TE Lvwg Erkenntnis 2020/11/26 LVwG-2020/36/1311-21

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Veröffentlicht am 26.11.2020
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Entscheidungsdatum

26.11.2020

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

VwGG §42 Abs3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Gstir aus Anlass der Beschwerde (1.) des AA, wohnhaft in **** Z, Adresse 1, vertreten durch Rechtsanwältin BB in **** Y, Adresse 2, sowie die gemeinsame Beschwerde (2.) der CC und des
(3.) HR DD, beide wohnhaft in **** X, Adresse 3, alle gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 26.03.2020, Zl ***, betreffend eine Angelegenheit nach der Tiroler Bauordnung 2018,

zu Recht:

1.   Der bekämpfte Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 26.03.2020,
Zl ***, wird aufgehoben.

2.   Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

und

fasst über die Beschwerde des AA, wohnhaft in **** Z, Adresse 1, vertreten durch Rechtsanwältin BB in **** Y, Adresse 2, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 23.06.2020, Zl ****, mit dem der Antrag seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen abgewiesen wurde, den

B E S C H L U S S

1.       Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Entscheidungswesentlicher Verfahrensgang und Sachverhalt:

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 10.10.2016, Zl ***, wurde dem von EE, FF. und GG (nunmehr: JJ), in der Folge alle: Bauwerber, beantragten Neubau eines Wohnhauses mit drei Wohneinheiten und einer Tiefgarage auf Gst **1 KG X die Baubewilligung erteilt.

Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 27.01.2017, LVwG-2016/40/2523-9, wurde die dagegen erhobene Beschwerde des AA als unbegründet abgewiesen und diese Entscheidung mit Beschwerde bei VfGH und außerordentlicher Revision beim VwGH bekämpft.

Mit der Ausführung des Bauvorhabens wurde begonnen und ist zT eine geänderte Ausführung erfolgt.

Mit dem am 04.12.2018 bei der Baubehörde eingelangten Bauansuchen wurden daher von den Bauwerbern Änderungen gegenüber dem bewilligten Bauvorhaben unter Anschluss von Einreichplänen beantragt.

Von den Bauwerbern wurde in diesem nunmehrigen Änderungsbewilligungsverfahren im weiteren ergänzende Einreichpläne eingebracht sowie das beantragte Vorhaben mehrfach abgeändert (so insbesondere am 18.12.2018, 17.01.2019, 12.11.2019 und am 03.12.2019).

Von der Baubehörde wie auch von den Bauwerbern wurden in diesem Änderungsbewilligungsverfahren zahlreiche - insbesondere hochbautechnische - Gutachten eingeholt. So insbesondere die Gutachten des KK vom 08.01.2019, 18.01.2019, 28.01.2019, 05.05.2019, 13.05.2019, 17.05.2019, 13.09.2019, 20.10.2019, 21.10.2019, 24.11.2019 und vom 03.12.2019. Weiters die Gutachten von LL vom 03.01.2019, 16.01.2019, 05.02.2019 und vom 13.03.2019. Zudem das Gutachten von
MM vom 23.02.2019, das Gutachten von NN vom 27.02.2019, das Gutachten der OO vom 26.03.2019, die beiden Gutachten von PP vom 11.02.2019 und vom 12.02.2019 sowie die beiden Gutachten von QQ vom 02.10.2019 und vom 18.11.2019.

Zudem wurden in diesem Änderungsbewilligungsverfahren insbesondere auch von den Bauwerbern und den nunmehrigen Beschwerdeführern mehrfach Stellungnahmen eingebracht und wurden von den nunmehrigen Beschwerdeführern jeweils mit näherem Vorbringen zahlreiche Verletzungen ihrer Nachbarrechte geltend gemacht.

Mit Beschluss des VfGH vom 21.09.2017, Zl E 891/2017-19, wurde die Behandlung der Beschwerde von AA gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 27.01.2017, LVwG-2016/40/2523-9, abgelehnt und die Beschwerde dem VwGH zur Entscheidung abgetreten.

Mit dem gegenständlich bekämpften Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 26.03.2020, Zl ***, wurde die Baubewilligung für die von den Bauwerbern beantragten Änderungen erteilt.

Dagegen wurden zum einen von AA vertreten durch Rechtsanwältin
BB die Beschwerde vom 27.05.2020 sowie zum anderen von CC und HR DD die gemeinsame Beschwerde vom 25.04.2020 samt Ergänzung vom 12.05.2020 eingebracht.

