TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/7 W156 2225255-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.10.2020
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Entscheidungsdatum

07.10.2020

Norm

ASVG §67 Abs10
ASVG §83
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §14

Spruch

W156 2225255-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!


Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Alexandra Krebitz als Einzelrichterin im Beschwerdeverfahren des XXXX , vertreten durch MÜLLER – SCHLUDERMANN – WINKLER, Rechtsanwälte in 1100 Wien, gegen den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, vom 03.07.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A.) I. Die Beschwerdevorentscheidung vom 17.10.2019, BZ: XXXX , wird aufgehoben.

II. Der Beschwerde vom 30.07.2019 gegen den Bescheid vom 03.07.2019, BZ: XXXX , wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass Herr XXXX als Geschäftsführer der Firma XXXX GmbH verpflichtet ist, gemäß § 67 Abs. 10 ASVG iVm § 83 ASVG die auf dem Beitragskonto XXXX der Beitragsschuldnerin XXXX GmbH rückständigen Beiträge s.Nbg. aus den Vorschreibungen für die Beitragszeiträume September 2018 bis Dezember 2018 in Höhe von € 169.266,21 Euro zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das sind ab dem 02.07.2019 3,38 % p.a. aus € 160.819,05, binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Erkenntnisses bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.

B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 03.07.2019 sprach die Wiener Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse (kurz ÖGK) aus, dass Herr XXXX (kurz BF) als Geschäftsführer der XXXX GmbH GmbH (kurz Primärschuldnerin) der ÖGK gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG verpflichtet sei, die zu entrichtend gewesenen Beiträge aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Dezember 2015, Juni 2016, Dezember 2016, Mai 2018, Juni 2018, Juli 2018, September 2018, Oktober 2018, November 2018 und Dezember 2018 in der Höhe von € 189.534,78 zuzüglich Verzugszinsen aus € 189.151,76 ab dem 03.07.2019 zu bezahlen.

Begründend führte die ÖGK nach Darstellung der einschlägigen Rechtsgrundlagen aus, über die Primärschuldnerin sei am 31.01.2019 die Insolvenz eröffnet worden, am 15.02.2019 sei die Masseunzulänglichkeit bekannt gegeben worden. Da die Primärschuldnerin keine Tätigkeit mehr ausübe, sei die Hereinbringung der Forderung nicht mehr möglich.

Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen haften die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen für die von diesen zu entrichtenden Beiträgen insoweit, als die zu Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht hereingebracht werden konnten.

Dem Vertreter des Beschwerdeführers sei mit 31.05.2019 Gelegenheit geben worden, darzutun, aus welchen Gründen dem Beschwerdeführer die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei. Eine Stellungnahme sei nicht eingelangt.

2. Mit Schreiben vom 30.07.2019 erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung Beschwerde gegen den Bescheid.

Für den Haftungszeitraum habe sich der Beschwerdeführer bemüht, alle Gläubiger gleich zu behandeln. Es könne ihn nur eine Haftung treffen, wenn die belangte Behörde schlechter gestellt wurde, als andere Gläubiger. Im Jänner 2019 wurden nach Erkennen der Insolvenzsituation überhaupt keine Zahlungen von der Primärschuldnerin mehr geleistet. Der Beschwerdeführer werde einen Gleichbehandlungsnachweis erstellen lassen. Aus dem Bescheid lasse sich nicht ableiten, worauf sich das dem Beschwerdeführer zu Lasten gelegte Verschulden gründe. Es werde auch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

3. Am 17.10.2019 erging eine Beschwerdevorentscheidung. Der Bescheid wurde dahingehend abgeändert, dass der Beschwerdeführer verpflichtet ist, für die Zeiträume September 2018 bis Dezember 2018 einen Betrag von € 168.485,72 zuzüglich Verzugszinsen aus € 164.034,32 ab dem 16.10.2019 zu bezahlen. Bis dato seien keine Nachweise zur Gläubigergleichbehandlung eingelangt. Hinsichtlich der im Erstbescheid festgesetzten GPLA-Beiträge hätten die nicht vertretbaren schuldhaften Meldeverstöße nicht eindeutig festgestellt werden können, weshalb der Bescheid abzuändern gewesen sei. Der Antrag auf aufschiebende Wirkung sei zurück- bzw abzuweisen, da der Beschwerde aufgrund des § 13 VwGVG bereits aufschiebende Wirkung zukomme.

