TE Vfgh Erkenntnis 2020/10/7 G227/2020

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Veröffentlicht am 07.10.2020
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Index

60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

B-VG Art11 Abs2
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
Arbeitsvertragsrechts-AnpassungsG §7i Abs7
VStG §31
VfGG §7 Abs1, §62 Abs1

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des Arbeitsvertragsrechts-AnpassungsG betreffend vom VStG 1991 abweichende - längere - Verjährungsfristen; Unerlässlichkeit der längeren Strafbarkeitsverjährung auf Grund der – aus verwaltungsökonomischen Rücksichten gegebenen – mehrjährigen Abstände zwischen den Prüfungen lohnabhängiger Abgaben und Beiträge sowie wegen oftmals auftretender Verfahrensverzögerungen bei Beschuldigten aus dem Ausland

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark festzustellen, dass §7i Abs7 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) verfassungswidrig war.

II. Rechtslage

1. §7i AVRAG, BGBl 459/1993 idF BGBl I 113/2015, lautete wie folgt (der angefochtene Abs7 wurde zuletzt mit BGBl I 94/2014 geändert und ist unterstrichen):

"Strafbestimmungen

§7i. (1) Wer die erforderlichen Unterlagen entgegen §7d Abs1 oder §7f Abs1 Z3 nicht übermittelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit Geldstrafe von 500 Euro bis 5 000 Euro, im Wiederholungsfall von 1 000 Euro bis 10 000 Euro zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer entgegen §7g Abs2 oder §7h Abs2 die Unterlagen nicht übermittelt.

(2) Wer entgegen §7f Abs1 den Zutritt zu den Betriebsstätten, Betriebsräumen und auswärtigen Arbeitsstätten oder Arbeitsstellen sowie den Aufenthaltsräumen der Arbeitnehmer/innen und das damit verbundene Befahren von Wegen oder die Erteilung von Auskünften verweigert oder die Kontrolle sonst erschwert oder behindert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

(2a) Wer die Einsichtnahme in die Unterlagen nach den §§7b Abs5 und 7d verweigert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist für jede/n Arbeitnehmer/in von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

(3) Ebenso ist nach Abs2a zu bestrafen, wer als Arbeitgeber/in entgegen §7g Abs2 die Einsichtnahme in die Unterlagen verweigert.

(4) Wer als

1. Arbeitgeber/in im Sinne der §§7, 7a Abs1 oder 7b Abs1 und 9 entgegen §7d die Lohnunterlagen nicht bereithält, oder

2. Überlasser/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich entgegen §7d Abs2 die Lohnunterlagen dem/der Beschäftiger/in nicht nachweislich bereitstellt, oder

3. Beschäftiger/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung entgegen §7d Abs2 die Lohnunterlagen nicht bereithält

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall von 4 000 Euro bis 50 000 Euro zu bestrafen.

(5) Wer als Arbeitgeber/in einen/e Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in §49 Abs3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor. Auf Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag beruhende Überzahlungen bei den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührenden Entgeltbestandteilen sind auf allfällige Unterentlohnungen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen. Hinsichtlich von Sonderzahlungen für die in §7g Abs1 Z1 und 2 genannten Arbeitnehmer/innen liegt eine Verwaltungsübertretung nach dem ersten Satz nur dann vor, wenn der/die Arbeitgeber/in die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis spätestens 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres leistet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen, beträgt die Geldstrafe für jede/n Arbeitnehmer/in 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro.

(5a) Die Strafbarkeit nach Abs5 ist nicht gegeben, wenn der/die Arbeitgeber/in vor einer Erhebung der zuständigen Einrichtung nach den §§7f bis 7h die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt nachweislich leistet.

(6) Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde fest, dass

1. der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde festzusetzenden Frist nachweislich leistet, und

2. die Unterschreitung des nach Abs5 Z1 maßgeblichen Entgelts unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien gering ist oder

3. das Verschulden des/der Arbeitgebers/in oder des/der zur Vertretung nach außen Berufenen (§9 Abs1 VStG) oder des/der verantwortlichen Beauftragten (§9 Abs2 oder 3 VStG) leichte Fahrlässigkeit nicht übersteigt,

hat sie von der Verhängung einer Strafe abzusehen. Ebenso ist von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührende Entgelt vor der Aufforderung durch die Bezirksverwaltungsbehörde nachweislich leistet und die übrigen Voraussetzungen nach dem ersten Satz vorliegen. In Verwaltungsstrafverfahren nach Abs5 ist §45 Abs1 Z4 und letzter Satz VStG nicht anzuwenden. Weist der/die Arbeitgeber/in der Bezirksverwaltungsbehörde nach, dass er/sie die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt geleistet hat, ist dies bei der Strafbemessung strafmildernd zu berücksichtigen.