Von den Beschwerdeführern wurden jeweils mit näherem Vorbringen ua auch zahlreiche Verletzungen ihrer Nachbarrechte geltend gemacht.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 23.06.2020, Zl ***, wurde der Antrag von CC und HR DD ihrer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen abgewiesen.

Dieser Bescheid blieb unbekämpft.

Mit weiterem Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 23.06.2020,
Zl ***, wurde auch der Antrag von AA seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen abgewiesen.

Dagegen brachte AA durch seine Rechtsvertreterin die Beschwerde vom 22.07.2020 ein.

Mit Erkenntnis des VwGH vom 14.09.2020, Zl ***, wurde dann der
ao Revision des AA Folge gegeben und die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 27.01.2017, LVwG-2016/40/2523-9, aufgehoben.

Mit Schreiben des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 30.10.2020, Zl LVwG-2020/36/1311-10, wurde allen Parteien die vorläufige Rechtsansicht bezüglich der sich durch die Entscheidung des VwGH vom 14.09.2020, Zl Ra 2017/06/0234-10, für das gegenständliche Änderungsbewilligungsverfahren ergebenden Rechtsfolgen mitgeteilt.

Dazu wurde von den Bauwerbern durch ihren Rechtsvertreter die Stellungnahme vom 23.11.2020 und von der belangten Behörde die Stellungnahme vom 16.11.2020 eingebracht.

In beiden Stellungnahmen wurden jeweils mit näheren Ausführungen vorgebracht, dass die übermittelte vorläufige Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol nicht geteilt wird.

Vom Erstbeschwerdeführer wurde durch seine Rechtsvertreterin die Stellungnahme vom 18.11.2020 sowie von der Zweitbeschwerdeführerin und dem Drittbeschwerdeführer die gemeinsame Stellungnahme vom 11.11.2020 eingebracht. Von den drei Beschwerdeführern wurde die vorläufige Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol geteilt und darüber hinaus weiters auch Vorbringen zur erfolgten Bauausführung erstattet.

II.      Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde übermittelten gegenständlichen Bauakt und das Erkenntnis des VwGH vom 14.09.2020, Zl ***.

Da die gegenständliche Entscheidung die Lösung einer Rechtsfrage zum Gegenstand hatte, konnte von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

III.     Rechtslage:

Gegenständlich ist insbesondere folgende Rechtsvorschrift entscheidungsrelevant:

Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG, BGBl Nr 10/1985 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I Nr 24/2020:

„§ 42

(…)

(3) Durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gemäß Abs. 2 tritt die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bzw. Beschlusses befunden hat.

(…)“

IV.      Erwägungen:

A.       Zum bekämpften Bescheid vom 26.03.2020, Zl ***:

1.       Wie sich sowohl aus dem, dem gegenständlichen Verfahren zu Grunde liegenden Baugesuch als auch dem gegenständlich bekämpften Bescheid vom 26.03.2020,
Zl ***, ergibt, wurde von den Bauwerbern eine Änderung des mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 10.10.2016, Zl ***, bewilligten Bauvorhaben beantragt und diese Änderungen von der belangten Behörde bewilligt.

Wie sich aus den Planunterlagen sowie den zahlreichen hochbautechnischen Stellungnahmen ergibt, handelt es sich bei den Änderungen jedenfalls zum überwiegenden Teil um Änderung die als Zu- bzw Umbau iSd der Legaldefinitionen des § 2 Abs 8 und 9 TBO 2018 zu qualifizieren sind.

Die verfahrensgegenständlichen Änderungen stehen daher in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem, mit Bescheid vom 10.10.2016, Zl ***, bewilligten Neubauvorhaben.

2.       Wie der VwGH in ständiger Rechtsprechung ausführt, ist Voraussetzung jedes Zu- bzw Umbaues, dass der Bestand der baulichen Anlage, von dem dabei ausgegangen wird, ein rechtmäßiger ist, und würde dessen Fehlen der baurechtlichen Genehmigung eines Um- und Zubaues entgegenstehen (vgl VwGH 23.05.2005, 2004/06/0198; uva).

Mit dem tatsächlichen Bestehen eines rechtmäßigen Bestandes ist das Bestehen einer rechtskräftigen Baubewilligung in jenen Fällen gleichzusetzen, in denen ein Bauvorhaben noch vor der Bauführung oder während der Bauausführung geändert wird, und dafür die Erteilung der Bewilligung beantragt wird.

