TE Lvwg Erkenntnis 2020/6/15 VGW-151/059/5370/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.06.2020
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Entscheidungsdatum

15.06.2020

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

NAG 2005 §19 Abs11
NAG-DV §1
AVG §56

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Schattauer über die Beschwerde der Frau A. B., geb.: 1991, STA: Serbien, Wien, C.-straße, gegen die Erledigung des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 23.03.2020, Zahl MA35-9/...1-07, mit welchem für die „Nichtretournierung des abgelaufenen Aufenthaltstitels“ eine Geldstrafe von 50,-- Euro bis zu 250,-- Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, angedroht wurde, sowie gegen die Befristungsdauer der mit am 25.03.2020 ausgefolgter Aufenthaltstitelkarte mit 28.11.2019 bis 28.11.2020 befristet erteilten Aufenthaltsbewilligung „Familienangehöriger“

A. folgenden

BESCHLUSS

gefasst:

I. Gemäß § 31 Abs. 1 in Verbindung mit 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Erledigung vom 23.3.2020, Zl. ...1, richtet, als unzulässig zurückgewiesen.

II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

sowie B)

IM NAMEN DER REPUBLIK

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Befristung des am 25.03.2020 in Kartenform ausgefolgten Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ mit Gültigkeitsdauer von 28.11.2019 bis 28.11.2020“ richtet, Folge gegeben. Dieser Aufenthaltstitel ist in Anwendung des § 19 Abs. 11 NAG in Kartenform mit einer Gültigkeitsdauer von 28.11.2019 bis 28.11.2022 neu auszustellen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Verfahrensgang; zugleich als entscheidungserheblich festgestellter Sachverhalt:

Der Beschwerdeführerin wurde zuletzt aufgrund ihres Antrages seitens der belangten Behörde ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ mit einer Geltungsdauer von 28.11.2019 bis 28.11.2022 (in Kartenform ausgefolgt am 13.12.2019) erteilt.

Mit Antrag vom 6.3.2020 begehrte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf den Diebstahl dieses Dokumentes, belegt durch die polizeiliche Meldung dieser Straftat, die Ausstellung eines Duplikates. Seitens der belangten Behörde wurde dieser Antrag – mit der nämlichen Geltungsdauer - bewilligt. Aufgrund eines Versehens der Kanzlei wurde irrtümlich eine Aufenthaltstitelkarte mit einer Gültigkeitsdauer von 28.11.2019 bis 28.11.2020 bestellt und in der Folge diese Karte der Beschwerdeführerin mittels Schreiben vom 6.3.2020 („Übernahmebestätigung – Aufenthaltstitel“, Zl. MA35-9/...1-07) zugestellt. Die Ausfolgung ist laut Rückschein RSa mit 25.03.2020 bestätigt. Das Schreiben beinhaltet eine Rechtsmittelbelehrung, mit der auf die Möglichkeit der Beschwerde gegen diesen „Bescheid“ hingewiesen wird.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 23.03.2020, Zahl ...1, wurde der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht:

„Sehr geehrte Frau B.!

Anbei erhalten Sie Ihren Aufenthaltstitel.

Wir ersuchen Sie, Ihren alten Aufenthaltstitel an die Behörde zu retournieren.

Die Nichtretournierung des abgelaufenen Aufenthaltstitels stellt eine Verwaltungsübertretung dar und ist mit Geldstrafe von 50 Euro bis zu 250 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, zu bestrafen.“

Auch dieses Schreiben beinhaltet eine Rechtsmittelbelehrung mit dem Hinweis auf das Recht, „gegen diesen Bescheid“ Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien zu erheben. Eine Zustellung dieses Schreibens an die Beschwerdeführerin ist nach dem von der belangten Behörde an das Verwaltungsgericht Wien übermittelten Verwaltungsakt nicht dokumentiert.