(7) Die Frist für die Verfolgungsverjährung (§31 Abs1 VStG) beträgt drei Jahre ab der Fälligkeit des Entgelts. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, beginnt die Frist für die Verfolgungsverjährung im Sinne des ersten Satzes ab der Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum der Unterentlohnung. Die Frist für die Strafbarkeitsverjährung (§31 Abs2 VStG) beträgt in diesen Fällen fünf Jahre. Hinsichtlich von Sonderzahlungen beginnen die Fristen nach den beiden ersten Sätzen ab dem Ende des jeweiligen Kalenderjahres (Abs5 dritter Satz) zu laufen.

(7a) Für den Fall, dass der/die Arbeitgeber/in das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt für den betroffenen Zeitraum der Unterentlohnung nach Abs5 nachträglich leistet, beträgt die Dauer der Fristen nach §31 Abs1 und 2 VStG ein Jahr (Verfolgungsverjährung) oder drei Jahre (Strafbarkeitsverjährung), soweit nicht aufgrund des Abs7 die Verjährung zu einem früheren Zeitpunkt eintritt; der Fristenlauf beginnt mit der Nachzahlung.

(8) Parteistellung in Verwaltungsstrafverfahren

1. nach Abs1 erster Satz, Abs2 und 4 und nach §7b Abs8 hat die Abgabenbehörde, in den Fällen des Abs5 in Verbindung mit §7e das Kompetenzzentrum LSDB,

2. nach Abs5 in Verbindung mit §7g und in den Fällen des Abs1 zweiter Satz und Abs3 hat der zuständige Träger der Krankenversicherung,

3. nach Abs1, 2a, 4 und 5 und nach §7b Abs8 in Verbindung mit §7h hat die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse,

auch wenn die Anzeige nicht durch die in den Z1 bis 3 genannten Einrichtungen erfolgt. Diese können gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde Beschwerde beim Verwaltungsgericht und gegen das Erkenntnis oder den Beschluss eines Verwaltungsgerichts Revision beim Verwaltungsgerichtshof erheben.

(9) Bei grenzüberschreitender Entsendung oder Arbeitskräfteüberlassung gilt die Verwaltungsübertretung als in dem Sprengel der Bezirksverwaltungsbehörde begangen, in dem der Arbeits(Einsatz)ort der nach Österreich entsandten oder überlassenen Arbeitnehmer/innen liegt, bei wechselnden Arbeits(Einsatz)orten am Ort der Kontrolle.

(10) Für die Beurteilung, ob ein Arbeitsverhältnis im Sinne dieses Bundesgesetzes vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend."

2. §31 Abs1 und 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl 52/1991 idF BGBl I 33/2013, lautet wie folgt:

"Verjährung

§31. (1) Die Verfolgung einer Person ist unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§32 Abs2) vorgenommen worden ist. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.

(2) Die Strafbarkeit einer Verwaltungsübertretung erlischt durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt in dem in Abs1 genannten Zeitpunkt. In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet:

       1. die Zeit, während deren nach einer gesetzlichen Vorschrift die Verfolgung nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden kann;

       2. die Zeit, während deren wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, beim Gericht oder bei einer anderen Verwaltungsbehörde geführt wird;

       3. die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist;

       4. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2. Der Beschwerdeführer im Anlassverfahren ist Geschäftsführer eines Unternehmens mit Sitz in der Slowakei. Anlässlich einer finanzpolizeilichen Kontrolle am 19. Juli 2016 wurden vier von diesem Unternehmen nach Österreich entsandte Arbeitnehmer beim Fliesenlegen angetroffen. Am 10. Mai 2017 erstattete die Wiener Gebietskrankenkasse Anzeige wegen des Verdachts der Unterentlohnung nach §7i Abs5 AVRAG. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld wurde über den Beschwerdeführer im Anlassverfahren eine Geldstrafe iHv € 6.600,– verhängt, weil er vier Arbeitnehmer beschäftigt hat, ohne ihnen das gebührende Entgelt geleistet zu haben. Das Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am 20. Februar 2020 zugestellt. Dagegen richtet sich die nunmehr vom Landesverwaltungsgericht Steiermark zu behandelnde Beschwerde.

3. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"Präjudizialität:

Bei dem im Sachverhalt beschriebenen Anlassfall handelt es sich beim Beschwerdeführer um den Verantwortlichen einer slowakischen Gesellschaft, dem aus Anlass eines anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens wegen des Verdachts von vier Übertretungen des AVRAG Geldstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen in der Höhe von € 6.600 (Strafe, Kosten, Barauslagen) bzw im Falle der Uneinbringlichkeit für die ersten zwei Übertretungen jeweils 1 Tag/9 Dni bzw für die dritte und vierte Übertretung 16 Dni (sic!) Ersatzfreiheitsstrafe aufgetragen wurden. Die Bestimmung des §7i Abs7 AVRAG ist in diesem Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark anzuwenden.

Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit:

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt gegen die gesetzliche Regelung des §7i Abs7 AVRAG idF BGBl I Nr 152/2015 verfassungsrechtliche Bedenken.

