TE Vwgh Erkenntnis 1997/8/5 95/11/0189

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Veröffentlicht am 05.08.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1;
KDV 1967 §31a Abs2;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §69;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des J in D, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 4. April 1995, Zl. Ib-277-155/94, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen C, E, F und G gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 entzogen und gemäß dem zweiten Absatz dieser Gesetzesstelle ausgesprochen, daß ihm vor Wiedererlangung der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen dieser Gruppen keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die bekämpfte Entziehungsmaßnahme beruht auf der Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer besitze nicht die erforderliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen C, E, F und G, weil "die Entwicklung seiner Persönlichkeitsstruktur und daher seine Bereitschaft zur Verkehrsanpassung beim Lenken von Kraftfahrzeugen dieser Gruppen noch nicht gegeben" sei. Diese Annahme stützt sich auf das Gutachten einer ärztlichen Amtssachverständigen vom 14. März 1995, in welchem der Beschwerdeführer als "bedingt geeignet" zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B, hingegen als "nicht geeignet" zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen C und E beurteilt wird. In diesem ärztlichen Gutachten werden zwei verkehrspsychologische Befunde referiert:

Ein Befund vom 6. Oktober 1994, laut dem der Beschwerdeführer wegen Beeinträchtigung der reaktiven Dauerbelastbarkeit in Verbindung mit stark erhöhter Risikobereitschaft und stark erhöhter Tendenz zu aggressiver Interaktion sowie der äußerst problematischen Anamnese (Geschwindigkeitsdelikte) zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, C und E derzeit nicht geeignet sei (dies führte zur Entziehung seiner Lenkerberechtigung für diese Gruppen mit Bescheid der Erstbehörde, der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn, vom 20. Oktober 1994 wegen mangelnder Bereitschaft zur Verkehrsanpassung im Sinne des § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967), sowie ein "verkehrspsychologisches Obergutachten" von Prof. Dr. K vom 6. März 1995. Auch dieser Befund kam zwar zum Ergebnis, daß sich aus der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers gewisse Vorbehalte ergäben. Diese seien aber nicht so gravierend, daß deshalb seine Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, C und E zur Gänze zu verneinen wäre. Allerdings erscheine die Auflage einer gestaffelten Bewährungsfrist empfehlenswert. Die ärztliche Sachverständige der belangten Behörde schloß sich dieser Meinung zwar grundsätzlich an. Sie war aber abweichend davon der Ansicht, daß der Beschwerdeführer zum Lenken von "Kraftfahrzeugen mit höherer Lenkerverantwortung (C, E)" nicht geeignet sei. Sie begründete dies mit dem Hinweis auf einen im bisherigen Verkehrsgeschehen zutage getretenen eklatanten Mangel an Bereitschaft zur Verkehrsanpassung (weswegen dem Beschwerdeführer bereits zweimal die Lenkerberechtigung entzogen worden sei und über ihn Verwaltungsstrafen verhängt worden seien) und sein "nicht mehr jugendliches Alter, dem ein solches Verhalten noch zugeschrieben werden könnte".

Dieses ärztliche Gutachten kann nicht als taugliche Grundlage für die bekämpfte Entscheidung angesehen werden: Ihm liegen zwei gegenteilig lautende verkehrspsychologische Befunde zugrunde, nämlich ein älterer, der die nötige Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Verkehrsanpassung verneint, und ein jüngerer, der sie als noch gegeben erachtet. Die ärztliche Sachverständige ist im Ergebnis dem älteren Befund gefolgt. Dieser kann aber infolge gravierender Mängel keine taugliche Grundlage für das ärztliche Gutachten bilden. Außerdem ist die von der ärztlichen Sachverständigen gegebene Begründung, weshalb sie diesem und nicht dem jüngeren Befund gefolgt ist, verfehlt.

Bei der Beurteilung der (ein Element der geistigen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen bildenden) "Bereitschaft zur Verkehrsanpassung" liegt das Hauptgewicht bei dem im ärztlichen Gutachten entsprechend zu verwertenden verkehrspsychologischen Befund (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Jänner 1991, Slg. Nr. 13361/A, und vom 30. April 1991, Zl. 90/11/0153). In diesen Erkenntnissen hat der Verwaltungsgerichtshof weiters ausgesprochen, daß ein verkehrspsychologischer Befund, um überhaupt als taugliche Entscheidungsgrundlage angesehen werden zu können, festzuhalten hat, welche Untersuchungsverfahren tatsächlich angewendet wurden, welche Ergebnisse sie erbracht haben und welche Schlußfolgerungen daraus im einzelnen gezogen wurden. Diesen Anforderungen wird der verkehrspsychologische Befund vom 6. Oktober 1994 insofern nicht gerecht, als es sich bei den - oben wiedergegebenen - Aussagen bereits um zusammenfassende Schlußfolgerungen handelt, von denen mangels näherer Ausführungen im Befund nicht ersichtlich ist, wie sie zustandegekommen sind. Daran vermag die Angabe der angewandten Tests und der erzielten (absoluten) Testergebnisse nichts zu ändern. Mangels näherer Ausführungen ist nämlich nicht erkennbar, welcher Aussagewert den angegebenen Testwerten jeweils zukommt und aufgrund welcher wissenschaftlichen Erfahrungssätze der Befundersteller von den ermittelten Testwerten zu den besagten Schlußfolgerungen denen sich in der Folge die ärztliche Amtssachverständige angeschlossen hat, gekommen ist.

Deren aus dem Gutachten ersichtliche Begründung läßt zum einen erkennen, daß die Sachverständige offenbar die Eignungsvoraussetzungen der Verkehrszuverlässigkeit und der geistigen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen, näherhin der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, gleichsetzt (die vorangegangenen Entziehungen der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers erfolgten nach der Aktenlage wegen des Fehlens der Verkehrszuverlässigkeit und nicht wegen mangelnder geistiger Eignung infolge Fehlens der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung - vgl. zum Unterschied zwischen diesen beiden Eignungsvoraussetzungen näher das bereits erwähnte Erkenntnis Slg. Nr. 13361 A/1991). Zum anderen können die aufgezeigten Mängel des verkehrspsychologischen Befundes vom 6. Oktober 1994 nicht mit dem Hinweis auf die vorangegangene Verkehrsauffälligkeit des Beschwerdeführers (derentwegen es zweimal zur Entziehung seiner Lenkerberechtigung gekommen ist) saniert werden, weil - wie bereits ausgeführt - es hier nicht um die Beurteilung seiner Verkehrszuverlässigkeit, sondern seiner Bereitschaft zur Verkehrsanpassung geht, die eben gerade durch die spezifischen Methoden der Verkehrspsychologie zu ermitteln ist (vgl. das Erkenntnis vom 30. April 1991, Zl. 90/11/0153).

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betreffend Umsatzsteuer beruht darauf, daß diese bereits in dem in der genannten Verordnung festgesetzten Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand enthalten ist.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995110189.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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