TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/3 W161 2231577-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EheG §17
EheG §21
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W161 2231577-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2020, Zl.: 1223160800/191313025, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine afghanische Staatsangehörige stellte am 18.03.2019 bei der österreichischen Botschaft XXXX unter Vorlage diverser Dokumente, darunter ein „Marriage Certificate“ des afghanischen Supreme Court (datiert mit XXXX , siehe AS 351), einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“.

Auf dem Antragsformular gab die BF an, verheiratet zu sein und über ein Bankkonto mit einem Vermögen von ca. 13.000 EUR zu verfügen. Zudem gab sie das Einkommen ihres „Ehegatten“ XXXX mit ca. 1.600 EUR an. Weiters gab die BF auf dem Formblatt an, noch nie gearbeitet zu haben. Die BF bestätigte ihre Angaben durch Abgabe ihres Fingerabdrucks.

2. In der niederschriftlichen Einvernahme vor der österreichischen Botschaft XXXX am 19.03.2019 führte die BF unter anderem aus, derzeit in Kabul mit ihrer Schwiegerfamilie zu leben. Ihr Vater würde sie unterstützen, zurzeit sei sie Hausfrau. Sie sei verheiratet. Ihr Ehegatte sei ein Verwandter (Großcousin des Vaters), sie hätten sich über das Internet kennengelernt. Das erste persönliche Treffen habe vor 10 Monaten in Kabul zur Hochzeit stattgefunden. Vor der Eheschließung hätten sie nur im Internet Kontakt gehabt, nicht persönlich. Sie selbst und ihre Familie seien mit der Eheschließung einverstanden gewesen. Befragt, warum sie jemanden geheiratet habe, den sie nicht kenne bzw. sie dem Antrag zugestimmt habe, gab die BF an: „Er ist reich, gute Person.“ Auf die Frage, ob sie ihren Ehepartner geheiratet habe, weil er im Westen lebe, antwortete die BF: „Ja das auch.“ Befragt, wann und wo sie die Ehe geschlossen habe, führte die BF aus, die religiöse Hochzeit sei am XXXX in Kabul gewesen, sie wisse das Datum nicht. Die Registrierung sei eine Woche nach der Hochzeit in Kabul erfolgt. Ihr Gatte sei sowohl bei der religiösen Hochzeit, als auch bei der Registrierung persönlich anwesend gewesen. Befragt, wann und wo sie ihren Ehemann zuletzt persönlich getroffen habe, gab sie an, dass dieser gerade bei ihr sie. Vor zwei Tagen sei er gekommen und werde für eine Woche bleiben. Auf die Frage, wie oft sie ihren Gatten seit der Eheschließung gesehen habe, führte sie aus: „Einmal jetzt und einmal vor der Hochzeit.“ Am Ende der Einvernahme bestätigte die BF ihre Angaben mittels Fingerabdruck.

Als Bemerkung der Vertretungsbehörde wurde angemerkt, dass die BF den Fingerabdruck bei der Unterschrift bevorzuge, sie eher ungebildet wirke und lange für die Antworten brauche.

3. Die zuständige Bezirkshauptmannschaft (NAG-Behörde) führte in weiterer Folge mehrere Erhebungen (betreffend die Wohnanschrift, die Arbeit, Einkünfte und die Straffälligkeit des XXXX ) durch. Zudem wurde eine Überprüfung der afghanischen Unterlagen durch eine Vertrauensperson der österreichischen Botschaft XXXX veranlasst.

4. Mit E-Mail vom 06.11.2019 teile die zuständige NAG-Behörde der österreichischen Botschaft XXXX die vorläufige Zusage für die Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ mit. Am 08.11.2019 wurde der Rechtsvertreter der BF von der positiven Verständigung der zuständigen NAG-Behörde verständigt.

5. Am 28.11.2019 wurde der BF ein Visum der Kategorie D, gültig vom 28.11.2019 bis 27.03.2020 zur Abholung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ ausgestellt.

6. Am 12.12.2019 reiste die BF legal in Besitz des Visums der Kategorie D auf dem Luftweg nach Österreich ein (von Kabul über Istanbul nach XXXX ).

7. Am 23.12.2019 stellte die BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (Antrag im Familienverfahren) in Österreich. Ihr Asylverfahren wurde am 23.12.2019 zugelassen.

8. Bei ihrer Erstbefragung am selben Tag gab die BF (in Beisein des XXXX ) an, in Kabul geboren zu sein. Sie wohne seit ihrer Ankunft in einer gemeinsamen Wohnung mit XXXX .