4. Der Beschwerdeführer brachte im Wege seiner Vertretung fristgerecht einen Vorlageantrag ein. Die Erstellung der Gleichbehandlungsnachweise müssten erst ausgearbeitet werden. Zudem sei die belangte Behörde nicht auf die Argumente des Beschwerdeführers eingegangen.

5. Mit Schreiben vom 05.11.2019 wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung übermittelt.

6. Mit Schreiben vom 21.02.2020 erging im Rahmen des Parteiengehörs die Aufforderung an den Beschwerdeführer, binnen drei Wochen den Nachweis der Gleichbehandlung aller Gläubiger für den Zeitraum September 2018 bis Dezember 2018 zu erbringen. Eine Stellungnahme wurde nicht abgegeben.

7. Mit Schreiben vom 04.05.2020 erging die Aufforderung an die belangte Behörde bekanntzugeben, in welcher Höhe die Forderung der ÖGK aus der Insolvenzmasse befriedigt wurde und in welche Höhe die Forderung samt Verzugszinsen noch offen ist.

8. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 08.05.2020 mit, dass € 4.063,82 aus der Insolvenzmasse an die ÖGK bezahlt worden seien. Derzeit seien laut Rückstandsausweis noch € 168.710,86 offen. Es wurde ein aktueller Rückstandsausweis übermittelt.

9. Mit Schreiben vom 17.06.2020 wurde der ÖGK vom BVwG mitgeteilt, dass die Beschwerdevorentscheidung der ÖGK offenbar verspätet erlassen wurde, da die 2-monatige Frist am 30.09.2019 geendet habe, es sei denn, die ÖGK könne die Rechtzeitigkeit nachweisen. Zugleich erging der Auftrag, die Meldeverstöße der GPLA, die Meldeverstöße, die Berechnung der Beiträge, die Ausführungen zum Beitragszuschlag im Rückstandsausweis vom 08.05.2020 und die Prüfdokumente der GPLA zu übermitteln.

10. Die belangte Behörde übersandte mit Schreiben vom 03.07.2020 die geforderten Unterlagen, insbesondere den berichtigten Rückstandsausweis, und beantwortete die Fragen zum Schreiben vom 17.06.2020. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerdevorentscheidung wurden keine Angaben gemacht.

11. Am 08.07.2020 erging das Schreiben der belangten Behörde an den Beschwerdeführer – es wurde ihm im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme abzugeben. Eine Stellungnahme wurde nicht abgegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdevorentscheidung vom 17.10.2019 wurde verspätet erlassen.

Der Beschwerdeführer war im verfahrensgegenständlichen Zeitraum handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin.

Vertretbare schuldhafte Meldeverstöße betreffend der im Rahmen einer GPLA im Oktober 2018 festgesetzten Beiträge für den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.12.2016 konnten nicht festgestellt werden.

Die Primärschuldnerin war eine GmbH mit Sitz in Wien und dem Geschäftszweig „Baugewerbe“ zugehörig. Über das Vermögen der GmbH wurde am 31.01.2019 die Insolvenz eröffnet.

Mit Beschluss des Handelsgericht XXXX vom 18.11.2019 zu AZ XXXX wurde eine Verteilungsquote in Höhe von 1,763726 % beschlossen und mit Beschluss vom 18.12.2019 der Konkurs der Primärschuldnerin nach Schlussverteilung aufgehoben.

Die GmbH wurde mit Eintragung vom 20.04.2020 wegen Vermögenslosigkeit von amtswegen gelöscht.

Die belangte Behörde erhielt am 19.12.2019 im Rahmen der festgesetzten Verteilungsquote € 4.063,82 aus der Insolvenzmasse.

Für den verfahrensrelevanten Zeitraum wurden vom Beschwerdeführer keine Nachweise der Gleichbehandlung vorgelegt.

