Entscheidungsdatum
08.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W231 2208206-1/29E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Julian MOTAMEDI, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.08.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkte III. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG in Verbindung mit § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. Spruchpunkt IV. wird ersatzlos behoben.
III. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer [in Folge: "BF"] reiste gemeinsam mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern nach Österreich ein und stellte in Österreich am 25.03.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab er an, er stamme aus Afghanistan, Provinz Badachschan, habe dort 6 Jahre die Grundschule besucht und zuletzt als Verkäufer im familieneigenen Geschäft gearbeitet. Er sei mit seiner Mutter und seinen Schwestern nach Österreich gekommen. Wo sich sein Vater und seine Brüder aufhielten, sei ihm nicht bekannt. Bevor sie nach Österreich gekommen seien, seien sie in Norwegen gewesen, wo sie keine ärztliche Versorgung für seine geistig behinderte Schwester gehabt hätten. Er selbst leide an Asthma. Sie hätten in Norwegen nicht die Möglichkeit gehabt, ihre Probleme ausführlich darzulegen. Vielen Flüchtlingen werde dort ein negativer Bescheid ausgestellt. Von Norwegen wollte man die Familie nach Afghanistan zurückschicken. Der Fluchtgrund sei, dass der Älteste ihres Dorfes seine Schwester heiraten wollte, was die Familie ablehnte, worauf der Dorfälteste einen Angriff auf das Haus verübte, den BF, seinen Vater und Bruder schlug, und sie fliehen mussten. Der Dorfälteste habe auch das Haus und das Geschäft niedergebrannt und geplündert. Dabei habe er gesehen, dass der Vater und die Brüder Alkohol verkauft hätten und dies bei der Polizei angezeigt. In Afghanistan dürfe man keinen Alkohol trinken, sie würden vom afghanischen Staat und vom Dorfältesten verfolgt.
I.3. Bei seiner Einvernahme am 29.05.2018 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland (in Folge: BFA) an, dass er der Volksgruppe der Tadschiken und dem sunnitischen Islam angehöre. Er stamme aus Afghanistan, Provinz Badachschan, konkret dem Dorf XXXX im Bezirk Kishm, und habe dort von Geburt an bis zur Ausreise 2015 gelebt. Er leide seit ca. 7-8 Jahren an Asthma und nehme einen Spray, dazu Medikamente. In Afghanistan habe er andere Medikamente, aber mit gleicher Wirkung genommen, sowohl einen Spray als auch Medikamente. Er habe im Heimatdorf mit seiner Familie gelebt, die Familie habe ein Lebensmittelgeschäft gehabt, dort habe der BF mit seinem Vater und seinen Brüdern gearbeitet. 2015 hätten sie Afghanistan verlassen und seien in Norwegen gewesen, dann auf dem Weg nach Moskau ca. ein Jahr in der Ukraine, wo sie von einem wohlhabenden Onkel mütterlicherseits, der in Russland (Moskau) lebe und in Afghanistan viele Grundstücke und Besitztümer habe und möglicherweise in Moskau auch arbeite, unterstützt worden. Sie hätten eigentlich zu diesem Onkel nach Moskau fahren wollen, aber die Kriminalität sei zu hoch gewesen. Sein Vater und seine Brüder seien in Moskau geblieben, das Geld habe nicht für alle für die Weiterreise gereicht. Er habe nur mehr eine Tante in Afghanistan, wo sie lebe, wisse er nicht, zuletzt habe sie in der Provinz Badachschan in Mashad gelebt. Ihr Mann sei Taxifahrer und habe ein Auto. In Österreich halte er sich gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Schwestern auf. Der Fluchtgrund der Familie sei zusammengefasst, dass der Älteste des Dorfes eine seiner Schwestern habe heiraten wollen, aber die Familie, vor allem die Mutter, sei dagegen gewesen. Der Dorfälteste sei ein gefährlicher Krimineller und Mörder, außerdem viel älter als seine Schwester. Als die Familie die Heirat ablehnte, sei er zum Feind geworden. Er habe seine Schwester gewaltsam mitnehmen wollen, eines Abend sei er gekommen und habe ihn, seinen Vater, seine Mutter und die Geschwister brutal geschlagen, sein Vater habe aber gut reagiert und gesagt, die Familie habe gar nicht die Heirat verweigert, die Frauen müssten da etwas missverstanden haben. Sein Vater gab vor, dass seine Schwester krank und zu ihrer Tante geschickt worden sei. Der Dorfälteste sagte, dass er die Schwester morgen holen würde, sonst würden alle getötet. Außerdem seien sie auch in das Geschäft der Familie eingedrungen, hätten dieses geplündert und in Brand gesetzt. Sie hätten auch Alkohol gefunden, den sein Vater, ein Alkoholiker, auch selbst konsumiert habe, und dies zur Anzeige gebracht. Die Familie werde deswegen offiziell gesucht. Aus all diesen Gründen habe die Familie fliehen müssen.
