TE OGH 2019/12/17 20Bs100/19f

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Veröffentlicht am 17.12.2019
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen H***** und A***** wegen § 222 Abs 1 Z 1 StGB über die Berufung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wegen Nichtigkeit gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 14. Dezember 2018, GZ 51 Hv 72/18z-11, nach der unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Dr. Habl sowie im Beisein der Richterin Mag. Seidl und des Richters Mag. Jilke als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Stadlmayr sowie in Anwesenheit des Angeklagten A***** durchgeführten Berufungsverhandlung am 17. Dezember 2019 zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

H***** und A***** sind schuldig, sie haben am 9. September 2018 in ***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) dadurch, dass sie ein Schaf im Innenhof eines Wohnhauses auf die Seite legten, A***** in weiterer Folge das Schaf festhielt und H***** mit einem Messer die Kehle des Schafs durchschnitt und sie es, ohne zu betäuben mehrere Minuten ausbluten ließen, einem Tier unnötige Qualen zugefügt.

H***** und A***** haben hiedurch jeweils das Vergehen der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 StGB begangen und werden hiefür jeweils nach § 222 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 37 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe im Ausmaß von je 120 Tagessätzen [...], im Nichteinbringungsfall 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

Gemäß §§ 389 Abs 1, 390a Abs 1 StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten der Verfahren I. und II. Instanz zur Last.

Entscheidungsgründe

Text

Mit dem angefochtenen Urteil wurden H***** und A***** jeweils von dem gegen sie mit Strafantrag vom 19. November 2018 (ON 5) erhobenen Vorwurf, sie haben am 9. September 2018 in ***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) dadurch, dass sie ein Schaf im Innenhof eines Wohnhauses auf die Seite legten, A***** in weiterer Folge das Schaf festhielt und H***** mit einem Messer die Kehle des Schafs durchschnitt und sie es ohne zu betäuben mehrere Minuten ausbluten ließen, einem Tier unnötige Qualen zugefügt, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

In seinen Entscheidungsgründen traf das Erstgericht hiezu folgende Feststellungen:

[...] Der Erstangeklagte hat vor der gegenständlichen Schlachtung bereits mehrere Schächtungen im Iran durchgeführt.

Am 9. September 2018 führten der Erstangeklagte H***** sowie der Zweitangeklagte A*****, beide Angehörige der islamischen Glaubensgemeinschaft, im bewussten und gewollten Zusammenwirken auf dem Grundstück in ***** aufgrund des islamischen Opferfestes eine rituelle Schlachtung an einem ca zwei Jahre alten, männlichen Schaf durch. Dabei legten die Angeklagten das Schaf auf die Seite und der Erstangeklagte durchtrennte die Halsschlagader des Schafes mit einem Messer, während der Zweitangeklagte A***** das Tier festhielt. Das Schaf blieb danach ca 5 bis 7 Minuten, jedenfalls solange, bis es ausgeblutet war, am Boden liegen. Bei dieser Schächtung unterließen es die Angeklagten, das Tier zu betäuben, wodurch dem Schaf unnötige Qualen zugefügt wurden.

Es gab weder eine tierärztliche Schlachttier- und Fleischuntersuchung, noch eine verwaltungsrechtliche Bewilligung zur Durchführung der rituellen Schlachtung ohne Betäubung.

W*****, ein Nachbar des Grundstückes, auf dem die gegenständliche Schächtung durchgeführt wurde, klärte die Angeklagten bereits zu einem früheren Zeitpunkt darüber auf, dass eine Schlachtung auf diese Art und Weise, also am Eigengrund und ohne Beisein eines Amtstierarztes, ohne Bewilligung, in Österreich nicht erlaubt ist.

Sowohl der Erstangeklagte als auch der Zweitangeklagte wollten entgegen der österreichischen gesetzlichen Bestimmungen ein Schaf ohne Betäubung schächten und hielten es dabei ernstlich für möglich und fanden sich damit ab, dem Schaf durch den einige Minuten andauernden Sterbeprozess bei der Durchführung der rituellen Schächtung ohne Betäubung unnötige Qualen zuzufügen.

