TE OGH 2020/10/21 7Ob165/20w

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Veröffentlicht am 21.10.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI Dr. W***** H*****, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts-GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Beer & Steinmair Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 350.000 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 25. Juni 2020, GZ 16 R 40/20z-22, womit der Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt vom 10. Februar 2020, GZ 2 Cg 80/19b-17, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:

„1. Die Einrede der internationalen Unzuständigkeit wird verworfen.

2. Der Einrede der örtlichen Unzuständigkeit wird stattgegeben. Die Rechtssache wird an das nicht offenbar unzuständige Handelsgericht Wien überwiesen.

3. Die Kosten des Zwischenstreits über die Zuständigkeit werden gegeneinander aufgehoben.“

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Begründung:

Mag. Dr. R***** S***** (in Hinkunft: Vermittler) betreibt in S***** unter der Bezeichnung „B***** Consult“ ein Unternehmen im Bereich der Finanzdienstleistung. In den frühen 2000er-Jahren entwickelte er gemeinsam mit der in Liechtenstein ansässigen Rechtsvorgängerin der Beklagten (in Hinkunft: Rechtsvorgängerin) ein Lebensversicherungsprodukt. Die Rechtsvorgängerin und der Vermittler vereinbarten, dass die Rechtsvorgängerin das Produkt in Liechtenstein herausgeben und sich der Vermittler in Österreich einerseits um den Vertrieb kümmern und er andererseits auch die rechtlichen und finanztechnischen Details in Österreich abklären sollte. Dem Vertrag zwischen der Rechtsvorgängerin und dem Vermittler zufolge sollte letzterer die gesamte Kommunikation mit den Kunden des ausschließlich für Österreich maßgeschneiderten Finanzprodukts übernehmen und auch die gesamte Vertriebsstruktur aufbauen. Er organisierte den Vertrieb in Österreich so, dass er vier Vertriebshauptpartner unter sich hatte, die sich wiederum Subvermittler suchten. Die jeweiligen Vertriebsverträge mussten vom Vermittler der Rechtsvorgängerin vorgelegt und von dieser genehmigt werden. Sämtliche Provisionen flossen über den Vermittler an die jeweiligen Vertriebspartner. Seit den letzten Zeichnungen des hier gegenständlichen Produkts im Jahr 2002 vertrieb er weder Produkte der Rechtsvorgängerin noch der Beklagten. Er ist nach dem noch immer bestehenden Vertrag aber weiter verpflichtet, das Produkt in Österreich für die Produktlaufzeitdauer zu betreuen. Hinsichtlich dieser Betreuungstätigkeit ist und war er der Rechtsvorgängerin/der Beklagten weisungsgebunden. Zum Zeitpunkt der Zeichnung dieses Produkts, lukrierte der Vermittler etwa 75 % des Umsatzes seines Unternehmens mit diesem. Nunmehr besteht der Umsatz des Unternehmens etwa zu 50 % aus den Umsätzen, die im Zusammenhang mit diesem Produkt stehen.

Einer der vier Vertriebspartner des Vermittlers war die „G***** GmbH“ (in Hinkunft: G*****). Diese arbeitete unter anderem mit der „S***** GmbH“ (in Hinkunft: S*****) zusammen. L***** S***** stellte dem Kläger das Produkt vor, als Vermittlerin gegenüber Mag. Dr. S***** trat G***** auf. Der Kläger zeichnete das Produkt im Sommer 2002.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erfüllung eines mit ihrer Rechtsvorgängerin abgeschlossenen Rentenversicherungsvertrags. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts stützt er – soweit im Revisionsrekursverfahren noch von Interesse – auf § 48 VersVG iVm § 27a JN, hilfsweise beantragt er die Überweisung der Rechtssache gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das nicht offenbar unzuständige Handelsgericht Wien. Die Beklagte habe sich für den Vertrieb der Versicherung eines einzigen „Vermittlungs- bzw Abschlussagenten“, bedient, der seinen Sitz im Sprengel des Erstgerichts habe.

