TE Lvwg Erkenntnis 2020/8/21 VGW-031/092/4366/2020

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Veröffentlicht am 21.08.2020
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Entscheidungsdatum

21.08.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG §3
VStG §31 Abs1
VStG §32 Abs2
VStG §45 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Mag. Dr. Kienast über die Beschwerde der Frau A. B., vertreten durch RA Dr. C. D. als Erwachsenenvertreterin, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat E. für die Bezirke ..., vom 24.4.2019, Zl. VStV/..., wegen Übertretung des § 1 Abs. 1 Z 2 Wiener Landes-Sicherheitsgesetz (WLSG),

zu Recht:

I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat die Beschwerdeführerin keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25 Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof – soweit eine Revision nicht bereits nach § 25a Abs. 4 VwGG ausgeschlossen ist – unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Verfahren

Über Frau A. B. wurde mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 24. April 2019 eine Geldstrafe in Höhe von EUR 120,-- sowie für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und vier Stunden gemäß § 1 Abs. 1 WLSG verhängt. Frau A. B. habe am 26. Februar 2019, 18:09 Uhr, in Wien, F.-straße – Wohnung, durch lautes Radiospielen in der Wohnung ungebührlicherweise störenden Lärm erregt und dadurch § 1 Abs. 1 Z 2 WLSG verletzt. Frau B. wurde ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von EUR 12,-- auferlegt.

Gegen das Straferkenntnis vom 24. April 2019, zugestellt am 28. Februar 2020 an die Erwachsenenvertreterin RA Dr. C. D., erhob diese die – als Einspruch bezeichnete und am 5. März 2020 bei der belangten Behörde eingelangte – Beschwerde vom 4. März 2020, in welcher die ersatzlose Aufhebung der „Strafverfügung“ sowie die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass Frau A. B. unter Erwachsenenvertretung stehe. Frau B. sei auf Grund ihrer geistigen Erkrankung verwaltungsstrafrechtlich nicht geschäftsfähig. Sie sei nicht in der Lage, das Unrecht einer Tat einzusehen, und habe somit nicht schuldhaft gehandelt. Frau B. leide laut dem im Erwachsenenschutzverfahren eingeholten Sachverständigengutachten an einer schweren psychiatrischen Erkrankung, es treffe sie somit kein Verschulden. Einzuwenden sei ferner die Verfolgungsverjährung, da seit dem beanstandeten Vorfall mehr als ein Jahr vergangen sei und zwischenzeitig keine weiteren Verfolgungshandlungen von der Behörde gesetzt worden seien.

Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt der Akten des Verwaltungsverfahrens vor, wobei sie auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtete sowie für den Fall einer Durchführung auf eine Teilnahme daran verzichtete.

II. Sachverhalt

Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom 5. März 2019 wurde Frau A. B. seitens der belangten Behörde zur Last gelegt, am 26. Februar 2019, 18:09 Uhr, in Wien, F.-straße – Wohnung, durch lautes Radiospielen in der Wohnung ungebührlicherweise störenden Lärm erregt und dadurch § 1 Abs. 1 Z 2 WLSG verletzt zu haben. Dieses Schreiben wurde zur postalischen Zustellung – im Rahmen eines Zustellversuches an Frau A. B. persönlich – am 8. März 2019 an die Post übergeben.

Mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichtes E. vom 4. November 2019 wurde Frau RA Dr. C. D. zur gerichtlichen Erwachsenenvertreterin von Frau A. B., geb. 1959, gemäß § 271 ABGB bestellt. Der Wirkungsbereich der gerichtlichen Erwachsenenvertretung umfasst finanzielle Angelegenheiten, Schuldenregulierung, Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten, privaten Vertragspartnern und Wohnungsangelegenheiten. Die Erwachsenenvertretung endet vorbehaltlich der vorzeitigen Beendigung oder der Einleitung eines Erneuerungsverfahrens (§ 128 AußStrG) am 4. November 2022 und ist bis dato im angeführten Ausmaß aufrecht.

Frau A. B. leidet an einer paranoiden Schizophrenie. Das Gedächtnis, die Konzentration, die Exekutivfunktionen und die höheren Hirnleistungen sind beeinträchtigt. Es bestehen akustische Halluzinationen und ein desorganisiertes Zustandsbild sowie ein ausgeprägtes Selbstfürsorgedefizit. Die psychiatrische Erkrankung der paranoiden Schizophrenie wurde bei Frau A. B. bereits im Oktober 2018 diagnostiziert. Zum Zeitpunkt der angelasteten Verwaltungsübertretung am 26. Februar 2019, 18:09 Uhr, war die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit bei Frau A. B. nicht gegeben.

Diese Feststellungen gründen auf folgender Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und Würdigung des Beschwerdevorbringens.

Die Feststellungen zum Verfahrensgang, im Konkreten zur Aufforderung zur Rechtfertigung vom 5. März 2019 gründen im Verwaltungsakt.

Die Feststellungen zur Bestellung einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung für Frau A. B. sowie zu dem umfassten Wirkungsbereich gründen in dem im Verwaltungsakt einliegenden Bestellungsbeschluss des Bezirksgerichtes E. vom 4. November 2019, GZ: ....

Die Feststellungen zur psychiatrischen Erkrankung von Frau B. ergeben sich aus dem psychiatrischen Gutachten vom 1. Oktober 2019. Das Gutachten stützt sich auf die persönliche psychiatrische Untersuchung von Frau B. am 1. Oktober 2019. Aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Facharztgutachten ist ersichtlich, dass Frau B. bereits seit rund vier bis fünf Jahren an akustischen Halluzinationen leidet. Für das Verwaltungsgericht Wien ergibt sich im Hinblick auf die Ausführungen im psychiatrischen Gutachten, dass die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit von Frau B. im zur Last gelegten Tatzeitpunkt nicht gegeben war.

III. Rechtliche Beurteilung

a) Zur tauglichen und rechtzeitigen Verfolgungshandlung:

Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2 leg. cit.) vorgenommen worden ist. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt. Eine Verfolgungshandlung ist gemäß § 32 Abs. 2 VStG jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt eine Aufforderung zur Rechtfertigung als Verfolgungshandlung gemäß § 32 Abs. 2 VStG. Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber hinaus bereits wiederholt ausgesprochen, dass mit einer Verfolgungshandlung lediglich der Wille der Behörde nach außen tritt, eine Person wegen einer bestimmten Verwaltungsübertretung verfolgen zu wollen. Nach außen tritt dieser Wille, sobald das jeweilige Schreiben die Sphäre der Behörde verlassen hat. Die Kenntnis des Beschuldigten von der Verfolgungshandlung ist für die Gültigkeit der Verfolgungshandlung nicht erforderlich (vgl. VwGH 30.8.2019, Ra 2019/17/0035 mwN).

Die am 8. März 2019 zur Post gegebene Aufforderung zur Rechtfertigung vom 5. März 2019 stellt damit eine taugliche Verfolgungshandlung dar. Durch die Übergabe an die Post verließ das Schreiben die Sphäre der belangten Behörde (vgl. hierzu auch VwGH 30.1.2019, Ro 2018/03/0055), womit jedenfalls auch die Rechtzeitigkeit gewahrt wurde. Der fehlgeschlagene Zustellversuch erweist sich für die taugliche und rechtzeitige Verfolgungshandlung als unschädlich. Verfolgungsverjährung ist somit entgegen dem Beschwerdevorbringen jedenfalls nicht eingetreten.

b) Zur angelasteten Verwaltungsübertretung:

Der Beschwerdeführerin wird im angefochtenen Straferkenntnis zum Vorwurf gemacht, sie habe am 26. Februar 2019, 18:09 Uhr, in Wien, F.-straße – Wohnung, durch lautes Radiospielen in der Wohnung ungebührlicherweise störenden Lärm erregt und dadurch § 1 Abs. 1 Z 2 WLSG verletzt.

Gemäß § 3 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Gemäß § 3 Abs. 2 VStG ist es als mildernder Umstand bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen, wenn die Fähigkeit zur Zeit der Tat aus einem dieser Gründe in hohem Grad vermindert war. Das gilt aber nicht für Bewusstseinsstörungen, die auf selbst verschuldeter Trunkenheit beruhen.

Die Zurechnungsfähigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG bildet eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit (VwGH 29.01.1992, 91/03/0303; 20.09.2000, 97/03/0375).

Die Annahme der Schuldfähigkeit nach § 3 VStG setzt – der sog. gemischten Methode entsprechend – voraus, dass beim Täter im Tatzeitpunkt eine Bewusstseinsstörung, eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder eine Geistesschwäche vorlag (sog. biologisches Element) und dadurch die Unfähigkeit bewirkt wurde, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (sog. psychologisches Element) (siehe Wessely in Raschauer/Wessely [Hrsg.] VStG2 [2016], 122f, Rz 2 mwN).

Gegenständlich leidet die Beschwerdeführerin an einer paranoiden Schizophrenie und somit an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit, welche bereits im Oktober 2018 diagnostiziert wurde. Nach den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen war auch die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit bei Frau A. B. im Zeitpunkt der angelasteten Verwaltungsübertretung nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin war damit zum Zeitpunkt der angelasteten Übertretung aufgrund ihrer psychiatrischen Erkrankung unfähig, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Auf Grund der die Strafbarkeit ausschließenden zum angelasteten Tatzeitpunkt vorliegenden Zurechnungsunfähigkeit war der Beschwerde Folge zu geben, das Straferkenntnis vom 24. April 2019 zu beheben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen.

c) Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG sind der Beschwerdeführerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht aufzuerlegen, wenn der Beschwerde auch nur teilweise Folge gegeben worden ist. Der Beschwerdeführerin war daher kein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

d) Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 44 Abs. 3 Z 3 VwGVG abgesehen werden, weil im angefochtenen Straferkenntnis eine EUR 500,-- nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat.

e) Für die Beschwerdeführerin ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ausgeschlossen. Im Übrigen ist die ordentliche Revision unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Verfolgungshandlung; Zurechnungsfähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.092.4366.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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