TE Vwgh Beschluss 2020/11/20 Ra 2020/20/0350

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Veröffentlicht am 20.11.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §4a
BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/20/0351

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Revisionssache 1. der M B und 2. des R A, beide in W, beide vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. November 2019, 1. W239 1404444-5/3E und 2. W239 1404443-5/3E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige der russischen Föderation. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des Zweitrevisionswerbers. Sie stellten am 5. November 2014 jeweils ihren insgesamt vierten Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit den Bescheiden vom 7. April 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diese Anträge ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in ihren Herkunftsstaat zulässig sei, und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit Erkenntnis vom 9. Mai 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Parteien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe ab, dass ihre Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 zurückgewiesen würden, ihnen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, ihre Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) angeordnet sowie festgestellt werde, dass ihre Abschiebung nach Polen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

4        Mit Beschluss vom 20. September 2017, E 1240-1241/2016-13, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der von den revisionswerbenden Parteien gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5        Die sodann von den revisionswerbenden Parteien gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Mai 2016 erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. Jänner 2018, Ra 2016/01/0127 und 0128, zurück.

6        Aus den Verfahrensakten ergibt sich, dass den revisionswerbenden Parteien Aufenthaltsberechtigungskarten gemäß § 51 AsylG 2005 ausgestellt worden waren, weshalb sich das BFA im weiteren Verfahrensverlauf mit den Rechtsfolgen, die sich aus dem (bis zum Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 56/2018) in § 4a Abs. 1 AsylG 2005 enthaltenen Verweis auf § 4 Abs. 5 AsylG 2005 ergäben, befasste. Es kam zum Ergebnis, dass in der vorliegenden Konstellation über die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz erneut zurückweisende Entscheidungen durch die Behörde zu erlassen seien.

7        In der Folge ergingen die Bescheide des BFA vom 4. Juli 2019, mit denen die betreffenden Anträge auf internationalen Schutz vom 5. November 2014 jeweils gemäß § 4a AsylG 2005 neuerlich zurückgewiesen wurden und unter einem ausgesprochen wurde, dass sich die revisionswerbenden Parteien nach Polen zurückzubegeben hätten, ihnen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, ihre Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet sowie festgestellt wurde, dass ihre Abschiebung nach Polen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

8        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Parteien abgewiesen. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

9        Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 8. Juni 2020, E 4546-4547/2019-10, ablehnte.

10       Begründend führte der Verfassungsgerichtshof in seinem Ablehnungsbeschluss aus, dem Bundesverwaltungsgericht könne unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegen getreten werden, wenn es aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgegangen sei, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiege. Zur behaupteten Verletzung des Art. 47 GRC durch die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung wurde auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 19.632/2012 verwiesen.

11       Mit Beschluss vom 6. August 2020, E 4546-4547/2019-12, trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

12       In der Folge erhoben die revisionswerbenden Parteien die vorliegende Revision. In deren Zulässigkeitsbegründung wenden sie sich gegen die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK. In diesem Zusammenhang machen sie ferner eine Verletzung der Verhandlungspflicht sowie weitere Verfahrensmängel geltend.

13       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 3 VwGG ist ein solcher Beschluss in jeder Lage des Verfahrens zu treffen.

15       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16       Nach dem klaren Wortlaut des § 4a AsylG 2005 ist für die Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß dieser Bestimmung als unzulässig zurückzuweisen ist, darauf abzustellen, ob dem Fremden in einem EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat (vgl. VwGH 3.5.2016, Ra 2016/18/0049).

17       Die Revision bestreitet in den Zulässigkeitsausführungen nicht, dass die revisionswerbenden Parteien in Polen subsidiär schutzberechtigt und dort vor Verfolgung geschützt sind. Betreffend die Erlassung (neuerlicher) zurückweisender Entscheidungen nach § 4a AsylG 2005 enthält die Zulässigkeitsbegründung kein Vorbringen.

18       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa VwGH 28.3.2017, Ra 2017/01/0074, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht gewichtete das beharrliche Missachten aufenthaltsbeendender Maßnahmen (insbesondere die zweimalige illegale Wiedereinreise in das Bundesgebiet nach - auf Grundlage rechtskräftiger Ausweisungen erfolgter - Abschiebungen nach Polen sowie die Missachtung von jeweils zwei weiteren, erneut erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durch das kontinuierliche, illegale Verbleiben im Bundesgebiet) und die damit verbundene gravierende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen entscheidend zu Lasten der revisionswerbenden Parteien. Die solcher Art vorgenommene Interessenabwägung begegnet am Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken.

19       Der Zulässigkeitsbegründung gelingt es zudem nicht darzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht ein Verstoß gegen § 21 Abs. 7 BFA-VG vorzuwerfen wäre (vgl. ausführlich zur Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen und auch hier maßgeblichen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“, VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018). Insbesondere zeigen die revisionswerbenden Parteien in Anbetracht ihrer wiederholten, schwerwiegenden Verstöße gegen fremdenpolizeiliche Vorschriften nicht auf, welcher für die gemäß Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung relevante Sachverhalt noch festzustellen gewesen wäre und warum der Feststellung desselben eine Verhandlung hätte vorangehen müssen.

20       Mit der Behauptung diverser Verfahrensmängel, die in der Revision ebenfalls im Zusammenhang mit der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK ins Treffen geführt werden, wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung schon deshalb nicht aufgeworfen, weil die Interessenabwägung des Gerichts selbst unter Berücksichtigung sämtlicher in der Revision angeführter Aspekte bei der erforderlichen gesamtheitlichen Betrachtung nicht als unvertretbar zu qualifizieren ist. Den Ergebnissen, die durch die von der Revision vermissten Ermittlungsschritte (darunter die Einvernahme des Zweitrevisionswerbers sowie von Zeugen zum Beweis der sozialen Integration der revisionswerbenden Parteien) für die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen allenfalls zu erzielen gewesen wären, kommt somit in Anbetracht der diesbezüglichen Darlegungen in der Zulässigkeitsbegründung keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu (zum Erfordernis, die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensmängel schon in der Zulässigkeitsbegründung konkret und nachvollziehbar darzulegen, siehe etwa VwGH 1.7.2020, Ra 2020/20/0221).

21       Da somit die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen, erweist sich die Revision als unzulässig. Diese war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 20. November 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200350.L00

Im RIS seit

04.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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