TE Lvwg Erkenntnis 2019/6/14 VGW-001/069/16242/2018, VGW-001/069/16243/2018

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.06.2019
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Entscheidungsdatum

14.06.2019

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
70/05 Schulpflicht

Norm

VStG §45 Abs1 Z2
SchPflG 1985 §11 Abs4
SchPflG 1985 §24 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Hillisch über

– die Beschwerde der Frau A. B. gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 25.10.2018, Zl. MBA ..., wegen Übertretung des § 24 Abs. 1 erster Satz iVm § 11 Abs. 4 Schulpflichtgesetz 1985 (SchPflG), und

– die Beschwerde des mj. C. B. gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 25.10.2018, Zl. MBA ..., wegen Übertretung des § 24 Abs. 1 zweiter Satz iVm § 11 Abs. 4 Schulpflichtgesetz 1985 (SchPflG),

nach durchgeführter mündlicher Beschwerdeverhandlung zu Recht:

I. Die Straferkenntnisse werden aufgehoben und die Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Angefochtene Straferkenntnisse, Beschwerden und Verfahrensgang

1.       Das angefochtene Straferkenntnis, gerichtet an die Erstbeschwerdeführerin, Zl. MBA ..., hat folgenden Spruch:

„Sie haben als Erziehungsberechtigte eines Schülers und zwar C. B., geb. 2002, für welchen die Teilnahme an einem gleichwertigen Unterricht durch den Stadtschulrat bewilligt worden, nicht für die Ablegung der Externistenprüfung im Schuljahr 2017/218 gesorgt.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§ 24 Abs.1 erster Satz i.V.m. § 11 Abs.4 des Bundesgesetzes über die Schulpflicht (Schulpflichtgesetz 1985) BGBl. Nr. 76/1985 idgF

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von € 160,00, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 9 Stunden gemäß § 24 Abs.4 leg.cit.

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

€ 16,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10% der Strafe (mindestens jedoch € 10,00 je Übertretung).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher € 176,00.

Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen.“

2.       Das weiters angefochtene Straferkenntnis, gerichtet an den Zweitbeschwerdeführer, Zl. MBA ..., hat folgenden Wortlaut:

„Sie haben als Schulpflichtiger, welcher das 14 Lebensjahr vollendet hat und für welchen die Teilnahme an einem gleichwertigen Unterricht durch den Stadtschulrat bewilligt worden ist, keine Externistenprüfung über die betreffende Schulstufe im Schuljahr 2017/218 abgelegt.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§ 24 Abs.1 zweiter Satz i.V.m. § 11 Abs.4 des Bundesgesetzes über die Schulpflicht (Schulpflichtgesetz 1985) BGBl. Nr. 76/1985 idgF

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von € 110,00 gemäß § 24 Abs.4 leg.cit.

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

€ 11,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10% der Strafe (mindestens jedoch € 10,00 je Übertretung).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher € 121,00.

Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen.“

3.       Dagegen richten sich die rechtzeitigen Beschwerden der Beschwerdeführer, in denen sie im Wesentlichen ausführen, dass der Zweitbeschwerdeführer im Schuljahr 2017/18 zu vier Prüfungen angetreten sei; mehr Antrittstermine seien dem Zweitbeschwerdeführer aufgrund seiner (psychischen) Erkrankung nicht möglich gewesen.

4.       Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien unter Anschluss des verwaltungsbehördlichen Akts vor.

5.       Die Bildungsdirektion für Wien übermittelte auf Aufforderung des Verwaltungsgerichts Wien die den Zweitbeschwerdeführer betreffenden Akteninhalte und erstattete eine Stellungnahme.

6.       Am 12. März 2019 fand am Verwaltungsgericht Wien eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, im Zuge derer die Beschwerdeführer einvernommen wurden.

7.       Am 16. Mai 2019 erstellte der amtssachverständige Facharzt für Psychiatrie und Neurologie nach Untersuchung des Zweitbeschwerdeführers ein fachärztliches Gutachten, welches am 23. Mai 2019 dem Verwaltungsgericht Wien übermittelt wurde. Die belangte Behörde erstattete dazu nach Einräumung einer zweiwöchigen Stellungnahmefrist keine Stellungnahme.