Als Grund für ihre Antragstellung gab sie an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Sie stelle den gegenständlichen Antrag deswegen, weil ihr „Ehegatte“ – XXXX – in Österreich den Status des Asylberechtigten erlangt habe und sie in Österreich denselben Schutz wie ihr Gatte beantrage.

9.1. Am 03.03.2020 wurde die BF vom BFA niederschriftlich in der Sprache Dari einvernommen und gab an, Dari und Englisch zu sprechen. Auch Deutsch habe sie in Afghanistan ein bisschen gelernt. Ihr gehe es gesundheitlich sehr gut. Sie sei verheiratet und habe keine Kinder.

Befragt zu ihrer Hochzeit gab die BF an wie folgt:

„LA: Wann haben Sie geheiratet?

VP: XXXX

LA: Wo haben Sie geheiratet?

VP: Ich habe in Afghanistan geheiratet und mein Mann kam dann nach Pakistan und wir haben in Pakistan auch gefeiert.

LA: In der Marriage Certificate des Supreme Court steht in der Rubrik Details: „The mentioned persons got married at their home located 8th district of Kabul […] on XXXX .“ Ich dachte daher Ihr Ehemann war bei der Ehe auch anwesend.

VP: Nein, mein Ehemann war nicht in Kabul.

LA: Wann und wo haben Sie Ihren Ehemann kennengelernt?

VP: Ich habe meinen Ehemann über das Internet kennengelernt und außerdem sind wir auch verwandt.

LA: In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen Sie zu Ihrem Ehemann?

VP: Der Großcousin väterlicherseits.

LA: Wann und wo fand das erste persönliche Treffen mit Ihrem Ehemann statt?

VP: Ich müsste im Reisepass nachschauen, wann ich nach Pakistan gereist bin.

Anmerkung: Die VP sieht im Reisepass nach.

VP: Das erste Mal haben wir uns im März 2019 getroffen. Nachgefragt, es war zur Zeit des Nowruz-Festes (21.03.)

LA: Sie haben ja am XXXX geheiratet und Ihren Ehemann erst im März 2019 das erste Mal getroffen. Das heißt, bei der Eheschließung war Ihr Ehemann nicht persönlich anwesend. Ist das richtig?

VP: Ja, mein Ehemann war bei unserer Hochzeit nicht anwesend.

LA: Wann wurde Ihre Ehe in Kabul registriert?

VP: Es steht in den Unterlagen.

Anmerkung: Auf der Marriage Certificate des Supreme Court steht XXXX .

LA: War bei der Registrierung der Ehe beim Supreme Court ihr Ehemann anwesend?

VP: Nein war er nicht.

LA: Am 19.03.2019 hatten Sie ein Interview bei der österreichischen Botschaft in

XXXX , Pakistan. Da gaben Sie an, dass Ihr Ehemann bei der Eheschließung anwesend gewesen sei. Was sagen Sie dazu?

VP: Sie können auch seinen Reisepass ansehen. Er war nicht dort.

LA: Sie haben angegeben, dass er bei der Eheschließung in Kabul gewesen sei.

VP: Nein das habe ich nicht angegeben, er kann nicht nach Afghanistan reisen.“

Zu ihren persönlichen Verhältnissen im Herkunftsstaat gab die BF an, immer in Kabul gelebt zu haben. Sie habe mit ihren Eltern, einer Schwester und drei Brüdern zusammengewohnt. Das Haus sei knapp 200qm groß gewesen, es habe vier Zimmer und zwei Garagen gehabt. Zudem habe es einen kleinen Garten vor dem Haus gegeben. Die Eltern würden nach wie vor in dem Haus leben. Sie habe auch noch zwei weitere Schwestern, aber diese seien schon verheiratet. Am heutigen Tag habe die das letzte Mal Kontakt zu ihrer Familie gehabt. Sie kommuniziere über Viber. Die Familienangehörigen würden eine Metzgerei betreiben. Die BF habe 12 Jahre die Schule (Mädchenschule) besucht.

