TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/29 W135 2220296-1

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Veröffentlicht am 29.10.2020
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Entscheidungsdatum

29.10.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1 Abs1
VOG §10
VOG §2
VOG §6a

Spruch

W135 2220296-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Salzburg, vom 07.05.2019, Zl. XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages vom 16.07.2018 auf Gewährung von Hilfeleistungen in Form von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Z 10 sowie § 6a Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1a Verbrechensopfergesetz (VOG) stattgegeben und der Beschwerdeführerin eine einmalige Geldleistung in Höhe von EUR 4.000,00 als Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gewährt.

Die Durchführung obliegt dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin brachte am 16.07.2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld und Psychotherapeutische Krankenbehandlung ein. Antragsbegründend gab die Beschwerdeführerin an, als Minderjährige im Zeitraum 01.01.2005 bis 08.04.2010 von O.L. schwer sexuell missbraucht worden zu sein und in psychotherapeutischer Behandlung zu stehen.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26.03.2019 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Übernahme der entstehenden Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung gemäß § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 5 VOG bewilligt.

Mit Begleitschreiben des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin vom 12.03.2019 wurde der belangten Behörde das von der Staatsanwaltschaft Graz im dortigen Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten O.L. eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten übermittelt. In diesem wird festgehalten, dass die Beschwerdeführerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10, F 43.1) leide und es sich dabei um eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB handle. Die psychische Störung dauere mittlerweile seit mehreren Jahren an.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 07.05.2010 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld – nach Gewährung eines entsprechenden Parteiengehörs – gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Z10, § 6a iVm § 10 Abs. 1 und § 16 Abs. 13 VOG ab. Begründend hielt die belangte Behörde fest, dass die Beschwerdeführerin angegeben habe, im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 02.10.2010 von O.L. vorsätzlich am Körper verletzt worden zu sein. Der Fristenlauf für die Antragstellung auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld habe aufgrund der Übergangsbestimmung in § 16 Abs. 13 VOG am 01.04.2013 begonnen. Da der Antrag der Beschwerdeführerin erst am 16.07.2018 bei der belangten Behörde eingelangt sei, würden die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs. 1 iVm § 16 Abs. 13 VOG nicht vorliegen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Anwaltsschriftsatz vom 17.06.2019 – bei der belangten Behörde am 18.06.2019 eingelangt – das Rechtsmittel der Beschwerde, in welcher vorgebracht wird, dass erst Jahre nach den Missbrauchshandlungen, die im achten bis 13. Lebensjahr der Beschwerdeführerin stattgefunden hätten, posttraumatische Belastungsstörungen und krankheitswertige Folgen eingetreten seien und der Eintritt der Gesundheitsschädigung und Krankheit erst erkennbar geworden sei. Die Beschwerdeführerin habe über Jahre versucht die Erinnerung an die Geschehnisse in den Hintergrund zu drängen. Erst ab 2016/2017 seien die Erinnerungen an die Erlebnisse schleichend immer präsenter und zunehmend belastender geworden, bis sie sich nicht mehr hätten wegdrängen lassen. Am 07.05.2018 habe die Beschwerdeführerin Anzeige gegen O.L. erstattet, welche das derzeit nicht abgeschlossene Strafverfahren beim Landesgericht für Strafsachen in XXXX gegen O.L. zu Folge gehabt habe, und die Beschwerdeführerin habe sich schließlich im Juni 2018 in psychotherapeutische Behandlung begeben. Die posttraumatische Belastungsstörung habe sich nicht im Tatzeitraum, sondern dem im Strafverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten vom 08.03.2019 zu Folge, über die letzten Jahre hindurch entwickelt. Für die Beschwerdeführerin, die keine Medizinerin, sondern Opfer von massivem Missbrauch im unmündigen Alter sei, sei der Eintritt der Gesundheitsschädigung und Krankheit an sich zwei Jahre vor der Antragstellung nicht erkennbar gewesen. Eine frühere Antragstellung sei der Beschwerdeführerin, zumal der Leistungsanspruch nach dem VOG auf den Eintritt einer Gesundheitsschädigung/Krankheit basiere, gar nicht möglich. § 10 Abs. 1 VOG stelle auf den Eintritt der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung an sich, nicht jedoch auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Tathandlung ab. Auch § 1 Abs. 1 VOG stelle nicht auf das Datum oder den Zeitraum der Handlungen ab, die zur Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung geführt hätten. Während vergleichswiese etwa § 13 Abs. 13 2. Satz VOG sehr wohl und ausdrücklich auf Handlungen, sprich Tathandlungen abstelle, sehe demgegenüber § 16 Abs. 13 letzter Satz VOG zu § 2 Z 10 diesen eben nicht vor. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, dass er für die Leistungen nach demselben Gesetz einerseits auf den Zeitpunkt der (Tat-)Handlung ausdrücklich abstelle, andererseits dies (für den Anspruch auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld) unterlasse, jedoch für beide Leistungen den Zeitpunkt der Tathandlung für maßgeblich erachten würde. Es sei vielmehr der erkennbare Eintritt einer Gesundheitsschädigung und Krankheit für die Auslösung der zweijährigen Frist maßgeblich. Bei Missbrauch im Kindes- und Jugendalter sei es durchaus regelmäßig der Fall, dass sich Krankheit und Gesundheitsbeeinträchtigung erst Jahre später entwickeln, verfestigen und erkennbar würden. Die Beschwerdeführerin habe den Antrag binnen zwei Jahren gemäß § 1 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 VOG gestellt und sei dieser daher entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde rechtzeitig.

Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2019 zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.04.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W264 abgenommen und mit 04.05.2020 der Gerichtsabteilung W135 zugewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht ersuchte mit Schreiben vom 27.05.2020 das Landesgericht für Strafsachen XXXX um Übermittlung des Strafurteils betreffend O.L. Das nicht rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX als Schöffengericht vom XXXX , langte am 02.06.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein, mit welchem der Angeklagte O.L. wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 und Abs. 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen zum Nachteil der Beschwerdeführerin schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren sowie zur Zahlung eines Schmerzengeldbetrages in Höhe von EUR 6.000,00 an die Beschwerdeführerin verurteilt wurde.

Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten mit Beschluss des OGH vom XXXX übermittelte das Landesgericht für Strafsachen XXXX am 13.10.2020 die Rechtsmittelentscheidung des Oberlandesgerichtes XXXX vom XXXX , an das Bundesverwaltungsgericht, mit welcher der Berufung des Angeklagten nicht Folge gegeben wurde.

Mit Schriftsatz vom 16.10.2020 wurden dem Bundesverwaltungsgericht auch seitens des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 30.09.2019, der Beschluss des OGH vom 02.06.2020 und das Erkenntnis des Oberlandesgerichtes Graz vom 26.08.2020 übermittelt und mitgeteilt, dass der Verurteilte den der Beschwerdeführerin zugesprochenen Schmerzengeldbetrag in Höhe von EUR 6.000,00 bis dato nicht bezahlt habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin, eine österreichische Staatsangehörige, wurde als unmündige Minderjährige über mehrere Jahre unter anderem Opfer von schweren sexuellen Missbrauch durch ihren Adoptivvater O.L., welcher mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom XXXX , wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 und Abs. 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen zum Nachteil der Beschwerdeführerin schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren sowie zur Zahlung eines Schmerzengeldes in Höhe von EUR 6.000,00 an die Beschwerdeführerin rechtkräftig verurteilt wurde.