Die belangte Behörde strengte in weiterer Folge einen Informationsaustausch gem. Art. 34 VO 604/2013 mit Norwegen an. Die norwegischen Behörden übermittelten die negativen Bescheide sowie die Protokolle über die Einvernahmen des BF aus Norwegen (AS 135ff), deren Übersetzung veranlasst wurde (AS 195ff). Im Ergebnis ist ersichtlich, dass der BF bereits in Norwegen zum Fluchtgrund das unerwünschte Werben eines Mannes um seine Schwester angab, sowie Probleme wegen eines Alkoholfundes (Wein) im Geschäft der Familie. Das Fluchtvorbringen wurde nach den norwegischen Behörden nicht ausreichend wahrscheinlich gemacht und der BF erhielt (ebenso wie seine Mutter und seine Schwestern) keinen Status bzw. Aufenthaltsrecht in Norwegen.
I.4. Mit angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 27.09.2028 wies diese den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der BF insgesamt keine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan glaubhaft machen habe können. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gem. § 8 AsylG 2005 führen könnten.
I.5. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde. Der BF habe Afghanistan aus Furcht vor Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie verlassen. Das Fluchtvorbringen sei entgegen der Ansicht der belangten Behörde glaubwürdig. Der BF habe Afghanistan gemeinsam mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern verlassen, der Mutter und zwei Schwestern sei Asyl in Österreich gewährt worden, der an Down-Syndrom leidenden Schwester sei der Status einer subsidiär Schutzberechtigten erteilt worden. Es bestehe ein starkes Abhängigkeitsverhältnis insbesondere zwischen dem BF und seiner mehrfach erkrankten Mutter und seiner an Down-Syndrom leidenden Schwester. Der BF selbst leide an Asthma und müsse verschiedene Medikamente nehmen.
I.6. Am 08.04.2019 und am 24.04.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF statt. Die Mutter und zwei Schwestern des BF wurden als Zeuginnen einvernommen. Die belangte Behörde ist entschuldigt nicht erschienen. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts wurde verzichtet.
I.7. Nach der Verhandlung reichte der BF eine Bestätigung seiner Asthma-Erkrankung und eine Liste einzunehmender Medikamente nach (OZ 12). Weiters langte am 02.07.2019 ein Beschluss des BG Leopoldstadt ein, wonach der BF zum endgültigen gerichtlichen Erwachsenenvertreter gem. § 271 ABGB für seine mehrfach erkrankte Schwester XXXX bestellt wurde (OZ 15). Weiters langte ein Schreiben des BF ein, dass er auch seine Mutter unterstütze (OZ 16).
I.8. Am 10.12.2019 langten schließlich eine Arbeitsplatzzusage über eine Vollbeschäftigung des BF als Verkäufer und im Jänner 2020 eine Heiratsurkunde des Standesamtes Wien-Favoriten des BF ein.