Befragt, weshalb sie sämtliche Unterlagen für den Erhalt des Aufenthaltstitels nur mit Fingerabdruck unterzeichnet habe, gab die BF an: „Nur so. Ich kann auch unterschreiben, aber ich habe meinen Fingerabdruck gegeben. Das erste Mal haben Sie gesagt ich soll dort einen Fingerabdruck geben. Ich glaube später habe ich auch unterschrieben.“

Sie könne in ihrer Muttersprache lesen und schreiben. Einer Arbeit sei sie in Afghanistan nicht nachgegangen. In Afghanistan sei es nicht möglich, dass Mädchen zur Arbeit gehen. Sie habe nur die Schule besucht, nicht mehr. Sie habe es nicht notwendig gehabt zu arbeiten. Ihr Vater und ihre Brüder hätten gearbeitet. Zu ihrem Tagesablauf in Afghanistan gab sie an, es sei ein einfacher Alltag im Haushalt gewesen bzw. habe sie draußen jemanden besucht. Nach ihrer Heirat seien die Eltern des Ehemannes und auch ihre Eltern für ihren Lebensunterhalt aufgekommen. Sie habe manchmal da, manchmal dort gewohnt (bei Eltern und Schwiegereltern). Sie habe in Afghanistan ihre Tanten und Onkel väterlicherseits und mütterlicherseits besucht. Zudem sei sie in die Schule gegangen. Sie sei mit dem Auto zu ihren Tanten und Onkeln gekommen, ihr Bruder habe das Auto gefahren. In Kabul hätten immer die Brüder und der Vater den Einkauf gebracht. Kurz darauf gab die BF an, dass sie manchmal auch selber gegangen sei.

Zu ihrem Tagesablauf in Österreich befragt, gab sie an, sie sei zu Hause und manchmal draußen. Draußen gehe sie manchmal alleine, manchmal mit ihrem Mann spazieren.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die BF wie folgt an: „Wegen meinem Mann. Mein Mann kann nicht nach Afghanistan zurückkehren und wenn er nicht zurückkehren kann, dann kann ich auch nicht.“

Nochmals vom BFA aufgefordert, alle Gründe darzulegen, die sie persönlich dazu bewogen hätten den Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, gab die BF an: „Wie gesagt ich habe keine weiteren Gründe. Ich kann ohne meinen Mann nicht leben.“

Befragt, welche Befürchtungen sie in Bezug auf eine mögliche Rückkehr nach Afghanistan habe, führte die BF aus, dass es dort jeden Tag Anschläge gäbe und es in Kabul sehr schwierig wäre, weil sie jetzt mit ihrem Ehemann lebe.

Zu ihrem bisherigen Leben in Österreich befragt, gab die BF an, bis jetzt keine Kontakte geknüpft zu haben. Sie besuche bis jetzt auch keine Kurse, dies wolle sie aber machen. Sie sei im zweiten Monat schwanger. Sie sei auch keine Arbeit in Österreich nachgegangen. Ihr Ehemann finanziere ihr den Aufenthalt. In ihrer Freizeit zeichne und male sie (zu Hause). Sie sei kein Mitglied in Vereinen oder Organisationen.

Nach Vorhalt, dass ihr seitens der zuständigen Bezirkshauptmannschaft ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ ausgestellt worden sei und befragt, warum sie diesen nicht abgeholte habe, gab die BF an, dies nicht zu wissen bzw. gab sie nach Wiederholung der Frage an, dass sie einen österreichischen Pass haben wolle.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen gab sie ergänzend an, der Volksgruppe der Tadjik anzugehören und sunnitische Muslimin zu sein. Sie sei in Afghanistan keiner Verfolgung durch ihre Religionszugehörigkeit ausgesetzt gewesen, habe keine Schwierigkeiten mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten gehabt und habe sie auch keine Probleme mit privaten Personen/Personengruppen, Banden oder kriminellen Organisationen gehabt. Sie leide an keinen gesundheitlichen Problemen, habe keine Krankheiten und benötige aktuell keine bestimmte medizinische Betreuung oder Medikamente.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme legte die BF ein Zertifikat des „ XXXX “, wonach die BF das „A1 Buchprogramm Deutsch“ (von 01.07.2018 bis 03.09.2018) erfolgreich abgeschlossen habe. Zudem wurde der afghanische Reisepass der BF sichergestellt.

