TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/22 W207 2225898-1

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Veröffentlicht am 22.10.2020
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Entscheidungsdatum

22.10.2020

Norm

BBG §41 Abs2
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W207 2225898-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Verein ChronischKrank Österreich, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland, vom 08.11.2019, OB: XXXX , betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 41 Abs. 2 BBG aufgehoben. Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung gemäß § 41 Abs. 2 BBG idgF liegen nicht vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist laut dem Inhalt des vom Sozialministeriumservice (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) vorgelegten Verwaltungsaktes aktuell Inhaber eines Behindertenpasses mit einem seit 24.04.2019 eingetragenen Grad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.). Die Ausstellung dieses Behindertenpasses erfolgte auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 10.04.2019, in dem auf Grundlage der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung die Funktionseinschränkung 1. „Morbus Crohn“; Unterer Rahmensatz entsprechend dem Befundausmaß mit der Notwendigkeit einer TNF-Alphatherapie bei hochgradiger Aktivität der Erkrankung, die Eisenmangelanämie in dieser Position mitabgebildet. “, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 50 v.H. nach der Positionsnummer 07.04.06 der Anlage zur Einschätzungsverordnung festgestellt wurde. Der Gesamtgrad der Behinderung wurde mit 50 v.H. festgestellt. Betreffend die Frage der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde in diesem Sachverständigengutachten festgehalten, dass diese zumutbar sei. Es bestehe kein imperativer Stuhldrang laut Anamnese (in der festgehalten wurde, dass der Antragsteller „über breiige Stühle, mindestens 2 täglich“, berichte).

Am 24.04.2019 stellte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass.

Im von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt findet sich diesbezüglich eine Stellungnahme der Ärztin für Allgemeinmedizin, die bereits das medizinische Sachverständigengutachten vom 10.04.2019 erstellt hatte, folgenden Inhaltes vom 07.05.2019:

„Laut den Richtlinien der EVO ist die Diagnose Morbus Crohn per se keine Indikation zur Eintragung der ZE "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel". Es wurde bei der Begutachtung kein imperativer Stuhldrang beschrieben und es wurde keine Sphinktermanometrie an einer Spezialabteilung durchgeführt. Der imperative Stuhldrang ist eine notwendige Indikation, um einen Parkausweis auszustellen.“

Mit Bescheid vom 10.07.2019 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 24.04.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass ab. Eine Beschwerde gegen diesen Bescheid ist nicht aktenkundig, dieser Bescheid erwuchs daher in Rechtskraft.

Am 14.10.2019 - sohin innerhalb der Jahresfrist des § 41 Abs. 2 BBG - stellte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde neuerlich einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, dies verbunden mit dem Vorbringen, dass sich sein Leidenszustand verschlechtert habe.

Im Rahmen dieser Antragstellung legte der Beschwerdeführer einen Arztbrief eines nähergenannten Krankenhauses vom 23.09.2019 vor, der neben der Diagnose Morbus Crohn u.a. folgende Beschreibung des Krankheitsbildes des Beschwerdeführers umfasst: „Bei dem Pat. besteht ein Mb. Crohn mit einer Pancolitis und hochgradiger makroskopischer und histologischer Aktivität. Es besteht ein Stuhlfrequenz von 10 bis 15 x tägl. flüssig, die eine spezielle und zeitintensive Analpflege nach sich zieht. Trotz der intensivierten Therapie und der bereits mehrmals erfolgten Therapieumstellug ist keine deutliche Besserung der Beschwerden eingetreten.“

Die belangte Behörde ersuchte in der Folge die Ärztin für Allgemeinmedizin, die bereits das medizinische Sachverständigengutachten vom 10.04.2019 sowie die ergänzende Stellungnahme 07.05.2019 vom erstellt hatte, im Hinblick auf die Stellung des Antrages binnen Jahresfrist um Beurteilung, ob die vorgebrachte Änderung des Leidenszustandes mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Zuerkennung der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ führe.