I.9. Am 06.05.2020 erhielt der BF im Rahmen des Parteiengehört Gelegenheit, zu den aktuellen Länderberichten Afghanistan, insbesondere auch zur Behandlungsmöglichkeit von Asthma in Herat und Mazar-e-Sharif, sowie zu einer Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP): Management von Patienten mit SARS-CoV-2 Infektionen und von Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen während der COVID-19 Pandemie (Stand 27.04.2020), weiters zur Kurzinformation der Staatendokumentation COVID 19 in Afghanistan, 09.04.2020, Stellung zu nehmen. Beide Parteien verzichteten auf die Abgabe einer Stellungnahme zu den übermittelten Dokumenten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
II.1.1. Der BF ist volljährig, führt in seinem Asylverfahren in Österreich den im Spruch genannten Namen und das dort genannte Geburtsdatum, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Mangels Vorlage von Identitätsdokumenten steht die Identität des BF nicht zweifelsfrei fest.
II.1.2. Der BF stammt aus Afghanistan, Provinz Badachschan, Bezirk Kishm, und hat dort bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 gelebt. Er hat für 6 Jahre im Heimatort die Grundschule besucht und als Verkäufer im familieneigenen Geschäft gearbeitet bzw. dieses Geschäft mit seinen Angehörigen geführt. Eine verheiratete Tante des BF lebt in der Herkunftsprovinz, ihr Mann ist Taxifahrer und besitzt ein Auto. Der BF gibt an, keinen Kontakt zu ihr zu haben.
Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und dem sunnitischen Islam zugehörig.
Der BF hat mit seiner Familie (Mutter, Vater, Brüder, Schwestern) 2015 Afghanistan verlassen. Die Familie ging zunächst nach Moskau zu einem wohlhabenden Onkel, von dem sie unterstützt wurden. Anschließend kamen der BF, seine Mutter und seine drei Schwestern über Norwegen, wo die Genannten negative Beschiede erhielten, nach Österreich und stellten hier am 25.03.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Vater und die Brüder des BF verblieben in Moskau. Der BF gibt an, keinen Kontakt zu ihnen zu haben.
Zwei Schwestern des BF erhielten von der Behörde den Status von Asylberechtigten aufgrund ihrer "westlichen Orientierung" (OZ 11); die Mutter des BF leitete ihren Asyl-Status von ihren Töchtern ab.
Die an Trisomie 21, Diabetis Mellitus Typ 1 und Hepatitis C leidende Schwester des BF erhielt von der Behörde den Status einer subsidiär Schutzberechtigen (OZ 11), und vom Bundesverwaltungsgericht am 08.05.2010 den Status einer Asylberechtigten zuerkannt (W263 2204323-1/13E). Der BF wurde vom BG Leopoldstadt zum endgültigen gerichtlichen Erwachsenenvertreter gem. § 271 ABGB für seine Schwester bestellt.
II.1.3. Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 25.03.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.
II.1.4. Der BF war in Afghanistan nicht Mitglied einer politischen Organisation oder eines politischen Vereins und wurde von staatlicher Seite weder bedroht noch verfolgt. Er hatte persönlich auch keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit.
II.1.5. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch Feinde aus dem Heimatdorf wegen einer abgelehnten Heirat der Schwester oder dem illegalen Verkauf von Alkohol verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe in diesem Zusammenhang zu befürchten hätte. Die Fluchtgründe sind nicht glaubwürdig.
Der BF konnte insgesamt nicht glaubhaft machen, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.
II.1.6. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan in seinem Recht auf das Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.
Der BF kann in sein Heimatdorf in die Provinz Badachschan, zurückkehren. Die Familie hatte dort ein Haus und ein Geschäft. Da die im Zusammenhang mit dem unglaubwürdigen Fluchtvorbingen vorgebrachte Zerstörung dieses Hauses/Geschäfts folglich ebenfalls als nicht glaubwürdig zu erachten ist, ist davon auszugehen, dass der BF dort die Besitztümer seiner Familie vorfinden würde und schon damit seine Existenz sichern könnte.
