TE OGH 2020/10/15 8Rs67/20m

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Veröffentlicht am 15.10.2020
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Lindner als Vorsitzenden sowie die Richterin Maga. Zacek und den Richter Mag. Heß-Palas (Dreiersenat gemäß § 11a Abs 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****s M*****, *****, gegen die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT, Landesstelle Wien, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Mag. Christian Wegerth, ebendort, wegen Invaliditätspension, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 15.7.2020, 4 Cgs 142/19d-20, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

B e g r ü n d u n g:

Mit Schreiben vom 13.11.2019 erhob der Kläger Klage gegen den abweisenden Bescheid der Beklagten vom 2.10.2019. Nach Erstattung der Klagebeantwortung wurde Dr. Feldner-Busztin zum Sachverständigen bestellt und beauftragt, Befund und Gutachten über die Leiden des Klägers und die sich daraus ergebenden Einschränkungen seiner Fähigkeit zur Ausübung einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit zu erstatten, und zwar binnen 14 Tagen nach der Untersuchung oder nach dem Einlangen allfällig eingeholter Nebenbefunde.

         Der auch dem Kläger zugestellte Bestellungsbeschluss enthielt folgende Rechtsbelehrung:

         Belehrung über die Mitwirkungspflicht für die klagende Partei:

         „Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für Sie als Kläger/Klägerin im Sozialrechtsverfahren eine Mitwirkungspflicht gilt und Sie zu jeder angeordneten Untersuchung zu erscheinen haben!

         Eine Verhinderung, zu einer Befundaufnahme/Untersuchung bei einem Sachverständigen oder Gerichtsverhandlung zu erscheinen ist rechtzeitig und umgehend dem Gericht und dem Sachverständigen mitzuteilen und sind die Verhinderungen dem Gericht (z.B. Erkrankungen, bei welchen Bettruhe einzuhalten ist) durch ärztliche Bestätigungen zu bescheinigen.

         Eine Krankenstandsbestätigung hat eine konkrete Ausführung, warum ein Erscheinen zum konkreten Untersuchungstermin oder Verhandlungstermin nicht möglich ist, zu enthalten, widrigenfalls sie die Unmöglichkeit nicht ausreichend bescheinigt!

         Unterlässt eine versicherte Person die ihr zumutbare Mitwirkung am Ermittlungsverfahren, so kann sie dazu zwar nicht gezwungen werden, die sich daraus ergebende Unsicherheit in der Sachverhaltsfeststellung geht jedoch zu ihren Lasten (SV-Slg 49.224). Grundsätzlich obliegt nämlich die Beweislast für das Vorliegen eines Leidenszustandes der versicherten Person (SV-Slg 43.508). Darüber hinaus werden Sie als Kläger/Klägerin auf die Bestimmung des § 77 Abs 3 ASGG aufmerksam gemacht:

         Sollten Sie unentschuldigt einer Untersuchung/Befundaufnahme fernbleiben, können Sie zum Ersatz von Kosten, die infolge ihres Verschuldens eintreten, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens nach Billigkeit verpflichtet werden und wird bei unentschuldigtem Fernbleiben aufgrund der Aktenlage entschieden, was nachteilig für Ihren Prozessstandpunkt sein kann.“

         Ob der Kläger den Beschluss ON 3 erhalten hat, ist nicht gesichert. Er erhielt eine Note über die Bestellung des Sachverständigen, der ihm einen Termin geben werde. Eine Belehrung über den Kostenersatz nach § 77 ASGG enthielt die Note nicht.

Der Sachverständige lud den Kläger zunächst zur Untersuchung am 12.12.2019, dieser Termin wurde vom Kläger sehr kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen auf Jänner 2020 verschoben. Für die Zeitversäumnis verzeichnete der Sachverständige EUR 24,- zuzüglich von EUR 4,80 USt. (ON 4).

Der Kläger erschien auch zum Untersuchungstermin am 20.1.2020 - diesmal unentschuldigt - nicht. Für die Zeitversäumnis verzeichnete der Sachverständige wiederum EUR 28,80 inklusive USt. (ON 6).

Der Kläger wurde daraufhin zum Untersuchungstermin am 25.2.2020 gerichtlich geladen und auf seine Mitwirkungspflicht sowie die Bestimmung des § 77 ASGG aufmerksam gemacht, wonach er unabhängig vom Ausgang des Verfahrens zum Ersatz der Kosten nach Billigkeit verpflichtet werden könne. Die Ladung wurde am 29.1.2020 hinterlegt und nicht behoben.