Die ausstehenden Sozialversicherungsabgaben betragen mit 02.07.2020 € 160.819,05:

09/2018: € 30.737,43

10/2018: € 39.665,35

11/2018: € 64.255,58

12/2018: € 26.160,69

Summe: € 160.819,05

Die Verzugszinsen bis zum 01.07.2020 betragen € 8.447,16.

Die summenmäßige Feststellung wurde vom Beschwerdeführer nicht bestritten.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der ÖGK sowie in die im Verfahren vor den BVwG eingelangten Stellungnahmen.

Die Geschäftsführertätigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich durch Einsicht in das Firmenbuch.

Die Feststellungen zur Insolvenz der Primärschuldnerin ergeben sich aus dem Auszug aus dem Beschwerdeakt, der Ediktsdatei und sind darüber hinaus unbestritten.

Die Feststellung zur amtswegigen Löschung ergibt sich durch Einsicht in das Firmenbuch.

Die quotenmäßige Befriedigung der belangten Behörde aus der Insolvenzmasse ergibt sich aus dem Schreiben vom 08.05.2020 und ist unbestritten.

Der Beschwerdeführer hat trotz Aufforderung und Fristerstreckung keinen Gleichbehandlungsnachweis für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum erbracht. Trotz mehrmaliger Aufforderung durch die belangte Behörde und das BVwG hat der Beschwerdeführer weder Unterlagen noch eine Stellungnahme übermittelt.

Die Berechnung des Haftungsbetrages ergibt sich aus der detaillierten Aufstellung der ÖGK vom 02.07.2020 und wurde vom Beschwerdeführer weder bestritten noch widerlegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A.I.) Behebung der Beschwerdevorentscheidung

3.1.1. Materiellrechtliche Grundlagen

§ 14 VwGVG lautet:

(1) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.

3.1.2. Auf den Beschwerdefall bezogen:

Aufgrund der Beschwerde vom 30.07.2019 gegen den Bescheid vom 03.07.2019 endete die Frist für die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung am 30.09.2019.

Die am 17.10.2019 erlassene Beschwerdevorentscheidung war daher im Sinne des § 14 Abs 1 VwGVG als verspätet anzusehen und daher wegen Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Behörde zu beheben.

3.2. Zu A.II.) Abweisung der Beschwerde

3.2.1. Materiellrechtliche Grundlagen

§ 58 Abs 5 ASVG lautet:

(5) Die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

§ 67 Abs 10 ASVG lautet:

(10) Die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

3.2.2. Höchstgerichtliche Judikatur:

Die Haftung des Geschäftsführers nach § 67 Abs. 10 ASVG ist ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gesetzliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung von Beiträgen schuldhaft (leichte Fahrlässigkeit genügt) verletzt hat. Eine solche Pflichtverletzung kann darin liegen, dass der Geschäftsführer die fälligen Beiträge (ohne rechtliche Grundlage) insoweit schlechter behandelt als sonstige Gesellschaftsschulden, als er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt, bzw. - im Falle des Fehlens ausreichender Mittel - nicht für eine zumindest anteilige Befriedigung auch der Forderungen der Gebietskrankenkasse Sorge trägt.

Der Geschäftsführer wäre nur dann exkulpiert, wenn er entweder nachweist, im fraglichen Zeitraum, in dem die Beiträge fällig geworden sind, insgesamt über keine Mittel verfügt und daher keine Zahlungen geleistet zu haben, oder zwar über Mittel verfügt zu haben, aber wegen der gebotenen Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern die Beitragsschuldigkeiten - ebenso wie die Forderungen aller anderen Gläubiger - nicht oder nur zum Teil beglichen zu haben, die Beitragsschuldigkeiten also nicht in Benachteiligung der Gebietskrankenkasse in einem geringeren Ausmaß beglichen zu haben als die Forderungen anderer Gläubiger (vgl. das zu § 25a BUAG ergangene Erkenntnis vom 29. Jänner 2014, 2012/08/0227, mwN). (VwGH 12.10.2017, Ra 2017/08/0070).