Diese Feststellungen gründete die Erstrichterin im Wesentlichen auf die Aussagen der Angeklagten vor der Polizei und in der Hauptverhandlung, wobei sie den Vorfall nicht bestritten, sich als teilweise schuldig verantwortet und, in der Hauptverhandlung einen guten Eindruck hinterlassen hätten, insbesondere durch das ehrliche Interesse an den Ausführungen der Amtstierärztin. Die Aussagen der Angeklagten stünden im Wesentlichen auch im Einklang mit den sonstigen Beweisergebnissen, insbesondere mit den polizeilichen Erhebungen vor Ort und der glaubhaften Aussagen des Zeugen W***** sowie der Zeugin D*****. Letztere habe den Ablauf einer rituellen Schlachtung schlüssig und nachvollziehbar geschildert und dabei glaubhaft die mitunter minutenlangen Qualen, die ein Tier bei einer solchen Schlachtung ohne Betäubung erleidet, geschildert, insbesondere dann, wenn diese nicht fachgerecht durchgeführt wird. Auch bezüglich der fehlenden Genehmigung zur gegenständlichen Schlachtung sei ihrer Aussage zu folgen gewesen. Die Angaben der Angeklagten, sie hätten dem Nachbarn nicht geglaubt, dass eine Schlachtung auf diese Art und Weise in Österreich nicht erlaubt ist, seien für das Gericht nicht überzeugend und daher auch nicht nachvollziehbar gewesen.

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite seien aus dem äußeren Geschehen, insbesondere aus den Handlungsweisen der Angeklagten und den Angaben des Zeugen W***** abzuleiten gewesen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht zu seinen Erwägungen aus:

«Das Vergehen der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 StGB verwirklicht, wer ein Tier roh misshandelt oder ihm unnötige Qualen zufügt.

Die Angeklagten schächteten ein Schaf ohne Betäubung, wodurch dieses, wie festgestellt, minutenlangen, unnötigen Qualen ausgesetzt war.

In seiner diesbezüglich maßgeblichen Entscheidung 15 Os 27/96 (15 Os 28/96) vom 28. März 1996 hat der OGH allerdings ausgesprochen, dass die Begehungsarten des § 222 Abs 1 Z 1 StGB auf Tathandlungen eingeschränkt sind, die mit den Werten, die der österreichischen Rechtsordnung zugrunde liegen, nicht im Einklang stehen, und dass Eingriffe in das Leben oder das Wohlbefinden eines Tieres, die ein von der Rechtsordnung anerkanntes Ziel verfolgen und nicht zu diesem außer Verhältnis stehen, nicht strafbar sind. Durch die Anerkennung des Islams als Religionsgesellschaft und des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Verfassungsrang würde eine Nichtgestattung eines rituellen Gebrauchs dieser Religionsgesellschaft eine Beeinträchtigung des vorgenannten Grundrechts darstellen. Der OGH erkannte somit, dass das rituelle Schächten von Schlachttieren, welches für Angehörige der islamischen Glaubensgemeinschaft einen Akt der Religionsausübung darstellt, nicht als unsittlich zu werten ist und dem Interesse der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer nicht entgegensteht. Laut der Meinung des OGH ändern daran auch die Tierschutzgesetze, welche damals noch als Landesgesetze bestanden, und welche generell eine Betäubung des Tieres vor der Schlachtung vorgesehen haben, nichts. Darüber hinaus wurde der Freiheit der Religionsausübung von drei der damaligen Landesgesetze insoweit Rechnung getragen, als sie das rituelle Schächten jeweils ausdrücklich erlaubten. Demnach ist gemäß der Rechtsprechung des OGH ein sozial adäquates Verhalten in der rituellen Schlachtung zu erblicken, welches die Rechtswidrigkeit ausschließt. Dadurch erfüllt die Schlachtung von Tieren nach den religiösen Vorschriften des Islams nicht den Tatbestand des Delikts der Tierquälerei (und zwar schon damals betreffend das gesamte Bundesgebiet). Darüber hinaus ist gemäß dieser Entscheidung auch keine „rohe“ Misshandlung oder eine Zufügung „unnötiger“ Qualen bei den damals gegenständlichen Schächtungen erfolgt, da die Schlachtung im Rahmen eines nach den Religionsvorschriften vernünftigen und berechtigten Zwecks sowie eines sozial adäquaten Verhaltens erfolgt ist.