Der Kläger erschien auch zu diesem Termin unentschuldigt nicht. Für die Zeitversäumnis verzeichnete der Sachverständige wiederum EUR 28,80 inklusive USt. (ON 8).  Daraufhin erfolgte abermals eine gerichtliche Ladung samt ausführlichem Hinweis auf die Mitwirkungspflicht des Klägers und die Bestimmung des § 77 ASGG zum Termin am 23.3.2020. Diese Note wurde dem Kläger am 4.3.2020 persönlich zugestellt. Ob der Kläger zu diesem Termin erschienen ist, steht nicht fest. Er erschien auch am 29.4.2020 nicht beim Sachverständigen. Für die Zeitversäumnis verzeichnete der Sachverständige EUR 28,80 inklusive USt. (ON 11).

Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 30.4.2020 aufgetragen, binnen acht Tagen Auskunft darüber zu geben, warum er zu den vier Untersuchungsterminen nicht erschienen war und wurde abermals auf die Bestimmung des § 77 Abs 3 ASGG hingewiesen. Der Kläger wurde abermals gerichtlich zu einem Untersuchungstermin am 28.5.2020 geladen, daraufhin zog der Kläger die Klage zurück (Postaufgabe am 17.5.2020).

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 20.5.2020 eine Kostenseparation.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag auf Kostenseparation ab. Rechtlich führte das Erstgericht mit Hinweis auf § 77 Abs 3 ASGG aus, es ergebe sich aus der Aktenlage kein dem Kläger erforderliches schuldhaftes oder vorwerfbares Verhalten, sodass der Antrag der Beklagten auf Kostenseparation abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten mit einem Abänderungsantrag und einem Aufhebungsantrag.

Der Kläger hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin vertritt die Ansicht, es sei nicht einzusehen, warum ein Versicherungsträger „frustrane“ Kosten eines Sachverständigen in diesem Ausmaß zu zahlen habe, wenn der Kläger, welchem durch die Klage an sich keine Kosten erwachsen würden, es nicht einmal für nötig befinde, sich entsprechend zu entschuldigen. Der Kläger habe lediglich das Verfahren verschleppt bzw. unnötig geführt, wenn man bedenke, dass außer der Klagserhebung und der Klagsrückziehung keine weiteren Handlungen seitens des Klägers gesetzt worden seien. Das Verhalten des Klägers sei ihm zurechenbar und ohne eine zumutbare entsprechende Entschuldigung auch schuldhaft. Die Voraussetzungen des § 77 Abs 3 ASGG würden somit vorliegen.

Voraussetzung für die Kostenersatzpflicht des Versicherten gemäß § 77 Abs 3 ASGG ist, dass dieser dem Versicherungsträger durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung Verfahrenskosten verursacht hat. Hierfür ist notwendig, dass der Versicherte erkennbar schlechtgläubig in dem Sinn ist, dass er etwa bei Einbringung einer Klage, deren Unzulässigkeit oder völligen Mangel jeder ernstzunehmenden Begründung erkennt und das Verfahren ungeachtet einer erteilten richterlichen Belehrung fortsetzt. Irreführung wird etwa dann gegeben sein, wenn durch ein bewusst wahrheitswidriges Vorbringen oder durch Beweismittel, deren Unrichtigkeit dem Versicherten als Beweisführer bekannt war, dem Versicherungsträger Verfahrenskosten erwachsen sind. In allen Fällen muss ein vom Versicherten unter Bedachtnahme auf dessen Schuldfähigkeit zu vertretendes Verschulden vorliegen und muss zwischen diesem schuldhaften Verhalten des Versicherten und den dem Versicherungsträger erwachsenen Verfahrenskosten ein Kausalzusammenhang bestehen (OLG Wien, 14.2.2007, 7 Rs 15/07, ZRS-Judikatur 2008/112). Neumayr in Zellkomm3 (§ 77 ASGG Rz 7) nimmt eine Verschleppung dann an, wenn die Absicht des Versicherten ganz offenbar darauf gerichtet ist, das Verfahren ohne sachliche Rechtfertigung in die Länge zu ziehen und einen den Verfahrensergebnissen entsprechenden früheren Verfahrensabschluss zu verhindern. Darunter können auch Mehrkosten aufgrund von mehrmaligem Nichterscheinen zu Untersuchungen fallen (OLG Innsbruck SV-Slg 52.789). Sonntag in Köck/Sonntag [Hrsg.] ASGG § 77 Rz 35 meint, ein Anwendungsfall des Abs 3 sei auch das mehrfache unentschuldigte Nichterscheinen zu Untersuchungen beim Sachverständigen (mit Hinweis auf OLG Wien 8 Rs 137/96t), sofern der Versicherungsträger die Kosten gemäß § 54 ZPO verzeichne. Diese Ansicht teilt auch Obermaier in Kostenhandbuch² Rz 442.