3.       Im gegenständlichen Fall ergibt sich, dass aufgrund der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 27.01.2017, LVwG-2016/40/2523-9, im Zeitpunkt der Erlassung der gegenständlich bekämpften Änderungsbewilligung eine rechtskräftige Baubewilligung für das, der Änderung zu Grunde liegende Neubauvorhaben, zur Errichtung eines Wohnhauses mit drei Wohneinheiten und einer Tiefgarage auf Gst **1 KG X, vorlag.

4.       Mit Erkenntnis des VwGH vom 14.09.2020, Zl Ra 2017/06/0234-10, wurde das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 27.01.2017, LVwG-2016/40/2523-9, nunmehr aufgehoben und war daher seitens des Landesverwaltungsgericht zu klären, ob sich daraus auch Folgen für das gegenständlich behängende Rechtsmittelverfahren gegen den Bescheid vom 26.03.2020, Zl ***, mit dem Änderungen gegenüber dem mit Baubescheid vom 10.10.2016, Zl *** bewilligten Bauvorhaben bewilligt wurden, ergeben.

Mit Schreiben des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 08.10.2020, Zl LVwG-2020/36/1311-9, wurde die diesbezügliche vorläufige Rechtsansicht allen Parteien übermittelt und Gelegenheit gegeben dazu Stellung zu nehmen.

Von den Beschwerdeführern wurden dazu zustimmende Stellungnahmen eingebracht, in den Stellungnahmen der Bauwerber und der belangten Behörde wurde mit nähren Ausführungen die vorläufige Rechtsansicht nicht geteilt.

5.         Gemäß § 42 Abs 3 VwGG tritt durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses eines Verwaltungsgerichts durch den VwGH die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bzw Beschlusses befunden hat.

Wenn der VwGH einer Revision stattgegeben hat, sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden gemäß § 63 Abs 1 VwGG verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

6.         Bei sog. „aufbauendenden Bescheiden“ hat der VwGH in zahlreichen Entscheidungen die Ansicht vertreten, dass im Falle einer Aufhebung eines Bescheides durch den VwGH ein darauf aufbauender Bescheid, der mit dem behobenen Bescheid in einem untrennbaren (unlösbaren) Zusammenhang steht, gemäß § 42 Abs 3 VwGG seine Wirkung verliert und daher auch dieser ex lege wegfällt und beseitigt ist (vgl VwGH 06.09.1995, 95/12/0217; VwGH 16.10.2014, Ra 2014/06/0032; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 43 VwGG).

Diese Rechtsprechung ist – wie der VwGH bereits in zahlreichen Entscheidungen ausgeführt hat - auch auf die durch die Verwaltungsgerichtsreform geänderte Rechtslage übertragbar (vgl VwGH 8.04.2019, Ra 2018/03/0086; VwGH 24.09.2020, Ra 2019/03/0048; uva).

Als Bescheide, die in einem untrennbaren (unlösbaren) Zusammenhang im Sinne vorstehender Ausführungen stehen, hat der VwGH insbesondere folgende Bescheide qualifiziert:

In einem Vollstreckungsverfahren ergangene Bescheide im Verhältnis zum Titelbescheid, weiters in einem Wiederaufnahmeverfahren ergangene Bescheid im Verhältnis zum zugrundliegenden Bescheid sowie Ersatzbescheide im Verhältnis zum aufgehobenen Bescheid bei einer Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung sowie zahlreiche Grundlagenbescheide nach dem Abgabenrecht sowie in dienstrechtlichen Belangen.

Wie im Folgenden im Detail dargetan, ist ein Bescheid bzw eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichts betreffend eine baurechtliche Änderungsbewilligung im Verhältnis zu der der Änderung zugrundeliegenden (Neubau)Bewilligung (sog Stammbewilligung) nicht als untrennbarer (unlösbarer) Zusammenhang iSd vorstehenden Ausführungen zu qualifizieren.

Daraus folgt sohin diesbezüglich zusammengefasst, dass mit Zustellung der Entscheidung des VwGH vom 14.09.2020, Zl Ra 2017/06/0234-10, nicht auch der gegenständlich bekämpfte Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 26.03.2020, Zl 030-0/572-2016, ex lege wegfällt bzw beseitigt ist.