Gegen diese Erledigung(en) richtet sich die Beschwerde vom 20.4.2020. Darin wird dargestellt, dass die Ausstellung eines Duplikates des Aufenthaltstitels mit der ursprünglichen Geltungsdauer beantragt worden sei, sowie dass eine Rückstellung des alten Aufenthaltstitels infolge des – der Behörde mit der Antragstellung bekannt gegebenen – Diebstahls des Dokumentes nicht möglich sei. Da mit der Erledigung vom 23.3.2020 eine Bestrafung wegen Nichtretournierung angedroht werde und dieses Schreiben in der Rechtsmittelbelehrung als Bescheid tituliert sei, werde Beschwerde erhoben mit dem Begehren, von einer Bestrafung abzusehen und den Aufenthaltstitel als Duplikat mit der ursprünglichen Geltungsdauer auszustellen.

Die belangte Behörde legte diese Beschwerde gemeinsam mit dem Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien, ohne die Angelegenheit im Wege der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung zu erledigen, einlangend mit 8.5.2020, zur Entscheidung vor.

Seitens des Verwaltungsgerichts Wien wurde die belangte Behörde mit Schreiben vom 28.5.2020 unter Hinweis auf die Bestimmung des § 19 Abs. 11 NAG zur Stellungnahme aufgefordert.

Mit Eingabe vom 3.6.2020 teilte die belangte Behörde dem Verwaltungsgericht Wien im Sinne der obigen Ausführungen den unterlaufenen Irrtum mit, zum Schreiben vom 23.3.2020 wurde ausgeführt, dass dieses ein „Standardschreiben“ darstelle, welches, wie auch die Übernahmebestätigung „mitgeschickt“ werde, wenn ein Aufenthaltstitel postalisch zugestellt werde. Leider sei in diesem Falle übersehen worden, dass der zuletzt erteilte Aufenthaltstitel gestohlen worden sei und daher nicht retourniert werden könne.

Diese Feststellungen ergeben sich zur Gänze aus dem Inhalt des behördlichen Verwaltungsaktes, dem Beschwerdevorbringen sowie der Rückäußerung der belangten Behörde vom 3.6.2020.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Zunächst ist zum eingebrachten Rechtsmittel auszuführen, dass auf Grund der ausdrücklichen bundesverfassungsrechtlichen Bestimmung des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Bescheide einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit erkennen. Bescheide sind alle hoheitlichen Akte von Verwaltungsbehörden, durch die in verbindlicher Weise normativ über Rechtsverhältnisse im Einzelfall abgesprochen wird. Der Verfassungsgerichtshof judiziert zum Begriff des Bescheides seit je her, dass darunter jede Erledigung einer Verwaltungsbehörde zu verstehen ist, womit ein individuelles Rechtsverhältnis gestaltet oder festgestellt wird, ob es nun in Form eines Bescheides nach § 56 AVG ergeht oder nicht (vgl. bereits VfSlg. 4986/1965). Weiters kommt es nach der Rechtsprechung aber auch darauf an, ob nach der anzuwendenden Rechtslage ein Bescheid überhaupt zu erlassen gewesen wäre. Der Behörde darf im Zweifel nicht unterstellt werden, dass sie rechtswidrig gehandelt hat (vgl. VwGH, 24. März 1999, Zl. 99/12/0017). Ob somit eine konkrete Erledigung einer Behörde als Bescheid zu qualifizieren ist, richtet sich im hier interessierenden Zusammenhang vordergründig nicht nach formellen, sondern nach inhaltlichen Kriterien.

Die Beschwerdeführerin wendet sich in ihrem Rechtsmittel zum einen ausdrücklich gegen die behördliche Erledigung vom 23.03.2020, mit welcher die Aufforderung erging, den alten Aufenthaltstitel an die Behörde zu retournieren, dies unter Hinweis auf eine verwaltungsstrafrechtliche Sanktion im Falle der Nichtbefolgung des Ersuchens. Das Schreiben beinhaltet eine Rechtsmittelbelehrung, in welchem die Erledigung als „Bescheid“ bezeichnet ist.