9.2. Am 03.03.2020 wurde auch der als Ehemann genannte XXXX als Zeuge vor dem BFA (in Anwesenheit der BF) einvernommen und gab an, dass die BF seine Ehefrau sei. Sie hätten am XXXX in Afghanistan geheiratet, er sei aber nicht auf der Hochzeit persönlich anwesend gewesen. Das erste Mal habe er seine Frau in Pakistan getroffen, dort hätten sie eine kleine Party gemacht. Die BF habe dort ein Interview bei der österreichischen Botschaft gehabt. Nach Vorhalt des Inhalts der Heiratsurkunde („The mentioned persons got married at their home located 8th district of Kabul“), gab der Zeuge an, nicht in Kabul gewesen zu sein. Befragt, wie er seine Frau kennengelernt habe, gab der Zeuge an, dass sie verwandt seien. Sie hätten sich über WhatsApp und Facebook gefunden und Gespräche gehabt. Das erste persönliche Treffen habe in Pakistan ( XXXX ), im März 2019 stattgefunden.

Vom BFA wurde vermerkt, dass der Zeuge seinen Konventionsreisepass vorgezeigt habe, worin als Tag des Abflugs von XXXX der 16.03.2019, als Tag der Ankunft in XXXX der 24.03.2019 und das Visum für Pakistan für den Zeitraum 16.01.2019 bis 15.04.2019 ersichtlich sei.

Befragt, ob er am XXXX , als die Ehe beim Supreme Court in Afghanistan registriert worden sei, anwesend gewesen sei, gab der Zeuge an, nicht dabei gewesen zu sein. Man könne sich einen Rechtsanwalt nehmen, diese Leute würden das dann machen. Nach Vorhalt, dass die Aufenthaltskarte der BF bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft zur Ausfolgung aufliege und befragt, warum die Karte bis jetzt nicht abgeholt worden sei, gab der Zeuge an, dass die BF gesagt habe, dass sie die Karte nicht haben wolle.

10. Am 04.03.2020 teilte das BFA der zuständigen NAG-Behörde mit, dass XXXX entgegen der Angaben der BF im Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht bei der Eheschließung am XXXX und der einen Monat später stattgefundenen Registrierung beim Supreme Court anwesend gewesen sei. Zudem wurde mitgeteilt, dass es sich nach Ansicht des BFA daher um eine Stellvertreterehe handle, die mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar sei. Die Einvernahme der BF sowie des Zeugen vom 03.03.2020 wurden der Bezirkshauptmannschaft übermittelt.

11. Am 31.03.2020 wurde eine Schwangerschaftsbestätigung eines Facharztes für Gynäkologie (datiert mit 30.03.2020) vorgelegt. Es wird ausgeführt, dass sich die BF in der 10. Schwangerschaftswoche befinde und der voraussichtliche Geburtstermin der XXXX sei.

12. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 29.04.2020 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag der BF bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde der BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde in Spruchpunkt V. festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Zudem wurde in Spruchpunkt VI. festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Das Bundesamt stellte fest, dass die BF afghanischer Staatsangehöriger sei, der Volksgruppe der Tadschiken angehöre und sie sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekenne. Ihre Identität stehe fest. Sie sei volljährig und habe am XXXX in Kabul XXXX in dessen Abwesenheit in Form einer „Stellvertreterehe“ geheiratet. Die von der BF vollzogene „Stellvertreterehe“ sei in Österreich nicht rechtsgültig. Die BF befinde sich in einer Lebensgemeinschaft mit XXXX . Derzeit befinde sich die BF in der 14. Schwangerschaftswoche, der voraussichtliche Geburtstermin sei der XXXX . Sie spreche die Sprachen Dari und habe in Kabul gelebt. Sie habe in Afghanistan 12 Jahre lang die Schule besucht, sei alphabetisiert und könne ihre Muttersprache Dari lesen und schreiben. Die BF sei gesund, nicht immungeschwächt und im erwerbsfähigen Alter. Sie sei am 12.12.2019 in Besitz eines Visums der Kategorie D legal am Luftweg in das Bundesgebiet eingereist, das ausgestellte Visum (Gültigkeit: 28.11.2019 bis 27.03.2020) sei mit der Asylantragstellung als gegenstandslos erklärt worden. Den von ihr beantragte und bei der zuständigen NAG-Behörde aufliegende Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ habe sie bis dato nicht behoben. Die BF sei strafrechtlich unbescholten, ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG liege nicht vor.

Es könne nicht festgestellt werden, dass die BF ihren Herkunftsstaat aufgrund einer konkreten individuellen Verfolgung aus in der GFK aufgezählten Gründen verlassen habe oder sie nach einer allfälligen Rückkehr asylrelevante Übergriffe zu befürchten habe. Ferner habe nicht festgestellt werden können, dass sie seit ihrer Einreise eine Lebensweise angenommen habe, die einen deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstelle.