7.         Von Bescheiden, die in einem untrennbaren (unlösbaren) Zusammenhang stehen, sind mit Hinblick auf die Rechtsfolgen aufgrund einer behebenden Entscheidung des VwGH sog. „aufbauenden Bescheid mit Tatbestandswirkung“ zu unterscheiden.

Dabei handelt es sich um Rechtswirkungen, die sich nicht aus der durch den VwGH behobenen Entscheidung selbst ergeben, sondern daraus, dass der Bescheid als Tatbestand für eine Rechtsfolge eingesetzt wird.

Dies ist zB dann der Fall, wenn die Erlassung eines Bescheides nur zulässig ist, wenn ein rechtskräftiger anderer Bescheid vorliegt.

Wie bereits vorstehend ausgeführt, kann ein Zu- bzw Umbau oder eine Änderung einer baulichen Anlage im Geltungsbereich der Tiroler Bauordnung nur dann bewilligt werden, wenn für die, der Änderung zu Grunde liegende, bauliche Anlage von einem bestehenden Konsens auszugehen ist bzw dafür eine rechtskräftige Baubewilligung vorliegt.

Im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist daher ein Baubewilligungsbescheid, mit dem eine Änderung einer baulichen Anlage bewilligt wird, als sog. „aufbauender Bescheid mit Tatbestandswirkung“ im Verhältnis zu der, der Änderung zu Grunde liegenden, Baubewilligung zu qualifizieren (vgl VwGH 15.09.1994, 94/06/0101; ua sowie dazu ausführlich: Stöger, Verwaltungsgerichtliche Kassation und „aufbauende Bescheide“, S 44 ff)

Der gegenständlich bekämpfte Bescheid vom 26.03.2020, Zl ***, (baurechtliche Änderungsbewilligung) ist daher als „aufbauender Bescheid mit Tatbestandswirkung“ gegenüber dem der Änderung zu Grunde liegenden Baubescheid vom 10.10.2016, Zl ***, zu qualifizieren.

8.       Die in § 42 Abs 3 VwGG normierte "ex-tunc"-Wirkung bedeutet in Bezug auf die rückwirkende Gestaltungswirkung eines aufhebenden Erkenntnisses des VwGH bei „aufbauenden Bescheiden mit Tatbestandswirkung“, dass der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides bzw einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof nunmehr im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Bescheid bzw die aufgehobene Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Anfang an nicht erlassen worden wäre (vgl VwGH 17.09.2019, Ra 2018/14/0118; VwGH 24.09.2020, Ra 2019/03/0048; VwGH 06.05.2020, Ra 2019/14/0311; ua).

Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des VwGH bedeutet auch, dass allen Rechtsakten und faktischen
(Vollzugs-)Akten, die während der Geltung des dann vom Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Bescheides bzw Entscheidungen des Verwaltungsgerichts auf dessen Basis gesetzt wurden, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen wurde (vgl VwGH 29.11.1985, 85/17/0030; uva).

Im gegenständliche Fall bewirkt diese ex-tunc-Wirkung des aufhebenden Erkenntnisses des VwGH vom 14.09.2020, Zl Ra 2017/06/0234-10, sohin, dass die Rechtslage zwischen Erlassung des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts Tirol 27.01.2017,
LVwG-2016/40/2523-9, und seiner nunmehrigen Aufhebung durch den VwGH so zu betrachten ist, als sei dieses Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 27.01.2017,
LVwG-2016/40/2523-9, nie erlassen worden.

9.         Für „aufbauenden Bescheide mit Tatbestandswirkung“ ergibt sich daraus rechtlich gesehen im Nachhinein, dass diese erlassen wurden, ohne dass es einen ihnen zu Grunde liegenden (rechtskräftigen) Bescheid gab.

„Aufbauende Bescheide mit Tatbestandswirkung“ sind daher rechtswidrig, und zwar vom Moment ihrer Erlassung an.

Zusammengefasst ergibt sich daher im gegenständlichen Fall diesbezüglich, dass zwar im Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlich bekämpften Bescheides des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 26.03.2020, Zl ***, eine der Änderung zu Grunde liegenden rechtskräftige Baubewilligung bestanden hat.

Durch die Entscheidung des VwGH vom 14.09.2020, Zl Ra ***, ist dies jedoch nunmehr im Nachhinein so zu beurteilen sind, als wäre das nunmehr behobene Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol 27.01.2017, LVwG-2016/40/2523-9, nie ergangen.

