TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/16 W133 2226998-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.10.2020
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Entscheidungsdatum

16.10.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W133 2226998-1/10E
W133 2230327-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen

1.) den gemäß § 45 Abs. 2 BBG in Form der Ausstellung eines Behindertenpasses ergangenen Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 08.10.2019, nach Beschwerdevorentscheidung vom 20.11.2019, und

2.) den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 04.10.2019, nach Beschwerdevorentscheidung vom 21.11.2019, betreffend Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass,

zu Recht erkannt:

A)

1.) Der Beschwerde gegen den gemäß § 45 Abs. 2 BBG in Form der Ausstellung eines Behindertenpasses ergangenen Bescheid vom 08.10.2019, nach Beschwerdevorentscheidung vom 20.11.2019, wird teilweise Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung wie folgt abgeändert:

Der Grad der Behinderung beträgt ab 26.06.2020 70 (siebzig) von Hundert.

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen weiterhin vor.

Die Berichtigung des Behindertenpasses ist befristet bis 31.10.2022 vorzunehmen.

2.) Der Beschwerde gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 04.10.2019, nach Beschwerdevorentscheidung vom 21.11.2019, betreffend Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass wird Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung wie folgt abgeändert:

Dem Antrag vom 01.04.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass wird stattgegeben.

Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber/der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ in dem Behindertenpass liegen vor.

Die Berichtigung des Behindertenpasses ist befristet bis 31.10.2022 vorzunehmen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführerin wurde vom Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge als „belangte Behörde“ bezeichnet), am 21.03.2016 aufgrund eines entsprechenden Antrages ein Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 80 v.H. (von Hundert) mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ befristet bis 31.08.2019 ausgestellt. Dies erfolgte auf Grundlage eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens vom 18.02.2016. In diesem Aktengutachten wurden die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

1

Mammakarzinom rechts

3 Stufen über dem unteren Rahmensatz, da diffuse knöcherne Absiedlungen in Becken und Kreuzbein bei Verdacht auf Lymphknotenabsiedlungen beschrieben sind.

13.01.04

80

2

Degenerative Veränderungen der Kniegelenke

Unterer Rahmensatz dieser Position, da deutliche Abnützungen des rechten Kniegelenks beschrieben sind bei vorgesehenem operativem Eingriff.

02.05.19

20

3

Diabetes mellitus Typ II

1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da Einstellung mitteles oraler Therapie.

09.02.01

20

4

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

Oberer Rahmensatz dieser Position, da rezidivierendes Cervikodorsulumbalgiesyndrom ohne Hinweis auf motorische Defizite.

02.01.01

20

5

Zustand nach Speichenbuch rechts

Wahl dieser Position, da eine verminderte Beweglichkeit dokumentiert ist.

02.06.22

20

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 80 v.H. eingeschätzt. Begründend führte der Gutachter aus, die Leiden 2-5 würden mit dem führenden Leiden 1 nicht maßgeblich funktionell negativ zusammenwirken und würden nicht weiter erhöhen. Es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aktuell nicht zumutbar sei. Eine Nachuntersuchung wurde nach Ablauf der Heilungsbewährung für Mai 2019 empfohlen.

Die Beschwerdeführerin stellte am 01.04.2019 bei der belangten Behörde den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis). Diesem Antrag legte sie medizinische Befunde, eine Kopie ihres befristeten Parkausweises für Behinderte, eine Kopie ihres Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ und eine Kopie ihrer e-card bei.

Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In diesem Gutachten vom 05.09.2019 wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

1

bösartige Neubildung der rechten Brust (Erstdiagnose 2013) unterer Rahmensatz, das stationärer Befund in der bildgebenden Technik dokumentiert; inkludiert Sekundärabsiedelungen ohne Progressionszeichen

13.01.04

50

2

degenerative Veränderungen der Kniegelenke bei Zustand nach Kniegelenksersatz rechts

unterer Rahmensatz, da gutes postoperatives Ergebnis ohne Lockerungszeichen und Flexion bis über 90° möglich

02.05.19

20

3

nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus

mittlerer Rahmensatz, da mit milder oraler Medikation befriedigende Stoffwechsellage erzielt werden kann