Seitens Ärztin für Allgemeinmedizin erging folgende Stellungnahme vom 07.11.2019 (hier in anonymisierter Form wiedergegeben):

„Sachverständigengutachten vom 21.03.2019 vorliegend und Stellungnahme zur ZE "UZB der Benutzung ÖVM" vom 07.05.2019, zwischenzeitlich wurde ein FA-Befund LKH XX vom 23.09.2019 vorgelegt mit den Diagnosen: Mb. Crohn, ED 2008, Coloskopie 02/2019 hochgradige Aktivität eines Mb. Crohn im gesamten Colon, Calprotectin im Stuhl 02/2019 1800, MR-Dünndarm 03/2019: segmentale langstreckige Wandverdickung des terminalen lleums mit Lumeneinengung auf einer Strecke von ca. 18 cm, keine Abszesse, keine Fissulierungen, Unverträglichkeit von Imureck, Budosan- Therapie sine effectu, rezidiv. Cortisonstosstherapien ca. 3 x jährlich Letzte Therapie: Remicade i.v. 400 mg 02/2019 bis 07/2019, seit 07/2019 Beginn mit Adalimumab bei Antikörperproduktion bei REMICADE... Auszug aus dem FA-Befund: Es besteht eine chron. Erkrankung, wobei von einer lebenslangen Dauer auszugehen ist. Aufgrund der bestehenden Beschwerden der vorliegenden schweren Erkrankung des Verdauungstraktes, die körperlich und psychisch zu einer Belastung führt, ist aus meiner Sicht die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmittel nicht zumutbar. Die Notwendigkeit jederzeit eine WC-Anlage benutzen zu können, muss unbedingt gegeben sein.

Festgestellt wird, dass die Diagnose eines nachgewiesenen imperativen Stuhldranges vorliegend sein muss, um die ZE "UZB der Benützung ÖVM" ausstellen zu können oder ein massiv reduzierter AZ oder EZ, laut nachgereichtem FA-Befund LKH Feldbach-Fürstenfeld kein Spinctermanometrie- Befund erwähnt. Dieser kann nachgereicht werden und es kann eine nochmalige Prüfung der ZE erfolgen. Bis dato keine Änderung des vorliegenden Sachverständigen-Gutachtens.“

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 08.11.2019 wurde der am 14.10.2019 eingelangte Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß § 41 Abs. 2 BBG zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung sei noch kein Jahr verstrichen. Eine offenkundige Änderung der Gesundheitsschädigungen sei nicht glaubhaft geltend gemacht worden.

In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vom 25.11.2019 bringt der Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein ChronischKrank Österreich, u.a. im Wesentlichen vor, dem Antrag vom 14.10.2019 sei ein Befund des LKH XX vom 23.09.2019 beigelegt, welcher eindeutig eine offenkundige Änderung der Funktionsbeeinträchtigung des Beschwerdeführers dokumentiere. Dieser Befund vom 23.09.2019 spreche unter anderem von „einer Stuhlfrequenz von 10-15 x täglich flüssig. Dieser Befund sei von der Behörde jedoch in keiner Weise zur Kenntnis genommen worden, sondern der Antrag sei mit der Begründung abgewiesen (richtig: zurückgewiesen) worden, dass bei der ärztlichen Begutachtung am 21.03.2019 der Beschwerdeführer angegeben habe, dass er derzeit mindestens 2 mal täglich breiige Stühle habe. Der abweisende (richtig: zurückweisende) Bescheid stütze sich somit zu Unrecht auf ein Gutachten im Vorverfahren und berücksichtigt den eindeutigen neuen Befund in keiner Weise.

Die belangte Behörde legte am 28.11.2019 dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor. Das Verfahren wurde der hg. Gerichtsabteilung W264 zugewiesen.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.04.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Wirksamkeit vom 21.04.2020 der Gerichtsabteilung W264 (wegen einer beruflichen Veränderung) abgenommen und der Gerichtsabteilung W207 neu zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10.07.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 24.04.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Eine Beschwerde gegen diesen Bescheid ist nicht aktenkundig, dieser Bescheid erwuchs daher in Rechtskraft.