Auf diese Entscheidung stützt sich auch Philipp in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 222 Rz 45 und bewertet, unter Anführung weiterer, größtenteils zustimmender, Literaturstellen dies als zutreffend. Darüber hinaus wird hier ausgeführt, dass das Schächten als rituelle Schlachtung im Tierschutzgesetz anerkannt, jedoch an diverse Voraussetzungen gebunden ist.

Dieser Ansicht schließt sich auch Hinterhofer in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg), Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (7. Lfg 2002) zu § 222 StGB, in Rz 55, an. Nach diesem erscheint es nicht vertretbar, die Strafbarkeit des Schächtens als eine im Interesse der guten Sitten (beziehungsweise der Moral) oder der öffentlichen Ordnung erforderliche Einschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit aufzufassen, auch wenn die Tiere großen Schmerzen ausgesetzt sind. Darüber hinaus wird hier festgehalten, dass es sich beim Tierschutz gegenwärtig – im Unterschied zur Glaubens- und Gewissensfreiheit – nicht um ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht handelt, weshalb Aspekte des Tierschutzes der Glaubens- und Gewissensfreiheit untergeordnet sind und das rituelle Schächten somit mangels Unnötigkeit der Zufügung von Qualen nicht nach § 222 Abs 1 StGB strafbar ist. Allerdings wird in Rz 56 der angegebenen Kommentarstelle betont, dass das Schlachten von Tieren ohne Betäubung aus Tierschutzgründen abzulehnen und der Gesetzgeber daher aufgerufen ist, diese tierschutzrechtlich bedenkliche Rechtslage zu modifizieren und den Tierschutz im Verfassungsrang zu verankern.

Nach den Feststellungen, der vorgenannten herrschenden Rechtsprechung und der entsprechenden Lehre haben die Angeklagten den Tatbestand der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 StGB aus rechtlichen Gründen nicht verwirklicht. Auch wenn nunmehr seit der oben zitieren Entscheidung des OGH ein neues, bundesweites Tierschutzgesetz erlassen wurde, steht dieses doch nicht im Verfassungsrang, wodurch sich diesbezüglich keine Änderungen ergeben haben und das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit weiterhin dem Tierschutz übergeordnet ist. Sohin gilt weiterhin eine Schächtung, welche wie im gegenständlichen Fall aus anerkannten religiösen Gründen durchgeführt wird, nur aus verwaltungsstrafrechtlicher Sicht relevant, und ist nicht unter den strafrechtlichen Tatbestand der Tierquälerei zu subsumieren.

Der Einwand der Staatsanwaltschaft, dass die maßgeblichen Regelungen im Tierschutzrecht in zeitlicher Hinsicht aktueller als die genannte OGH Entscheidung seien, diese erlassen wurden, um die OGH Entscheidung zu „overrulen“ und diese Vorschriften ohne Anwendungsbereich wären, hätte man nicht explizit einen rechtlichen Rahmen für rituelle Schächtungen schaffen wollen, kann nicht als rechtliche Grundlage für ein Abgehen von der herrschenden Rechtsprechung und Lehre herangezogen werden, zumal diese Vorschriften – wie bereits oben angeführt – mit Verwaltungsstrafen geahndet werden. Darüber hinaus sind die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Zeitungsberichte, zum einen von der Niederösterreich Heute und zum anderen von steiermark.orf.at, zum Rechtsstandpunkt, dass in Österreich Schächtungen bereits strafrechtlich verurteilt wurden, nicht geeignet, die herrschende Rechtsansicht in Zweifel zu ziehen.»

