TE Bvwg Beschluss 2020/9/3 G313 2206583-1

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Veröffentlicht am 03.09.2020
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Entscheidungsdatum

03.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G313 2206583-1/9E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Deutschland, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 20.08.2018, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung einer Ausweisung, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde gegen den Beschwerdeführer (BF) gemäß § 66 Absatz 1 FPG iVm § 55 Absatz 3 NAG eine Ausweisung erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Begründet wurde die Ausweisung von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid insbesondere damit, dass der BF nach seinem mehr als dreimonatigen Aufenthalt im Bundesgebiet die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 NAG (ua. Beschäftigung, Existenzmittel, Krankenversicherung, Ausbildung) nicht nachweisen habe können.

Gemäß Abtretungsbericht der LPD - XXXX vom 03.07.2018 habe der BF im österreichischen Bundesgebiet zwischen dem 01.03.2018 und 10.06.2018 Kokain bei XXXX für den Eigenkonsum erworben. Der BF habe hierzu ein Geständnis abgelegt. Aufgrund dieses Deliktes sei jedoch keine Anklage erhoben, sondern ein Abtretungsbericht an die Gesundheitsbehörde übermittelt worden.

Im kriminalpolizeilichen Aktenindex finde sich auch noch eine zweite Meldung wegen des Verdachtes, dass der BF besonders geschützte Urkunden angenommen, weitergegeben, besessen oder verfälscht hätte. Da zum Zeitpunkt dieses Bescheides, jedoch noch kein Polizeibericht vorhanden und somit die Sachlage noch nicht ausreichend geklärt sei, könne „dieses Strafbestand für diesen Bescheid“ (sic) nicht verwertet werden. Mangels Berufstätigkeit habe keine berufliche Integration im Bundesgebiet festgestellt werden können.

Mit Schreiben vom 04.07.2018 informierte das BFA den BF im Rahmen der „Verständigung über das Ergebnis der Beweisaufnahme“ über die beabsichtigte Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.

Gegen den oben angeführten Bescheid wurde am 10.09.2018, eingelangt am 12.09.2018, fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Ausweisung in rechtswidriger Wiese ergangen worden und das Ermittlungsverfahren mangelhaft geführt worden sei. Der BF sei bei der Firma XXXX als Industrieelektrikerhelfer tätig und verfüge somit über ausreichend Existenzmittel. Zudem verfüge der BF über einen Krankenversicherungsschutz der XXXX . Der BF verfüge über ein Familienleben, welches gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK neben der Kernfamilie auch „illegitime“ Familienverhältnisse umfasse. Der BF lebe mit seiner Lebensgefährtin XXXX seit Februar 2018 in einer gemeinsamen Wohnung. Der Beschwerde sind der aktuelle Lohnzettel vom Juni 2018, der Arbeitsvertrag sowie der Meldezettel beigefügt.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 27.09.2018 vom BFA vorgelegt.

Beweiswürdigung:

Der dargestellte Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbedenklichen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern, zumal gravierende Ermittlungslücken vorliegen.

Die belangte Behörde kam - ohne ausreichende Ermittlungen zum Privat- und Familienleben des BF angestellt zu haben - um Schluss, dass der durch die Ausweisung in das Privat- und Familienleben des BF erfolgende Eingriff verhältnismäßig sei.

Auf Grundlage der bisherigen Ermittlungen der belangten Behörde ist für das Bundesverwaltungsgericht noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

In diesem Zusammenhang fehlen insbesondere Informationen zur Achtung seines Privatlebens, dessen familiären und sozialen Bezugspunkte samt deren konkreten Ausgestaltung, sowie zu allfälligen sonstigen Integrationssachverhalten in Bezug auf den BF (z.B. Kontakte zu Angehörigen, zu denen keine besondere Abhängigkeit besteht, Freundschaften, Vereinsmitgliedschaften etc.), der Grad der Integration (z.B. Schulabschlüsse, Ausbildungen, Erwerbstätigkeit, soziales Engagement etc.) und die Bindungen zu seinem Heimatstaat (z.B. Bezugspersonen, Wohnmöglichkeit, Möglichkeit zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr).