Am 14.10.2019 - sohin noch vor Ablauf eines Jahres seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung und sohin innerhalb der Jahresfrist des § 41 Abs. 2 BBG - stellte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde neuerlich einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, dies verbunden mit dem Vorbringen, dass sich sein Leidenszustand verschlechtert habe.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer eine offenkundige Änderung seines Leidenszustandes seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung des Sozialministeriumservice vom 10.07.2019 nicht glaubhaft zu machen vermochte.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung, dass der Antrag des Beschwerdeführers vom 24.04.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass rechtskräftig abgewiesen wurde, basiert auf dem im Akt aufliegenden Bescheid der belangten Behörde vom 10.07.2019. Wenngleich kein Zustellnachweis vorliegt, hat der Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht, dass ihm dieser Bescheid nicht zugestellt worden wäre. Eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wurde gegen diesen mit 10.07.2019 datierten Bescheid nicht erhoben. Es ist daher davon auszugehen, dass dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer am 14.10.2019, also noch vor Ablauf eines Jahres seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung, den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses stellte, gründet sich auf den Akteninhalt und ist unbestritten.

Die (Negativ)Feststellung, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer eine offenkundige Änderung seines Leidenszustandes seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung des Sozialministeriumservice vom 10.07.2019 nicht glaubhaft zu machen vermochte, gründet sich auf den von ihm im Rahmen der neuerlichen Antragstellung vorgelegten Arztbrief eines nähergenannten Krankenhauses vom 23.09.2019 vor, in dem unter anderem „eine Stuhlfrequenz von 10 bis 15 x tägl. flüssig“ ausgewiesen wird. Dafür, dass dieses medizinische Dokument unecht oder inhaltlich unrichtig wäre, gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte; dem Akt der belangten Behörde ist ebenfalls nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde konkrete Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit dieses Dokumentes gehabt hätte.

Wie in der Beschwerde zutreffend zum Ausdruck gebracht wird, ging das im mit Bescheid vom 10.07.2019 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren eingeholte medizinische Sachverständigengutachten vom 10.04.2019, was Konsistenz und Häufigkeit des Stuhlganges betrifft, noch von „breiigen Stühlen, mindestens 2 täglich“ aus und legte die Behörde dieses Sachverständigengutachten – bzw. dessen Ergänzung vom 07.05.2019 ihrer mit 10.07.2019 datierten rechtskräftigen Entscheidung zu Grunde. Im Rahmen der neuerlichen, noch vor Ablauf eines Jahres seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung erfolgten Antragstellung vom 14.10.2019 bringt der Beschwerdeführer, belegt durch den Befund vom 23.09.2019, nunmehr eine Stuhlfrequenz und Stuhlkonsistenz von „10 bis 15 x tägl. flüssig“ vor, was sich als nicht unerhebliche Veränderung des Beschwerdebildes und damit des Sachverhaltes im Sinne einer Verschlechterung der Funktionsbeeinträchtigung darstellt, zumal das Vorliegen eines imperativen Stuhldranges damit keineswegs von der Hand zu weisen ist. Insofern es aber sein mag, dass letztere Angaben nicht glaubhaft sein mögen, so finden sich im angefochtenen Bescheid diesbezüglich keinerlei Ausführungen und ist eine mangelnde Glaubhaftigkeit auch für das Bundesverwaltungsgericht nicht von Vornherein ersichtlich; sollte diesen Angaben allenfalls die Glaubhaftigkeit abgesprochen werden, so hätte dies jedenfalls im Rahmen einer nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit dieser Frage in einem inhaltlichen Verfahren zu geschehen.