Dieser habe die Tätigkeit selbstständig und gewerbsmäßig ausgeübt und sich für den Vertrieb wiederum der selbstständig und gewerbsmäßig tätigen (Sub-)Agentin mit Sitz in Wien bedient.

Die Beklagte bestritt und wandte die mangelnde internationale und örtliche Zuständigkeit ein. Die Vermittlung des Produkts sei über die G***** aufgrund einer Gewerbeberechtigung „Versicherungsvermittlung in der Form Versicherungsmakler“ erfolgt. Sie sei keine Versicherungsagentin. Selbst bei Anwendbarkeit des § 48 VersVG wäre die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht gegeben.

Das Erstgericht sprach seine internationale Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. Die Zuständigkeit nach § 48 VersVG scheide aufgrund des internationalen Sachverhalts aus.

Das Berufungsgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit verwarf und dem Erstgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auftrug. Da der Vermittler das Produkt zum maßgeblichen Zeitpunkt der Vermittlung des hier gegenständlichen Vertrags für die Rechtsvorgängerin dauerhaft in Österreich vertreiben sollte, sei er als Versicherungsagent gemäß § 43 VersVG anzusehen, sodass die unstrittig im Sprengel des angerufenen Gerichts liegende Niederlassung gemäß § 48 Abs 1 VersVG zuständigkeitsbegründend wirke. Die Niederlassung der Subvermittlerin in Wien sei nicht ausschlaggebend. Dieser örtlichen Zuständigkeit folge auch die internationale Zuständigkeit, ohne dass eine weitere Voraussetzung erfüllt sein müsste.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger begehrt in der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch (teilweise) berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Der zum Schutz des Versicherungsnehmers normierte Wahlgerichtsstand des § 48 VersVG gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut, sowohl für den Abschlussagenten als auch für den Vermittlungsagenten, aber nicht für den Versicherungsmakler (7 Ob 58/09v mwN). Der Gerichtsstand ist nach dessen Abs 2 zwingend.

2.1 Nach einhelliger oberstgerichtlicher Judikatur ist derjenige, der nicht bloß eine Rahmenprovisionsvereinbarung geschlossen hat, sondern vom Versicherer ständig betraut ist, Versicherungsverträge zu vermitteln oder zu schließen, und der damit zum Versicherer ein Naheverhältnis hat und der Sphäre des Versicherers zugerechnet wird, Versicherungsagent iSd § 43 VersVG (7 Ob 58/09v mwN; vgl auch RS0114041).

2.2 Nach den Feststellungen war der Vermittler aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen mit der Rechtsvorgängerin ständig damit betraut, das gemeinsam entwickelte, in Liechtenstein herausgegebene, für Österreich maßgeschneiderte, Produkt in Österreich zu vertreiben, die entsprechende Vertriebsstruktur aufzubauen, die gesamte Kommunikation mit den Kunden zu führen und das Produkt – weisungsgebunden – während der Laufzeit zu betreuen.

2.3 Damit ist er ein im Naheverhältnis zur Rechtsvorgängerin/Beklagten stehender Versicherungsagent.

3.1 Der Vermittler organisierte den Vertrieb in Österreich so, dass er vier Vertriebshauptpartner – wie die G***** – einschaltete, die wiederum Subvermittler – wie S***** – einsetzten. Die jeweiligen Vertriebsverträge mussten der Rechtsvorgängerin vorgelegt und von dieser genehmigt werden. Sämtliche Provisionen flossen über den Vermittler an die jeweiligen Vertriebshauptpartner.

3.2 Vor dem Hintergrund der hier konkret getroffenen Feststellungen bediente sich der Vermittler mit Genehmigung der Rechtsvorgängerin zur Vermittlung des Produkts und somit als Generalvermittler weiterer Subvermittler. Ausgehend von seiner bereits dargelegten Stellung als (General-)Agent handelt es sich bei den Subvermittlern um Subagenten. Ein direktes Vertretungsverhältnis ist dabei nicht erforderlich.