Dem BF steht auch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in Mazar-e Sharif zur Verfügung. Der BF ist durch Aufenthalte in Kunduz mit städtischen Strukturen vertraut. Die Wohnraum- und Versorgungslage in Mazar-e Sharif ist zwar sehr angespannt, der BF kann jedoch bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Neuansiedlung in Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF verfügt über langjährige Berufserfahrung als Verkäufer und führte mit seiner Familie ein eigenes Geschäft. Er spricht eine der Landessprachen des Herkunftsstaates (Dari) und hat bis zu seiner Ausreise im Erwachsenenalter in Afghanistan gelebt, und ist somit mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut.
Der BF verfügt zudem über einen wohlhabenden Onkel in Moskau, der die Familie bereits vor Ort in Moskau unterstützt (hat); es spricht nichts dagegen, dass er den BF von Moskau aus auch beim Aufbau einer Existenzgrundlage in Afghanistan unterstützt.
Auch die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie bildet kein Rückkehrhindernis. Der BF leidet zwar an Asthma, das beim BF bereits in Afghanistan medikamentös behandelt wurde und auch in Afghanistan medikamentös behandelt werden kann, laut öffentlich zugänglichen Quellen (Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP): Management von Patienten mit SARS-CoV-2 Infektionen und von Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen während der COVID-19 Pandemie (Stand 27.04.2020), abrufbar unter https://www.ogp.at/wp_ogp/wp-content/uploads/ÖGP-Statement-zu-COVID-19_Version2_IC.pdf, login am 05.05.2020 und am 08.06.2020) besteht bei gut kontrolliertem Asthma grundsätzlich kein erhöhtes Risiko für einen komplikationsbehafteten COVID-19 Verlauf. Auch gemäß COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II 203/2020 bildet Asthma per se keine medizinische Indikation für die Zuordnung zur COVID-19-Risikogruppe. Auch mit Blick auf sein Alter gehört der BF keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht somit keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.
II.1.7. Der BF war seit seiner Asylantragstellung in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig. Der BF hielt sich seit seiner Einreise nach Österreich im März 2018 erst knapp über 2 Jahre im Bundesgebiet auf und konnte spätestens ab Erhalt der seinen Asylantrag abweisenden Entscheidung nicht mit einem weiteren Bleiberecht in Österreich rechnen.
Der BF hat in Österreich Familienangehörige. Seine Mutter und seine drei Schwestern sind in Österreich asylberechtigt. Der BF lebt mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern nicht in einem gemeinsamen Haushalt, er hat im Asyl-Verfahren eine aufrechte Wohnsitzbeschränkung für das Burgenland und lebt in einer Asyl-Pension im Burgenland, während seine Angehörigen in Wien wohnen, u.a. weil sie sich dort eine bessere medizinische Betreuung für die mehrfach erkrankten Angehörigen (Mutter und Schwester) erwarten. Er hat aber engen und regelmäßigen Kontakt zu seinen Angehörigen, besucht sie sooft es möglich und rechtlich zulässig ist und kümmert sich intensiv um seine mehrfach erkrankte Mutter, die seit ihrem Schlaganfall auch auf den Rollstuhl angewiesen ist und an Diabetes leidet, und um seine mehrfach erkrankte Schwester, und erledigt häufige Arztbesuche mit seinen Angehörigen. Der BF übernimmt auch die medizinische Betreuung der Mutter und der Schwester, wenn er in Wien ist. Der BF weist eine enge emotionale Bindung besonders zu seiner mehrfach erkrankten Schwester auf und er wurde vom BG Leopoldstadt mit Beschluss zum endgültigen gerichtlichen Erwachsenenvertreter gem. § 271 ABGB für seine Schwester bestellt. Der BF ist seit 16.01.2020 über Vermittlung seiner Angehörigen mit einer asylberechtigten Afghanin verheiratet; die beiden leben nicht in einem gemeinsamen Haushalt und wohnen an unterschiedlichen Adressen.
Der BF hat in Österreich Deutschkurse (auf dem Niveau A1) besucht und verbringt die Zeit vorwiegend mit seinen Angehörigen. Er geht sonst walken, trifft sich mit Freunden und spielt Fußball. Er versucht, sich in seiner Heimatgemeinde in Österreich gut zu integrieren und hat ehrenamtlich bei der Obsternte geholfen.
Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF lebt von der Grundversorgung. Er hat eine Arbeitsplatzzusage, der aktuelle Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung (OZ 25) weist den BF als aktiven Bezieher von Grundversorgung aus.
Der BF leidet an Asthma bronchiale und nimmt die Medikamente Singulair Ftb., Cetirizin, Sultanol (Spray). Asthma ist in Afghanistan, auch in seiner Herkunftsprovinz und in Mazar-e-Sharif, behandelbar.
II.1.11. Zur aktuellen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan (in der Folge auch "LIB") vom 13.11.2019, Seite 12).
Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, Seite 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, Seite 18ff).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden sind, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen, um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, Seite 19).
Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registriert. Im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, Seite 24).
Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 01.06.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 01.12.2018 und 15.05.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, Seite 25).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, Seite 26).
Taliban
Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, Seite 26; Seite 29). Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest seien Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, Seite 27). Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, Seite 27).
Haqani-Netzwerk
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, Seite 27).
Islamischer Staat (IS/Daesh)
Islamischer Staat Khorasan Provinz: Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, Seite 27f). Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungsziele bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, Seite 29).
Al-Qaida
Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, Seite 29).
Sicherheitsbehörden:
Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, Seite 249).
Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, Seite 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, Seite 251).
Lage in der Herkunftsprovinz des BF (Badakhshan)
Badakhshan liegt im Nordosten Afghanistans und grenzt an Tadschikistan, China und Pakistan. Die Provinzhauptstadt Badakhshan ist Fayz Abad. Die zentrale Statistikorganisation Afghanistans schätzt die Bevölkerungsanzahl in der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 1.035.658 Personen (CSO 2019). In der Provinz leben Tadschiken, Paschtunen, Usbeken, Hazara, Belutschen und Kirgisen (LIB 13.11.2019, Seite 45ff).
Der Linienflugverkehr zum Regionalflughafen Badakhshan wurde im Jänner 2018 eingestellt, nachdem mehrere Kam Air-Mitarbeiter bei einem Selbstmordanschlag in Kabul ums Leben gekommen waren (PAJ 19.3.2018). Mit Stand Februar 2019 gibt es wieder Linienflugverkehr zwischen Fayzabad und Kabul (Lifos 7.2.2019). Eine neue Straße, die Badakhshan mit der benachbarten Provinz Takhar verbindet, ist im Bau. Ihre Verlängerung an die tadschikisch-afghanischen Grenze im Osten der Provinz ist geplant (LIB 13.11.2019, Seite 45ff).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Zwischen 1996 und 2001 gehörte Badakhshan zu den wenigen Gebieten in Afghanistan, die außerhalb der Kontrolle der Taliban lagen. Laut einer Quelle hat sich die Sicherheitslage in der Provinz in den vergangenen fünf Jahren allerdings verschlechtert, nachdem die US-Streitkräfte die militärische Verantwortung über die Provinz an die afghanischen Streitkräfte übergeben hatten. Im April 2019 zählte Badakhshan zu den relativ volatilen Provinzen im Nordosten Afghanistans, wo die Taliban und Aufständische anderer ausländischer Gruppierungen in entlegenen Distrikten aktiv sind und oftmals Operationen gegen die Regierungskräfte und Sicherheitsinstitutionen durchführen (KP 14.4.2019). Die Distrikte Warduj (FP 6.5.2019; vgl. XI 6.4.2019) und Yamgan stehen seit einigen Jahren unter der Kontrolle der Taliban (XI 30.3.2019) (LIB 13.11.2019, Seite 45ff).
Neben den lokalen Taliban-Aufständischen sollen Tadschiken, Usbeken und Uiguren in Badakhshan aktiv sein (FP 6.5.2019; vgl. RFE/RL 12.2.2018). Eine tatsächliche Identifizierung der Herkunft von ausländischen Kämpfern ist allerdings schwierig (LIB 13.11.2019, Seite 45ff).