Die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG setzt die Uneinbringlichkeit der Beiträge, die Stellung des Haftenden als Vertreter, eine Pflichtverletzung des Vertreters und dessen Verschulden an der Pflichtverletzung, deren Ursächlichkeit für die Uneinbringlichkeit sowie den Rechtswidrigkeitszusammenhang voraus (vgl. VwGH 29.1.2014, 2012/08/0227, zur Parallelbestimmung des § 25a Abs. 7 BUAG). (VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038)

Durch das SRÄG 2010 wurde der Anwendungsbereich des § 67 Abs. 10 ASVG dahingehend erweitert (vgl. zur vorangehenden Rechtslage VwGH (verstärkter Senat) 12.12.2000, 98/08/0191, VwSlg. 15528 A/2000), dass durch die Einfügung des § 58 Abs. 5 ASVG den dort angeführten Vertretern (u.a. von juristischen Personen) die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen der von ihnen Vertretenen übertragen wurde. Eine Verletzung der diesbezüglichen Pflichten ist daher nunmehr Anknüpfungspunkt der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG (vgl. VwGH 15.11.2017, Ro 2017/08/0001). Eine solche die Haftung begründende Pflichtverletzung kann insbesondere darin bestehen, dass der Vertreter die fälligen Beitragsschulden (ohne rechtliche Grundlage) schlechter behandelt als sonstige Verbindlichkeiten, indem er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt bzw. im Fall des Fehlens ausreichender Mittel nicht für eine zumindest anteilsmäßige Befriedigung Sorge trägt (vgl. VwGH 7.10.2015, Ra 2015/08/0040). In subjektiver Hinsicht reicht für die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG leichte Fahrlässigkeit aus (vgl. VwGH 12.10.2017, Ra 2017/08/0070). (VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038)

Leichte Fahrlässigkeit ist schon dann anzunehmen, wenn der Geschäftsführer keine Gründe anzugeben vermag, wonach ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung, für die Beitragsentrichtung zu sorgen, unmöglich war (vergleiche VwGH 29.06.1999, 99/08/0075).

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH trifft ungeachtet der grundsätzlichen amtswegigen Ermittlungspflicht den Vertreter die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der Verpflichtungen unmöglich war, widrigenfalls eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden kann. Stellt er dabei nicht bloß ganz allgemeine, sondern einigermaßen konkrete sachbezogene Behauptungen auf, so ist er zur weiteren Präzisierung und Konkretisierung des Vorbringens aufzufordern, wenn auf Grund dessen - nach allfälliger Durchführung eines danach erforderlichen Ermittlungsverfahrens - die Beurteilung des Bestehens einer Haftung möglich ist. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, so bleibt die Behörde zur Annahme berechtigt, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht entsprochen hat (vgl. VwGH 26.5.2004, 2001/08/0043; 26.1.2005, 2002/08/0213; 25.5.2011, 2008/08/0169). Der Vertreter haftet dann für die Beitragsschulden zur Gänze, weil ohne entsprechende Mitwirkung auch der durch sein schuldhaftes Verhalten uneinbringlich gewordene Anteil nicht festgestellt werden kann (vgl. VwGH 21.9.1999, 99/08/0065). (VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038)

Es ist jedem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht (oder nicht zur Gänze) entrichten kann, schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, sich - spätestens dann, wenn im Zeitpunkt der Beendigung der Vertretungstätigkeit fällige Abgabenschulden unberichtigt aushaften - jene Informationen zu sichern, die ihm im Fall der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen. Diese Darlegungspflicht trifft nämlich auch solche Haftungspflichtige, die im Zeitpunkt der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Gesellschaft nicht mehr deren Vertreter sind. (VwGH 28.10.1998, 97/14/0160)

Zwischen der Haftung des Primärschuldners und der des Vertreters nach § 67 Abs. 10 ASVG muss ein Zusammenhang bestehen. Dieser ergibt sich unmittelbar aus den Voraussetzungen für die Vertreterhaftung; vor allem das Tatbestandsmoment der Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung beim Primärschuldner zeigt zweierlei: zum einen, dass die Verjährungsfrist für den haftungspflichtigen Vertreter (zumindest) nicht früher ablaufen kann, als die Haftung entstanden ist, dh. als feststeht, dass die Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung eingetreten ist. Von Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung in dem in § 67 Abs. 10 ASVG gemeinten Sinne kann aber zum anderen nur dann gesprochen werden, wenn im Zeitpunkt der Feststellbarkeit der Uneinbringlichkeit (frühestens also mit deren objektivem Eintritt) die Beitragsforderung gegenüber dem Primärschuldner nicht verjährt (und damit schon wegen Fristablaufs uneinbringlich geworden) ist. (VwGH 26.05.2004, 2001/08/0209).