09.02.01

20

4

degenerative Veränderung der Wirbelsäule

oberer Rahmensatz, da rezidivierendes Cervicodorsolumbalgie-Syndrom ohne Hinweis auf motorische Defizite

02.01.01

20

5

Bewegungsstörung des rechten Handgelenkes nach operiertem Speichenbruch

fixer Rahmensatz

02.06.22

20

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. eingeschätzt. Begründend führte der Gutachter aus, das führende Leiden 1 werde durch die Leiden 2 bis 5 nicht erhöht, da kein maßgebliches ungünstiges funktionelles Zusammenwirken bestehe. Übergewicht und ein erhöhter Blutfettspiegel würden zwar Risikofaktoren darstellen, würden jedoch keinen Grad der Behinderung erreichen. Eine Fettleber (Steatosis hepatis) ohne nachgewiesene Syntheseleistungsstörung erreiche bei gutem Ernährungszustand keinen Grad der Behinderung. Auch ein Zustand nach operativ sanierter Tubaria ohne signifikante Klinik bedinge keinen Grad der Behinderung. Im Vergleich zum Vorgutachten hätte sich hinsichtlich der Leiden 2 bis 5 kein abweichendes Kalkül ergeben. Das führende Leiden 1 habe sich stabilisiert und werde um drei Stufen niedriger bewertet. Dies wirke sich auf die Gesamteinschätzung aus. Durch die abweichende Beurteilung des Leidens 1 sei die Herabsetzung der Gesamteinschätzung um drei Stufen gerechtfertigt. Es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aktuell zumutbar sei.

Mit Schreiben vom 06.09.2019 räumte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das Gutachten vom 05.09.2019 wurde der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.

Die Beschwerdeführerin brachte innerhalb der ihr dafür gewährten Frist keine Stellungnahme bei der belangten Behörde ein.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 04.10.2019 wurde der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Antrages vom 01.04.2019 mitgeteilt, dass laut Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt worden sei. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragungen „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn einer Prothese“, „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor" und „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn von Osteosynthesematerial“ würden vorliegen. Da die Beschwerdeführerin einen befristeten Behindertenpass besitze, sei die neue Scheckkarte ab 01.09.2019 gültig. Der unbefristete Behindertenpass im Scheckkartenformat werde in den nächsten Tagen übermittelt werden.

Mit Bescheid vom selben Tag wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab. Sie stützte den Bescheid auf die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens.

Mit Begleitschreiben der belangten Behörde vom 08.10.2019 wurde der Beschwerdeführerin ein Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H. übermittelt. Diesem Behindertenpass kommt gemäß der Bestimmung des § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu.

Am 09.10.2019 wurde von der Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde niederschriftlich fristgerecht eine Beschwerde erhoben. Es wird vorgebracht, dass sie Beschwerde gegen den Behindertenpass vom 08.10.2019 erhebe. Sie sei mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. nicht einverstanden, weil es ihr viel schlechter gehe als bei der damaligen Ausstellung des befristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 80 v.H. Weiters benötige sie den Parkausweis bzw. die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“, da sie mit einer Stützkrücke unterwegs sei und Schmerzen in der Hüfte bzw. im Kreuz habe, welche sich bis in die Knie ziehen würden. Sie bekomme vom Arzt öfter Spritzen in die Wirbelsäule. Sie könne mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht fahren, sie fahre mit dem Auto. Sie sei gestern beim Röntgen gewesen und der Arzt habe gemeint, dass in nächster Zeit eventuell eine OP der Hüfte stattfinden werde. Es wurden ein Konvolut an medizinischen Befunden sowie eine Kopie des befristeten Behindertenpasses vorgelegt.

Aufgrund der eingebrachten Stellungnahme und der neu vorgelegten medizinischen Befunde holte die belangte Behörde betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ eine Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin, welcher das Gutachten vom 05.09.2019 erstellt hatte, vom 13.11.2019 ein. Der Gutachter kam darin zu keiner geänderten Beurteilung.