Daraus ergibt sich daher, dass im Nachhinein das zwingende Erfordernis der rechtskräftigen (Neu)Baubewilligung hinsichtlich derer nunmehr die Änderungen beantragt und bewilligt wurden, nicht vorgelegen hat und dies nunmehr auch so zu beurteilen ist, dass diese auch im Zeitpunkt der Erlassung der gegenständlich bekämpften Änderungsbewilligung nicht gegeben waren.

Der gegenständlich bekämpfte Bescheid ist daher durch die Entscheidung des VwGH vom 14.09.2020, Zl Ra 2017/06/0234-10, in diesem Umfang rechtwidrig geworden.

10.       Soweit von der belangten Behörde zusammengefasst vorgebracht wurde, dass das Landesverwaltungsgericht Tirol zunächst über die Beschwerde gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 10.10.2016, Zl ***, entscheiden solle und damit eine Sanierung eintreten werde, ist dem Folgenden entgegenzuhalten:

Ist zum Zeitpunkt der Aufhebung eines grundlegenden Bescheides bzw einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts bereits ein Rechtsmittel gegen den aufbauenden Bescheid anhängig, so hat die Rechtsmittelbehörde bzw das Verwaltungsgericht dies von Amtswegen in ihrer Rechtsmittelentscheidung zu berücksichtigen und den durch die Aufhebung des zu Grunde liegenden Bescheides rechtswidrig gewordenen „aufbauenden Bescheid“ aufzuheben, widrigenfalls sie ansonsten ihre Entscheidung mit Rechtswidrigkeit belasten würde.

Diese Aufhebung hat – wie der VwGH bereits mehrfach ausgeführt hat - unabhängig von den Gründen zu erfolgen, aus denen ein Rechtsmittel erhoben wurde.

Ergänzend ist in diesem Zusammenhang auszuführen, dass die Aufhebung des rechtswidrig gewordenen „aufbauenden Bescheides“ nicht dadurch bedingt ist, dass die Rechtsmittelbehörde bzw das Verwaltungsgericht die Sach- und Rechtslage bei Erlassung seiner Entscheidung anzuwenden hat, sondern war aufgrund der ex tunc Wirkung der „aufbauenden Bescheides“ ex post betrachtet, wegen nicht vorhandener rechtlicher Grundlage schon im Zeitpunkt seiner Erlassung rechtswidrig.

Die Rechtslage bei Erlassung der Rechtmittelentscheidung ist daher – ex post betrachtet – dieselbe wie bei Erlassung des „aufbauenden Bescheides“ (vgl Stöger, Verwaltungsgerichtliche Kassation und „aufbauende Bescheide“, S 162).

Ist daher im Zeitpunkt der Erlassung eines angefochtenen aufbauenden Bescheides mit Tatbestandswirkung (zB baurechtliche Änderungsbewilligung) die Voraussetzung des Vorliegens einer der Änderung zugrunde liegenden rechtskräftigen Baubewilligung gegeben, wurde aber mit Erkenntnis des VwGH der von der Rechtsmittelbehörde bzw dem Verwaltungsgericht bestätigte grundlegende Baubewilligungsbescheid behoben und wurde diese aufhebende Entscheidung des VwGH den Parteien des Verfahrens auch bereits zugestellt, so hat die Rückwirkung der Aufhebung durch den VwGH gemäß § 42 Abs 3 VwGG zur Folge, dass der Baubewilligung betreffend die Änderung nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen wurde und ist der „Änderungsbescheid“ daher jedenfalls aufzuheben (vgl VwGH 30.06.1994, 91/06/0174; VwGH 15.09.1994, 94/06/0101; VwGH 20.09.2005, 2004/05/0281; uva
Müller, Verfahren vor dem VfGH, dem VwGH und dem VwG7, Rz 595).

Ein Zuwarten mit der Entscheidung im gegenständlichen Beschwerdeverfahren bis zur neuerlichen Entscheidung im fortgesetzten Verfahren über die Beschwerde gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 10.10.2016, Zl ***, - wie von der belangten Behörde vorgebracht bzw von den Bauwerbern beantragt - hätte daher zu keinem anderen Ergebnis geführt.