Auf Regierungsseite befindet sich Badakhshan im Verantwortungsbereich des 217. Afghan National Army (ANA) Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welches von deutschen Streitkräften geleitet wird (LIB 13.11.2019, Seite 45ff).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Der folgenden Tabelle kann die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Badakhshan gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):
Tabelle kann nicht abgebildet werden
(ACLED 5.10.2019; ACLED 12.7.2019; GIM o.D.)
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 63 zivile Opfer (18 Tote und 45 Verletzte) in der gesamten Provinz Badakhshan. Dies entspricht einem Rückgang von 3% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Entführungen und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, Seite 45ff).
In der Provinz Badakhshan kommt es zu regelmäßigen Räumungsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Regierungstruppen finden ebenso statt. Im Rahmen ihrer Frühlingsoffensive 2019 gelang es den Taliban, zeitweise den Distrikt Arghanj Khwa einzunehmen, dieser war im April wieder unter Regierungskontrolle. Im Juli 2019 nahmen sie Kiran wa Menjan ein. Nach zwei Monaten konnte der Distrikt von afghanischen Sicherheitskräften und lokalen Verteidigungskräften wieder eingenommen werden; außerdem konnten die Distrikte Yumgan und Wardooj, die seit vier Jahren unter Kontrolle der Taliban standen, zurückerobert werden.
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.2018-31.12.2018 16.940 aus der Provinz Badakhshan vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst, in den benachbarten Provinzen Panjsher und Nuristan sowie in der Provinz Kabul Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.2019-30.6.2019 meldete UNOCHA 3.920 aus der Provinz Badakhshan vertriebene Personen, die in den Distrikt Fayz Abad, sowie nach Panjsher kamen. Im Zeitraum 1.1.2018-31.12.2018 meldete UNOCHA 16.856 Vertriebene in die Provinz Badakhshan, die alle aus der Provinz selbst stammten. Vom 1.1.-2019 bis 30.6.2019 meldete UNOCHA 3.255 Vertriebene in die Provinz Badakhshan, die alle aus der Provinz selbst stammten.
Lage in der Provinz Balkh bzw. in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif:
Grundinformationen:
Balkh liegt im Norden Afghanistans. Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (LIB 13.11.2019, Seite 60 f.). Im Zeitraum 01.01.2018 bis 30.06.2019 kamen rund 30.000 Binnenvertriebe in die Provinz Balkh (LIB 13.11.2019, Seite 60 f.)
Erreichbarkeit:
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, Seite 61 und 336).
Sicherheitslage:
Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, Seite 62). Im Jahr 2018 wurden 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, Seite 63). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, Seite 89 und 92 f.).
Versorgungslage:
Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwendigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).
Wirtschaftslage:
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen. Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (LIB 13.11.2019, Seite 61 und 336)
Medizinische Versorgung:
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind. Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben. Weiters gibt es in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 13.11.2019, Seite 347 und 351 f.).
Behandlung von Asthma in Mazar-e-Sharif (Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan, Mazar-e Sharif: Asthma Beclomethasone, Cetirizine, Salbutamol, Salmeterol und Salmeterol+Fluticasone, 04.04.2020):
Eine Behandlung von Asthma durch einen Internisten ist sowohl ambulant, als auch stationär in der Stadt Mazar-e Sharif möglich: in einer privaten Klinik Darwaze Shadeyan direkt in Mazar-e Sharif oder in dem regionalen Krankenhaus "Shafakhanae Sehate Amma" in Mazar-e Sharif. In öffentlichen Krankenhäusern ist sowohl eine stationäre, als auch ambulante Behandlung kostenfrei. Während eine ambulante Behandlung in einer privaten Einrichtung 400 AFN und eine stationäre 700 AFN kostet.
Nicht verfügbar in Mazar-e Sharif ist Desloratadine, dafür aber die Alternativen Cetirizine und Cinnarizine. Ebenso ist Ipratropium + Fenoterol nicht verfügbar, dafür das alternative Medikament Salmeterol + Fluticasone (propionate). Fluticasone (propionate) + Formoterol sind nicht verfügbar, auch nicht die Alternative Fluticasone - dazu alternativ ist Beclometasone in manchen Apotheken mit temporären Lieferschwierigkeiten von 4 Wochen erhältlich. Auch Ipratropium ist verfügbar in Mazar-e Sharif Zwei weitere Alternativen Salbutamol und Salmeterol für (Fenoterol und Formoterol) sind in den von MedCOI angefragten Apotheken, mit temporären vierwöchigen Lieferschwierigkeiten, verfügbar.
