TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/11 W154 2234246-4

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Veröffentlicht am 11.11.2020
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Entscheidungsdatum

11.11.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §80

Spruch

W154 2234246-4/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 04.06.2016 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.

1.1. Mit Beschluss eines Bezirksgerichtes vom 24.02.2017 wurde die Unterbringung des Beschwerdeführers für vier Wochen in der Abteilung Psychiatrie eines Landeskrankenhauses wegen erheblicher Selbst- und Fremdgefährdung angeordnet.

1.2. Eine LPD verhängte über den Beschwerdeführer mit Amtsvermerk vom 18.04.2017 ein Betretungsverbot gemäß § 38a SPG für den Bereich des Wohnortes seiner (mittlerweile geschiedenen) Ehefrau und seiner Kinder.

1.3. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 31.10.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB wegen der Zufügung eines Traumas der Epiphyse eines Fingers an der linken Hand seiner zum Tatzeitpunkt minderjährigen Tochter zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten, welche unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen, rechtskräftig verurteilt.

1.4. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 23.10.2018 wurde dem Beschwerdeführer der Verlust des Aufenthaltsrechtes im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 mitgeteilt.

1.5. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 06.02.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.); der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.); ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.); gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 27.09.2018 verloren hat (Spruchpunkt VIII.). Weiters wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IX).

1.6. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben.

1.7. Mit (Teil-)Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.03.2019 wurde in Stattgabe der Beschwerde Spruchpunkt VI. des Bescheides des Bundesamtes vom 06.02.2019 ersatzlos behoben und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

1.8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.04.2019 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 06.02.2019 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Das Bundesverwaltungsgericht traf in seiner Entscheidung folgende Feststellungen zu den Familienverhältnissen des Beschwerdeführers in Österreich und seinem Gesundheitszustand (Auszug aus dem angeführten Erkenntnis; Schreibfehler korrigiert; BF = Beschwerdeführer; BFA = Bundesamt):

„II.1.3.1 Zu Familie, Beschäftigung und Deutschkenntnissen

In Österreich leben seine mittlerweile geschiedene Ehefrau, Frau XXXX , mit seinen vier Kindern, davon eines volljährig. Das Scheidungsverfahren wurde mit einem Scheidungsvergleich abgeschlossen. Nach Auskunft der in der Verhandlung anwesenden Rechtsvertreterin des BF wurde dem BF ein Besuchsrecht für seine Kinder eingeräumt, beide Elternteile sind zur gemeinsamen Obsorge berechtigt. Zu seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern steht der BF seit mehr als einem Jahr nicht in Kontakt. Aufgrund des verhängten Betretungsverbotes und seines insgesamt siebenmonatigen Aufenthaltes in Untersuchungshaft ist sein Familienleben in seiner Intensität erheblich herabgesetzt.

[…]

Weiters leben in Österreich seine Stiefmutter und drei, teilweise noch minderjährige Halbbrüder, zu denen er ebenfalls keinen Kontakt hat.

[…]

II.1.4. Zur gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers

Der BF leidet unter einer paranoiden Schizophrenie, einer Scabies Infektion der Haut und einer sog. Sackniere, einer Erweiterung und Aussackung des Nierenbeckens und der Nierenkelche durch Abflussstörungen der ableitenden Harnwege.

Der BF unterliegt zwar einer Intelligenzminderung von leichtgradigem Ausmaß, es sind aber weder inhaltliche noch formale Denkstörungen erkennbar. Ein allenfalls zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegenes „psychotisches Zustandsbild“ war bereits ab 12.01.2018 (Tag der Untersuchung durch Dr. XXXX , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) nicht mehr gegeben.

Der BF befindet sich nicht in medizinischer Behandlung bzw. Therapie und nimmt derzeit keine Medikamente. Der BF kann einer Einvernahme folgen, sämtliche an ihn gerichtete Fragen beantworten und sinnzusammenhängende klare Antworten geben. Wenn Fragen zu vielschichtig sind, muss er rückfragen und versteht nicht auf Anhieb deren Sinn. In diesen Fällen ist es notwendig, dem BF die Frage in kleinere Teile aufzuteilen und zu wiederholen. Unter diesen Voraussetzungen versteht der BF die an ihn gerichteten Fragen und kann diese auch zusammenhängend und logisch nachvollziehbar beantworten.