Gegen dieses Urteil richtet sich eine fristgerecht wegen Nichtigkeit und Schuld angemeldete (ON 12), und in der Folge nur noch wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9a iVm § 489 Abs 1 StPO) aufrecht erhaltene und zu ON 13 ausgeführte Berufung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt.

Begründend führt die Rechtsmittelwerberin darin aus, dass das Erstgericht verkenne, dass nach § 32 TSchG eine rituelle Schächtung per se zwar nicht verboten, aber eben an gewisse Auflagen geknüpft sei (§ 32 Abs 4 und 5 TSchG idF BGBl I 2004/118, zuletzt geändert durch BGBl I 2017/61). Die vom Gesetzgeber – bereits mit Blick auf rituelle Schächtungen geschaffenen und das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht beeinträchtigenden – Auflagen seien nach den erstgerichtlichen Feststellungen nicht eingehalten worden, sodass die Rechtsansicht des Erstgerichts, das rechtsirrig von einem universellen durch § 32 Abs 4 und 5 TSchG nicht begrenzten Recht auf rituelle Schlachtungen von Tieren im Rahmen der Ausübung des Grundrechts auf Religionsfreiheit ausgehe, als unrichtige rechtliche Beurteilung zu betrachten sei und aufgrund der getroffenen Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite des § 222 Abs 1 Z 1 StGB bei rechtsrichtiger Beurteilung hinsichtlich beider Angeklagten mit einem anklagekonformen Schuldspruch vorzugehen gewesen wäre, bzw liege mangels Feststellungen hinsichtlich des (Nicht)Vorliegens der Auflagen des § 32 Abs 4 und 5 TSchG auch ein Rechtsfehler mangels Feststellungen vor.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsberufung kommt Berechtigung zu.

Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit ist in Österreich durch die im Verfassungsrang stehenden Normen des Art 14 Abs 1 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867, RGBl 142, des Art 63 Abs 2 des Staatsvertrages von St. Germain, StGBl 1920/303 sowie des Art 9 EMRK verfassungsmäßig gewährleistet.

Art 14 Abs 1 StGG gewährleistet jedermann die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.

Nach Art 63 Abs 2 StV von St. Germain haben alle Einwohner Österreichs das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist.

Das nach Art 9 Abs 1 EMRK (zusammengefasst) gewährleistete Recht jedes Menschen, seine Religion unter Beachtung religiöser Bräuche auszuüben, darf nach dem Abs 2 dieser Bestimmung nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.

Diese Verfassungsbestimmungen zur Religionsfreiheit in Österreich sind insofern als eine Einheit anzusehen, als Art 14 StGG durch Art 63 Abs 2 StV St. Germain 1919 ergänzt wird und die dort genannten Schranken in Art 9 Abs 2 EMRK näher umschrieben werden (VfSlg 10.547/1985).

Der in Art 63 Abs 2 StV St. Germain 1919 enthaltene Vorbehalt ist somit enger gefasst als jener des Art 9 Abs 2 EMRK, sodass unter Berücksichtigung des Günstigkeitsprinzips des Art 53 EMRK daher die Ausübung der Religion auch bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des Art 63 Abs 2 StV St. Germain 1919 keinen Beschränkungen unterworfen werden darf, die nicht durch Gesetz vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten notwendig sind (VfSlg 15.394/1998 = JBl 1999, 453).

