TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/9 Ra 2020/19/0110

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Veröffentlicht am 09.12.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
BFA-VG 2014 §16 Abs3
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth und den Hofrat Dr. Pürgy sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Februar 2020, Zlen. 1. G305 2207613-1/7E, 2. G305 2207605-1/5E, 3. G305 2207611-1/4E, 4. G305 2207609-1/4E und 5. G305 2228353-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Parteien: 1. K A F, 2. W N O, 3. A N O, 4. T N O, und 5. M A, alle in E, alle vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird - soweit es die Fünftmitbeteiligte betrifft - wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Der Bund hat den erst- bis viertmitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils 1.106,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die mitbeteiligten Parteien sind eine Familie und stammen aus dem Irak. Die erst- bis viertmitbeteiligten Parteien stellten einen am 10. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17. September 2018 wurden die Anträge hinsichtlich Asyl und subsidiären Schutz (Spruchpunkte I und II) abgewiesen, keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkte III-V). Es wurde eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VI).

3        Dagegen erhoben die erst- bis viertmitbeteiligten Parteien Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

4        Am 11. Juli 2019 wurde die fünftmitbeteiligte Partei geboren. Für diese wurde am 12. August 2019 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit Bescheid des BFA vom 22. Oktober 2019 abgewiesen wurde. Gegen diesen Bescheid wurde keine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden hinsichtlich der Nichtgewährung von Asyl ab, gewährte jedoch den mitbeteiligten Parteien den Status von subsidiär Schutzberechtigten und hob die Spruchpunkte II bis IV sämtlicher Bescheide des BFA auf. Begründend führte das BVwG aus, die minderjährige Fünftmitbeteiligte habe keine Beschwerde gegen den sie betreffenden Bescheid vom 22. Oktober 2019 erhoben. Gemäß § 16 Abs. 3 BFA-VG sei jedoch auch über den gegen sie ergangenen Bescheid abzusprechen. Den Mitbeteiligten sei es nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass sie im Herkunftsstaat einer asylrechtlichen Bedrohung oder Verfolgung durch eine schiitische Miliz ausgesetzt gewesen seien. In Hinblick auf die allgemeine Lage im Herkunftsstaat und die höchstgerichtliche Rechtsprechung der jüngeren Zeit sei den Mitbeteiligten subsidiärer Schutz zu gewähren.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, § 16 Abs. 3 BFA-VG sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur im Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 anwendbar. Ein Familienverfahren liege aber zwischen Familienmitgliedern nicht vor, deren Asylverfahren in unterschiedlichen Instanzen anhängig sei. Da bei Erlassung des Bescheides gegen die Fünftmitbeteiligte das Asylverfahren der anderen Mitbeteiligten aufgrund der von diesen erhobenen Beschwerden bereits beim BVwG anhängig gewesen sei, habe diese Beschwerde nicht auch für die Fünftmitbeteiligte gegolten. Das BVwG weiche somit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es gemäß § 16 Abs. 3 BFA-VG über den die Fünftmitbeteiligte betreffenden Bescheid vom 22. Oktober 2019 abspreche, obwohl gegen diesen keine Beschwerde erhoben wurde.

7        Das BVwG sei zudem von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen. Das BVwG habe ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht vorlägen. Das begründe das BVwG lediglich mit dem allgemein gehaltenen Satz, dass dies die allgemeine Lage im Irak in Hinblick auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung der jüngeren Zeit erfordere. Es habe aber weder dargelegt, welche Tatsachen es unter „allgemeine Lage“ subsumiere noch auf welche konkreten Judikate der Höchstgerichte es seine Ansicht stütze. Die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die Mitbeteiligten sei daher nicht nachvollziehbar begründet und stehe in Widerspruch zu den übrigen Ausführungen des angefochtenen Erkenntnisses.

8        Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem die Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstatteten, erwogen:

9        Die Revision ist teilweise zulässig. Sie ist auch insoweit begründet.

Zu I.

10       Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 sind Anträge in einem Familienverfahren unter einem zu führen. Wird von einem der Familienangehörigen gegen einen ihm gegenüber erlassenen Bescheid Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß § 16 Abs. 3 BFA-VG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen.

11       Die Bestimmung des § 16 Abs. 3 BFA-VG vervollständigt solcherart das System des Familienverfahrens. Damit soll grundsätzlich erreicht werden, dass alle Anträge von Familienmitgliedern von der gleichen Behörde zum gleichen Zeitpunkt entschieden werden können (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0252, 0253, mwN).

12       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat eine gemeinsame Führung der Verfahren nur dann zu erfolgen, wenn diese gleichzeitig beim BFA oder gleichzeitig im Beschwerdeverfahren beim BVwG anhängig sind (vgl. VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004).

13       Liegt kein unter einem zu führendes Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 vor, ist auch die das Familienverfahren ergänzende Regelung des § 16 Abs. 3 BFA-VG nicht anwendbar, wonach eine von einem Familienangehörigen erhobene Beschwerde auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen gilt (vgl. wiederum VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0252, 0253).

14       Im Revisionsfall erhoben die Erst- bis Viertmitbeteiligten am 9. Oktober 2018 eine gemeinsame Beschwerde gegen die sie betreffenden Bescheide vom 17. September 2018, wodurch ihr Verfahren vor dem BVwG anhängig wurde. Für die (während des laufenden Beschwerdeverfahrens) am 11. Juli 2019 im Bundesgebiet nachgeborene Fünftmitbeteiligte stellte der Vater als ihr gesetzlicher Vertreter hingegen erst am 12. August 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Gegen den abweisenden Bescheid wurde keine Beschwerde eingebracht, so dass das Verfahren der Fünftmitbeteiligten beim BVwG nicht anhängig wurde.

15       Da im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung der Erst- bis Viertmitbeteiligten kein gemeinsam zu führendes Familienverfahren mit der Fünftmitbeteiligten vorlag, kann die von den Familienmitgliedern erhobene Beschwerde vom 9. Oktober 2018 nicht als Beschwerde gegen den die nachgeborene Fünftmitbeteiligte betreffenden Bescheid vom 22. Oktober 2019 gelten.

16       Indem das BVwG ungeachtet dessen im gegenständlichen Erkenntnis auch über den die Fünftmitbeteiligte betreffenden Bescheid abspricht, gegen welchen keine Beschwerde erhoben wurde, hat es eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm nicht zukam, und das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts belastet.

17       Das Erkenntnis betreffend die Fünftmitbeteiligte war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufzuheben.

Zu II:

18       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

19       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

20       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

21       Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Zulässigkeitsbegründung nahezu wortident in den Revisionsgründen wiederholt wird. Enthält eine Revision die Ausführungen zur Begründetheit der Revision (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) wortident auch als Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision, dann wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Erfordernis der gesonderten Darlegung von im § 28 Abs. 3 VwGG geforderten Gründen, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird, nicht entsprochen (vgl. etwa VwGH 10.6.2020, Ra 2019/18/0143, mwN).

22       Darüber hinaus wird mit dem Vorbringen eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt:

23       Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221, mwN).

24       Die Amtsrevision rügt einen Verfahrensmangel. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 5.3.2020, Ra 2020/19/0051, mwN). Die Amtsrevision enthält kein Vorbringen zur Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels.

25       In der Revision werden daher in Bezug auf die Gewährung des Status subsidiär Schutzberechtigter keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher insoweit zurückzuweisen.

26       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. Dezember 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190110.L00

Im RIS seit

02.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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