Der Gedankengang des BF ist grundsätzlich geordnet und nachvollziehbar. Eindeutige inhaltliche Denkstörungen sind nicht explorierbar und nach außen auch nicht erkennbar. Die Folgen der bestehenden Intelligenzminderung machen sich im Alltag insofern bemerkbar, als dem BF die Notwendigkeit medizinischer Heilbehandlungen, wie sie grundsätzlich notwendig wären, nicht einsichtig sind. Der Beurteilung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 12.01.2018 zu Folge benötigt der BF primär für diese Bereiche (medizinische Heilbehandlung) eine Hilfe durch einen Sachwalter. Zur Durchführung des Ehescheidungsverfahrens des BF von seiner Ehefrau wurde RA Mag. Martin Hochleitner als Erwachsenenvertreter bestellt. Die Vertretung hat sich weder auf medizinische Heilbehandlungen noch auf das Asylverfahren erstreckt und hat auch nicht eine generelle Bestellung als Sachwalter umfasst.

[…]“

Beweiswürdigend ging das Bundesverwaltungsgericht dabei von folgenden Erwägungen aus:

„[…]

II.2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

[…]

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des BF ergeben sich aus seinen schlüssigen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung. Der Umstand, dass der BF mittlerweile von seiner Ehefrau geschieden ist, dem BF ein Besuchsrecht für seine Kinder eingeräumt wurde und beide Elternteile zur gemeinsamen Obsorge berechtigt sind, lässt sich aus der von der Rechtsvertreterin des BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG telefonisch eingeholten Auskunft seines für das Scheidungsverfahren bestellten Erwachsenenvertreters in der Beschwerdeverhandlung ableiten (VHS S. 15). Dass der BF seit über einem Jahr keinen Kontakt mehr zu seinen Kindern hat, ergibt sich aus seiner eigenen Aussage in der Verhandlung vor dem BVwG. Vor der belangten Behörde erklärte der BF ausdrücklich, dass er seit seinem Aufenthalt in der Justizanstalt Wels (die Festnahme erfolgte am 27.09.2018) keinen persönlichen - auch nicht telefonischen - Kontakt mehr zu seinen Kindern gehabt habe (AS. 377). In der mündlichen Verhandlung gab er zwar zunächst an, dass Kontakt zu seinen Kindern bestehe, näher dazu befragt antwortete er dann jedoch an, dass der letzte Kontakt zu seinen Kindern schon ein gutes Jahr her sei. Die Frage des Behördenvertreters, ob er zu irgendeinem Familienmitglied, inklusive seiner Kernfamilie, Kontakt habe, verneinte der BF. Er führte aus, dass er überhaupt keine Telefonnummern in seinem Handy gespeichert habe und über kein Guthaben verfüge. Über Rückfrage seiner Rechtsvertreterin brachte der BF dann anschließend vor, dass er Videoanrufe an seine Kinder aus seiner Unterkunft tätigen würde. Dies ist jedoch, in Anbetracht seiner bisherigen Äußerungen zum Kontaktabbruch zu seinen Kindern, als reine Schutzbehauptung zu sehen (VHS S. 8, 11, 12).

[…]

II.2.4. Zu den Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF und zu seiner Glaubwürdigkeit

Aus dem vom BF seiner Beschwerde beigelegten neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ergibt sich, dass der BF unter einer paranoiden Schizophrenie, einer Scabies Infektion der Haut und einer sog. Sackniere (einer Erweiterung und Aussackung des Nierenbeckens und der Nierenkelche durch Abflussstörungen der ableitenden Harnwege) leidet. Auch der Umstand, dass der BF einer Intelligenzminderung von leichtgradigem Ausmaß unterliegt, ergibt sich aus diesem Gutachten. Schon Dr. XXXX kommt in seinem Gutachten aber zum Ergebnis, dass ein allenfalls in einem früheren Zeitpunkt vorgelegenes „psychotisches Zustandsbild“ bereits ab 12.01.2018 (Tag der Untersuchung durch Dr. XXXX ) nicht mehr gegeben war.

Der BF konnte der Einvernahme vor dem BVwG problemlos folgen, sämtliche an ihn gerichtete Fragen beantworten und sinnzusammenhängende klare Antworten geben. Vielschichtige Fragen mussten zwar in kleinere Teile aufgeteilt werden, sie konnten dann aber vollständig und für sich betrachtet logisch beantwortet werden.

[…]

Bei allen Konzessionen an die festgestellten verminderten intellektuellen Fähigkeiten und einer damit allenfalls verbundenen eingeschränkten Ausdrucksfähigkeit des BF ergab das Beweisverfahren - gestützt auf die fachgutachterliche Beurteilung durch das vom BF selbst vorgelegte Gutachten von Dr. XXXX (AS 663 ff) - für sich betrachtet logisch nachvollziehbare Aussagen des BF, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden konnten.