Aus dem Primärrecht der Europäischen Union, konkret dem, dem Art 9 Abs 1 EMRK entsprechenden, Art 10 Abs 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EGRC) ergibt sich eine weitere Garantie für die Ausübung der Religionsfreiheit im Anwendungsbereich des Unionsrechtes. Art 52 Abs 1 und 2 EGRC sieht einen inhaltlich gleichlautenden Gesetzesvorbehalt wie Art 9 Abs 2 EMRK vor. Es sind demnach erforderliche Eingriffe in die Rechte der Charta auf gesetzlicher Grundlage unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit erlaubt.

Die Schächtung ist eine im Judentum und im Islam verbreitete Form der rituellen Schlachtung von Tieren zum Zwecke der vollständigen Entblutung durch Durchschneiden von Halsschlagader, Luftröhre und Speiseröhre, welches ohne vorherige Betäubung des Tieres erfolgt.

Rituelles Schlachten ist seit langem in den europäischen Rechtsvorschriften, die die Tötung von Tieren regeln, als Ausfluss der Religionsfreiheit anerkannt. Das Bestreben des Unionsgesetzgebers, den Schutz der Kultusfreiheit mit dem Tierschutz in Einklang zu bringen, zeigte sich bereits beim Erlass der Richtlinie 74/577/EWG (Richtlinie des Rates vom 18. November 1974 über die Betäubung von Tieren vor dem Schlachten, in deren Begründung es unter anderem heißt: „Es sind ... geeignete und anerkannte Betäubungsmethoden allgemein vorzuschreiben. Dabei ist allerdings den Besonderheiten bestimmter religiöser Riten Rechnung zu tragen.“) und findet sich auch in der Verordnung des Rates vom 24. September 2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung Nr 1099/2009. Im 18. Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt es:

«Die Gemeinschaftsvorschriften über die rituelle Schlachtung wurden je nach den einzelstaatlichen Bedingungen unterschiedlich umgesetzt, und die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Faktoren, die über den Anwendungsbereich dieser Verordnung hinausgehen; daher ist es wichtig, dass die Ausnahme von der Verpflichtung zur Betäubung von Tieren vor der Schlachtung aufrechterhalten wird, wobei den Mitgliedsstaaten noch ein gewisses Maß an Subsidiarität eingeräumt wird. Folglich wird mit dieser Verordnung die Religionsfreiheit sowie die Freiheit, seine Religion durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Rite zu bekennen, beachtet, wie dies in Art 10 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist.»

Art 4 der Verordnung Nr 1099/2009 bestimmt:

«Abs 1: Tiere werden nur nach einer Betäubung im Einklang mit dem Verfahren und den speziellen Anforderungen in Bezug auf die Anwendung dieser Verfahren gemäß Anhang I getötet. Die Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit muss bis zum Tod des Tieres anhalten. [...]

Abs 4: Für Tiere die speziellen Schlachtmethoden unterliegen, die durch bestimmte religiöse Riten vorgeschrieben sind, gelten die Anforderungen gemäß Abs 1 nicht, sofern die Schlachtung in einem Schlachthof erfolgt.»

Die genannte Verordnung (EG) 1099/2009 trägt somit der Religionsfreiheit Rechnung, indem sie eine Ausnahme vom Betäubungsgebot vorsieht, die allerdings mit dem Vorbehalt, dass die Schlachtung in einem Schlachthof erfolgen muss, verbunden ist (Art 4 Abs 4 leg cit). Dieser Vorbehalt ist mit Art 10 Abs 1 EGRC bzw Art 9 Abs 1 MRK vereinbar (siehe EGMR 27.6.2000, 27417/95 Z 77 = ÖJZ 2001/25 [MRK]).

Gemäß Art 26 Abs 1 VO (EG) 1099/2009 sind die Mitgliedsstaaten nicht daran gehindert, nationale Vorschriften beizubehalten mit denen ein umfassenderer Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung sichergestellt werden soll und die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO (EG) 1099/2009 gegolten haben.