Beweiswürdigend führte das BFA zur Hochzeit im Wesentlichen aus, dass die BF im Zuge ihrer Einvernahme vor der österreichischen Botschaft XXXX angegeben habe, XXXX in Kabul bei ihrer Hochzeit ( XXXX ) erstmals persönlich getroffen zu haben, bzw. dass er bei der offiziellen Registrierung der Ehe eine Woche später in Kabul persönlich anwesend gewesen sei, während sie diese Angaben in ihrer Einvernahme im Zuge ihres Asylverfahrens wieder widerrufen und nunmehr zu Protokoll gegeben habe, dass sie XXXX erstmals am 21.03.2019 in Pakistan persönlich getroffen habe und dieser auch nicht bei der Registrierung der Ehe beim Supreme Court persönlich anwesend gewesen sei. Auch XXXX habe in der Einvernahme als Zeuge befragt angegeben, dass die Hochzeit am XXXX stattgefunden habe und er weder bei der Hochzeit, noch bei der späteren Registrierung anwesend gewesen sei, weshalb von einer „Stellvertreterehe“ auszugehen sei.

Hinsichtlich der Fluchtgründe führte das BFA beweiswürdigend aus, dass sich die BF lediglich auf die Fluchtgründe ihres vermeintlichen Ehemannes gestützt habe bzw. davon gesprochen habe, dass es in Afghanistan jeden Tag Anschläge gäbe. Gegenständlich liege aber kein Familienverfahren vor, weshalb eine Ableitung des Status der Asylberechtigten nicht möglich sei. Bei der BF sei auch nicht von einer westlichen Lebensweise auszugehen, zumal die BF sich erst seit 4,5 Monaten in Österreich befinde und bis dato keine Kurse besucht habe. Sie habe hier auch keine Kontakte geknüpft. Der Umstand, dass sie in Österreich auch alleine in das nächstgelegene Lebensmittelgeschäft einkaufen gehe, reiche nicht aus, um einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den in Afghanistan verbreiteten gesellschaftlichen Werten zu indizieren, zumal sie auch in Kabul selbständig in ihrem Stadtteil Lebensmittel einkaufen gegangen sei. Ebenso sei sie nicht in der Lage gewesen in der Einvernahme in deutscher Sprache zu kommunizieren. Auch habe die BF die in vielen westlichen Ländern übliche nonverbale Begrüßungs- und Verabschiedungsformel des Handschlages erst nach einer Aufforderung durch ihren Lebensgefährten erwidert und sei sie offenbar mit dieser Begrüßungsformel noch nicht oft konfrontiert gewesen. Eine Verfolgung iSd GFK habe die BF daher nicht zu befürchten.

Betreffend die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz Kabul zumutbar sei. Die BF verfüge über Schulbildung und sei alphabetisiert. Sie befinde sich zwar in der 14. Schwangerschaftswoche, sei aber gesund, im erwerbsfähigen Alter und wäre grundsätzlich in der Lage am Erwerbsleben in ihrem Herkunftsstaat teilzunehmen. Es würden keine Hinweise auf eine Problemschwangerschaft bestehen. Bis zu ihrer Ausreise habe sie bei ihrem Familienangehörigen bzw. den Familienangehörigen ihres behaupteten Ehegatten gelebt. Die Eltern und Geschwister seien in Kabul in einem 200qm großen Haus wohnhaft. Die Familie besitze eine Metzgerei. Die BF habe bis zu ihrer Ausreise nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Sie stehe mit ihren Familienangehörigen in Kontakt und seien keine Gründe zutage gekommen, weshalb die Familienangehörigen bei einer nunmehrigen Rückkehr die BF nicht mehr unterstützen können würden. Zudem erhalte sie Unterstützung in Form von finanzieller Rückkehrhilfe. Insgesamt würden sohin keine Rückkehrhindernisse bestehen.

Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass die BF in Afghanistan eine „Stellvertreterehe“ eingegangen sei, diese Ehe in Österreich nicht rechtsgültig sei und die Rückkehrentscheidung daher keinen Eingriff in ihr Familienleben darstelle. Sie befinde sich in einer Lebensgemeinschaft mit einem Asylberechtigten, diese Lebensgemeinschaft bestehe erst dauerhaft seit der Einreise der BF ins Bundesgebiet, sohin seit ca. 4,5 Monaten. Die BF habe im Zuge des Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels wissentlich falsche Angaben gemacht und bestehe daher der Verdacht, dass sie sich die Einreise ins Bundesgebiet und den vorübergehend rechtmäßigen Aufenthalt mittels Visums erschlichen habe. Da sie ihren Aufenthaltstitel bis dato nicht abgeholte habe und offenkundig dessen Annahme verweigere, verfüge sie lediglich über ein temporäres Aufenthaltsrecht nach dem AsylG. Weiters verfüge die BF über kein Einkommen, für ihren Lebensunterhalt komme ihr Lebensgefährte auf. Sie habe in Österreich - bis auf ihren Lebensgefährten - keine engen Kontakte, besuche hier keine Kurse und sei auch nicht in der Lage in deutscher Sprache zu kommunizieren. Den ausgestellten Aufenthaltstitel habe sie bis dato nicht entgegengenommen und werde ihr Aufenthalt in Österreich daher lediglich durch die Stellung des gegenständlichen Asylantrages legitimiert. Insgesamt sei daher kein schützenswertes Privatleben in Österreich entstanden.

13. Gegen den Bescheid des BFA richtet sich die vollumfängliche Beschwerde. Darin wird ausgeführt, die belangte Behörde verkenne, dass die BF bei einer zwangsweisen Rückkehr nach Kabul als alleinerziehende Mutter in Kabul leben müsse. Das Leben als alleinerziehende Mutter und das Verlassen des Ehemannes aus welchen Gründen auch immer, stelle ein Fehlverhalten im Sinne der Scharia dar. Das Verlassen des Ehemannes, die Wohnsitzaufnahme als alleinstehende Frau und die Alleinerziehung des Kindes seien westliche Verhaltensweisen und würden eine Verletzung von afghanisch-gesellschaftlichen Normen darstellen. Eine Wohnsitzaufnahme in der Unterkunft der Herkunftsfamilie sei nicht möglich. Ab dem Zeitpunkt der Heirat habe die Tochter entsprechend der gesellschaftlichen Normen in Afghanistan nicht mehr das Recht im Haus der Eltern zu wohnen und würden sich die Eltern nicht über diese sittliche Gefahr hinwegsetzen können. Auch eine IFA scheide aus. Als alleinerziehende Mutter, ohne männliche Begleitung könne die BF keine Wohnung anmieten. Alleine zu wohnen bzw. die Kindererziehung alleine zu bewerkstelligen widerspreche ebenfalls den moralischen Normen. Für die BF und ihr ungeborenes Kind stelle eine Rückkehr eine große Gefahr für Gesundheit und Leben dar. Die Sicherheitslage in Kabul habe sich verschlechtert. Im Mai 2020 habe es zwei Anschläge gegeben (Angriff auf eine Entbindungsstation und ein Krankenhaus) wobei viele Menschen zu Tode gekommen seien. Eine sichere Entbindung sei nicht gewährleistet, da die Terroristen westliche Medizin für verdorben halten würden. Die BF würde durch ihren Aufenthalt in Europa ins Fadenkreuz terroristischer Gruppen gelangen und seien Rückkehrer vermehrt Opfer von Gewalt. Die BF sei wegen der Angriffe in Kabul sehr verängstigt und habe sich die Situation in den Krankenhäusern Kabuls durch COVID noch verschlimmert. Sie leide an panikartigen Angstzuständen und sei eine Gefährdung des ungeborenen Kindes aufgrund der psychischen Ausnahmesituation bei einer Rückkehr nicht auszuschließen. Eine Behandlung von Angststörungen sei in Afghanistan nicht zureichend möglich und würde durch psychischen Stress in der Schwangerschaft das Risiko einer Fehlgeburt erhöht werden. Die Eheschließung der BF sei entsprechend der gültigen örtlichen Formvorschriften zustande gekommen und daher wirksam. Am Eheschließungswillen zum Zeitpunkt der Hochzeit sei aufgrund der gemeinsamen Lebensführung nicht zu zweifeln. Eine Etablierung des Familienlebens im Herkunftsland Afghanistan sei aufgrund der Verfolgung des Ehemannes nicht möglich. Der Ehemann sei in Österreich integriert, gehe einer Beschäftigung nach und habe eine Existenzgrundlage für die Familie aufgebaut. Die Ehe bestehe seit zwei Jahren, das Paar lebe seit etwa einem halben Jahr zusammen und werde die BF in wenigen Monaten das gemeinsame Kind zur Welt bringen. Der Aufenthalt der BF sei zu jedem Zeitpunkt legal gewesen, sie sei strafrechtlich unbescholten. Weder zum Zeitpunkt der Eheschließung, noch zum Zeitpunkt der Einreise habe es Anhaltspunkte für einen unsicheren oder fehlenden Aufenthaltsstatus gegeben. Die BF lerne im Heimstudium (E-Learning) intensiv Deutsch. Der Besuch eines Deutschkurses sei wegen COVID nicht möglich.