Konkret bestehen Bedenken, dass gegen Art11 Abs2 B-VG verstoßen wird, wonach abweichende Regelungen in den einzelnen Materiengesetzen nur dann getroffen werden dürfen, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind. Im konkreten Fall stellt §7i Abs7 eine abweichende Regelung zu der verfahrensrechtlichen Regelung des §31 Abs2 VStG dar. Die im gegenständlichen Verfahren relevante Kontrolle fand bereits am 19.06.2016 statt und wurde das Ermittlungsverfahren bereits im Jahr 2017 durchgeführt und auch abgeschlossen. Weshalb das gegenständliche Straferkenntnis erst drei Jahre später gefällt wurde, ist daher nicht nachvollziehbar. Der Umstand, dass in der gegenständlichen Materie ein Ermittlungsverfahren genauso schnell geführt wird, wie in allen anderen Materien des Verwaltungsstrafrechts zeigt, dass die Verlängerung der Verjährungsfristen zur Regelung des Gegenstandes gerade überhaupt nicht erforderlich ist. Zudem stellt die gegenständliche Rechtsmaterie für die zuständigen Behörden im Vergleich zu zahlreichen anderen Materien keine erhöhte Komplexität dar. Auch aus diesem Grund ist die Notwendigkeit für die Fristverlängerung nicht erkennbar.

Der dritte Satz der Bestimmung des §7i Abs7 AVRAG idF BGBl I Nr 152/2015 'die Frist für die Strafbarkeitsverjährung (§31 Abs2 VStG) beträgt in diesen Fällen fünf Jahre', widerspricht daher der Bestimmung des Art11 Abs2 B-VG und ist somit verfassungswidrig. […]

Zum Umfang der Anfechtung:

Sollte der Verfassungsgerichtshof die Bedenken des antragstellenden Verwaltungsgerichtes teilen, dass §7i Abs7 AVRAG in der Fassung BGBl I Nr 152/2015 gegen Art11 Abs2 B-VG verstößt, wäre die gesamte Bestimmung des §7i Abs7 AVRAG nicht mehr vollziehbar, weshalb sie auch anzufechten war."

4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt (Zitat ohne die im Original enthal-tenen Hervorhebungen):

"3. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

3.1. Seit den 1990er-Jahren haben alle in Österreich tätigen Arbeitnehmer Anspruch auf Entgelt nach dem österreichischen Mindestlohnniveau. Dies gilt somit auch für Arbeitnehmer, die nach Österreich entsendet oder überlassen werden. Verstöße gegen die Verpflichtung zur Einhaltung des österreichischen Mindestlohnniveaus ('Unterentlohnungen') sind mit Verwaltungsstrafe bedroht. Gleiches gilt für Verstöße gegen die entsprechenden Bestimmungen zur Kontrolle der Einhaltung dieser Verpflichtung (zB Erstattung von Meldungen und Bereithaltung von Lohnunterlagen).

Nur mit entsprechender Sanktionierung kann sichergestellt werden, dass das in Österreich geltende Mindestlohnniveau eingehalten wird. Die alleinige Möglichkeit eines jeden Arbeitnehmers, die ihm aus seinem Arbeitsverhältnis gebührenden Ansprüche auf zivilrechtlichem Weg durchzusetzen, würde zur Hintanhaltung der systematischen Unterwanderung des Mindestlohnniveaus nicht ausreichen. Da Unterentlohnungen mit erheblichen negativen Auswirkungen auf den gesamten österreichischen Arbeitsmarkt und Wettbewerb verbunden sind, sind diese von öffentlich-rechtlichen Maßnahmen begleitet. Vor allem die mit der Erweiterung der Europäischen Union verbundene Öffnung des Arbeitsmarktes im Jahr 2011 zugunsten von Angehörigen von Staaten mit deutlich niedrigeren Entgelten für Arbeitnehmer machten die Vorschriften für die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping einschließlich der Verwaltungsstrafen unabdingbar.

Durch das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz ? LSDB-G, BGBl I Nr 24/2011, (einer Novelle zum AVRAG) wurden Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping ergriffen und wurde eine Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden zur Überprüfung der Einhaltung des österreichischen Lohnniveaus begründet. Diese behördliche Lohnkontrolle erfasst alle in Österreich tätigen Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob diese nach Österreich entsandt oder überlassen wurden, ihren gewöhnlichen Arbeitsort in Österreich haben oder in Österreich oder im Ausland sozialversichert sind.

3.2. §7i AVRAG stellte den Verstoß gegen die im AVRAG normierte Verpflichtung auf Einhaltung des österreichischen Mindestlohnniveaus von in Österreich tätigen Arbeitnehmern (vgl §7i Abs5 AVRAG) sowie die Nichteinhaltung der mit der Kontrolle dieser Verpflichtung in Verbindung stehenden Übermittlungs-, Melde- und Bereithaltepflichten unter Strafe. Daneben enthielt §7i AVRAG spezielle verfahrensrechtliche Bestimmungen betreffend das Verwaltungsstrafverfahren zur Ahndung dieser Verstöße.