In Österreich wurden mit der B-VG-Novelle BGBl I 2004/118 die Kompetenzen im Tierschutz mit 1. Jänner 2005 neu geregelt; gleichzeitig trat das Tierschutzgesetz des Bundes mit dem geltenden Tierschutzrecht der Bundesländer als Ausgangsbasis ebenso wie die von der Republik Österreich unterzeichneten einschlägigen Europaratsabkommen sowie die in § 46 genannten EG-Rechtsakte – in Kraft, dessen Ziel der Schutz des Lebens und des Wohlbefindens der Tiere aus der besonderen Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf ist.

In § 32 TSchG nahm der Bundesgesetzgeber eine Bestimmung über das rituelle Schlachten auf. Abs 5 leg cit lautet:

«Rituelle Schlachtungen ohne vorausgehende Betäubung der Schlachttiere dürfen nur vorgenommen werden, wenn dies aufgrund zwingender religiöser Gebote oder Verbote einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft notwendig ist und die Behörde eine Bewilligung zur Schlachtung ohne Betäubung erteilt hat. Die Behörde hat die Bewilligung zur Durchführung der rituellen Schlachtung nur dann zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass

1. die rituellen Schlachtungen von Personen vorgenommen werden, die über die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen,

2. die rituellen Schlachtungen ausschließlich in Anwesenheit eines mit der Schlachttier- und Fleischuntersuchung beauftragten Tierarztes erfolgen,

3. Einrichtungen vorhanden sind, die gewährleisten, dass die für die rituelle Schlachtung vorgesehenen Tiere so rasch wie möglich in eine für die Schlachtung notwendige Position gebracht werden können,

4. die Schlachtung so erfolgt, dass die großen Blutgefäße im Halsbereich mit einem Schnitt eröffnet werden,

5. die Tiere unmittelbar nach dem Eröffnen der Blutgefäße wirksam betäubt werden,

6. sofort nach dem Schnitt die Betäubung wirksam wird und

7. die zur rituellen Schlachtung bestimmten Tiere erst dann in die dafür vorgesehene Position gebracht werden, wenn der Betäuber zur Vornahme der Betäubung bereit ist.»

Die Tierschutz-Schlachtverordnung, BGBl II 2004/488 idF BGBl II 2006/31 regelt konkret die nähere Vorgangsweise.

Ziel der zitierten Regelungen ist eine Abwägung zwischen Religionsfreiheit und Tierschutz; der Grundrechtsschutz gläubiger Israeliten und Muslime soll gewahrt werden, ohne damit die Grundsätze und Verpflichtungen eines ethisch begründeten Tierschutzes aufzugeben.

Die besondere Bedeutung, die auch Österreich dem Tierschutz in verstärktem Ausmaß beimisst, zeigt sich auch im Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung (BVG Nachhaltigkeit, BGBl I 2013/111), mit welchem der Gesetzgeber in § 2 („die Republik Österreich [Bund, Länder und Gemeinden] bekennt sich zum Tierschutz“) den Tierschutz als Staatsziel verfassungsrechtlich verankert hat, um dem Gebot eines sittlich verantworteten Umgangs des Menschen mit dem Tier als fühlendes Wesen Rechnung zu tragen (siehe 2383 der Beilagen zu den stenografischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP).

Auch wenn § 2 BVG Nachhaltigkeit den Rang eines „einfachen“ Verfassungsgesetzes hat und auf einer Stufe steht mit anderen Verfassungsbestimmungen (Staatszielen, Grundrechten etc), bedeutet die Bestimmung eine verfassungsrechtliche Aufwertung des Tierschutzes (siehe auch dt BVerwG 23. November 2006, AZ 3 C 30.05) und wird im Konfliktfall – zB mit der Erwerbs- und der Religionsfreiheit – eine Abwägung vorzunehmen sein, um möglichst beiden Zielsetzungen gerecht zu werden, auch wenn sich die Tierschutzbelange dabei nicht notwendigerweise durchsetzen (siehe Budischowsky, RdU 2013/110, Heft 5/2013 S 191).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Abwägung zwischen Religionsfreiheit und Tierschutz im Falle der Vornahme einer Schächtung ohne Einhaltung der wesentlichen Auflagen des § 32 Abs 5 TSchG (wie zB den Schlachthauszwang, die Anwesenheit eines Tierarztes bei der Schlachtung oder die wirksame Betäubung der Tiere unmittelbar nach dem Eröffnen der Blutgefäße) dann zu Lasten Ersterer zu beurteilen sein wird, wenn die Vornahme der rituellen Schlachtung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten vereinbar ist.