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, Seite 327).
Meldewesen
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, Seite 328).
Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, Seite 264).
Korruption:
Die Korruption ist in Afghanistan sehr hoch. Es bestehen zwar strafrechtliche Sanktionen gegen Korruption, diese werden jedoch nicht effektiv umgesetzt. Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt, unter anderem in der Justiz, bei der Beschaffung von Gütern, bei Staatseinnahmen und bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates (LIB 13.11.2019, Seite 254 f.).
Medizinische Versorgung:
Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, Seite 344).
Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, Seite 350).
Wirtschaft
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, Seite 333).
Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, 334 f.).
Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Seite 29 f.).
Rückkehrer:
In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, Seite 353).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, Seite 354).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, Seite 354).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, Seite 355).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, Seite 355).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, Seite 355).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, Seite 356).
Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, Seite 356).
Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).
In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als in ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).
Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten, da dies billiger ist. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Seite 31).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 13.11.2019, Seite 362).
Ethnische Minderheiten:
In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, Seite. 287 f).
Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.b; vgl. RFERL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.b). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIB 13.11.2019, Seite. 285 f).
Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.b). Aus historischer Perspektive identifizierten sich dari-persisch sprechende Personen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa durch das Siedlungsgebiet oder der Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Panjsher) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete ursprünglich traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA 7.2016; vgl. GIZ 4.2019, MRG o.D.b). Heute werden unter dem Terminus tajik "Tadschike" fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (LIB 13.11.2019, Seite. 285 f).
Tadschiken dominierten die "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominierendste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.b). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 13.11.2019, Seite. 285 f).
Religionen:
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80-89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 13.11.2019, S. 277).
COVID-19-Pandmie:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Afghanistan sind aktuell 20 342 Erkrankungsfälle registriert und 791 Todesfälle offiziell bestätigt (https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200607-covid-19-sitrep-139.pdf?sfvrsn=79dc6d08_2, Situation Report 139, 07.06.2020).
Für die relativ geringe Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle werden von afghanisches Seite Kapazitätsprobleme bei COVID-19 Verdachtsfällen eingeräumt, die nicht getestet werden können (Kurzinformation der Staatendokumentation vom 09.04.2020, COVID-19 Afghanistan, Stand 09.04.2020).
Aller Voraussicht nach, wird COVID-19 Afghanistan aufgrund mehrerer Faktoren besonders hart treffen: einerseits die schlechte Gesundheit, unter der viele Afghanen auch zu normalen Zeiten leiden - ansteckende Krankheiten wie Typhus oder Tuberkulose sind virulent; die Kinder- und Müttersterblichkeit ist eine der höchsten der Welt; auch sind viele Kinder in den Provinzen unterernährt, was sie anfällig für Infekte macht. Nach jahrzehntelangem Krieg gibt es Hunderttausende, die durch Verletzungen dauerhafte Schäden davongetragen haben. Unter Berufung auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO), prognostiziert das afghanische Gesundheitsministerium: 16 Millionen von mehr als 30 Millionen Einwohnern könnten an COVID-19 erkranken. Im schlimmsten Fall müssten 700.000 Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden; 220.000 davon müssten möglicherweise auf Intensivstationen behandelt werden - von diesen könnten 110.000 Menschen an den Folgen von COVID-19 sterben. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. In der Provinz Herat, die die höchste Anzahl an bestätigten COVID-19-Fällen zu verzeichnen hat, wird die Zahl der Beatmungsgeräte auf nur 12 Stück geschätzt. Einer weiteren Quelle zufolge stehen in Herat sogar nur 10 dieser Beatmungsgeräte zur Verfügung. In der an den Iran angrenzenden Provinz Herat hat sich die Anzahl positiver Fälle des COVID-19 unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Nach dem Tod eines Arztes aus dem "Amiri Medical Complex" in Kabul aufgrund von COVID-19, wurde die Klinik geschlossen. Die afghanischen Behörden kämpfen um die Kontrolle über beispiellose Rückkehrbewegungen an den seit jeher durchlässigen und oft chaotischen Grenzübergängen (zu den beiden Ländern Pakistan und Iran) zu gewinnen (Kurzinformation der Staatendokumentation vom 09.04.2020, COVID-19 Afghanistan, Stand 09.04.2020).