Im Übrigen wird auf die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen verwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache

§ 41 Abs. 2 BBG lautet:

„Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.“

Die belangte Behörde hat den vom Beschwerdeführer vor Ablauf eines Jahres seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung gestellten neuerlichen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß § 41 Abs. 2 BBG zurückgewiesen mit der – allerdings nicht näher ausgeführten - Begründung, eine offenkundige Änderung der Gesundheitsschädigung(en) habe nicht glaubhaft geltend gemacht werden können. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist daher (ausschließlich) die Frage, ob die Behörde diesen Antrag zu Recht zurückgewiesen hat.

Bei der Beurteilung, ob eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung (glaubhaft) geltend gemacht wird, handelt es sich um eine Rechtsfrage.

Wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. in seinem zum BBG (betreffend Zurückweisung des Antrages auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung) ergangenen Erkenntnis vom 16.09.2008, 2008/11/0083, ausgeführt hat, sind "offenkundig" solche Tatsachen, deren Richtigkeit - unter Bedachtnahme auf die Lebenserfahrung - der allgemeinen Überzeugung entsprechen bzw. allgemein bekannt sind. Offenkundigkeit bringe es mit sich, dass eine Tatsache erkennbar ist, ohne dass eine Prüfung der individuellen Situation erforderlich ist.

In diesem Zusammenhang ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof sich bereits wiederholt mit der Frage zu beschäftigen hatte, ob eine anhaltend schwere Erkrankung des Verdauungstraktes zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führt und eine entsprechende Zusatzeintragung in den Behindertenpass rechtfertigt (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142; 17.06.2013, 2010/11/0021; 21.04.2016, Ra 2016/11/0018; 09.11.2016, Ra 2016/11/0137; vgl. auch VfGH vom 23.09.2016, E 439/2016). In den genannten Erkenntnissen hielt der Verwaltungsgerichtshof die Annahme, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch den Betroffenen sei zumutbar, im Hinblick auf Art und Ausmaß der Inkontinenz für nicht nachvollziehbar. Es wurde ausgeführt, dass es zur Beantwortung dieser Frage - sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt - eines ärztlichen Sachverständigengutachtens bedarf, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.04.2016, Ra 2016/11/0018, wurde zudem ausgeführt, dass dem die Regelung in § 1 Abs. 4 Z 3 der (oben auszugsweise wiedergegebenen) Verordnung und die dort enthaltene - demonstrative ("insbesondere") - Aufzählung solcher Fälle, in denen die Feststellung der genannten Unzumutbarkeit gerechtfertigt erscheint, nicht entgegenstehe (vgl. vielmehr § 1 Abs. 5 leg. cit. zur gebotenen individuellen [ganzheitlichen] Beurteilung auf Basis eines ärztlichen Sachverständigengutachtens). Die oben wiedergegebenen Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 idF BGBl. II Nr. 495/2013 dieser Verordnung (nunmehr: § 1 Abs. 4 Z 3 idF BGBl. II Nr. 263/2016) führen aus, dass "bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes" in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sei.

Ansonsten - gedacht war hier offenbar an Fälle, in denen keine "anhaltend schwere Erkrankung des Verdauungstraktes" vorliegt - verweisen die Erläuterungen bei Inkontinenz darauf, dass "die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen".

Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung ist daher zu prüfen, ob eine anhaltend schwere Erkrankung des Verdauungstraktes oder ein vergleichbarer Leidenszustand besteht, welcher die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bewirkt. Diesbezüglich sind jene Fallkonstellationen ins Kalkül zu ziehen, bei deren Vorliegen die Höchstgerichte die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bejaht bzw. (diesbezüglich) weitergehende Ermittlungen für geboten erachtet haben. Im Folgenden werden daher die der bisherigen Judikatur zugrundeliegenden wesentlichen Sachverhaltselemente dargestellt:

- VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142: Harninkontinenz, somatoforme Störung, Belastungsinkontinenz, Vorlagenwechsel sechs- bis siebenmal täglich, Hinweis auf Geruchsbelästigung;

- VwGH 17.06.2013, 2010/11/0021: Verdacht auf Morbus Crohn, mehrmals im Monat auftretende, unvorhersehbare und schubartig eintretende Phasen der Stuhlinkontinenz mit Flatulenzen;