14. Die BF wurde im Zuge einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 13.07.2020 durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu den Lebensumständen in Afghanistan, ihren Fluchtgründen, der Hochzeit und ihrer Integration in Österreich befragt. Auch XXXX wurde in der Verhandlung als Zeuge zur Hochzeit sowie zu ihrem gemeinsamen Leben in Österreich befragt. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil, die Verhandlungsmitschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF und des von ihr genannten Ehegatten:

Die Identität der BF steht fest.

Die volljährige BF ist eine Staatsangehörige Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zum muslimischen Glauben (Sunnitin). Ihre Muttersprache ist Dari.

Die BF wurde in Afghanistan in der Stadt Kabul geboren, wo sie gemeinsam mit ihrer Familie (Elter, drei Brüder und einer Schwester) - bis zu ihrer Ausreise nach Europa - in einem Haus mit etwa 200qm lebte. Zwei weitere Schwestern der BF halten sich in Afghanistan auf, diese sind schon verheiratet und bereits aus dem Elternhaus ausgezogen.

Die BF besuchte in Afghanistan 12 Jahre lang die Schule und kann in ihrer Muttersprache Dari schreiben und lesen. Sie verfügt über keine Berufserfahrung. Der Vater und die Brüder der BF sind für ihren Lebensunterhalt aufgekommen.

Der afghanische Staatsangehörige XXXX reiste im Oktober 2012 ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.10.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Im Folgenden: BFA) vom 02.02.2015, Zl. XXXX , wurde diesem Antrag stattgegeben und XXXX gemäß § 3 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt sowie festgestellt, dass ihm kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die BF hat den seit 02.02.2015 in Österreich Asylberechtigten XXXX am XXXX in Kabul in dessen Abwesenheit traditionell vor einem Mullah geheiratet und diese Ehe – in Abwesenheit des XXXX - am XXXX in Kabul staatlich registrieren lassen. Sowohl die Eltern der BF, als auch die Eltern des XXXX waren mit der Hochzeit einverstanden. Die BF ist mit XXXX weitschichtig verwandt, sie hat erst im Erwachsenenalter mit ihm via Internet kommuniziert und ihn erstmals bei ihrer Hochzeitsfeier in Pakistan (am 17.03.2019, eine Woche lang) persönlich getroffen.

Die BF besorgte sich unter Nennung teilweise falscher Angaben ein Visum D bei der österreichischen Botschaft XXXX und reiste damit am 12.12.2019 in Österreich ein, wo sie am 23.12.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Sie lebt mit XXXX in Österreich seit 16.12.2019 in einem Haushalt und liegt seit diesem Zeitpunkt eine Lebensgemeinschaft mit diesem vor. Eine in Österreich gültige Ehe kann nicht festgestellt werden.

Die Familie der BF sowie auch die Familie des XXXX leben aktuell noch in Afghanistan. Die Eltern, drei Brüder und eine Schwester der BF leben nach wie vor in dem Haus in der Stadt Kabul. Zwei weitere Schwestern der BF sind bereits verheiratet und aus dem Elternhaus ausgezogen. Die Familie der BF verdient sich ihren Lebensunterhalt durch den Betrieb einer Metzgerei, ihre finanzielle Lage ist gut. Die BF hat mit ihrer Familie regelmäßigen Kontakt.

Die BF ist aktuell schwanger, der voraussichtliche Geburtstermin ist der XXXX . Sie hat in der Schwangerschaft keine gesundheitlichen Probleme, es liegt keine Problem- oder Risikoschwangerschaft vor. Sie leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, die einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen würden.

1.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

Die BF hat ihren Herkunftsstaat Afghanistan lediglich verlassen, um mit bzw. bei XXXX leben zu können. Individuelle Fluchtgründe brachte die BF nicht vor.

Ihr droht individuell und konkret, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität.

Die BF wurde in Afghanistan auch niemals konkret bedroht und war keiner Verfolgung durch die Taliban, staatliche Organe oder durch andere Gruppierungen ausgesetzt.