Die besondere Strafbarkeitsverjährungsfrist von einem Jahr war bereits im genannten LSDB-G vorgesehen (vgl §7i Abs5 AVRAG idF des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2011).

Mit dem Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetz 2014 (ASRÄG 2014), BGBl I Nr 94/2014, wurden die Bestimmungen im AVRAG betreffend die Bekämpfung BGBl I Nr 94/2014, wurden die Bestimmungen im AVRAG betreffend die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping umfangreich novelliert. Unter anderem wurde auch §7i AVRAG inhaltlich und hinsichtlich seiner Gliederung neu gestaltet. Dabei erhielten auch die Verjährungsregelungen des §7i Abs7 und Abs7a AVRAG ihren seitdem unverändert gebliebenen Inhalt.

Gemäß §7i Abs7 erster und dritter Satz AVRAG betrug bei Unterentlohnungen die Verfolgungsverjährungsfrist abweichend von §31 Abs1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG, BGBl Nr 52/1991, drei Jahre, die Strafbarkeitsverjährungsfrist abweichend von §31 Abs2 VStG fünf Jahre, grundsätzlich laufend ab Fälligkeit des Entgelts (gemäß §7i Abs7 zweiter Satz AVRAG bei einer mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassenden Unterentlohnung ab Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum der Unterentlohnung). Hinsichtlich des Beginns des Fristenlaufes bei vorenthaltenen Sonderzahlungen gab es eine besondere Bestimmung, mit welcher – aufgrund der in den Kollektivverträgen sehr unterschiedlichen Fälligkeitszeitpunkte – auf einen jahresbezogenen Prüfzeitraum Rücksicht genommen wurde (§7i Abs7 letzter Satz AVRAG).

§7i Abs7a AVRAG ordnete für den Fall, dass der Arbeitgeber das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt nachträglich leistet, die Anwendung der kürzeren Verjährungsfristen nach dem VStG an. Dabei blieb eine allfällige nach §7i Abs7 AVRAG früher eintretende Verjährung ebenso unberührt wie ein allfälliger Strafaufhebungsgrund nach §7i Abs5a AVRAG.

Die Erläuterungen zum ASRÄG 2014 (ErlRV 319 BlgNR 25.GP 12) führen zur Novellierung des §7i Abs7 AVRAG Folgendes aus:

'[…] An der rechtlichen Beurteilung des Verwaltungsstraftatbestandes der Unterentlohnung als Dauerdelikt ändert sich naturgemäß nichts. D.h. das Dauerdelikt der Unterentlohnung ist damit erst mit Beseitigung der Unterentlohnung (Nachzahlung des ausstehenden Entgelts) beendet. Aus Gründen der Rechtssicherheit wird allerdings gesetzlich klargestellt, dass eine einzige Verwaltungsübertretung vorliegt, wenn die Unterentlohnung durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfasst.

In Abs7 wird allerdings klargestellt, dass die Frist für die Verfolgungsverjährung im Sinne des §31 VStG – unabhängig von der Nachzahlung des Entgelts – mit dem Zeitpunkt der Fälligkeit des Entgelts zu laufen beginnt und drei Jahre beträgt. Umfasst die Unterentlohnung durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume, beginnt die dreijährige Verfolgungsverjährungsfirst ab der Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum der zusammenhängenden Unterentlohnungsperiode zu laufen. Die Frist für die Strafbarkeitsverjährung beträgt fünf Jahre ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit des (letzten) Entgelts. Hinsichtlich von Sonderzahlungen beginnen diese Fristen ab dem Ende des jeweiligen Kalenderjahres zu laufen. […]'

Mit Artikel 1 des Bundesgesetzes BGBl I Nr 44/2016 sind die bestehenden Regelungen zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping im AVRAG entfallen und wurden in einem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) zusammengefasst. Das LSD-BG ist gemäß seinem §72 Abs1 mit 1. Jänner 2017 in Kraft getreten und auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem 31. Dezember 2016 ereigneten. Die Bestimmungen zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping im AVRAG sind mit Ablauf des 31. Dezember 2016 außer Kraft getreten; sie sind jedoch gemäß §19 Abs1 Z38 AVRAG auf Sachverhalte weiter anzuwenden, die sich vor dem 1. Jänner 2017 ereignet haben.

II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

1. Beim antragstellenden Gericht ist eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld anhängig, mit welchem dem Beschwerdeführer als strafrechtlich Verantwortlichem eines näher genannten slowakischen Unternehmens vorgeworfen wurde, er habe vier näher genannte, nach Österreich entsendete Arbeitnehmer beschäftigt ohne diesen das dafür gebührende Entgelt geleistet zu haben. Der Beschwerdeführer wurde aus diesem Grund zur Zahlung mehrerer Geldstrafen von insgesamt € 6.600 (inkl. Kosten) verurteilt.