Die von ihrem Adoptivvater verübten Taten hatten bei der Beschwerdeführerin eine an sich schwere Körperverletzung in Form einer Posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10, F 43.1) zu Folge. Die psychische Störung dauert seit mehreren Jahren an.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen basieren auf den Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen der Antragstellung (Aktenseiten 2 bis 4 des Verwaltungsaktes), den Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX (OZ 4 des Gerichtsaktes), und dem von der Staatsanwaltschaft XXXX eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin vom 08.03.2019 (Seiten 71 bis 77 des Verwaltungsaktes).

3. Rechtliche Beurteilung:

Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus §§ 6, 7 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) iVm § 9d Abs. 1 Verbrechensopfergesetz (VOG).

Zu A)

Gemäß § 1 Abs. 1 VOG haben Anspruch auf Hilfe österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1.       durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2.       durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3.       als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

Nach § 2 Z 10 leg.cit. ist als Hilfeleistung unter anderem die Pauschalentschädigung für Schmerzengeld vorgesehen.

Nach § 6a Abs. 1 lec.cit. ist Hilfe nach § 2 Z 10 für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 2 000 Euro zu leisten; sie beträgt 4 000 Euro, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauert.

§ 10 (Beginn und Ende der Hilfeleistungen, Rückersatz und Ruhen) in der derzeit geltenden Fassung des Gewaltschutzgesetzes 2019 BGBl. I Nr. 105/2019 lautet auszugsweise:

„§ 10 (1) Leistungen nach § 2 dürfen nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen drei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) bzw. nach dem Tod des Opfers (§ 1 Abs. 4) gestellt wird. Wird ein Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen nach § 2 Z 1, 2, 3 bis 7 und 9 mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monates zu erbringen. Bei erstmaliger Zuerkennung von Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges ist von Amts wegen auch darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe eine einkommensabhängige Zusatzleistung zu gewähren ist. Anträge auf Leistungen gemäß § 4 Abs. 5 unterliegen keiner Frist.

(1a) Zur Zeit der Tatbegehung minderjährige Opfer können die Leistung nach § 2 Z 10 auch innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Beendigung oder Einstellung des Strafverfahrens beantragen. Ein Leistungsanspruch besteht in diesem Fall bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen, wenn im Strafurteil oder einem im Gerichtsverfahren eingeholten medizinischen Gutachten das Vorliegen einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) ausdrücklich bestätigt wird.“

Gemäß § 16 Abs. 22 leg.cit. ist § 10 Abs. 1a in der Fassung des Gewaltschutzgesetzes 2019 BGBl. I Nr. 105/2019 mit 1. Jänner 2020 in Kraft getreten.

Im Initiativantrag zum Gewaltschutzgesetz 2019 (IA 970/A XXVI.GP) wird zum neu eingefügten § 10 Abs. 1a VOG Folgendes festgehalten:

„Gemäß § 10 Abs. 1 VOG ist die Pauschalentschädigung für Schmerzengeld bei sonstigem Ausschluss innerhalb von zwei Jahren nach der Tat zu beantragen. Im Rahmen der Task Force Strafrecht wurde aufgezeigt, dass Personen, die als Kinder oder Jugendliche Opfer einer Straftat wurden, oft sehr lange Zeit benötigen, um über das Geschehene hinwegzukommen. In dieser Zeit sind sie meist außer Stande, über das Erlebte zu sprechen oder gar Strafanzeige zu erstatten (wobei die Tat einerseits oft auch den Erziehungsberechtigten nicht bekannt ist bzw. andererseits diese mitunter auch in die Tat involviert sind). Oft werden solche Erlebnisse über Jahre verdrängt und tauchen manchmal erst wieder im Erwachsenenalter aus dem Unterbewusstsein auf. Diesem Umstand soll dadurch Rechnung getragen werden, dass bei Anträgen dieser Opfer auf die Pauschalentschädigung für Schmerzengeld die Antragsfrist zusätzlich auch zu einem späteren Zeitpunkt zu laufen beginnt – nämlich ab dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Beendigung oder Einstellung des Strafverfahrens. Eine Zuerkennung der Leistung soll in diesen Fällen dann erfolgen können, wenn aus den relevanten Strafunterlagen (z. B. Urteil, medizinisches Gutachten eines Amtssachverständigen) eindeutig das Vorliegen einer schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 1 StGB hervorgeht.“

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

Aus den Feststellungen ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin Opfer einer zum Entscheidungszeitpunkt mit mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung wurde und dabei eine an sich schwere Körperverletzung erlitt. Die Gesundheitsschädigung dauert seit mehreren Jahren an.