Aufgrund der eingebrachten Stellungnahme und der neu vorgelegten medizinischen Befunde holte die belangte Behörde des Weiteren betreffend den festgestellten Grad der Behinderung eine Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin, welcher das Gutachten vom 05.09.2019 erstellt hatte, vom 14.11.2019 ein. Der Gutachter kam darin im Wesentlichen zu keiner geänderten Beurteilung. Es wurde lediglich ein „Carpaltunnelsyndrom beidseits“, welches der Positionsnummer 04.05.06 der Anlage der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 10 v.H. zugeordnet wurde, neu aufgenommen.

Mit Bescheid vom 20.11.2019 erließ die belangte Behörde eine Beschwerdevorentscheidung, worin sie die Beschwerde gegen den festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H. abwies und sich in der Begründung auf die Ergebnisse der eingeholten Sachverständigengutachten stützte. Das Gutachten vom 05.09.2019 sowie die ergänzend eingeholte Stellungnahme vom 14.11.2019 wurden der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.

Mit Bescheid vom 21.11.2019 erließ die belangte Behörde eine weitere Beschwerdevorentscheidung, worin sie die Beschwerde gegen die Nichtvornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ abwies und sich in der Begründung auf die Ergebnisse der eingeholten Sachverständigengutachten stützte. Das Gutachten vom 05.09.2019 sowie die ergänzend eingeholte Stellungnahme vom 13.11.2019 wurden der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.

Am 29.11.2019 brachte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde rechtzeitig einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG ein. Darin bringt sie vor, dass die belangte Behörde den Befund eines näher genannten Orthopäden in den Wind geschlagen und das Gutachten des allgemeinmedizinischen Sachverständigen zu Rate gezogen habe. Dieser habe allerdings nicht das Fachwissen eines Orthopäden. So behaupte der Gutachter, sie könne locker 300 m zu Fuß zurücklegen, was unzutreffend sei. Der Orthopäde weise eine Strecke von höchstens 100 m aus. Sie besitze neue Bilder einer Magnetresonanz, aus welchen ersichtlich sei, wie „kaputt“ ihre Wirbelsäule sei. Auch sei ihr unklar, wie man betreffend den Grad der Behinderung von 80 v.H. auf 50 v.H. herunterkomme. Wenn sie so gesund wäre, würde sie sich nicht an das Sozialministerium wenden. Sie bewege sich in der Zwischenzeit mit einem Stützwagen weiter. Mit dem Auto komme sie besser zum Arzt. Des Weiteren habe sie neue Schmerztabletten bekommen, und zwar Arimidex, Seractil forte, Metagelan, Metformin, Euthyrox etc. Dem Vorlageantrag wurde ein Konvolut an (teilweise bereits vorgelegten) medizinischen Befunden beigelegt.

Die belangte Behörde legte am 30.12.2019 die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. Das Verfahren wurde der hg. Gerichtsabteilung W115 zugeteilt.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.01.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Wirksamkeit vom 07.02.2020 der Gerichtsabteilung W115 abgenommen und der Gerichtsabteilung W133 neu zugeteilt.

Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung vom 20.07.2020 eingeholt. In diesem Gutachten wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Position

GdB %

1

Mammakarzinom rechts (Erstdiagnose 2013)

Unterer Rahmensatz, da seit Jahren stationärer Befund, berücksichtigt Absiedelungen im Skelettsystem ohne Progressionszeichen.

13.01.04

50

2

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

Wahl dieser Position, da Vertebrostenose und Bandscheibenvorfall der LWS mit radiologisch und klinisch korrelierenden motorischen Ausfällen mit Fußsenkerschwäche beidseits und Indikation für neurochirurgischen Eingriff.

Unterer Rahmensatz, da mittelgradig eingeschränkte Beweglichkeit.

02.01.03

50

3

Abnützungserscheinungen des Bewegungsapparates

Unterer Rahmensatz, da bei Knietotalendoprothese rechts, Hüftgelenksarthrose links mäßige funktionelle Einschränkung und geringgradige posttraumatische Funktionseinschränkung am rechten Handgelenk

02.02.02

30

4

Diabetes melitus, nicht insulinpflichtig 

1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da Diät und medikamentöse Therapie für ausgeglichene Stoffwechsellage erforderlich.

