TE Vwgh Erkenntnis 2020/11/25 Ra 2020/19/0251

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Veröffentlicht am 25.11.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19100000
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §59 Abs1
AVG §60
EURallg
FrPolG 2005 §55
FrPolG 2005 §55 Abs2
FrPolG 2005 §55 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
32008L0115 Rückführungs-RL Art7 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Mai 2020, W242 2192879-1/13E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: S M in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang (Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Möglichkeit zur unterstützten Ausreise) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 11. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 16. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das BFA mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis V. des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab. Hinsichtlich des Spruchpunktes VI. gab es der Beschwerde insoweit Folge, als es aussprach, dass die Frist zur freiwilligen Ausreise 14 Tage „ab Möglichkeit zur unterstützten Ausreise“ betrage. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend stellte das BVwG zunächst die Gründe für die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz und die Erlassung der Rückkehrentscheidung dar. Hinsichtlich der Festlegung der Frist für die freiwillige Ausreise nach § 55 FPG führte es aus, in der „gegenständlichen Konstellation“ bestünden durch die COVID-19-Pandemie „Ausreisebeschränkungen“, durch die der Revisionswerber nicht in den Genuss einer freiwilligen Ausreise kommen könne. Es sei nicht absehbar, wie lange „die Beschränkungen“ Bestand haben würden. Der Beginn der Frist für die freiwillige Ausreise sei daher nicht mit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung, sondern mit der Möglichkeit einer unterstützten Ausreise festzulegen gewesen.

5        Gegen den Teil dieses Erkenntnisses, mit dem das BVwG der Beschwerde Folge gegeben und ausgesprochen hat, dass die Frist zur freiwilligen Ausreise 14 Tage ab Möglichkeit zur unterstützten Ausreise betrage, richtet sich die Revision des BFA. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6        Das BFA macht zur Zulässigkeit seiner Revision zusammengefasst geltend, das BVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Festsetzung der Frist zur freiwilligen Ausreise nach § 55 FPG abgewichen. Der Spruch des BVwG werde auch den Anforderungen an die Bestimmtheit nicht gerecht.

7        Die Revision ist zulässig und berechtigt.

8        § 55 Abs. 1 FPG sieht vor, dass mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt wird. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom BFA vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Nach § 55 Abs. 3 FPG kann bei Überwiegen besonderer Umstände die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.

9        Damit, welche Umstände im Sinn § 55 Abs. 2 und 3 FPG die Festlegung einer 14 Tage überscheitenden Frist für die freiwillige Ausreise rechtfertigen können, hat sich der Verwaltungsgerichtshof unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien und des Art. 7 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie in seinem Erkenntnis vom 16. Mai 2013, 2012/21/0072, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, auseinandergesetzt.

10       Daraus ist hervorzuheben, dass Voraussetzung der Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise zunächst ist, dass der Fremde bereit ist, bei Wegfall des die Fristverlängerung rechtfertigenden Hindernisses zu einem von ihm zu benennenden Termin von sich aus - allenfalls unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe - freiwillig auszureisen. „Besondere Umstände“ im Sinn von § 55 Abs. 2 und 3 FPG können nur solche sein, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse des Fremden im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind. Dabei ist - insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 7 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie - ein weites Verständnis anzulegen. Es bedarf einer Beurteilung im Einzelfall, wobei eine Interessenabwägung vorzunehmen ist. Weiters ist zu beachten, dass es sich bei den Gründen, die eine Verlängerung der Ausreisefrist rechtfertigen können, schon definitionsgemäß um vorübergehende Umstände handeln muss; ihre Beseitigung bzw. ihr Wegfall muss absehbar sein.

11       Dass in diesem Sinn die Voraussetzungen nach § 55 Abs. 2 und 3 FPG für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise vorgelegen wären, hat das BVwG nicht dargetan. Es ergibt sich insbesondere nicht, dass die Verlängerung der Frist durch Umstände, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse des Mitbeteiligten im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation seiner freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen wären, begründet würde.

12       Die Revision ist in diesem Zusammenhang weiters damit im Recht, dass dem angefochtenen Erkenntnis auch nicht - bzw. jedenfalls nicht ausreichend deutlich - zu entnehmen ist, woran das BVwG den Beginn des Laufs der Frist für die freiwillige Ausreise knüpfen will. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 59 Abs. 1 AVG, der nach § 17 VwGVG im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten sinngemäß anzuwenden ist, der Spruch eines Erkenntnisses die in Verhandlung stehende Angelegenheit in möglichst gedrängter deutlicher Fassung zu erledigen hat. Die Entscheidung muss dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit entsprechen (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/22/0125, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat insbesondere zum Ausdruck gebracht, dass über den Zeitraum bzw. die Dauer eines Anspruches bzw. einer Pflicht eindeutig bestimmbar abzusprechen ist (vgl. VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0010 bis 0014, mwN). Dabei dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit des Spruchs allerdings nicht überspannt werden. So darf etwa neben dem in erster Linie maßgeblichen Wortlaut des Spruchs auch die Begründung der Entscheidung als Auslegungshilfe herangezogen werden, wenn der Spruch als individuelle Norm einer Auslegung bedarf. Es genügt somit, wenn sich aus der Einbeziehung der Begründung in die Auslegung des Spruchs der Inhalt der Entscheidung mit ausreichender Deutlichkeit ergibt (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2019/22/0130, mwN).

13       Der Spruch des vorliegenden Erkenntnisses, wonach die 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise „ab Möglichkeit zur unterstützten Ausreise“ zu laufen beginne, lässt nicht erkennen, welche Ereignisse eintreten müssen, um den Beginn des Fristenlaufs auszulösen. Auch die Ausführungen in der Begründung, mit denen auf durch die COVID-19-Pandemie bestehende „Ausreisebeschränkungen“ Bezug genommen wird, geben dazu keinen Aufschluss. Sollten insoweit rechtliche Hindernisse für das Verlassen Österreichs gemeint gewesen sein, ist darauf hinzuweisen, dass mit Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz im Zuge der COVID-19-Pandemie die Einreise nach Österreich Beschränkungen unterworfen worden ist (vgl. zum insoweit maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des BVwG die Verordnungen BGBl. II Nr. 80/2020, BGBl. II Nr. 87/2020 und BGBl. II Nr. 105/2020), allgemeine „Ausreisebeschränkungen“ aber nicht erlassen worden sind.

14       Da das BVwG somit hinsichtlich der Festlegung der Frist für die freiwillige Ausreise nach § 55 FPG die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 25. November 2020

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Inhalt des Spruches Diverses Spruch und Begründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190251.L00

Im RIS seit

11.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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