Damit sind die grundsätzlichen Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 1 VOG und die Anspruchsvoraussetzungen für das erhöhte Schmerzengeld gemäß § 6a Abs. 1 zweiter Halbsatz VOG erfüllt, wonach die Pauschalentschädigung für Schmerzengeld 4.000,- Euro beträgt, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursache Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauert.

Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid von einer verfristeten Antragstellung der Beschwerdeführerin ausgegangen, was sich nach der damals geltenden Rechtslage zu § 10 Abs. 1 VOG als zutreffend erweist und der Behörde nicht vorzuwerfen ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht, wenn es in der Sache selbst entscheidet, seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten; allfällige Änderungen des maßgeblichen Sachverhalts und der Rechtslage sind also zu berücksichtigen (VwGH 30.03.2017, Ro 2015/03/0036, mwN).

Wie sich aus den oben zitierten Ausführungen im Initiativantrag zum Gewaltschutzgesetz 2019 ergibt, wurde gerade für Fälle wie den vorliegenden, der Abs. 1a in § 10 VOG eingefügt; es ist also – während des anhängigen Beschwerdeverfahrens – eine Änderung der Rechtslage und vor dem Hintergrund der nunmehr vorliegenden rechtskräftigen Verurteilung des O.L. auch eine Änderung des Sachverhaltes zugunsten der Beschwerdeführerin eingetreten, was vom Bundesverwaltungsgericht zu berücksichtigen ist.

Die zur Zeit der Tatbegehung minderjährig gewesene Beschwerdeführerin hat noch vor rechtkräftiger Beendigung des Strafverfahrens gegen O.L. den gegenständlichen Antrag auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gestellt. Der Angeklagte O.L. wurde nunmehr rechtskräftig unter anderem wegen an sich schwererer Körperverletzung gemäß § 84 StGB an der Beschwerdeführerin in Form einer Posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10, F 43.1) verurteilt.

Der Antrag der Beschwerdeführerin erweist sich daher zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt gemäß § 10 Abs. 1a VOG als rechtzeitig und sind – wie bereits ausgeführt – die Anspruchsvoraussetzungen für das erhöhte Schmerzengeld gemäß § 6a Abs. 1 zweiter Halbsatz VOG erfüllt, weshalb der Beschwerde spruchgemäß stattzugeben war.

Hinzuweisen ist darauf, dass das rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX , auch ein Adhäsionserkenntnis enthält und der Beschwerdeführerin als Privatbeteiligte ein Schmerzengeldbetrag in Höhe von EUR 6.000,00 zugesprochen wurde. Vom Verurteilten erhaltene Schadenersatzleistungen werden auf die Pauschalentschädigung nach dem Verbrechensopfergesetz anzurechnen sein.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Hinsichtlich der Rechtsfrage, ab wann der Ausschlussgrund des § 8 Abs. 1 Z 2 zweiter Fall VOG vorliegt, war die entsprechende unter Punkt A) zitierte höchstgerichtliche Judikatur heranzuziehen. Betreffend die Frage, ab wann einem Verbrechensopfer die Hilfeleistung in Form der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gebührt, konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine klare Rechtslage des VOG stützen.

Schlagworte

Anspruchsvoraussetzungen Antragsfristen Missbrauch Pauschalentschädigung Rechtslage Schmerzengeld

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W135.2220296.1.00

Im RIS seit

16.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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