3.3 Soweit die Beklagte argumentiert, G***** habe die Vermittlung ausschließlich als selbstständige Maklerin für die Rechtsvorgängerin vorgenommen, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt. Aufgrund der feststehenden Vertragskette war G***** bei der Vermittlung als Subagentin des Vermittlers tätig, dem gegenüber sie die Vermittlung anzeigte und der die von der Rechtsvorgängerin erhaltenen Provisionen an G***** weiterleitete.

3.4 Da G***** schon als Subagentin des Vermittlers tätig war, kommt es darauf, ob dem Kläger gegenüber ein entsprechender Anschein gesetzt wurde, nicht an.

3.5 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass das in § 48 VersVG geforderte Agenturverhältnis zu bejahen ist.

4.1 Nun ist zu prüfen, ob die Klage am Sitz des Generalagenten oder an jenem des Subagenten einzubringen ist.

4.2 Versicherer stellen an zahlreichen vom Sitz des Unternehmens oft weit entfernten Orten Agenten an, um mit ihrer Hilfe Verträge abzuschließen, weshalb es der Billigkeit entspricht, dass in Bezug auf so zustande gekommene Geschäfte dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit gegeben wird, bei den Gerichten dieser Orte auch ihre Ansprüche geltend zu machen (Kollhosser in Prölss/Martin Versicherungsvertragsgesetz27 § 48 Rn 1). Diesem Schutzzweck des § 48 VersVG entspricht es, den Versicherungsnehmer am Ort der Niederlassung des Unteragenten klagen zu lassen (Gruber in Berliner Kommentar § 48 Rn 2, Langheid in Römer/Langheid Versicherungsvertragsgesetz2 § 48 Rn 2; Kollhosser aaO § 48 Rn 3).

4.3 Das heißt, nach § 48 VersVG ist für die dort genannten Streitigkeiten bei Einschaltung eines Subagenten das Gericht jenes Ortes zuständig, an dem der dem Versicherungsnehmer bei Vermittlung gegenübertretende Subagent seine Niederlassung oder in Ermangelung einer solchen seinen Wohnsitz hat.

4.4 Ob im vorliegenden Fall allenfalls S***** als (selbständige) Subagentin anzusehen und daher ihre Niederlassung zuständigkeitsbegründend wäre, kann dahingestellt bleiben, weil S***** und G***** – unstrittig – zum Zeitpunkt der Vermittlung ihren Sitz an der gleichen Adresse in Wien hatten.

4.5 Daraus folgt für den vorliegenden Fall die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien, woraus sich auch die inländische Gerichtsbarkeit ergibt (§ 27a JN).

5. Es war daher die Einrede der internationalen Unzuständigkeit zu verwerfen, jener der örtlichen Unzuständigkeit jedoch stattzugeben und entsprechend des vom Kläger bereits in der Klage gestellten Antrags nach § 261 Abs 6 ZPO die Überweisung an das örtliche nicht offenbar unzuständige Handelsgericht Wien auszusprechen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO. Nach dem letztlich vorliegenden Ergebnis des Zuständigkeitsstreits kam der Kläger mit seinem Standpunkt hinsichtlich der internationalen, die Beklagte dagegen mit ihrem Standpunkt zur örtlichen Zuständigkeit durch. Die Kosten der allein diesem Zwischenstreit zuzuordnenden Prozesshandlungen (Schriftsätze vom 15. 10. und 5. 11. 2019, abgesonderte Verhandlungen über die erhobenen Einreden vom 27. 11. 2019 und 27. 1. 2020, Bekanntgabe vom 6. 12. 2019, 11. 12. 2019 und 15. 1. 2020, Protokollberichtigungsantrag vom 7. 1. 2020) sind gegeneinander aufzuheben. Die Kostenentscheidung betreffend die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht gleichfalls auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO.

Textnummer

E129952

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00165.20W.1021.000

Im RIS seit

03.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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