11.      Soweit seitens der Bauwerber ua auch mit näherem Vorbringen geltend gemacht wurde, dass mit der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 27.01.2017, LVwG-2016/40/2523-9, eine rechtskräftige Baubewilligung vorgelegen hat und die Bauwerber mit dem Bau begonnen haben, da ihnen nicht zuzumuten sei mit der Verwirklichung des Bauvorhabens nunmehr fast 4 Jahre bis zur Entscheidung des VwGH zuzuwarten und in diesem Zusammenhang insbesondere auch verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht wurden, ist dazu anzumerken, dass die Bauwerber – wie der VwGH in ständiger Rechtsprechung ausführt – das Risiko der Folgen einer allfälligen Behebung einer sie begünstigenden Entscheidung in einem Baubewilligungsverfahren tragen (vgl VwGH 11.11.2002, AW 2002/06/0044; VwGH 03.04.1991, AW 91/05/0006; uva).

12.      Mit die gegenständlichen Entscheidung wurde auch nicht – wie von der belangten Behörde weiters vorgebracht – gegen das Gebot gemäß § 28 VwGVG zur Entscheidung in der Sache selbst verstoßen.

13.       Aufgrund vorstehender Erwägungen und im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ergibt sich daher zusammengefasst, dass die Ausführungen in der Stellungnahme der belangten Behörde vom 16.11.2020 sowie in der Stellungnahme der Bauwerber vom 23.11.2020 nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht geeignet waren, um zu einem anderen Ergebnis zu gelangen weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

B. Zum bekämpften Bescheid vom 23.06.2020, Zl ***:

Zur Beschwerde des AA gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 23.06.2020, Zl ***, mit dem der Antrag seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, abgewiesen wurde, ist Folgendes auszuführen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl VwGH Ra 2019/03/0116, 16.10.2019, mwN) ist mit der Einstellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 33 Abs 1 VwGG nicht nur bei formeller Klaglosstellung, sondern auch bei „Gegenstandslosigkeit“ der Beschwerde bzw Revision vorzugehen.

Gegenstandslosigkeit wird angenommen, wenn durch Änderung maßgeblicher Umstände zeitlicher, sachlicher oder prozessualer Art das Interesse des Beschwerdeführers bzw Revisionswerbers an der Entscheidung wegfällt. Ebenso vertritt der VwGH in ständiger Rechtsprechung, dass sich § 33 Abs 1 VwGG entnehmen lasse, dass der Gesetzgeber das Rechtsschutzbedürfnis als Prozessvoraussetzung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof versteht.

Liegt diese Voraussetzung schon bei Einbringung einer Revision nicht vor, ist diese unzulässig, fällt die Voraussetzung erst nach Einbringung einer zulässigen Revision weg, so führt dies zu einer Einstellung des Verfahrens.

Diese Überlegungen über das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Erhebung einer Beschwerde bzw einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurden in einschlägiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung auch schon auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht übertragen (vgl VwGH Ra 2019/03/0116, 16.10.2019;
Ro 2017/10/0032, 27.02.2019, mwN).

Das Rechtsschutzinteresse besteht bei einer Bescheidbeschwerde im objektiven Interesse des Beschwerdeführers an einer Beseitigung des angefochtenen, ihn beschwerenden Verwaltungsaktes.

Das Interesse wird daher immer dann zu verneinen sein, wenn es für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers keinen Unterschied mehr macht, ob der angefochtene Bescheid aufrecht bleibt oder aufgehoben wird bzw wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für den Beschwerdeführer keinen objektiven Nutzen hat, die in der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen insoweit nur (mehr) theoretische Bedeutung besitzen.

Im gegenständlichen Fall wurde mit dieser Entscheidung über die Beschwerde gegen den bekämpften Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 26.03.2020, Zl ***, entschieden.

Es ist daher im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers an der (inhaltlichen) Erledigung der gegen den Bescheid vom 23.06.2020, Zl *** (Abweisung des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung) gerichteten Beschwerde nachträglich weggefallen ist.

Die Erreichung des mit der Beschwerde angestrebten Verfahrenszieles hat für den Beschwerdeführer keinen objektiven Nutzen im Verständnis höchstgerichtlicher Rechtsprechung mehr.

Es war daher die Beschwerde gegen den Bescheid vom 23.06.2020, Zl ***, als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren in diesem Umfang einzustellen.

V.       Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf die in dieser Entscheidung angeführte höchstgerichtliche Judikatur zu verwiesen, von der auch mit gegenständlicher Entscheidung nicht abgegangen wurde.

Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden kann.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr.in Gstir

(Richterin)

Schlagworte

Beschwerde gegenstandslos;
Einstellung des Beschwerdeverfahrens;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.36.1311.21

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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