Die belangte Behörde kam im angefochtenen Bescheid - nach Parteivorhalt vom 04.08.2018 - zum Schluss, dass dem BF kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukomme, sei er im Bundesgebiet doch laut Sozialversicherungsauszug "noch nie einer legalen Beschäftigung" nachgegangen und verfüge er nicht über ausreichende Existenzmittel, um seinen Lebensunterhalt im Bundesgebiet finanzieren zu können, und über keine Krankenversicherung.

Der BF legt beschwerdegegenständlich einen aktuellen Lohnzettel vom Juni 2018, einen unterfertigten Arbeitsvertrag sowie einen Meldezettel vor und monierte, sehr wohl über einen Krankenversicherungsschutz zu verfügen.

Die Ausführungen in der Stellungnahme zur Beschwerde können weder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren noch entsprechende Feststellungen im angefochtenen Bescheid ersetzen. Nach Durchsicht des Verwaltungsaktes lassen sich weder die berufliche und finanzielle Situation sowie die Familien- bzw. Privatverhältnisse des BF im Bundesgebiet, noch dessen aktueller Integrationsstatus zweifelsfrei feststellen.

Da die Erstbehörde somit noch keine geeigneten Schritte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts gesetzt hat, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF eine Ausweisung erlassen werden muss. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Zur zweiten Eintragung im kriminalpolizeilichen Aktenindex ist folgendes auszuführen:

Dem Akt liegen betreffend den Tatverdacht (§ 224a StGB – „Annahme, Weitergabe oder Besitz falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden“) keinerlei Unterlagen über polizeiliche Erhebungen oder eine erfolgte Anzeige bzw. die Einleitung eines Strafverfahrens bei. Die belangte Behörde unterließ es auch, das Strafverfahren abzuwarten, um in eventu auch die potentielle Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in Erwägung zu ziehen und dadurch bedingt fehlen – das Vorliegen einer strafrechtlichen Verurteilung des BF vorausgesetzt, mögliche Tat- und Urteilszeitpunkte sowie auch relevante Strafausmaße und Strafzumessungsgründe. Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren nach dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens ergänzende Erhebungen und anschließend anhand entsprechender konkreter Feststellungen eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des BF vornehmen müssen.

Es gilt, die Interessen des zum Zeitpunkt der Erlassung der Ausweisung XXXX -jährigen BF an einem weiteren Bleiberecht gegen das öffentliche Interesse abzuwägen. Das Verlassen des Bundesgebietes des BF muss nach neuerlicher rechtlicher Würdigung durch die Erstbehörde notwendig und geboten sein.

Angesichts dieses Sachverhaltes erweist sich die Entscheidung der belangten Behörde sohin als nicht nachvollziehbar, zumal der relevante Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt wurde, keine - hinreichenden - Feststellungen dazu getroffen wurden und es an einer nachvollziehbaren Begründung mangelt, wodurch Fragen aufgeworfen werden, die für die Entscheidung der gegenständlichen, vom BFA negativ beschiedenen Rechtssache, maßgeblich sind.

Unter den dargestellten Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Unterlassung der umfassenden Ermittlung des Privat- und Familienlebens des BF und seiner beruflichen Situation. Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt.

Da zu tragenden Sachverhaltselementen noch keine Beweisergebnisse vorliegen, zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt.

Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren alle zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen, insbesondere zum Integrationsstatus, Privat- und Familienleben und beruflichen Tätigkeit des BF vorzunehmen und - je nach Ausgang des Ermittlungsverfahrens - einen neuen Bescheid zu erlassen haben, in dessen Begründung in klarer und übersichtlicher Weise dargelegt wird, auf Grund welchen für die Erstbehörde als erwiesen anzunehmenden Sachverhalts sie zu der im Spruch wiedergegebenen rechtlichen Beurteilung gekommen ist.

Aus Sicht des Gerichts verstößt das Vorgehen der belangten Behörde im konkreten Fall somit gegen die in § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG 2005 determinierten Ermittlungspflichten, wonach diese den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen hat.

Zusammenfassend ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie die für die Begründung des Bescheides erforderliche Sorgfalt vermissen lässt und dieser damit nicht den Erfordernissen einer umfassenden und in sich schlüssigen Begründung einer abweisenden behördlichen Entscheidung entspricht (vgl. § 60 iVm. § 58 Abs. 2 AVG).

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2206583.1.00

Im RIS seit

04.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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