3.2.3. Auf den Beschwerdefall bezogen:

Im Beschwerdefall sind die Voraussetzungen der Haftung gemäß § 67 Absatz 10 ASVG unter Beachtung der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) erfüllt:

Die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG setzt die Uneinbringlichkeit der Beiträge, die Stellung des Haftenden als Vertreter, eine Pflichtverletzung des Vertreters und dessen Verschulden an der Pflichtverletzung, deren Ursächlichkeit für die Uneinbringlichkeit sowie den Rechtswidrigkeitszusammenhang voraus.

Die Vertreterhaftung ist eine reine Ausfallshaftung, d.h. bei Uneinbringlichkeit von Beitragsverbindlichkeiten bei der Primärschuldnerin (Dienstgeberin) zum Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheids. Im Insolvenzfall wird diese Voraussetzung spätestens mit Beendigung des Insolvenzverfahrens bzw. mit der Annahme eines Sanierungs- bzw. Zahlungsplans eintreten (Müller in der SV-Komm, 110. Lieferung, § 67, Rz 129).

Die Uneinbringlichkeit liegt im Beschwerdefall vor, da die Primärschuldnerin wegen Vermögenslosigkeit von amtswegen aus dem Firmenbuch gelöscht wurde.

Der Beschwerdeführer war als handelsrechtlicher Geschäftsführer zur Vertretung der Primärschuldnerin berufen und gehört damit zum Kreis der nach § 67 Absatz 10 ASVG haftender Personen (vergleiche auch VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).

Eine weitere Voraussetzung ist die schuldhafte Verletzung der den Vertreter/innen auferlegten sozialversicherungsrechtlichen Pflichten.

Gemäß § 58 Absatz 5 ASVG haben die gesetzlichen Vertreter/innen von juristischen und natürlichen Personen insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Die Pflichten umfassen jedenfalls Melde-, Zahlungs- und Abfuhrpflichten, wobei einige Kernpflichten in § 58 Absatz 4 ASVG geregelt sind. (vergleiche dazu Müller in der SV-Komm, 110. Lfg. zu § 67 ASVG, Rz 107 und 109 sowie 111 bis 114).

Für die Haftung ist das Verschulden an der nicht ordnungsgemäßen, d.h. rechtzeitigen, Beitragsentrichtung entscheidungswesentlich. Daher kommt es auf die Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit den anderen Verbindlichkeiten in Bezug auf ihre Bezahlung an (Verbot der Gläubigerbegünstigung bzw. Benachteiligungsverbot und Gleichbehandlungspflicht).

Als Schuldform genügt leichte Fahrlässigkeit, welche schon dann anzunehmen ist, wenn der Geschäftsführer keine Gründe anzugeben vermag, wonach ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung, für die Beitragsentrichtung zu sorgen, unmöglich war.

Der Vertreter hat die Gläubigergleichbehandlung nachzuweisen, auch die Beendigung der Geschäftsführertätigkeit enthebt ihn nicht von dieser Verpflichtung. Vielmehr trifft ihn im Hinblick auf eine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger eine erweiterte Aufbewahrungspflicht um der Darlegungspflicht nachzukommen. Diese Informationssicherung hat spätestens dann zu erfolgen, wenn im Zeitpunkt der Beendigung der Vertretungstätigkeit fällige/rückständige Beitragsschulden unberichtigt aushaften. Allenfalls ist der Vertreter im Verfahren zur Präzisierung und Konkretisierung seines Vorbringens und zu entsprechenden Beweisanboten aufzufordern. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, haftet er dann für die Beitragsschulden zur Gänze. (vergleiche dazu Derntl in Sonntag (Hrsg), ASVG9 (2018) § 67 Rz 80j und 80k mit Judikatur- und Literaturverweisen)