Im Vorbringen der Beklagten in ihrem Antrag vom 20.5.2020 führt diese lediglich aus, es „sei davon auszugehen“, dass es sich hier lediglich um eine Mutwillensklage gehandelt habe bzw. der Kläger habe keinerlei Interesse mehr am Fortgang des Verfahrens bzw. an einer entsprechenden zielführenden Mitwirkung gezeigt. Eine Verzeichnung der Kosten erfolgte nicht.

Nun erfordert die offenbar mutwillige Prozessführung, dass sich der Kläger der Unrichtigkeit seines Prozessstandpunkts bewusst ist und sich in diesem Bewusstsein in den Prozess einlässt (Fucik in Rechberger, ZPO5, Rz 5 zu § 63; M. Bydlinski in Fasching/Konecny3 II/1 § 63 ZPO Rz 19). Eine bloß fahrlässig abweichende Beurteilung des Anspruchs macht die Rechtsverfolgung nicht mutwillig. Es muss eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Gerichts einwandfrei erwiesen sein (Fucik in Fasching/Konecny III², § 408 Rz 4 mwN; 10 Rs 125/10s OLG Wien). Eine solche Mutwilligkeit zur Klagsführung lässt sich den Behauptungen der antragstellenden Beklagten, aber auch der Aktenlage nicht entnehmen. Daraus, dass der Kläger letztlich die Klage zurückgezogen hat, lässt sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ableiten, dass der Kläger „mutwillig“ – im dargelegten Sinne – die Klage eingebracht hat.

Eine Verschleppung ist dann anzunehmen, wenn die Absicht des Versicherten ganz offenbar darauf gerichtet ist, das Verfahren ohne sachliche Rechtfertigung in die Länge zu ziehen und einen den Verfahrensergebnissen entsprechenden früheren Verfahrensabschluss zu verhindern (Neumayr aaO § 77 ASGG Rz 7). Das Nichterscheinen zu mehreren Untersuchungsterminen beim Sachverständigen trotz entsprechender und wiederholter Belehrungen ohne Entschuldigung verwirklicht den Tatbestand des § 77 Abs 3 ASGG. Daher wäre dem Kläger grundsätzlich der Ersatz der Kosten jener versäumten Termine, die er trotz Belehrung nicht wahrgenommen hat, nach Billigkeit aufzuerlegen, das sind die in ON 8 und ON 11 vom Sachverständigen begehrten Gebühren.

Jede Kostenentscheidung, die zu einem Zuspruch führt, setzt eine Verzeichnung der Kosten durch die Partei, die Kosten begehrt, voraus. Dieser tragende Grundsatz muss auch für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit nach § 77 Abs 3 ASGG gelten. § 77 ASGG ist eine Norm, die den Versicherten vor einem Kostenersatz an den Versicherungsträger schützen soll. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wollte man für einen Kostenersatz des Versicherten nach § 77 Abs 3 ASGG keine Kostennote des Versicherungsträgers verlangen. Da die Beklagte keine Kostennote gelegt hat, kann es bereits aus diesem Grund zu keinem Zuspruch an Kosten kommen.

Nach Ansicht des Berufungssenats ist im sozialgerichtlichen Verfahren wegen der spezielleren Norm des § 77 ASGG eine Kostenseparation zu Lasten des Versicherten gemäß § 48 ZPO (die auch bei schuldloser Veranlassung von Kosten [Zufälle, etc] erfolgen kann) nicht zulässig, weil selbst bei Verschulden des Versicherten im Sinn des § 48 ZPO wird durch § 77 Abs 3 ASGG ein Kostenersatz lediglich auf krasse Fälle nach Billigkeit reduziert wird.

Würde man eine Kostenseparation nach § 48 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren für zulässig erachten, so setzt ein Antrag auf Kostenseparation nach § 48 ZPO ein Kostenverzeichnis voraus, das die Beklagte nicht gelegt hat. Auch wenn bei der Ermittlung der Mehrkosten im Rahmen der Entscheidung über die Kostenseparation § 273 ZPO angewendet werden kann, sofern die Mehrkosten nicht exakt ermittelt werden können, ist ein Kostenverzeichnis erforderlich. Schon deshalb hat das Erstgericht den Antrag im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

Ein Kostenspruch konnte entfallen, weil die Rekurswerberin zutreffend keine Kosten verzeichnet hat (§ 77 Abs 1 Zif 1 ASGG).

Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses gründet sich auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.

Textnummer

EW0001072

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2020:0080RS00067.20M.1015.000

Im RIS seit

11.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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