Von einer solchen Konstellation ist auch im gegenständlichen Fall auszugehen.

Nach den erstrichterlichen Urteilsannahmen haben die beiden Angeklagten, die beide Angehörige der islamischen Glaubensgemeinschaft sind, aufgrund des islamischen Opferfestes am 9. September 2018 auf dem Grundstück in *****, eine rituelle Schlachtung an einem ca zwei Jahre alten, männlichen Schaf dergestalt durchgeführt, dass sie das Schaf auf die Seite legten und der Erstangeklagte die Halsschlagader des Schafes mit einem Messer durchtrennte, während der Zweitangeklagte das Tier festhielt; das Schaf blieb danach ca 5 bis 7 Minuten, jedenfalls solange bis es ausgeblutet war, am Boden liegen. Bei dieser Schächtung unterließen es die Angeklagten, das Tier zu betäuben; es gab weder eine tierärztliche Schlachttier- und Fleischuntersuchung, noch eine verwaltungsrechtliche Bewilligung zur Durchführung der rituellen Schlachtung ohne Betäubung. Dieses Vorgehen, konkret die rituelle Schlachtung – selbst unter der vom Erstgericht getroffenen Annahme, dass der Erstangeklagte vor der gegenständlichen Schlachtung bereits mehrere Schächtungen im Iran durchgeführt hatte – außerhalb eines zertifizierten Schlachthofes, ohne Anwesenheit eines Tierarztes und ohne jegliche Betäubung des Tieres unmittelbar nach dem Eröffnen der Blutgefäße, erweist sich angesichts des oben dargelegten, in den letzten Jahr(zehnt)en stattgefundenen Wertewandels in Richtung eines verstärkten Tierschutzes und der in diesem Zusammenhang stehenden, sowohl innerstaatlich als auch im Rahmen des Unionsrechtes geschaffenen rechtlichen Grundlagen wie auch Judikatur sowohl mit der öffentlichen Ordnung als auch mit den guten Sitten unvereinbar. Denn ausgehend davon, dass mit der öffentlichen Ordnung bzw mit den guten Sitten unvereinbar solche Handlungen angesehen werden, die das Zusammenleben der Menschen im Staate empfindlich stören bzw die mit jenen allgemein in der Bevölkerung verankerten Vorstellungen von einer „richtigen“ Lebensführung, die durch ausdrückliche gesetzliche Anordnung geschützt sind, entgegenstehen (siehe VfGH 17.12.1998, B 3028/97) ist die von den Angeklagten ohne ersichtliche Notwendigkeit auf die beschriebene Weise vorgenommene Schächtung schlichtweg unvereinbar mit der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten, Werte, zu deren Schutz die in § 32 Abs 5 TSchG normierten Auflagen für die Schlachtung von Tieren ohne zuvorige Betäubung gesetzlich geregelt wurden.

Das Vergehen der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 StGB verwirklicht, wer ein Tier roh misshandelt oder ihm unnötige Qualen zufügt.