09.02.01

20

5

Carpaltunnelsyndrom beidseits

Unterer Rahmensatz, da Sensibilitätsstörungen ohne objektivierbares feinmotorisches Defizit.

04.05.06

10

6

Hypothyreose 

Unterer Rahmensatz, da medikamentös gut einstellbar.

09.01.01

10

zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H. eingeschätzt. Begründend führte die Gutachterin aus, Leiden 1 werde durch die Leiden 2 und 3 um zwei Stufen erhöht, da jeweils ein relevantes Zusatzleiden vorliege. Die weiteren Leiden würden nicht erhöhen, da kein ungünstiges Zusammenwirken mit dem führenden Leiden 1 bestehe. Im Vergleich zum Vorgutachten aus dem Jahr 2016 sei der Gesamtgrad der Behinderung entsprechend den aktuellen feststellbaren Funktionseinschränkungen neu errechnet worden. Durch die Herabstufung von Leiden 1 komme es zu einer Herabsetzung des Gesamtgrades der Behinderung. Im Vergleich zu den im gegenständlichen Verfahren bisher eingeholten Gutachten komme es hinsichtlich des Gesamtgrades der Behinderung zu einer Verschlimmerung aufgrund der Neueinstufung der Leiden 2 und 3 des aktuellen Gutachtens. Es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aktuell nicht zumutbar sei. Eine Nachuntersuchung wurde für Juli 2022 empfohlen. Nach operativer Behandlung des Wirbelsäulenleidens und Rehabilitation sei eine wesentliche Besserung von Leiden 2 und 3 wahrscheinlich.

Mit Schreiben vom 29.07.2020, der Beschwerdeführerin zugestellt am 31.07.2020, informierte das Bundesverwaltungsgericht die Parteien des Verfahrens über das Ergebnis der Beweisaufnahme und räumte ihnen in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit ein, dazu eine Stellungnahme abzugeben.

Weder die Beschwerdeführerin, noch die belangte Behörde erstatteten eine Stellungnahme. Das Gutachten vom 20.07.2020 wurde nicht bestritten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist bosnische Staatsbürgerin, sie hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Der Beschwerdeführerin war von der belangten Behörde am 21.03.2016 ein Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 80 v.H. mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ befristet bis 31.08.2019 ausgestellt worden.

Sie stellte am 01.04.2019 Anträge auf (Neu-)Ausstellung eines Behindertenpasses und auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in diesem Behindertenpass.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 05.09.2019, mit welchem ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt worden war, wurde der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde am 08.10.2019 ein Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H. ausgestellt. Da in dem Gutachten festgestellt worden war, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aktuell zumutbar ist, wurde der Antrag betreffend die Zusatzeintragung mit Bescheid vom 04.10.2019 abgewiesen.

Gegen die Ausstellung eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. und gegen den Bescheid vom 04.10.2019, mit welchem der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" abgewiesen worden war, erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde.

Daraufhin wurden von der belangten Behörde im Rahmen eines Beschwerdevorentscheidungsverfahrens Stellungnahmen des Arztes für Allgemeinmedizin, welcher das Gutachten vom 05.09.2019 erstellt hatte, vom 13. und 14.11.2019 eingeholt. Darin blieb der Gutachter im Wesentlichen bei seiner bisherigen Beurteilung. Daher wurden von der belangten Behörde mit den Bescheiden vom 20. und 21.11.2019 Beschwerdevorentscheidungen erlassen, mit welchen sie die erhobene Beschwerde abwies.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1.       Mammakarzinom rechts (Erstdiagnose 2013), seit Jahren stationärer Befund, berücksichtigt Absiedelungen im Skelettsystem ohne Progressionszeichen;

2.       Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Vertebrostenose und Bandscheibenvorfall der LWS mit radiologisch und klinisch korrelierenden motorischen Ausfällen mit Fußsenkerschwäche beidseits und Indikation für neurochirurgischen Eingriff, mittelgradig eingeschränkte Beweglichkeit;

3.       Abnützungserscheinungen des Bewegungsapparates bei Knietotalendoprothese rechts und Hüftgelenksarthrose links bei mäßigen funktionellen Einschränkungen und geringgradiger posttraumatischer Funktionseinschränkung am rechten Handgelenk;