[…]“

1.9. Gegen diese Entscheidung wurde kein Rechtsmittel erhoben und erwuchs diese in weiterer Folge in Rechtskraft.

1.10. In der Folge reiste der Beschwerdeführer trotz Verpflichtung nicht freiwillig aus dem Bundesgebiet aus. Stattdessen tauchte er unter und war für die Behörden im Verfahren zur Außerlandesbringung nicht mehr greifbar.

1.11. Am 08.06.2019 stellte der Beschwerdeführer in Deutschland unter falscher Identität einen Antrag auf internationalen Schutz. Eine Rücküberstellung nach Österreich scheiterte daran, dass der Beschwerdeführer in Deutschland ebenfalls untertauchte.

1.12. Am 10.09.2019 stellte der Beschwerdeführer in der Schweiz unter falscher Identität einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

1.13. Am 05.12.2019 wurde der Beschwerdeführer aufgrund der vorliegenden Zuständigkeit Österreichs gemäß der Dublin-III Verordnung aus der Schweiz nach Österreich rücküberstellt.

1.14. Am 05.12.2019 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz (Asylfolgeantrag).

1.15. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 07.01.2020 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen gemäß § 207 Abs. 1 StGB und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung gemäß § 202 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt.

1.16. Am 09.01.2020, am 07.05.2020 und am 27.05.2020 wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari vor dem Bundesamt betreffend die Stellung seines Asylfolgeantrages niederschriftlich einvernommen. Weiters wurde am 29.01.2020 vom Bundesamt zur Überprüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Neurologie, eingeholt. Laut diesem Gutachten leidet der Beschwerdeführer an einer leichtgradigen Intelligenzminderung mit Verhaltensstörung sowie an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion, welche keine dauerhafte Behandlungsbedürftigkeit erforderlich macht.

1.17. Mit Bescheid vom 29.04.2020 ordnete das Bundesamt über den Beschwerdeführer die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme an. Dieser Bescheid wurde nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am 30.04.2020 in Vollzug gesetzt und der Beschwerdeführer wird seither in Schubhaft angehalten.

1.18. Weiters wurde dem Beschwerdeführer vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung für ein etwaiges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der angeordneten Schubhaft amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.19. Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes vom 27.05.2020 wurde der dem Beschwerdeführer gemäß § 12 AsylG 2005 zukommende faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben.

1.20. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.06.2020 wurde festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-VG rechtmäßig gewesen ist.

1.21. Gegen den Schubhaftbescheid des Bundesamtes sowie die Anhaltung in Schubhaft wurde vom Beschwerdeführer in weiterer Folge keine Beschwerde erhoben.

1.22. Das Bundesamt führte am 22.05.2020, am 16.06.2020, am 14.07.2020 und am 07.08.2020 Schubhaftprüfungen gemäß § 80 Abs. 6 FPG durch.

1.23. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.08.2020, W 115 2234246-1/9E, vom 18.09.2020, W279 2234246-1 und vom 15.10.2020, W278 2234246-3/6E, wurde festgestellt, dass die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig war.

1.24. Unter Anschluss einer Stellungnahme legte das Bundesamt am 02.11.2020 den Verwaltungsakt ein weiteres Mal zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG vor. In der beiliegenden Stellungnahme wird nach Darlegung des maßgeblichen Sachverhalts entscheidungswesentlich ausgeführt, dass laut Auskunft des do. Koordinationsbüros derzeit davon auszugehen sei, dass mit Dezember 2020 Abschiebungen nach Afghanistan durchgeführt werden könnten. Zurzeit fänden aufgrund der herrschenden Covid-19-Situation keine zwangsweisen Einzelabschiebungen nach Afghanistan statt, da Afghanistan keine afghanischen Staatsangehörigen, welche im Rahmen einer Einzelabschiebung abgeschoben würden, annehmen, was sich jedoch mitunter auch rasch ändern könne. Der nächste Afghanistan-Charter sei für Mitte Dezember 2020 geplant, wobei dieser von Schweden organisiert werde. Österreich würde sich an dieser Operation als PMS (Participating Member State) daran beteiligen. Bisher werde durch Schweden an der Organisation der Charter Operation festgehalten, aufgrund der bestehenden Covid-19 Problematik sei jedoch auch jederzeit eine kurzfristige Stornierung oder Verschiebung möglich. Eine freiwillige Rückkehr des Beschwerdeführers sei jedoch jederzeit möglich. Bislang sei bei dem Beschwerdeführer bis dato jedoch kein Umdenken erkennbar und würde das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers nach wie vor für die do. Behörde keinen anderen Rückschluss zulassen, als dass eine erhebliche Fluchtgefahr beim Beschwerdeführer bestehe und von ihm eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sowie für die Allgemeinheit ausgehe.