II. Feststellungen

1.       Im Schuljahr 2016/17 absolvierte der Zweitbeschwerdeführer die 4. Klasse der Privaten Neuen Mittelschule D..

2.       Mit Ansuchen vom 7. Juni 2017 beantragte die Erstbeschwerdeführerin beim Stadtschulrat für Wien (nunmehr: Bildungsdirektion für Wien) die Zulassung des Zweitbeschwerdeführers zur Externistenprüfung gemäß § 11 Schulpflichtgesetz für die 9. Schulstufe nach dem Lehrplan des Wirtschaftskundlichen Realgymnasiums. Mit Entscheidung der Externistenprüfungskommission des Stadtschulrates für Wien vom 11. September 2017 wurde der Beschwerdeführer zu den Externistenprüfungen in den näher bezeichneten Gegenständen zugelassen. Weiters zeigte die Erstbeschwerdeführerin mit Schreiben vom 3. Juli 2017 die Teilnahme an häuslichem Unterricht gemäß § 11 Abs. 2 Schulpflichtgesetz an. Diese Anzeige wurde vom Stadtschulrat für Wien mit Schreiben vom 5. Juli 2017 zur Kenntnis genommen.

3.       Die Erstbeschwerdeführerin meldete den Zweitbeschwerdeführer im Laufe des Schuljahres 2017/18 zu den Prüfungen in den Fächern Bildnerische Erziehung, Geographie und Wirtschaftskunde, Geschichte und Sozialkunde und Musikerziehung an. Der Zweitbeschwerdeführer trat zu diesen Prüfungen an und absolvierte die Fächer Bildnerische Erziehung am 11. Dezember 2017 sowie Geographie und Wirtschaftskunde am 21. Februar 2017 positiv; in den Fächern Geschichte und Sozialkunde sowie Musikerziehung wurden die im April 2018 abgelegten Prüfungen jeweils mit „Nicht genügend“ beurteilt. Zu den Prüfungen in den Fächern Deutsch, Englisch, Italienisch, Mathematik, Biologie und Umweltkunde, Haushaltsökonomie und Ernährung sowie Informatik wurde der Zweitbeschwerdeführer nicht angemeldet und trat dieser nicht an.

4.       Der Zweitbeschwerdeführer leidet seit dem Volksschulalter unter einer hyperkinetischen Störung (ICD 10: F 90). In den Jahren 2017 und 2018 kam es aufgrund einer belastenden schulischen Situation zu einer depressiven Reaktion (Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung, F 92.0). Im Zeitraum von 01. Juli 2017 bis 30. September 2018 war die schulische Leistungsfähigkeit des Zweitbeschwerdeführers weitgehend eingeschränkt. Die Ablegung der vorgesehenen Externistenprüfungen war dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Ein Antreten zu weiteren Prüfungen und eine negative Absolvierung hätten im damaligen Zeitraum zu einer Zunahme der Symptomatik und damit zu einer weiteren wesentlichen Verschlechterung der psychischen Gesundheit geführt.

III. Beweiswürdigung

1.       Der festgestellte Sachverhalt ist im Wesentlichen unstrittig und ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt, den Angaben der Beschwerdeführer und der Stellungnahme und vorgelegten Unterlagen der Bildungsdirektion für Wien.

2.       Die Feststellungen zum psychischen Gesundheitszustand und zur eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Zweitbeschwerdeführers ergeben sich aus dem schlüssigen fachärztlichen Gutachten des Amtssachverständigen.

IV. Rechtsgrundlagen

1. § 11 Abs. 2 und 4 sowie § 24 Abs. 1 und 4 Schulpflichtgesetz 1985, BGBl. 76/1985, lauteten in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I 48/2014:

„C. Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht durch Teilnahme an einem gleichwertigen Unterricht

Besuch von Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht und häuslicher Unterricht

§ 11. […]

(2) Die allgemeine Schulpflicht kann ferner durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule – ausgenommen die Polytechnische Schule – mindestens gleichwertig ist.

[…]

(4) Der zureichende Erfolg eines im Abs. 1 oder 2 genannten Unterrichtes ist jährlich vor Schulschluß durch eine Prüfung an einer im § 5 genannten entsprechenden Schule nachzuweisen, soweit auch die Schüler dieser Schulen am Ende des Schuljahres beurteilt werden. Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht, so hat der Landesschulrat anzuordnen, daß das Kind seine Schulpflicht im Sinne des § 5 zu erfüllen hat.

[…]

Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Schulpflicht und Strafbestimmungen

§ 24. (1) Die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten sind verpflichtet, für die Erfüllung der Schulpflicht, insbesondere für den regelmäßigen Schulbesuch und die Einhaltung der Schulordnung durch den Schüler bzw. in den Fällen der §§ 11, 13 und 22 Abs. 4 für die Ablegung der dort vorgesehenen Prüfungen zu sorgen. Minderjährige Schulpflichtige treten, sofern sie das 14. Lebensjahr vollendet haben, hinsichtlich dieser Pflichten neben die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten. Sofern es sich um volljährige Berufsschulpflichtige handelt, treffen sie diese Pflichten selbst.

[…]

(4) Die Nichterfüllung der in den Abs. 1 bis 3 angeführten Pflichten, hinsichtlich der Pflicht zum regelmäßigen Schulbesuch jedoch erst nach erfolgloser Durchführung der Maßnahmen gemäß § 25 Abs. 2 bis 6, stellt eine Verwaltungsübertretung dar und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 440 €, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen.“

V. Rechtliche Beurteilung

1.       Nach § 11 Abs. 4 Schulpflichtgesetz 1985 (SchPflG) ist der zureichende Erfolg eines im Abs. 1 oder 2 genannten Unterrichtes jährlich vor Schulschluss durch eine Prüfung an einer im § 5 genannten entsprechenden Schule nachzuweisen, soweit auch die Schüler dieser Schule am Ende des Schuljahres beurteilt werden. Was unter der in § 11 Abs. 4 SchPflG angeordneten "Prüfung" zu verstehen ist, ergibt sich aus den Regelungen des Schulunterrichtsgesetzes (SchUG). Der "Nachweis des zureichenden Erfolges des Unterrichts" im Sinne des § 11 Abs. 4 SchPflG kann nur durch eine entsprechend den Bestimmungen über die Externistenprüfungen abgelegte Prüfung (vgl. § 42 SchUG) erbracht werden, deren Gesamtbeurteilung in dem über die Prüfung auszustellenden Zeugnis wenigstens mit "bestanden" beurkundet wurde (vgl. VwGH 27.3.2014, 2012/10/0154).

2.       Der Zweitbeschwerdeführer hat im Schuljahr 2017/18 nicht in allen der gewählten Schulart entsprechenden Prüfungsgegenständen eine Prüfung abgelegt. Insoweit hat er den vorgeworfene Verwaltungsübertretung des § 24 Abs. 1 zweiter Satz iVm § 11 Abs. 4 SchPflG in objektiver Hinsicht verwirklicht. Ebenso hat damit auch die Erstbeschwerdeführerin nicht für die Ablegung der entsprechenden Prüfungen Sorge getragen und damit die Verwaltungsübertretung des § 24 Abs. 1 erster Satz iVm § 11 Abs. 4 SchPflG in objektiver Hinsicht verwirklicht.

3.       Wie sich aus den getroffenen Feststellungen ergibt, war die schulische Leistungsfähigkeit des Zweitbeschwerdeführer aufgrund seiner psychischen Erkrankungen im Schuljahr 2017/18 so weit eingeschränkt, dass ihm eine positive Absolvierung der nicht absolvierten Prüfungen nicht möglich war. Ein Antreten zu weiteren Prüfungen und eine negative Absolvierung hätten im damaligen Zeitraum zu einer Zunahme der Symptomatik und damit zu einer weiteren wesentlichen Verschlechterung der psychischen Gesundheit geführt. Vor diesem Hintergrund war es dem Zweitbeschwerdeführer nicht zumutbar, zu den ausständigen Prüfungen anzutreten. Dem entsprechend war es der Erstbeschwerdeführerin nicht möglich, ohne eine zu befürchtende Gesundheitsgefährdung des Zweitbeschwerdeführers für einen Prüfungsantritt zu sorgen. Vor diesem Hintergrund sind die objektiv verwirklichten Verwaltungsübertretungen den Beschwerdeführern in subjektiver Hinsicht nicht vorwerfbar.

Mangels Verschulden der Beschwerdeführer sind die angefochtenen Straferkenntnisse daher aufzuheben und die Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

4.       Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es waren im Wesentlichen Beweisfragen zu beurteilen, denen jedoch als regelmäßig nicht über den Einzelfall hinausreichend keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt (vgl. etwa VwGH 18.8.2017, Ra 2017/11/0218). Das Verwaltungsgericht Wien ist von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere zu § 24 SchPflG nicht abgewichen.

Schlagworte

Schulpflicht; Nachweis des zureichenden Erfolges des Unterrichts; schulische Leistungsfähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.001.069.16242.2018

Zuletzt aktualisiert am

25.11.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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