4.       Nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Diät und medikamentöse Therapie für ausgeglichene Stoffwechsellage erforderlich;

5.       Carpaltunnelsyndrom beidseits, Sensibilitätsstörungen ohne objektivierbares feinmotorisches Defizit;

6.       Hypothyreose, medikamentös gut einstellbar.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt aktuell 70 v. H. Das führende Leiden 1 wird durch die Leiden 2 und 3 um zwei Stufen erhöht, da jeweils ein relevantes Zusatzleiden vorliegt. Die weiteren Leiden erhöhen nicht weiter, da kein ungünstiges Zusammenwirken mit dem führenden Leiden 1 besteht.

Im Vergleich zum Vorgutachten aus dem Jahr 2016 ist der Gesamtgrad der Behinderung entsprechend den aktuell feststellbaren Funktionseinschränkungen neu beurteilt worden. Durch die Herabstufung von Leiden 1 kommt es zu einer Herabsetzung des Gesamtgrades der Behinderung.

Im Vergleich zu den im gegenständlichen Verfahren bisher eingeholten Gutachten kommt es hinsichtlich des Gesamtgrades der Behinderung zu einer Verschlimmerung aufgrund der Neueinstufung der Leiden 2 und 3 des aktuellen Gutachtens; vgl. dazu die nachfolgenden beweiswürdigenden Ausführungen.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt ab 26.06.2020 70 v.H.

Wegen maßgeblicher Minderung der Gehleistung aufgrund funktioneller Einschränkungen der unteren Extremitäten ist das selbständige Zurücklegen kurzer Wegstrecken von 300-400 m und das Überwinden von Niveauunterschieden derzeit erheblich beeinträchtigt.

Im Juli 2022 ist eine Nachuntersuchung der Beschwerdeführerin durchzuführen, da nach operativer Behandlung des Wirbelsäulenleidens und Rehabilitation eine wesentliche Besserung von Leiden 2 und 3 wahrscheinlich ist.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, wechselseitiger Leidensbeeinflussung, medizinischer Einschätzung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen im vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin vom 20.07.2020 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt. Die Gutachterin begründet ihre Beurteilungen im Gutachten vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Dieses aktuelle Gutachten wurde von beiden Parteien des Verfahrens nicht bestritten.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zum Wohnsitz, zum vormals befristet ausgestellten Behindertenpass, zur gegenständlichen Antragstellung, zu den im gegenständlichen Verfahren eingeholten Gutachten bzw. Stellungnahmen, zum gegenständlich ausgestellten Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H., zum Bescheid vom 04.10.2019, zur gegenständlich erhobenen Beschwerde sowie zu den erlassenen Beschwerdevorentscheidungen ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Der Gesamtgrad der Behinderung basiert auf dem seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten Sachverständigengutachten vom 20.07.2020, in welchem ein niedriger Grad der Behinderung als im Gutachten aus dem Jahr 2016, jedoch ein höherer Grad der Behinderung als im Vorgutachten vom 05.09.2019 festgestellt wurde. Im Gutachten vom 20.07.2020 wird auf die Art der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin, deren Ausmaß, wechselseitiger Leidensbeeinflussung, medizinischer Einschätzung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Das Gutachten setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit sämtlichen vorgelegten Befunden auseinander. Die getroffenen Einschätzungen entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (diesbezüglich wird auch auf die oben auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigungen wurden nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Bei der Beschwerdeführerin liegt aktuell ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H. vor. Das führende Leiden 1, Mammakarzinom rechts, wird durch die Leiden 2 (Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule) und 3 (Abnützungserscheinungen des Bewegungsapparates) um zwei Stufen erhöht, da jeweils ein relevantes Zusatzleiden vorliegt. Die weiteren Leiden erhöhen nicht, da kein ungünstiges Zusammenwirken mit dem führendem Leiden 1 besteht. Diese Feststellungen der vom Bundesverwaltungsgericht beigezogenen Gutachterin sind nicht zu beanstanden.

Im Vergleich zum Gutachten aus dem Jahr 2016 kam es hinsichtlich Leiden 1, Mammakarzinom rechts, zu einer Stabilisierung. Ein sicherer Nachweis von Lymphknotenabsiedelungen ist derzeit nicht gegeben (letzter PET CT vom 27.04.2017). Die ossären Absiedelungen haben sich in den letzten Jahren nicht verändert, das Gewicht ist konstant, es besteht kein Hinweis auf Kompressionswirbel. Es wurde daher eine Neueinstufung von Leiden 1 vorgenommen. Das Leiden 4 des Vorgutachtens aus dem Jahr 2016, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, wurde damals aktenmäßig mit einem Grad der Behinderung von 20 v.H. eingestuft und festgehalten, dass rezidivierende Beschwerden vorliegen und kein Hinweis auf ein motorisches Defizit bestehen würde. Diesbezüglich hat sich eine relevante Verschlimmerung eingestellt, es bestehen Dauerschmerzen mit motorischem Defizit und Operationsindikation, daher war eine entsprechende Neueinstufung vorzunehmen. Die Leiden 2 und 5 des Vorgutachtens aus dem Jahr 2016 (degenerative Veränderungen der Kniegelenke, Zustand nach Speichenbruch rechts) werden aktuell gemeinsam mit dem Hüftleiden zusammengefasst und als Leiden 3 neu eingestuft. Es ist vor allem hinsichtlich der Beschwerden im Bereich des linken Hüftgelenks zu einer maßgeblichen Verschlimmerung gekommen. Das Leiden 3 des Vorgutachtens, Diabetes mellitus, wird unverändert eingestuft. Eine maßgebliche Verschlimmerung ist nicht objektivierbar, insbesondere liegen keine Befunde vor, welche eine diabetische Polyneuropathie dokumentieren würden. Die Leiden 5 und 6 sind neu hinzugekommen, da diese gegenständlich objektivierbar waren. Der Gesamtgrad der Behinderung wurde daher entsprechend den aktuellen feststellbaren Funktionseinschränkungen neu errechnet. Durch die Herabstufung von Leiden 1 kam es zu einer Herabsetzung des Gesamtgrades der Behinderung um eine Stufe auf aktuell 70 v.H.

Im Vergleich zu dem im gegenständlichen Verfahren bisher eingeholten Gutachten vom 05.09.2019 (inklusive Stellungnahmen vom 13. und 14.11.2019) ist es hinsichtlich der Einstufung von Leiden 1 und 3 zu keiner Änderung gekommen. Das Leiden 4 des Gutachtens vom 05.09.2019, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, wurde aufgrund einer befundmäßig belegten maßgeblichen Verschlimmerung im aktuellen Gutachten als Leiden 2 neu eingestuft. Die Leiden 2 und 5 des Gutachtens vom 05.09.2019 wurden zusammengefasst und mit dem neu einzustufenden Hüftleiden im aktuellen Leiden 3, Abnützungserscheinungen des Bewegungsapparates, neu bewertet. Die Leiden 5 und 6 sind neu hinzugekommen, da diese gegenständlich objektivierbar waren. Hinsichtlich des Gesamtgrades der Behinderung kam es zu einer Verschlimmerung aufgrund der Neueinstufung von Leiden 2 und 3 des aktuellen Gutachtens, der Gesamtgrad der Behinderung wurde daher um zwei Stufen angehoben. In der Zwischenzeit hat sich somit hinsichtlich der Bandscheibenvorfälle der Lendenwirbelsäule und Vertebrostenose eine maßgebliche Verschlimmerung eingestellt, welche zu einer Neueinstufung des Wirbelsäulenleidens und somit zur Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung und zu einer Neubeurteilung der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung Verkehrsmittel führt. Sämtliche nachgereichten Befunde untermauern die klinisch objektivierbare Verschlimmerung und die durchgeführten Neubewertungen.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt seit dem Zeitpunkt ihrer persönlichen Untersuchung für das vom Bundesverwaltungsgericht erstellte Gutachten, somit seit 26.06.2020, 70 v.H., da jedenfalls ab diesem Zeitpunkt das volle Ausmaß der aktuell vorliegenden Funktionseinschränkungen, insbesondere der Leiden 2 und 3, objektivierbar war. Insbesondere wird in dem im Rahmen der Untersuchung der Beschwerdeführerin am 26.06.2020 vorgelegten MRT der LWS vom 27.04.2020 sowie im Befund eines näher genannten Facharztes für Orthopädie vom 26.05.2020 im Vergleich zum MRT der LWS vom 05.10.2019 und dem Befund des Facharztes für Orthopädie vom 08.10.2019 eine maßgebliche Verschlimmerung des Wirbelsäulenleidens dokumentiert.