Eine Abschiebung mittels Charter nach Afghanistan stehe beim Bundesministeriums für Inneres für 15.12.2020 in Planung. Der Beschwerdeführer werde sobald dieser Charter freigegeben werde, auf diesen angemeldet werden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der angeführte Verfahrensgang und die Entscheidungsgründe der Vorentscheidungen werden übernommen und zu Feststellungen in der gegenständlichen Entscheidung erhoben; ebenso die von der Verwaltungsbehörde in ihrer Stellungnahme anlässlich der Aktenvorlage getätigten Ausführungen zur geplanten Charterabschiebung des Beschwerdeführers am 15.12.2020.

Eine Änderung der Umstände für die seinerzeitige Anordnung der Schubhaft hat sich im Verfahren nicht ergeben.

Der BF ist haftfähig, es sind keine Umstände hervorgekommen, dass die weitere Inschubhaftnahme unverhältnismäßig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang, die getroffenen Feststellungen und die Haftfähigkeit des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, insbesondere der zitierten Vorentscheidungen.

Die Feststellungen zur geplanten Charterabschiebung des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Stellungnahme des BFA vom 02.11.2020.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A. – Fortsetzung der Schubhaft

3.1. Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

3.2. Gemäß § 76 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn 1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder 2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder 3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird.

Hinsichtlich der Fluchtgefahrtatbestände des §76 Abs. 3 FPG hat sich in Hinblick auf die Vorerkenntnisse zur gegenständlich zu überprüfenden Schubhaft keine Änderung ergeben, sodass aufgrund unveränderter Lage auf die dortigen Ausführungen verwiesen und diese auch zur gegenständlichen rechtlichen Beurteilung erhoben werden.

Die Schubhaft ist also weiterhin jedenfalls wegen erheblicher Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem vergangenen und aktuellen Verhalten des Beschwerdeführers nicht auszuschließen ist, dass der Beschwerdeführer seine Außerlandesbringung mit allen Mitteln zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt.

3.3. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig. Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann. Die Verhängung der Schubhaft darf stets nur ultima ratio sein.

Zur Dauer der Schubhaft:

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden, wenn ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck

der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.

eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht
vorliegt,

3.

der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13)

widersetzt, oder

4.

die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen
oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint.

Gegenständlich ist jedenfalls der Tatbestand der Z.4 verwirklicht. Somit erweist sich die bisherige Anhaltung am soeben angeführten Maßstab als verhältnismäßig, da sie sich immer noch im unteren Rahmen des gesetzlich Erlaubten bewegt.

Der Beschwerdeführer hatte keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Schubhaft ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände (insbesondere zweier rechtskräftiger strafgerichtlicher Verurteilungen, zuletzt Verurteilung mit Urteil eines Landesgerichtes vom 07.01.2020 wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten rechtskräftig; erschwerend wurde vom Gericht vor allem das Zusammenkommen zweier Verbrechen sowie die Tatbegehung während der offenen Probezeit gewertet, das Vorliegen von Milderungsgründen sah das Gericht als nicht gegeben an) und vor dem Hintergrund, dass sich die Behörde zügig um die Abschiebung des Beschwerdeführers bemüht hat, auch verhältnismäßig. Selbst wenn es aufgrund der gegenwärtigen Restriktionen im Zusammenhang mit COVID-19 noch immer zu Verzögerungen der Abschiebung aufgrund der auch weiterhin bestehenden Einschränkungen im internationalen Flugverkehr kommt, besteht jedoch die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) aus aktueller Sicht weiterhin bzw. ist derzeit von einer Abschiebung Mitte Dezember 2020 auszugehen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände überwiegt somit weiterhin das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung - vor allem im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten - den Schutz der persönlichen Freiheit des Beschwerdeführers.

Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit schließt auch weiterhin die Anordnung gelinderer Mittel aus. Es besteht ein grundsätzliches öffentliches Interesse am effizienten Vollzug des Fremdenrechts. In diesem Sinne hat die Behörde sichergestellt, dass die Außerlandesbringung zeitnah und zweckmäßig durchgeführt wird.

3.4. Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihren Zukunftsbezug keine, die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft ändernde Umstände erkennen.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

Zu Spruchpunkt B. - Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Da keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen sind, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen, war die Revision daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Außerlandesbringung Ausreisewilligkeit Betretungsverbot Einreiseverbot Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft Gesundheitszustand Identität öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafrechtliche Verurteilung Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W154.2234246.4.00

Im RIS seit

23.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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