm verübten Verbrechen leidet der Beschwerdeführer unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, welche zu 50% kausal auf die Misshandlungen im Heim zurückzuführen ist. Diese zu 50% kausale kombinierte Persönlichkeitsstörung ist jedoch nicht kausal für die beim Beschwerdeführer vorliegende und festgestellte Arbeitsunfähigkeit. Diese ist auch nicht dafür kausal, dass der Beschwerdeführer in seinen jungen Jahren keine berufliche Ausbildung abschloss und Zeit seines Lebens nur kurze Arbeitsverhältnisse, vornehmlich für Hilfstätigkeiten ausübte. Hierfür sind insbesondere die akausalen Suchterkrankungen des Beschwerdeführers relevant.

Damit liegt der für das Verbrechensopfergesetz erforderliche Zusammenhang zwischen dem Verbrechen, den Erkrankungen des Beschwerdeführers und seiner Arbeitsunfähigkeit bzw. fehlenden beruflichen Qualifikation nicht vor.

Aus den dargelegten Gründen sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form des Ersatzes des Verdienstentganges nicht gegeben.

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden und der Antrag als unbegründet abzuweisen.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im vorliegenden Fall wird eine Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht für nicht erforderlich erachtet, zumal für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde der maßgebliche Sachverhalt durch Aktenstudium des vorgelegten Fremdaktes, insbesondere auch der Beschwerde, zu klären war. Alle aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes notwendigen Unterlagen befanden sich im verwaltungsbehördlichen Fremdakt. Ansonsten waren im gegenständlichen Fall rechtliche Fragen zu klären.

Damit liegt ein besonderer Grund vor, welcher auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR eine Einschränkung des Grundrechts auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zulässt. Im Fall Faugel (EGMR 20.11.2003, 58647/00 und 58649/00) wurde ein solch besonderer Grund, der von der Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung entbindet, etwa dann angenommen, wenn in einem Verfahren ausschließlich rechtliche oder höchst technische Fragen zur Diskussion stehen. Dem Bundesverwaltungsgericht liegt auch kein Beschwerdevorbringen vor, welches mit der beschwerdeführenden Partei mündlich zu erörtern gewesen wäre und konnte daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben. Auch bei Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung hätte es zu keinem anderen Ergebnis der Entscheidung kommen können.

Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Diesbezüglich wird auf die angeführte Judikatur unter A) verwiesen.

Schlagworte

Arbeitsunfähigkeit Kausalität Kausalzusammenhang Misshandlung Sachverständigengutachten Suchterkrankung VerbrechensopferG Verdienstentgang Wesentlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2231208.1.00

Im RIS seit

05.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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