Im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung ist es im Vergleich zum Gutachten aus dem Jahr 2016 zu keiner Veränderung gekommen. Aktuell konnte aufgrund der Zunahme der Vertebrostenose und der degenerativen Veränderungen mit Bandscheibenvorfall eine maßgebliche Verschlimmerung festgestellt werden, sodass eine Operationsindikation vorliegt und die Gesamtmobilität erheblich beeinträchtigt ist.

Aufgrund des Wirbelsäulenleidens mit radikulärem Defizit mit Vorfußsenkerschwäche beidseits und aufgrund der anhaltenden Beschwerden kommt es zu einer maßgeblichen Funktionseinschränkung der unteren Extremitäten. Es konnte weiters ein neurologisches Defizit festgestellt werden. Die Vorfußsenkerschwäche beidseits ist zwar nur mäßig ausgeprägt, in Zusammenschau mit der Vertebrostenose und den anhaltenden Beschwerden liegen derzeit jedoch erhebliche Einschränkungen vor.

Das Zurücklegen einer Gehstrecke von rund 10 min, entsprechend einer Entfernung von rund 300-400 m ist derzeit erheblich erschwert. Aufgrund der degenerativen Veränderungen vor allem der Lendenwirbelsäule mit Bandscheibenvorfällen L3/L4 und L4/L5 und maßgeblicher Vertebrostenose mit motorischen Ausfällen kommt es zu erheblichen Funktionseinschränkungen, es besteht eine Operationsindikation. Das behinderungsbedingte Erfordernis der Verwendung von zwei Unterarmstützkrücken ist derzeit gegeben. Das Überwinden von Niveauunterschieden, wie zum Beispiel beim Ein-und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrsmitteln, ist derzeit erheblich erschwert. Das sichere Bewegen und das Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht eingeschränkt.

In Zusammenschau sämtlicher vorgelegter Befunde der bildgebenden Diagnostik, des aktuellen Untersuchungsergebnisses und der erforderlichen analgetischen Therapie sind derzeit erhebliche Schmerzen anzunehmen.

Eine Intensivierung konservativer Maßnahmen würde zu keiner relevanten Beschwerdeerleichterung führen, eine Operation ist bereits terminisiert (16.07.2020).

Wegen maßgeblicher Minderung der Gehleistung aufgrund funktioneller Einschränkungen der unteren Extremitäten ist das selbständige Zurücklegen kurzer Wegstrecken von 300-400 m und das Überwinden von Niveauunterschieden derzeit erheblich beeinträchtigt.

Im Juli 2022 ist eine Nachuntersuchung der Beschwerdeführerin durchzuführen, da nach operativer Behandlung des Wirbelsäulenleidens und Rehabilitation eine wesentliche Besserung von Leiden 2 und 3 wahrscheinlich ist.

Seitens beider Parteien wurde das aktuelle Gutachten vom 20.07.2020 nicht bestritten. Es wurden gegen dieses Gutachten keinerlei Einwendungen vorgebracht.

Vonseiten des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Gutachtens vom 20.07.2020. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die beiden zu beurteilenden Verfahren werden gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Entscheidung verbunden

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

….

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:

㤠1 ...

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: 
1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a)…
b)…

2. …         
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und         
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder         
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder         
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder         
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder         
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6)..."

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zur Stammfassung BGBl. II 495/2013 wird - soweit im Beschwerdefall relevant - Folgendes ausgeführt:

Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise) – (nunmehr seit der Novelle BGBl. II Nr. 263/2016 unter § 1 Abs. 4 Z. 3 geregelt):

„Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss benützt werden.

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-        Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-        hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-        schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-        nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-        anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),

-        schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: a

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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