Die dem Strafverfahren zu Grunde liegende Kontrolle durch die Finanzpolizei habe am 19. Juni 2016 (richtiges Datum laut Strafanzeige der Wiener Gebietskrankenkasse vom 10. Mai 2017: 19. Juli 2016) in Wagerberg in einem näher genannten Hotel stattgefunden. Die vier Arbeitnehmer seien beim Verlegen von Fliesen angetroffen worden. Obwohl das Ermittlungsverfahren bereits im Jahr 2017 abgeschlossen worden sei, sei das Straferkenntnis dem Beschwerdeführer erst über drei Jahre später zugestellt worden.

2. Zur Zulässigkeit:

Für die Bundesregierung sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die Zulässigkeit des Antrages und die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung sprechen würden.

III. In der Sache:

1. Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

2. Das antragstellende Gericht hegt Bedenken im Hinblick auf Art11 Abs2 B-VG, da §7i Abs7 (dritter Satz) AVRAG eine von §31 Abs2 VStG abweichende Strafbarkeitsverjährung vorgesehen hat. Im gegenständlichen Fall habe die Kontrolle durch die Finanzpolizei am 19. Juni 2016 (richtig: 19. Juli 2016) stattgefunden, das entsprechende Ermittlungsverfahren sei bereits im Jahr 2017 durchgeführt und abgeschlossen worden. Dennoch sei das angefochtene Straferkenntnis dem Beschwerdeführer erst über drei Jahre später – nämlich am 20. Februar 2020 – zugestellt worden.

Dieser Umstand zeige, dass im Bereich der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping ein Ermittlungsverfahren genauso rasch durchgeführt werden könne, wie in allen anderen verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten und eine längere Verjährungsfrist zur Regelung des Gegenstandes im Sinne des Art11 Abs2 B-VG sohin nicht erforderlich sei. Darüber hinaus sei auch keine erhöhte Komplexität der Verfahren im Bereich der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping gegeben.

3. Die Bundesregierung führt dazu aus wie folgt:

3.1. Hat der Bund einheitliche Vorschriften betreffend das Verwaltungsverfahren erlassen, so können abweichende Regelungen in Bundes- oder Landesgesetzen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind (Art11 Abs2 B-VG). Solche Regelungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann 'zur Regelung des Gegenstandes erforderlich', wenn sie unerlässlich sind. Die 'Unerlässlichkeit' einer von den Verwaltungsverfahrensgesetzen abweichenden Regelung kann sich dabei aus besonderen (tatsächlichen) Umständen oder aus dem Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften ergeben (vgl ua VfSlg 19.787/2013, 19.969/2015).

Der verfahrensgegenständliche §7i Abs7 dritte Satz AVRAG in der Fassung BGBl I Nr 94/2014 normierte abweichend von §31 Abs2 VStG für Fälle der Unterentlohnung eine Strafbarkeitsverjährungsfrist von fünf Jahren (anstelle von drei Jahren). §7i Abs7 erster Satz AVRAG legte korrespondierend dazu eine von §31 Abs1 VStG abweichende Verfolgungsverjährungsfrist von drei Jahren (anstelle von einem Jahr) fest.

3.2. Diese längeren Verjährungsfristen waren dem Wesen der nachprüfenden gemeinsamen Kontrolle von allen lohnabhängigen Abgaben und Beiträgen, im Rahmen deren etwaige Verstöße gegen das Verbot der Unterentlohnung festgestellt und zur Anzeige gebracht wurden, geschuldet:

Bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Prüfung lohnabhängiger Abgaben und Beiträge (PLABG), BGBl I Nr 98/2018, mit 1. Jänner 2020 erfolgte die gemeinsame Prüfung lohnabhängiger Abgaben (GPLA) einem Prüfplan folgend im Regelfall entweder durch ein Prüforgan der Finanzverwaltung oder eines Krankenversicherungsträgers. Vom Prüfungsumfang der GPLA umfasst waren die richtige Berechnung und Abfuhr der Lohnsteuer, der Sozialversicherungsbeiträge und der Kommunalsteuer auf Basis der jeweiligen Lohnverrechnung eines konkreten Unternehmens, wobei es sich um eine nachprüfende Kontrolle bereits in der Vergangenheit liegender Lohnverrechnungszeiträume, welche unter Umständen auch mehrere Kalenderjahre umfasst haben, gehandelt hat. Eine jährliche Überprüfung ('Istprüfung') der Lohnunterlagen eines jeden zu prüfenden Unternehmens wäre aus verwaltungsökonomischer Sicht unmöglich gewesen (die Anzahl der zu prüfenden Betriebe liegt insgesamt bei 280.000); vielmehr fand die Überprüfung ein und desselben Betriebs – von Bedarfsprüfungen abgesehen ? dem Prüfplan folgend in größeren zeitlichen Abständen statt.

Aus dem Wesen und dem zeitlichen Ablauf der GPLA ergibt sich sohin, dass eine allfällige Unterentlohnung eines in einem Unternehmen beschäftigen Arbeitnehmers mitunter erst Jahre nach Fälligkeit des eigentlich gebührenden Entgelts festgestellt und zur Anzeige gebracht werden konnte, woraus sich die Erforderlichkeit der abweichenden längeren Verjährungsfristen gemäß §7i Abs7 AVRAG ergab (vgl zur Zulässigkeit längerer Verjährungsfristen VfSlg 16.414/2002 – allerdings zum Disziplinarrecht). Mangels der in §7i Abs7 erster Satz AVRAG vorgesehenen dreijährigen Verfolgungsverjährungsfrist hätte zB. eine im Rahmen einer Prüfung im Juni 2018 festgestellte Unterentlohnung im Jänner 2016 auf Grund des zwischenzeitigen Eintritts der Verfolgungsverjährung gemäß §31 Abs1 VStG nicht mehr verwaltungsstrafrechtlich geahndet werden können.

Die Bundesregierung weist darauf hin, dass §7i Abs7 AVRAG hinsichtlich der Verjährungsfristen die dem VStG zu Grunde liegende Wertung übernommen hat, wonach die Strafbarkeitsverjährung zwei Jahre nach der Verfolgungsverjährung eintritt.

Im Hinblick auf den originären Prüfungsgegenstand der GPLA, welcher in der Überprüfung der korrekten Berechnung und Entrichtung der Lohnsteuer, der Sozialversicherungsbeiträge sowie der Kommunalsteuer gelegen war ? während die Feststellung einer etwaigen Unterentlohnung im Rahmen einer GPLA sich eher als eine Art 'Nebenprodukt' dieser erwies – verweist die Bundesregierung auch auf die entsprechenden Fristen gemäß §68 ASVG betreffend die Beitragsverjährung und den §§207 ff BAO betreffend die Abgabenverjährung.

Zur aktuellen (auf den Ausgangsfall nicht anzuwendenden) Rechtslage betreffend die Prüfung lohnabhängiger Abgaben, weist die Bundesregierung der Vollständigkeit halber darauf hin, dass mit dem Inkrafttreten des PLABG eine einheitliche Prüforganisation ('Prüfdienst für lohnabhängige Abgaben und Beiträge') im Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Finanzen zur Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben eingeführt wurde. Diese Neuregelung der Prüfung durch einen einheitlichen Prüfdienst wurde allerdings mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Dezember 2019, G78-81/2019 ua, mit Wirkung 30. Juni 2020 als verfassungswidrig aufgehoben. Mit dem Bundesgesetz, BGBl I Nr 54/2020, wurde das PLABG dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes allerdings Rechnung tragend geändert, sodass nunmehr neben dem im Bereich der Finanzverwaltung eingerichteten 'Prüfdienst für Lohnabgaben und Beiträge' die Österreichischen Gesundheitskasse mit der Kompetenz zur Prüfung von lohnabhängigen Abgaben und Beiträgen ausgestattet ist.

3.3. Soweit das antragstellende Gericht ausführt, der Umstand, dass im gegenständlichen Fall das Ermittlungsverfahren rasch abgeschlossen werden konnte, zeige, dass eine Verlängerung der Verjährungsfristen zur Regelung des Gegenstandes gerade nicht erforderlich im Sinne des Art11 Abs2 B-VG sei, ist auszuführen, dass im Ausgangsverfahren tatsächlich mit den in §31 VStG vorgesehenen Verjährungsfristen das Auslangen gefunden hätte werden können. Aus einer derartigen Konstellation im Einzelfall lässt sich aber nach Ansicht der Bundesregierung nicht der Schluss ziehen, dass keine Notwendigkeit bestanden hat, die Verjährungsbestimmungen den bereits dargestellten besonderen Ermittlungsumständen im Rahmen der GPLA anzupassen.

3.4. Darüber hinaus vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Verwaltungsdelikt 'Unterentlohnung' keineswegs mit anderen Verwaltungsübertretungen im Hinblick auf die Art und Weise der Feststellung der Übertretung verglichen werden kann, da die Feststellung der Unterentlohnung im Regelfall eine Kontrolle der Lohnunterlagen bzw Lohnverrechnung eines Unternehmens erforderlich macht und sich dadurch eindeutig von Verstößen etwa gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften unterscheidet.

Im Zusammenhang mit der erhöhten Komplexität der Ermittlungsverfahren betreffend die Unterentlohnung weist die Bundesregierung darüber hinaus darauf hin, dass im Falle nach Österreich entsandter oder überlassener Arbeitnehmer das Verwaltungsstrafverfahren im Regelfall grenzüberschreitend zu führen ist, was besondere Herausforderungen im Zusammenhang mit der Namhaftmachung der Geschäftsführung bzw der strafrechtlich Verantwortlichen, der Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung und allfälliger sonstiger verfahrensleitender Anordnungen wie Ladungen jeweils mittels zeitaufwändigen grenzüberschreitenden Amtshilfeverkehrs mit sich bringt.

Neben diesen verfahrensrechtlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit einem etwaigen grenzüberschreitenden Bezug stellte auch die Ermittlungsarbeit im Hinblick auf die Frage, ob der Tatbestand der Unterentlohnung überhaupt erfüllt ist, die Verwaltungsstrafbehörden vor besondere arbeitsrechtliche Fragestellungen. Beispielhaft sei die Ermittlung des maßgeblichen Kollektivertrages unter Berücksichtigung der branchenspezifischen Gegebenheiten des jeweiligen Arbeitgebers, die Einstufung jedes einzelnen Arbeitnehmers, die Ermittlung zu zahlender Entgeltbestandteile wie Zulagen oder Zuschläge, die Einordnung von als Aufwandsentschädigungen bezeichneten Forderungen wie Taggeld oder Wegzeitentschädigungen als Entgelt oder nicht relevante tatsächliche Aufwandsentschädigungen, der Vergleich unterschiedlicher Kollektivverträge im Bereich der Arbeitskräfteüberlassung entsprechend §10 und §10a des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes – AÜG, BGBl Nr 196/1988, bzw §6 Abs2 LSD-BG (Überlasser-Kollektivvertrag mit Beschäftiger-Kollektivvertrag) sowie diverse Fragen zur Leistung von Zahlungen und deren Anrechenbarkeit auf das Entgelt genannt.

Die Bundesregierung geht daher davon aus, dass die in §7i Abs7 AVRAG vorgesehenen längeren Verjährungsfristen zur Regelung des Gegenstandes unerlässlich waren.

4. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtene Bestimmung nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig war."

5. Der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht hat als beteiligte Partei Äußerungen erstattet, in denen er sich den Bedenken des antragstellenden Gerichtes anschließt.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark – das die angefochtene Bestimmung bei der Entscheidung über die anhängige Beschwerde anzuwenden hätte – beantragt die Aufhebung des §7i Abs7 AVRAG, BGBl I 152/2015. §7i AVRAG wurde mit der Novelle BGBl I 24/2011 in das AVRAG eingefügt und mit den Novellen BGBl I 71/2013, BGBl I 94/2014 und BGBl I 113/2015 verändert, blieb jedoch von der Novelle BGBl I 152/2015 unberührt. §7i Abs7 AVRAG erhielt mit der Novelle BGBl I 94/2014 jenen Wortlaut, den das Landesverwaltungsgericht Steiermark in der Begründung seines Antrages wiedergibt. Es geht daher mit hinreichender Deutlichkeit hervor, auf welche Fassung (nämlich BGBl I 94/2014) des §7i Abs7 AVRAG Bezug genommen wird, womit dem für Anträge gemäß Art140 B-VG geltenden strengen Formerfordernis des §62 Abs1 erster Satz VfGG Genüge getan ist (vgl VfSlg 20.300/2018).

1.2. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

Der Antrag ist nicht begründet.

2.2. §31 Abs1 VStG sieht eine Frist von einem Jahr für die Verfolgungsverjährung, §31 Abs2 VStG eine Frist von drei Jahren für die Strafbarkeitsverjährung vor. Davon abweichend normierte §7i Abs7 AVRAG eine Verfolgungsverjährungsfrist von drei Jahren und eine Strafbarkeitsverjährungsfrist von fünf Jahren. Diese Regelung wurde im Wesentlichen in §29 Abs4 Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, BGBl I 44/2016, übernommen, der die Unterentlohnung seit 1. Jänner 2017 regelt.

2.3. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark bringt vor, dass §7i Abs7 AVRAG von §31 Abs2 VStG abweiche und somit gegen Art11 Abs2 B-VG verstoße. Im Anlassverfahren habe die Kontrolle im Jahr 2016 stattgefunden, das Ermittlungsverfahren sei bereits im Jahr 2017 abgeschlossen gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Straferkenntnis erst drei Jahre später erlassen worden sei. Der Umstand, dass das Ermittlungsverfahren im Anlassverfahren genauso schnell geführt worden sei wie in allen anderen verwaltungsstrafrechtlichen Materien, zeige, dass die Verlängerung der Verjährungsfristen zur Regelung des Gegenstandes nicht erforderlich sei. Zudem sei die Materie auch nicht sehr komplex; es gebe daher keinen Grund, die Verjährungsfristen zu verlängern. Der Sache nach legt das Landesverwaltungsgericht Steiermark daher lediglich Bedenken gegen die Strafbarkeitsverjährungsfrist dar.

2.4. Dem entgegnet die Bundesregierung, dass die Prüfung von lohnabhängigen Abgaben und Beiträgen ("GPLA") in größeren zeitlichen Abständen stattfinde. Eine allfällige Unterentlohnung könne deshalb mitunter erst Jahre nach Fälligkeit des eigentlich gebührenden Entgelts festgestellt und zur Anzeige gebracht werden. Darüber hinaus sei das Verwaltungsdelikt Unterentlohnung keineswegs mit anderen Verwaltungsübertretungen vergleichbar, zumal die Feststellung der Unterentlohnung im Regelfall eine Kontrolle der Lohnunterlagen bzw der Lohnverrechnung eines Unternehmens erfordere. Außerdem sei das Verwaltungsstrafverfahren im Regelfall grenzüberschreitend zu führen; dies gehe mit besonderen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Namhaftmachung der Geschäftsführung bzw der strafrechtlich Verantwortlichen sowie der Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung und allfälliger sonstiger verfahrensleitender Anordnungen einher. Auch die Ermittlungsarbeit sei für die Verwaltungsstrafbehörden besonders herausfordernd, zumal komplexe arbeitsrechtliche Fragen zu beurteilen seien.

2.5. Nach Art11 Abs2 B-VG kann der Bundesgesetzgeber das Verwaltungsverfahren, die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechts, das Verwaltungsstrafverfahren und die Verwaltungsvollstreckung regeln, soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird. Abweichende Regelungen können in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes unerlässlich sind. Die "Unerlässlichkeit" einer abweichenden Regelung in einem Materiengesetz kann sich dabei aus "besonderen Umständen" oder aus dem Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften ergeben (vgl VfSlg 19.969/2015 mwN).

2.5.1. Der Gesetzgeber hat – auch im Hinblick auf die Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus dem EWR im Mai 2011 – Maßnahmen zur Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping ergriffen, um gleiche Lohnbedingungen für in Österreich tätige Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen zu ermöglichen (vgl RV 1076 BlgNR 24. GP, 1). In den Erläuterungen zur Novelle BGBl I 94/2014 wird ausgeführt, dass sich in der Praxis gezeigt habe, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen oftmals eine Anzeige wegen des mit einer wesentlich geringeren Strafe bedrohten Tatbestands des Nicht-Bereithaltens von Lohnunterlagen in Kauf genommen hätten, um Unterentlohnungen zu "verschleiern". Ohne diese Lohnunterlagen sei eine erfolgversprechende Anzeige wegen Lohndumping regelmäßig nicht möglich (RV 319 BlgNR 25. GP, 10 f).

2.5.2. Die längere Strafbarkeitsverjährungsfrist des §7i Abs7 AVRAG ist im Zusammenhang mit der Prüfung von lohnabhängigen Abgaben und Beiträgen ("GPLA") zu sehen, zumal Fälle von Unterentlohnung häufig erst im Rahmen einer solchen Prüfung aufgedeckt werden. Aus verwaltungsökonomischen Gründen können Prüfungen von lohnabhängigen Abgaben und Beiträgen nur in mehrjährigen Abständen erfolgen. Im Hinblick darauf wird auch auf die Fristen gemäß §§68 ASVG und 207 ff BAO betreffend die Beitrags- und Abgabenverjährung hingewiesen. Dem Gesetzgeber ist daher nicht entgegenzutreten, wenn er die Strafbarkeit für Unterentlohnung auch in jenen Fällen sicherstellen möchte, in denen die Unterentlohnung erst auf Grund einer Prüfung von lohnabhängigen Abgaben und Beiträgen angezeigt wird (vgl auch VfSlg 9214/1981).

2.5.3. Die Bundesregierung führt außerdem zu Recht ins Treffen, dass die längere Strafbarkeitsverjährungsfrist unerlässlich ist, weil die Mitwirkung der Beschuldigten erforderlich ist, um anhand der vorgelegten Lohnunterlagen, eine etwaige Unterentlohnung berechnen zu können: Dazu bedarf es insbesondere einer Überprüfung der Lohnverrechnung sowie einer Nachprüfung, ob unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen zu Ausbildung, Einstufung und Tätigkeitsbereich der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eine korrekte kollektivvertragliche Entlohnung erfolgt ist. In Verwaltungsstrafverfahren im Zusammenhang mit Lohn- und Sozialdumping haben Beschuldigte überdies häufig ihren Wohnsitz im Ausland, was die Verfahrensführung allgemein aufwendiger gestaltet. Diese Umstände führen oftmals zu Verzögerungen im Verfahren und stellen für die Behörden einen nicht unerheblichen Mehraufwand dar.

2.5.4. Die Besonderheiten im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping machen daher ein Abweichen iSd Art11 Abs2 B-VG erforderlich. Die in §7i Abs7 AVRAG, BGBl I 94/2014, vorgesehene abweichende Strafbarkeitsverjährungsfrist war daher nicht verfassungswidrig.

V. Ergebnis

1. Die ob der Verfassungsmäßigkeit des §7i Abs7 AVRAG, BGBl I 94/2014, erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Arbeitsrecht, Arbeitsvertrag, Geldstrafe, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Verjährung, Bedarfskompetenz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G227.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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