- VwGH 21.04.2016, Ra 2016/11/0018: Morbus Crohn, Entfernung von Teilen des Dick- und Dünndarms, keine Besserung trotz etlicher Untersuchungen und Medikationen, häufiger und imperativer Durchfall, mindestens zwanzigmal pro Tag, verbunden mit Flatulenzen, Zeitpunkte des Stuhlganges weder vorhersehbar noch beeinflussbar;

- VwGH 09.11.2016, Ra 2016/11/0137: fünf- bis achtmal (manchmal öfter) täglicher, dauerhaft flüssiger Stuhlgang (in Verbindung mit einer diagnostizierten spezifischen Phobie hinsichtlich der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel);

- VfGH 23.09.2016, E 439/2016: fistulierender Morbus Crohn mit chologener Diarrhoe, fünf- bis zehnmal tägliche, auch nächtliche Stühlen bei Dranginkontinenz, Zeitpunkte des Stuhlganges weder vorhersehbar noch beeinflussbar.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung kann daher keineswegs ausgeschlossen werden, dass der im Rahmen der Antragstellung vorgelegte Befund vom 23.09.2019, der eine Stuhlfrequenz und Stuhlkonsistenz von „10 bis 15 x täglich flüssig“ dokumentiert, bei Zutreffen entscheidungserhebliche Auswirkung auf das Ergebnis des Verfahrens haben kann.

Im Fall des Beschwerdeführers befasste die belangte Behörde zwar die Ärztin für Allgemeinmedizin, die bereits das medizinische Sachverständigengutachten vom 10.04.2019 sowie die ergänzende Stellungnahme 07.05.2019 vom erstellt hatte, im Hinblick auf die Stellung des Antrages binnen Jahresfrist um Beurteilung, ob die vorgebrachte Änderung des Leidenszustandes mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Zuerkennung der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ führe. Der entsprechenden medizinischen Stellungnahme vom 07.11.2019 ist jedoch nicht nachvollziehbar zu entnehmen, weshalb mit dem im neuerlichen Antrag angeführten und befundmäßig belegten Vorbringen einer Stuhlfrequenz und Stuhlkonsistenz von „10 bis 15 x täglich flüssig“ keine offenkundige Änderung des Leidenszustandes bzw. der Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird. Auch aus der Begründung des angefochtenen Bescheides lassen sich diesbezüglich keine näheren Aufschlüsse gewinnen.

Ausgehend davon, dass keine ausreichenden Hinweise darauf vorliegen, dass die im vom Beschwerdeführer vorgelegten Befund vom 23.09.2019 angeführten Angaben über Stuhlfrequenz und Stuhlkonsistenz von „10 bis 15 x täglich flüssig“, die das Vorliegen eines imperativen Stuhldranges durchaus indizieren, inhaltlich unrichtig wären, ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes im gegenständlichen Fall aber davon auszugehen, dass eine offenkundige Änderung der Funktionsbeeinträchtigung im Vergleich zum Leidenszustand zum Zeitpunkt des Eintrittes der Rechtskraft des letzten Bescheides – in dem, was Konsistenz und Häufigkeit des Stuhlganges betrifft, noch von „breiigen Stühlen, mindestens 2 täglich“ ausgegangen wurde- glaubhaft geltend gemacht wurde.

Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß § 41 Abs. 2 BBG lagen daher nicht vor, weshalb der angefochtene Bescheid spruchgemäß aufzuheben war. Die Frage, ob die Voraussetzungen für die Vornahme dieser Zusatzeintragung unter Berücksichtigung der geltend gemachten Verschlechterung der Funktionseinschränkung vorliegen, ist daher in einem inhaltlichen Verfahren zu klären.

Der Beschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte die Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG entfallen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Antragstellung Behindertenpass Frist Gesundheitszustand offenkundige Änderung Sachverständigengutachten Verschlechterung Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W207.2225898.1.00

Im RIS seit

04.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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