Bei der BF handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist.

Sie hat in Österreich keine Deutschkurse absolviert und kann sich in deutscher Sprache nicht verständigen. Sie ist kein Mitglied in Vereinen, hat hier keine nennenswerten Kontakte geknüpft, hat keine Weiterbildungsmöglichkeiten in Anspruch genommen und war hier auch nicht berufstätig. Sie hält sich primär zu Hause auf, kümmert sich um den Haushalt, malt und zeichnet. Sie bewegt sich hauptsächlich in ihrem räumlichen Nahebereich und geht allenfalls alleine aus dem Haus um in nahegelegenen Supermärkten den Einkauf zu erledigen bzw. spazieren zu gehen. Sie bewegt sich in einem sehr kleinen Radius in Österreich. Auch in Afghanistan war sie nicht berufstätig und hat das Haus größtenteils nur verlassen, um in die Schule zu gehen und Verwandte zu besuchen. Den Lebensmittel-Einkauf in Afghanistan haben meist Brüder und der Vater erledigt, manchmal ist die BF selbst zum Einkauf gegangen.

Es konnte nicht glaubhaft dargelegt werde, dass die BF während ihres kurzen Aufenthaltes in Österreich eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würden.

Die BF ist in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keinen psychischen oder physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt.

Sie hatte in Afghanistan auch keine konkret und individuell gegen sie gerichtete Probleme aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit zu den sunnitischen Tadschiken.

Die BF wurde in ihrem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatte mit den Behörden ihres Herkunftsstaates weder aufgrund ihrer Rasse, Nationalität, seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwo Probleme. Sie war nie politisch tätig und gehörte keiner politischen Partei an.

Es kann daher nicht festgestellt werden, dass die BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine an ihre Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seine politische Überzeugung anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

Der BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan in ihre Heimatstadt Kabul kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.

Die BF kann in der Stadt Kabul ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich befriedigen, ohne in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die BF ist mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut. Die BF kann - sowie schon vor ihrer Ausreise aus Afghanistan – wieder im Haus ihrer Eltern oder ihrer Schwiegereltern in der Stadt Kabul Unterkunft finden. Da der Vater und die Brüder der BF auch schon zuvor für den Lebensunterhalt der BF aufgekommen sind, ist davon auszugehen, dass diese auch nach der Rückkehr der BF wieder für sie und später für ihr Kind sorgen werden. Die finanzielle Lage der Familie in Afghanistan ist laut Angaben der BF gut, die Familie der BF betreibt eine Metzgerei. Die BF kann zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Für das Auskommen und Fortkommen der BF ist somit gesorgt.

Auch eine medizinische Versorgung ist in der Stadt Kabul vorhanden.

Die BF kann die Stadt Kabul sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Es ist der BF somit insgesamt möglich nach einer Rückkehr in der Stadt Kabul Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landleute führen können.

1.4. Zum (Privat) Leben der BF in Österreich:

Die BF reiste am 12.12.2019 legal (in Besitz eines Visums der Kategorie D) über den Luftweg nach Österreich ein. Sie hält sich somit seit etwa sieben Monaten im Bundesgebiet auf.

Sie lebt seit ihrer Einreise in einem gemeinsamen Haushalt mit XXXX und bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung, für ihren Lebensunterhalt kommt XXXX auf.

Die BF hat zwar in Afghanistan eine Art „Deutschkurs“ besucht, tatsächlich kann sie sich auf Deutsch aber nicht verständigen. In Österreich hat sie bis dato keinen Deutschkurs und auch keine anderweitigen Fortbildungen und keine Schule besucht. Sie ist kein Mitglied in Vereinen und ist auch keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen. Die BF kümmert sich primär um den Haushalt, in ihrer Freizeit zeichnet und malt sie. Zudem geht sie spazieren und gelegentlich in nahegelegene Supermärkte einkaufen. Sie hat in Österreich keine freundschaftlichen Kontakte geknüpft.

Die BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Unter Bezugnahme auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, letzte Kurzinfo vom 29.06.2020), die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 und den EASO-Bericht zu Afghanistan von Juni 2019, werden folgende entscheidungsrelevante, die Person der BF individuell betreffende Feststellungen zu Lage in Afghanistan getroffen:

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Stand: 18.5.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

?        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

?        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

Politische Lage

Letzte Änderung: 18.5.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten