TE Vwgh Erkenntnis 1985/10/17 85/16/0073

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Veröffentlicht am 17.10.1985
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Index

Zollrecht
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
35/04 Zolltarifgesetz Präferenzzollgesetz

Norm

BAO §115 Abs1
ZTG 1958 ZTNr22.09D
ZTG 1958 ZTNr30.03

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Närr, Mag. Meinl, Dr. Kramer und Dr. Karger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kowalski, über die Beschwerde der P Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch DDr. Walter Barfuß, Rechtsanwalt in Wien I, Tuchlauben 13, gegen den Tarifbescheid des Bundesministers für Finanzen vom 10. April 1985, GZ. P 416/8/2-III/7/85, betreffend Tarifierung von „Buerlecithin flüssig, Spez.Reg.Nr. 9605“, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bundesminister für Finanzen stellte auf Antrag der Beschwerdeführerin mit Tarifbescheid vom 10. April 1985 gemäß § 7 Abs. 1 des Zolltarifgesetzes 1958, BGBl. Nr. 74, in der Fassung der 11. Zolltarifgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 485/1981, fest, daß die als „Buerlecithin flüssig, Spez.Reg.Nr. 9605“ bezeichnete Ware der nachstehend beschriebenen Art und Beschaffenheit als „anderes alkoholisches Getränk“ in die Nummer 22.09 D des Zolltarifes einzureihen sei. Zur Begründung dieses Tarifbescheides wurde, soweit für die Beschwerde von Relevanz, ausgeführt, Etikett der Flasche und Überkarton trügen neben der Handelsbezeichnung und den Angaben über die Erzeugerfirma und den österreichischen Depositeur unter anderem auch die Bezeichnung „Aktiv-Tonikum flüssig, rein und wohlschmeckend“. Weiters wiesen das Etikett und der Überkarton Vermerke über die apothekenpflichtige Abgabe, die Spez.Reg.Nr. 9605 und Angaben über die Bestandteile auf. Die Untersuchung der Flüssigkeit (durch die Technische Untersuchungsanstalt der Bundesfinanzverwaltung) habe ergeben:

Qualitativ sei nachgewiesen worden:

Pflanzenlecithin nach ÖAB

Saccharose (Sucrose) nach Hager, EP II

Coffein nach ÖAB,

Citrat nach Hager, EP I

Das Sorbat sei dünnschichtchromatographisch, das Kalium aus der Asche mikrochemisch nachgewiesen worden.

Die quantitative Untersuchung habe ergeben:

Alkoholgehalt .....16,1 Volumsprozent

Extraktgehalt ..... 12,5 Gewichtsprozent

Trockenrückstand (105 C, auf Sand) ..... 18,6 Prozent

Asche (550°C) ... 1,2 Prozent

Gesamtzucker, gerechnet als Invertzucker ..... 8,6 Prozent

Saccharose (Sucrose) ...... 8,2 Prozent

Die Untersuchungsergebnisse bestätigten die Richtigkeit der von der Beschwerdeführerin angegebenen Zusammensetzung. Buerlecithin flüssig sei eine von der Beschwerdeführerin als „Suspension/Emulsion“ bezeichnete Zubereitung, welche aus Pflanzenlecithin, Kaffee-Extrakt, Zucker, Äthanol und Wasser bestehe. Die Tarifnummer 30.03 erfasse Arzneiwaren für die Human- und Veterinärmedizin und werde durch die Anmerkung 1 zum Kapitel 30 näher definiert.

Buerlecithin stelle unbestritten ein gemischtes Erzeugnis dar und könne auf Grund dieser Gesetzeslage nur dann in die Tarifnummer 30.03 eingeräumt werden, wenn es sich um ein Erzeugnis handle, das für therapeutische oder prophylaktische Zwecke geeignet sei. Arzneiwaren für therapeutische oder prophylaktische Zwecke könnten daher nur solche Waren sein, die objektiv für die genannten Zwecke geeignet seien. Die Ankündigung bzw. die daraus hervorgehende „Zweckbestimmung“ von „Buerlecithin flüssig“ medizinische Zwecke reiche daher für eine Einreihung in die Tarifnummer 30.03 nicht aus. Die zolltarifarische Frage könne, so führte die belangte Behörde im Zusammenhang weiter aus, nicht auf Grund des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983, entschieden werden, weil dieses von anderen Kriterien ausgehe. Aus der Literatur gehe hervor, daß Lecithin als solches auch zur Herstellung von Nahrungsmitteln sowie zu anderen Zwecken verwendet werde, wodurch sich ergebe, daß. die Eignung eines Lecithin enthaltenden Produktes für arzneiliche Zwecke einer kritischen Prüfung zu unterziehen sei, weil es nicht der Normalfall sei, daß Stoffe ebenso in Nahrungsmittelindustrie wie auch in der Arzneimittelindustrie verwendet werden. In Auseinandersetzung mit dem zolltarifarischen Begriff „tonische Getränke“ mit der Fachliteratur und den Originaltexten der Konvention über das Zolltarifschema (BGBl. Nr. 103/1960) ergebe sich, daß unter tonischen Getränken tonisierende Mittel zu verstehen seien, die Muskelspannungen entgegenwirken und das allgemeine Wohlbefinden erhöhen. Die Erläuterungen zum Zolltarif entsprächen insofern der Gesetzeslage. Die Beschwerdeführerin habe, so führte die belangte Behörde im Zusammenhang weiter aus, zur Beweisführung eine 235 Seiten umfassende Zitatensammlung in Buchform vorgelegt, die etwa zur Hälfte in englischer Sprache gehalten sei. Den Hinweis der belangten Behörde, ein systematisches Durcharbeiten dieses Werkes, das offenkundig viele für das vorliegende Verfahren unerhebliche Erörterungen enthalte, sei im Sinne der Verfahrensökonomie abzulehnen, habe die Beschwerdeführerin als schikanös und den Grundsätzen des Ermittlungsverfahrene widersprechend bekämpft. In ihrer Gegenäußerung vom 6. Dezember 1984 habe sie jedoch eine Reihe von Literaturstellen besonders gekennzeichnet, die sie für wesentlich halte. Hiezu sei festzustellen, daß es die Verfahrensökonomie und der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Antragsteller verbiete, im Zuge eines Tarifbescheidverfahrens Kritik wissenschaftlicher Literatur im verlangten Umfang zu betreiben. Weiters sei in der Republik Österreich gemäß Art. 8 B-VG die deutsche Sprache Staatssprache. Sie sei demnach die offizielle Sprache, mittels der die Staatsorgane mit den Parteien zu verkehren hätten. Die belangte Behörde verkenne im Zusammenhang nicht, daß die moderne Fachliteratur des englischen Sprachraumes bisweilen ergiebiger sei als die des deutschen, und habe sich deshalb erforderlichenfalls auch mit englischen Zitaten auseinandergesetzt. Die Bearbeitung umfangreicher wissenschaftlicher Texte in einer Fremdsprache scheide aber nach dem schon genannten Prinzip der Verwaltungsökonomie aus. Im Sinne des von der Beschwerdeführerin eingeschränkten Angebotes an Beweismitteln seien daher sieben von der Beschwerdeführerin vorgelegte und näher bezeichnete Unterlagen geprüft worden. Das in der zitierten Fachliteratur behandelte chemische Individuum Lecithin sei nicht Gegenstand des gegenständlichen Tarifbescheidverfahrens. Hier gehe es um die Tarifierung von „Buerlecithin flüssig“ für dessen arzneiliche Wirksamkeit als solches kein Nachweis erbracht worden sei. Die Aussagen der Beschwerdeführerin, wonach das in der Literatur erwähnte „gereinigte Sojalecithin“ bzw. „Reinlecithin“ jenem Lecithin qualitativ gleichkomme, das zur Herstellung von „Buerlecithin, flüssig“ verwendet werde, seien unbewiesen geblieben. Von einem Vorliegen von „Aussagen von höherer Fachkompetenz“ in Richtung einer arzneilichen Wirksamkeit von „Buerlecithin, flüssig“ könne somit nicht gesprochen werden. Die belangte Behörde sei daher angesichts der Aktenlage veranlaßt gewesen, die Frage zu beantworten, ob eine durchschnittliche Tagesdosis von 4 Gramm Lecithin zusammen mit einer entsprechenden Menge von Zucker, Athylalkohol und Wasser zu einem therapeutischen bzw. prophylaktischen Effekt führe. Dies habe angesichts des vorliegenden und näher behandelten Beweismaterials verneint werden müssen. Nach belegter Fachmeinung werde Lecithin als ein allgemeines Tonikum verwendet, wobei es schwierig sei, von zusätzlich gegebenen, kleinen peroralen Mengen eine therapeutische Wirkung zu erwarten und wonach die Verwendung von Lecithin in Stärkungsmitteln in der üblichen niedrigen Dosierung wenig sinnvoll sei. Eine Tagesdosis von 4 Gramm Lecithin im Vergleich zu klinischen Anwendungsfällen, in denen überwiegend das Doppelte bis Zwölffache dieser Menge verabreicht worden sei, sei als gering zu bezeichnen. Schon mangels des Nachweises einer therapeutischen bzw. prophylaktischen Wirkung von „Buerlecithin, flüssig“ sei daher die Einreihung dieser Ware in die Tarifnummer 30.03 unzulässig. Diese Auffassung werde durch den Gesetzestext der Anmerkung 1 zu Kapitel 30 bestärkt. .Der zweite Satz dieser Anmerkung könne nicht anders gedeutet werden, als daß bestimmte, durch den Klammerausdruck beispielsweise angeführte Nahrungsmittel und Getränke selbst dann nicht in die Tarifnummer 30.03 fielen, wenn sie ansonsten als Arzneiwaren anzusehen wären. Bezogen auf den vorliegenden Fall könnte daher das als „Tonikum“ angekündigte und eine alkoholische Flüssigkeit (i.d. ein Getränk) darstellende „Buerlecithin, flüssig“ selbst dann nicht nach Tarifnummer 30.03 tarifiert werden, wenn es arzneiliche Wirkungen entfalten könnte. Die Qualifizierung als Tonikum werde überdies auch durch die Fachliteratur gestützt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht auf gesetzmäßige Tarifierung verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes trägt sie im Einklang mit ihrem Vorbringen vor der belangten Behörde gegen den angefochtenen Tarifbescheid vor, „Buerlecithin, flüssig“ sei ein pharmazeutisches Erzeugnis im Sinne der Überschrift zum Kapitel 30 des Zolltarifes und eine Arzneiware für die Humanmedizin gemäß der Zolltarifnummer 30.03. Schon die Tatsache, daß „Buerlecithin, flüssig“ eine mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 13. Mai 1982 zugelassene Arzneispezialität im Sinne des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983, sei, lege diesen Schluß zumindest nahe. Selbst wenn man von einem unterschiedlichen Inhalt des Arzneimittelrechts einerseits und des Zollrechts andererseits ausgehe, sei es sinnwidrig anzunehmen, das Zollrecht entspräche nicht im wesentlichen dem Arzneimittelrecht. Die „Arzneimittelbegriffe“ des Arzneimittelrechts und des Zollrechts deckten sich nämlich im wesentlichen. Nach der Anmerkung 1 lit. a zu Kapitel 30 des Zolltarifes sei maßgeblich die Zweckbestimmung und nicht - wie die belangte Behörde meine - die nachgewiesene Wirkung. Für die Ansicht, daß der Arzneiwarenbegriff des Zolltarifes auf den Zweck, auf die Verwendung oder die Indikation abstelle, spreche auch, daß sie auch dem Arzneimittelverständnis des Arzneimittelrechts entspreche. Der Vollständigkeit halber sei darauf hinzuweisen, daß in diesem Punkt schon der Sachverhalt des angefochtenen Bescheides mangelhaft sei, weil die Aussagen des Beipackzettels nicht erwähnt worden seien. Zusammenfassend ergebe sich somit, daß es auf die Wirkung von „Buerlecithin, flüssig“ nicht ankomme, vielmehr seien ausschließlich die Zweckbestimmung und die diesbezüglich gemachten Angaben maßgeblich. Sämtliche Ausführungen der belangten Behörde zur Wirkung von „Buerlecithin, flüssig“ seien daher für eine Tarifierung nach der Nummer 30.03 unmaßgeblich. Die von der belangten Behörde vorgenommene Einreihung in die Zolltarifnummer 22.09 D als „anderes alkoholisches Getränk“ sei ebenfalls unrichtig. „Buerlecithin, flüssig“ sei kein Getränk. Eine Umfrage unter Ärzten, Apothekern oder auch Laien würde jederzeit bestätigen, daß „Buerlecithin, flüssig“ keineswegs ein Getränk im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauches sei. Es scheine auch selbstverständlich, daß nicht jede Flüssigkeit, die zur oralen Einnahme gestimmte sei, ein Getränk sei. Die Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens (NRZZ) seien weiters unbeachtet geblieben. Dort heiße es unter der Randziffer 33 zur Tarifnummer 30.03, daß Produkte nur dann in das Kapitel 22 einzuordnen seien, sofern sie keine Angaben über die Verhütung oder Behandlung der Krankheit enthielten. Gerade diese Angaben seien bei „Buerlecithin, flüssig“ in reichem Maße vorhanden. Obgleich alle Erörterungen über die arzneiliche Wirkung von „Buerlecithin, flüssig“ sich eigentlich erübrigten, werde dennoch auf die arzneiliche Wirksamkeit dieses Produktes eingegangen, weil sich die belangte Behörde damit besonders befaßt habe und diese von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren hinreichend nachgewiesen worden sei. Neben anderen Beweisen sei insbesondere das Gutachten von Univ.Prof. DDr. OK zu Unrecht unbeachtet geblieben, zumal dieser als Vorstand des Pharmakologischen Institutes der Universität Wien auf diesem Gebiet zumindest in Österreich unbestrittene Autorität besitze. Die belangte Behörde sei auf das vorgelegte Material ungenügend eingegangen und belaste somit sowohl den angefochtenen Bescheid als auch das vorangegangene Verwaltungsverfahren mit Rechtswidrigkeit. Als besonders bemerkenswert sei erwähnt, daß die belangte Behörde und die Technische Untersuchungsanstalt der Bundesfinanzverwaltung komplizierte pharmakologische Fragen beurteilt hätten, ohne dem pharmakologischen Fachgutachten der Beschwerdeführerin und der pharmakologischen Fachliteratur ein entsprechendes Fachgutachten entgegenzusetzen und ohne mit den dafür zuständigen Fachabteilungen des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz auch nur Kontakt aufzunehmen. Die Verwendungsmöglichkeiten von Lecithin seien unvollständig wiedergegeben worden. Lecithin werde keineswegs nur als Emulgator oder als Zusatz von Lebensmitteln verwendet, sondern eben auch als Wirkstoff in Arzneimitteln, wie bei „Buerlecithin, flüssig“. Im übrigen sei der Begriff „Tonikum“ von der belangten Behörde irrigerweise mit „tonisches Getränk“ gleichgesetzt worden. Ein eingeschränktes Angebot an Beweismitteln sei niemals gemacht worden. Selbst durch die einseitigen Zitate der belangten Behörde sei die arzneiliche Wirksamkeit von „Buerlecithin, flüssig“ belegt worden. Die wiederholten Versuche der belangten Behörde, in der Fachliteratur das Wort „Buerlecithin, flüssig“ zu finden, ließen auf mangelndes Sachverständnis schließen. Zudem sei das Gutachten von Univ.Prof. DDr. OK zu Unrecht nicht als beweiskräftig angesehen worden. Eine Bestätigung der untersuchenden Klinik sei deshalb nicht erfolgt, weil der prüfende Arzt verstorben sei. In diesem Zusammenhang sei auf die Verpflichtung der belangten Behörde zur amtswegigen Wahrheitsforschung (§ 115 BAO) hinzuweisen. Alle Aussagen unter Punkt VIII des angefochtenen Bescheides seien deshalb unrichtig, weil sich die Fachliteratur nicht nur auf Lecithin, sondern auch auf Buerlecithin beziehe. Die belangte Behörde sei bestrebt gewesen, die Sachlage ohne Beiziehung eines pharmakologischen Sachverständigen zu beurteilen. Sie klammere sich mißverständlich an den Begriff „Tonikum“, der offenbar die laienhafte Meinung des Bundesministeriums für Finanzen verursacht habe. Sie scheue sich auch nicht, den Umstand, der „niedrigen Dosierung“ aus eigener Anschauung zu erkennen zu glauben.

Die Beschwerde ist begründet.

Über die objektive Beschaffenheit der zu tarifierenden Ware besteht kein Streit. Der Rechtsstreit geht ausschließlich um die Frage, ob die Einreihung der streitverfangenen Ware in die Tarifnummer 22.09 D dem Gesetz entsprach.

Die Warenbezeichnungen der beiden in Betracht kommenden Tarifnummern des Zolltarifes, der gemäß § 1 Abs. 2 des Zolltarifgesetzes 1958, BGBl. Nr. 74, einen Bestandteil dieses Bundesgesetzes bildet - lauten:

„22.09 Äthylalkohol, unvergällt, mit einem Alkoholgehalt von weniger als 80°; Branntwein, Liköre und andere alkoholische Zubereitungen, sogenannte konzentrierte Extrakte, zur Herstellung von Getränken:

A - Weinbrand

B - Arrak, Rum:

1 - in Behältnissen mit einem Rauminhalt von mehr als

1 Liter

2 - anders

C - zusammengesetzte alkoholische Zubereitungen, sogenannte konzentrierte Extrakte, zu Herstellung von Getränken

D - andere

30.03 Arzneiwaren für die Human- und Veterinärmedizin“.

Der Zolltarif läßt sich in sogenannte „Stoffkapitel“, in denen der Stoff das entscheidende Merkmal für die Tarifierung ist (z.B. Kapitel 44: „Holz, Holzkohle und Holzwaren“, Kapitel 45: „Kork und Korkwaren“, Kapitel 69: „Keramische Erzeugnisse“) und in sogenannte „Zweckkapitel“, bei denen die Funktion, der Verwendungszweck der Ware, das Ordnungsprinzip darstellt (z.B. Kapitel 94: „Möbel; medizinisch-chirurgische Möbel, Bettwaren und ähnliche Waren“, Kapitel 97: „Spielzeug, Spiele, Scherzartikel, Christbaumschmuck und Sportgeräte“), untergliedern.

Maßgebend für die Einreihung in den Zolltarif sind der Wortlaut der Tarifnummern und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln (Allgemeine Tarifierungsvorschrift 1). Diese Anmerkungen sind Bestandteile des Zolltarifes und haben den Zweck, die Zolltarifnummern gegeneinander abzugrenzen.

Nach der Anmerkung 1 zum Kapitel 30, welche u.a. die Einordnung von Waren zwischen den beiden konkurrierenden Zweckkapiteln 22 („Getränke, alkoholische Flüssigkeiten und Essig“) und 30 („Pharmazeutische Erzeugnisse“) abgrenzt, sind „Arzneiwaren“ im Sinne der Nummer 30.03.

a - gemischte Erzeugnisse für therapeutische oder prophylaktische Zwecke;

b - für die gleichen Zwecke geeignete ungemischte Erzeugnisse, für therapeutische oder prophylaktische Zwecke dosiert oder zu den genannten Zwecken für den Kleinverkehr aufgemacht.

Die vorstehenden Bestimmungen gelten nicht für Nahrungsmittel und Getränke (zum Beispiel diätetische Nahrungsmittel, angereicherte Nahrungsmittel für Diabetiker, tonische Getränke, Mineralwässer) oder für Erzeugnisse der Nummer 30.03 und 30.04.

Nach der korrespondierenden Anmerkung 1 d zum Kapitel 22, dessen Tarifnummer 22.09 - wie oben dargestellt - nach handelstypischen Getränken untergegliedert ist und deren Unterposition D eine (subsidiäre) Auffangposition darstellt, sind Arzneiwaren der Nummer 30.03 von diesem Kapitel ausgenommen.

Der belangten Behörde ist zunächst darin beizupflichten, daß der international gebundene Arzneiwarenbegriff im Sinne der Tarifnummer 30.03 nur nach zolltarifarischen Gesichtspunkten ausgelegt werden kann. Da das Zolltarifgesetz den Begriff „Arzneiware“ für seine Zwecke besonders definiert hat, kann - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - auf die in § 1 Abs. 1 Z. 1 des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983, enthaltene Begriffsbestimmung unter diesen Umständen rechtens nicht zurückgegriffen werden.

Die streitverfangene Ware ist unbestrittenermaßen ein gemischtes Erzeugnis. Nach dem Wortlaut der Anmerkung 1 lit. a zum Kapitel 30 sind „Arzneiwaren“ im Sinne der Nummer 30.03 (nur) gemischte Erzeugnisse für therapeutische (= die Krankenbehandlung betreffende) oder prophylaktische (= Krankheiten vorbeugende) Zwecke.

