TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/10 96/21/0779

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Veröffentlicht am 10.09.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13 Abs3;
AVG §63 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VStG §24;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des MD, vertreten durch Dr. Karl Haas und Dr. Georg Lugert, Rechtsanwälte in St. Pölten, Dr. Karl Renner Promenade 10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 2. Oktober 1995, Zl. Senat-PL-95-127, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen ein Straferkenntnis nach dem Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 23. Mai 1995 wurde der Beschwerdeführer wegen Übertretung des Fremdengesetzes bestraft. Er brachte daraufhin bei der belangten Behörde am 6. Juni 1995 ein Schreiben bezeichnet mit "Kennzeichen: 3-3032-95" ein. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die "Berufung" des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 63 Abs. 3 AVG und § 24 VStG als unzulässig zurückgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, daß dem Schriftsatz des Beschwerdeführers eine Rechtfertigung für einen nicht rechtmäßigen Aufenthalt als Fremder im Bundesgebiet zu entnehmen sei, nicht jedoch gegen welchen Bescheid welcher Behörde sich die Berufung richte. Durch "umfangreiche Ermittlungen" habe festgestellt werden können, daß es sich bei dem bekämpften Bescheid um ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 23. Mai 1995, Zl. 3-3032-95, handle. Wenn eine Berufung nicht bei einer erstinstanzlichen Behörde, sondern bei der Berufungsbehörde eingebracht werde, so sei nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer den Anforderungen des § 63 Abs. 3 AVG entsprechenden Bezeichnung des angefochtenen Bescheides die Benennung der Behörde, von der der angefochtene Bescheid stamme, zwingend erforderlich. Mangels Bescheidbezeichnung sei die Berufung als unzulässig zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluß vom 13. Dezember 1995, B 3536/95). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren begehrt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 24 VStG ist die Bestimmung des § 63 Abs. 3 AVG auch auf Berufungen im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden. Danach hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.

Wird eine Berufung - wie im vorliegenden Fall - nicht bei der erstinstanzlichen Behörde, sondern bei der Behörde, die über die Berufung zu entscheiden hat, eingebracht, so ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 15. Juni 1994, Zl. 94/03/0039, m.w.N.) zu einer den Anforderungen des § 63 Abs. 3 AVG entsprechenden Bezeichnung des angefochtenen Bescheides die Benennung der (Erst-)Behörde, von der der angefochtene Bescheid stammt, zwingend erforderlich. Ein diesbezüglicher Mangel bildet kein verbesserungsfähiges Formgebrechen im Sinn des § 13 Abs. 3 AVG, vielmehr gehört die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sich die Berufung richtet, als Teil der Berufungserklärung zum wesentlichen Inhalt der Berufung. Eine mangelhafte Bezeichnung des mit Berufung bekämpften Bescheides stellt jedenfalls dann keinen bloß verbesserbaren Formmangel, sondern einen inhaltlichen Mangel der Berufung dar, wenn der Behörde die Feststellung unmöglich ist, um welchen Bescheid es sich bei dem mit Berufung bekämpften handelt. Sie ist in diesem Zusammenhang nicht verpflichtet, weitwendige Ermittlungen zu pflegen und aufgrund gedanklicher Rückschlüsse Versuche anzustellen, den Bescheid zu konkretisieren. Ist es ungeachtet einer mangelhaften Bezeichnung für die Behörde ein leichtes, den bekämpften Bescheid festzustellen, so hat sie derartige geringfügige Ermittlungsschritte zu setzen. Erst dann, wenn solche geringfügige Ermittlungsschritte erfolglos bleiben, weil die vom Berufungswerber gemachten Angaben allzu mangelhaft sind, wird eine Zurückweisung der Berufung in Betracht gezogen werden können. Ein bloß verbesserbarer Formmangel läge diesfalls nicht vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1995, Zl. 94/02/0296).

Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde habe ohne erheblichen Aufwand und nur mit geringfügigen Ermittlungsschritten die Erstbehörde und den angefochtenen Bescheid ausfindig machen können. Das Berufungsschreiben enthalte nämlich das Kennzeichen des Straferkenntnisses und es sei "durch den angegebenen Wohnort am Boden der Zuständigkeitsregelung im Fremdengesetz" leicht erkennbar, daß die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten Strafbehörde erster Instanz gewesen sei.

Die belangte Behörde räumt in der Gegenschrift ein, daß dem "Kennzeichen" zu entnehmen war, daß es sich um ein Strafverfahren einer Bezirkshauptmannschaft handelt. Eine Anfrage, bei der für den im Schreiben ebenfalls angegebenen Wohnort des Beschwerdeführers zuständigen Bezirkshauptmannschaft war daher der belangten Behörde im Sinne der referierten Rechtsprechung möglich und zumutbar. Dies ist nach Ausweis des vorgelegten Verwaltungsaktes auch geschehen. Die Eingabe des Beschwerdeführers weist links oben den handschriftlichen Zusatz "Berufung" und am Ende des maschinschriftlichen Textes die Stampiglie des Inhaltes auf:

"Laut telefonischer Auskunft d.

liegt eine Übertretung d.

vor, Strafe S "

Diese Stampiglie ist handschriftlich ergänzt durch den Zusatz in Zeile 1 "BH - St. Pölten", in Zeile 2 "Fremdengesetz" und in Zeile 3 "3000". Daß weitere Ermittlungsschritte gesetzt worden seien, kann dem vorgelegten Akt nicht entnommen werden. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wenn im angefochtenen Bescheid davon die Rede ist, daß durch "umfangreiche Ermittlungen" festgestellt habe werden können, daß es sich bei dem bekämpften Bescheid um ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten handelt. Hat aber die belangte Behörde durch den zumutbaren Anruf bei der aufgrund des Schreibens indizierten Bezirkshauptmannschaft die Behörde und den bekämpften Bescheid ermitteln können, war sie nicht mehr befugt, die Berufung als unzulässig zurückzuweisen. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Verbesserungsauftrag Ausschluß Berufungsverfahren Verbesserungsauftrag Nichtentsprechung Zurückweisung Berufung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996210779.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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