Unnötige Qualen im Sinne dieser Gesetzesstelle sind eine gewisse Zeit andauernde, nicht notwendigerweise körperliche Schmerzzustände, sohin auch das Herbeiführen von Hunger und Angst, soferne die Quälerei die Grenzen des Vertretbaren überschreitet und nicht zugleich bewusst als Mittel angewendet wird, um einen vernünftigen und berechtigten Zweck zu erreichen (Philipp in WK2 StGB § 222 Rz 39, 40). Als berechtigter Zweck kommt insbesondere die Ernährung des Menschen oder die medizinische Forschung in Betracht. Selbst wenn ein legitimes Interesse vorliegt, kann die Herbeiführung der Qual aber dann unnötig sein, wenn dem Tier übermäßig Schmerzen zugefügt werden und wenn der berechtigte Zweck in gleicher Weise durch ein anderes, gelinderes Mittel hätte erreicht werden können. Die Zufügung von Qualen ist dann unnötig, wenn sie entweder mit einem Übermaß an Schmerzen für das Tier verbunden ist oder unterhalb dieser Schwelle nicht das gelindeste taugliche Mittel zur Realisierung eines dem Tierschutzinteresse übergeordneten Zwecks darstellt (siehe Hinterhofer SbgK § 22 Rz 46, 47).

Eine Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zweifellos zur Einschätzung, dass die Angeklagten bei der Vornahme der Schächtung des Schafes auf die bezeichnete Weise mit den angeführten Folgen diesem „unnötige“ Qualen im Sinne des § 222 Abs 1 Z 1 StGB zugefügt haben. Da in ihrem Vorgehen ein sozialadäquates Verhalten nicht zu erblicken ist, das die Rechtswidrigkeit ausschließen würde, und das Erstgericht auch davon ausging, dass es die Angeklagten bei der Schächtung ernstlich für möglich hielten und sich damit abfanden, dem Schaf durch den einige Minuten andauernden Sterbeprozess bei der beschriebenen Durchführung der rituellen Schächtung unnötige Qualen zuzufügen, haben H***** und A***** das Tatbild des § 222 Abs 1 Z 1 StGB in objektiver und subjektiver Richtung erfüllt.

Der Verantwortung der Angeklagten, sie hätten dem (sie angezeigten) Nachbarn nicht geglaubt, dass eine Schächtung auf diese Art und Weise in Österreich nicht erlaubt ist, ist das Erstgericht nicht gefolgt, sodass die Voraussetzungen für einen Rechtsirrtum nach § 9 Abs 1 StGB nicht vorliegen.

Einer diversionellen Erledigung stehen im Hinblick auf die in Österreich immer wieder stattfindenden „privaten“ Schächtungen, die es zu unterbinden gilt, generalpräventive Gründe entgegen.

Bei der Strafzumessung waren jeweils der bisher tadellose Lebenswandel als mildernd zu werten, als erschwerend kein Umstand.

Aufgrund des bisher tadellosen Lebenswandel der Angeklagten im Zusammenhalt mit dem Umstand, dass es sich um einen einmaligen Vorfall in Bezug auf ein Tier handelte, konnte das Gericht ausgehend von der vom § 222 Abs 1 StGB vorgesehenen Sanktionierung einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren unter Anwendung des § 37 Abs 1 StGB, dies unter der Annahme, dass es nicht der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bedarf, um die Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, über die Genannten Geldstrafen in Höhe von je 120 Tagessätzen, im Nichteinbringungsfall 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verhängen. Die Höhe des jeweiligen Tagessatzes war entsprechend den Einkommens- und Vermögensverhältnissen [...] zu bestimmen.

Angesichts der Tatsache, dass die Angeklagten die Schlachtung des Schafes ohne jegliche Notwendigkeit hiezu auf die beschriebene Weise vornahmen, verbietet sich aus spezial-, insbesondere aber auch aus den oberwähnten generalpräventiven Gründen eine Anwendung des § 43a Abs 1 StGB.

Es war daher in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil aufzuheben und in der Sache selbst im aufgezeigten Sinn zu entscheiden.

Schlagworte

Strafrecht; Tierquälerei; Schächten ohne Betäubung,

Textnummer

EW0001074

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2019:0200BS00100.19F.1217.000

Im RIS seit

31.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

31.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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