Ausgangspunkt für die Prüfung, ob eine „Arzneiware“ der Tarifnummer 30.03 vorliegt, ist also, worauf die Beschwerdeführerin zu Recht hinweist, die Zweckbestimmung. Diese kann sich nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht nach den (subjektiven) Vorstellungen des Herstellers richten, weil ihm damit die rechtliche Einordnung in den Zolltarif zufiele. Maßgebend dafür, ob ein Mittel heilend oder vorbeugend wirkt, können nur die auf wissenschaftlicher Prüfung basierenden medizinisch-pharmakologischen Erkenntnisse sein.

Nach der Beschreibung des Herstellers auf der dem streitverfangenen Produkt beigefügten Gebrauchsanweisung sei Lecithin für die Funktionstüchtigkeit aller wichtigen Organe des menschlichen Körpers von großer Bedeutung. Daher könne Buerlecithin die Erholungszeit der ermüdeten Muskulatur verkürzen und dadurch die Leistungsfähigkeit steigern, die Konzentrationsfähigkeit steigern, einen zu hohen Cholesterin-Spiegel des Blutes senken und dadurch zur Vorbeugung der Arterienverkalkung beitragen. Weiters könne es den Gehalt des Blutes an Vitamin-A erhöhen, die Leberfunktion verbessern und übermäßige Fettablagerungen in der Leber verhindern, zu der es z.B. durch häufigen Alkoholkonsum kommen könne. Durch regelmäßige Einnahme von Buerlecithin könne Mangelerscheinungen vorgebeugt werden.

Der von der Beschwerdeführerin beauftragte Sachverständige, Univ.Prof. DDr. OK, Vorstand des Pharmakologischen Institutes der Universität Wien, kam in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 5. Dezember 1984 zur Frage der Arzneimittelzugehörigkeit von „Buerlecithin, flüssig“ und „Buerlecithin, compact“ unter Hinweis auf klinische Arbeiten und Studien zusammenfassend zu dem Ergebnis, „es könne kein Zweifel bestehen, daß gemäß den Anmerkungen des Kapitels 30 des Zolltarifes Buerlecithin in definierten Arzneiformen eine Arzneiware im Sinne der Nummer 30.03 ist, d.h. ein gemischtes Erzeugnis für therapeutische und prophylaktische Zwecke“.

Gemäß § 115 Abs. 1 BAO obliegt es den Abgabenbehörden, die abgabenpflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabenpflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind. Sie haben daher ihre Ermittlungen auch zugunsten der Abgabepflichtigen bis zur Grenze des Zumutbaren durchzuführen. Der abgabenrechtliche Verwaltungsakt ist von der Offizialmaxime beherrscht bzw. auf Ermittlung der materiellen Wahrheit gerichtet. Die Sachverhaltsermittlung muß zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Feststellung des Sachverhaltes führen, weil nur auf diese Weise die gleichmäßige Besteuerung gewährleistet werden kann. Gleichheit der Besteuerung verwirklicht sich durch Gesetzmäßigkeit der Besteuerung und Gesetzmäßigkeit setzt eine vollständige und wahrheitsgemäße Feststellung des Sachverhaltes für die Rechtsanwendung voraus (vgl. im Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 1983, Zlen. 81/16/0105, 0108, Slg. Nr. 5789/F).

Dieser amtswegigen Ermittlungspflicht ist die belangte Behörde im vorliegenden Falle nicht vollständig nachgekommen. Bei dem gegebenen Stand des Ermittlungsverfahrens durfte sich die belangte Behörde nicht auf eine Auseinandersetzung mit der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Fachliteratur beschränken, sondern sie wäre in Entsprechung des Antrages der Beschwerdeführerin verhalten gewesen, bei der Bundesstaatlichen Anstalt für experimentell-pharmakologische und balneologische Untersuchungen oder bei einem anderen geeigneten Sachverständigen ein Gutachten darüber einzuholen, ob nach einer pharmakologischen Prüfung und nach den Ergebnissen einer klinischen Prüfung zur Wirksamkeit dem streitverfangenen Produkt nach dem letzten Stand der Erkenntnisse der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft die Qualifikation als Arzneiware im Sinne der Anmerkung 1 lit. a zum Kapitel 30 des Zolltarifes zukommt oder nicht.

Da es die belangte Behörde unterlassen hat, in dieser Richtung die erforderliche Ergänzung des Ermittlungsverfahrens vorzunehmen, erweist sich das Vorbringen der Beschwerdeführerin als unbegründet, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufgehoben werden mußte.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 17. Oktober 1985

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1985:1985160073.X00

Im RIS seit

04.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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