Der Beschwerdeführer als damaliger Geschäftsführer der Primärschuldnerin hätte bei Fälligkeit für die Entrichtung der Beiträge Sorge tragen müssen. Sein bloß allgemeiner Hinweis darauf, dass die Gesellschaft damals über keine ausreichend liquiden Zahlungsmittel verfügt habe und deshalb keine ausreichenden Zahlungen an die ÖGK erfolgt seien, reicht nicht aus, zumal der Beschwerdeführer seine Behauptung nicht durch Vorlage entsprechender Unterlagen untermauert hat. Darüber hinaus hat er trotz mehrfacher Aufforderung auch keine konkreten sachbezogenen Behauptungen gemacht und auch keinen substantiierten Nachweis betreffend die Gläubigergleichbehandlung für den verfahrensrelevanten Zeitraum vorgelegt.

Es gab auch keine Hinweise, dass die Beweislast des Beschwerdeführers überspannt wurde. Vielmehr wies das BVwG den Beschwerdeführer im Schreiben vom 21.02.2020 darauf hin, dass eine Aufstellung sowohl sämtlicher Verbindlichkeiten als auch sämtliche Zahlungen unter Nachweis der getätigten Zahlungen vorzulegen ist. Entsprechende Nachweise wurden vom Beschwerdeführer jedoch nie übermittelt.

Da der Beschwerdeführer somit seiner besonderen Mitwirkungspflicht trotz Aufforderung nicht nachgekommen ist, kann im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung des VwGH ohne weitere Ermittlungen eine schuldhafte (fahrlässige) Pflichtverletzung angenommen werden.

Die Kausalität der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit und der Rechtswidrigkeitszusammenhang sind mangels eines substantiierten Vorbringens im Verfahren bzw. mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ebenfalls zu bejahen.

Was die ziffernmäßige Bestimmtheit der Höhe des Haftungsbetrags anbelangt, so legte die belangte Behörde ihrer Stellungnahme vom 08.05.2020 eine detaillierte Berechnung des Haftungsbetrages zugrunde, die von Seiten des Beschwerdeführers unbestritten blieb und dessen Aufgliederung in Teilbeträge für bestimmte Zeiträume zuzüglich Verzugszinsen ausreichend ist (vergleiche VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).

Die Haftung umfasst im Hinblick auf §§ 58 Absatz 5 und 83 ASVG auch die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen nach § 59 Absatz 1 ASVG (vergleiche VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038). Daher erfolgte auch der Ausspruch über die Haftung für die aufgelaufenen und noch auflaufenden Verzugszinsen zu Recht.

Aufgrund des Umstandes, dass die Beschwerdevorentscheidung vom 17.10.2019 – die verspätet und daher rechtsunwirksam erlassen wurde – eine summenmäßige Korrektur im Vergleich zum Erstbescheid enthielt, war mit dem ggst Erkenntnis der Spruch des Bescheides in Bezug auf die Forderungssumme und die Verzugszinsen zu berichtigen.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß Abs. 4 kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Gemäß Abs. 5 kann das Verwaltungsgericht von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen und wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. Die belangte Behörde ist ihrer Ermittlungspflicht durch detaillierte Recherche nachgekommen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung festgestellt.

Der für diesen Fall maßgebliche Sachverhalt konnte als durch die Aktenlage hinreichend geklärt erachtet werden. In der Beschwerde wurden keine noch zu klärenden Tatsachenfragen in konkreter und substantiierter Weise aufgeworfen und war gegenständlich auch keine komplexe Rechtsfrage zu lösen. Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.

Schlagworte

Beitragsschuld Berichtigung Beschwerdevorentscheidung Geschäftsführer Gleichbehandlung Haftung Mitwirkungspflicht Nachweismangel Pflichtverletzung Uneinbringlichkeit Unzuständigkeit Verspätung Verzugszinsen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W156.2225255.1.00

Im RIS seit

21.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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