Dessen ungeachtet ist jedoch festzuhalten, dass dem vorliegenden Schreiben ein normativer Wille derart, dass damit Rechte oder Rechtsverhältnisse gestaltet oder festgestellt werden sollen, nicht zu entnehmen. Vielmehr wird die Beschwerdeführerin lediglich ersucht, ein bestimmtes Dokument (den verlustig gegangen Aufenthaltstitel) zurückzustellen.

Durch dieses Schreiben wird daher kein normativer Regelungswille zum Ausdruck gebracht, es handelt sich daher ungeachtet der falschen Bezeichnung in der „Rechtsmittelbelehrung“ nicht um einen Bescheid, zumal das in der Erledigung zum Ausdruck gebrachte Ersuchen auch keiner Vollstreckung zugänglich ist; es handelt sich hierbei auch nicht um ein Straferkenntnis mit einer entsprechenden verbalen Tatanlastung im Sinne eines Schuldspruches, sondern lediglich um einen Hinweis auf allfällig zu gewärtigende verwaltungsstrafrechtliche Folgen.

Insoweit ist die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Erledigung vom 23.03.2020, Zl. ...1, richtet, mangels Vorliegen eines Bescheides, als unzulässig zurückzuweisen.

Berechtigung findet die Beschwerde allerdings, soweit sie sich gegen die mit 28.11.2019 bis 28.11.2020 befristete Geltungsdauer des in Kartenform erteilten Aufenthaltstitels richtet. Wie von der belangten Behörde mitgeteilt, wurde die Ausstellung eines Duplikates mit der ursprünglichen Geltungsdauer des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“, somit von 28.11.2019 bis 28.11.2022 bewilligt, dies bei der Bestellung und Produktion der Aufenthaltstitelkarte jedoch übersehen.

Der Verpflichtung nach § 19 Abs. 11 NAG Rechnung tragend hat die Beschwerdeführerin den Verlust (Diebstahl) ihres gültigen Aufenthaltstitels der Behörde unverzüglich gemeldet und die Ausstellung eines Duplikates beantragt. § 19 Abs. 11 NAG sieht vor, dass auf Antrag die Dokumente mit der ursprünglichen Geltungsdauer und im ursprünglichen Berechtigungsumfang, falls erforderlich mit berichtigten Identitätsdaten, neuerlich auszustellen sind.

Nach § 1 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV), BGBl. II Nr. 451/2005 zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 40/2020, werden Aufenthaltstitel (§ 8 Abs. 1 NAG) als Karte nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige, ABl. Nr. L 157 vom 15.06.2002 S. 1 in der Fassung der Änderung durch die Verordnung (EU) 2017/1954, ABl. Nr. L 286 vom 1.11.2017 S. 9, erteilt und sind nach dem Muster der Anlage A auszustellen. Der von der Beschwerdeführerin begehrte Aufenthaltstitel wurde durch Ausstellung und Überreichung einer Karte im Sinne des § 1 NAG-DV, somit durch Entfaltung eines faktischen Verhaltens, erteilt. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit derartigen Erledigungen wiederholt befasst und derartigen Urkunden als Bescheid gewertet (vgl. etwa VwGH, 12.12.2017, Ra 2017/22/0045) und ist folglich vom Vorliegen eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG auszugehen.

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen ist die Beschwerde, insoweit sie sich gegen die (verkürzte) Gültigkeitsdauer der zuletzt (als Duplikat) erteilten Aufenthaltsberechtigung in Form einer Karte richtet, zulässig und – wie bereits dargestellt – auch begründet. Somit war spruchgemäß zu entscheiden.

Zu A) und B):

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltstitel; Duplikat; Ersuchen; Bescheid; Bescheidcharakter; normativer Inhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.151.059.5370.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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