In den letzten Tagen wurde im Westen Kabuls, nach Herat, die höchste Anzahl COVID-19-Infizierter verzeichnet (TN 7.4.2020). Sowohl in Kabul als auch in der nah der iranischen Grenze gelegenen Stadt Herat gelten inzwischen Ausgangssperren, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen (Kurzinformation der Staatendokumentation vom 09.04.2020, COVID-19 Afghanistan, Stand 09.04.2020).
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Die Identität des BF ergibt sich aus seinen im verwaltungsbehördlichen, wie auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren getätigten gleichbleibenden Angaben dazu, wobei mangels Vorlage von Identitätsdokumenten die Feststellungen zur Identität des BF ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren gelten und seine Identität nicht zweifelsfrei feststeht.
Die Feststellungen zur Staats-, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des BF beruhen auf seinen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben im Verfahren.
Die Feststellungen zu den individuellen Verhältnissen des BF in seinem Herkunftsstaat, insbesondere auch zu seiner Herkunft und seinen familiären Verhältnissen, folgen aus seinen diesbezüglich ebenfalls glaubwürdigen Angaben im Asylverfahren.
Der BF hat angegeben, 2015 mit seiner Familie Afghanistan verlassen zu haben, zuletzt habe eine verheiratete Tante in der Herkunftsprovinz gelebt, deren Mann ein Auto besitzt und Taxifahrer ist (AS 63). Der BF bestritt zwar zu wissen, wo diese Tante aktuell lebt und Kontakt mit ihr zu haben (VH 24.04.2019, 4), konnte aber keinen plausiblen Grund oder definitive Kenntnis darüber nennen, dass bzw. warum sie ihren Herkunftsort verlassen haben soll; es ist daher davon auszugehen, dass die Tante und deren Ehemann nach wie vor im Heimatort in der Provinz Badakhshan lebt.
Die BF sind von Afghanistan aus zunächst nach Moskau zu einem wohlhabenden Onkel gereist, von dem die Familie unterstützt wurde. Auch wenn der BF in der Einvernahme davon sprach, dass sie ein Jahr in der Ukraine gewesen seien, und nicht nach Moskau gekommen seien, weil die Strecke gesperrt gewesen sei (AS 51), geht aus allen übrigen Angaben des BF im Verfahren, auch im Verfahren in Norwegen, und insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung, glaubwürdig hervor, dass die gesamte Familie in Moskau aufhältig war (VH 08.04.2019, 5; VH 24.04.2019, 3). Daher wird von diesen Umständen ausgegangen. Der BF sagte in der Einvernahme auch ausdrücklich aus, dass sein Onkel dort seit etwa 2017 lebt (AS 51), und dass er wohlhabend sei, er habe in Afghanistan viele Grundstücke und Besitztümer und er arbeite vielleicht auch jetzt in Moskau (AS 51). Unklar und unglaubwürdig bleibt, warum der BF in der mündlichen Verhandlung wiederum angab, dass sein Onkel selbst gar nicht in Moskau gewesen seien, als sie dort gewesen seien (VH 08.04.2019, 7). Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass der BF in Moskau aktuell einen wohlhabenden Onkel hat, der die Familie bereits unterstützt hat bzw. unterstützt, und nichts dagegenspricht, dass der wohlhabende Onkel, der in Afghanistan über Grundstücke und Besitztümer verfügt, den BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan beim Aufbau einer Existenzgrundlage unterstützten würde.
Unstrittig ist auch, dass der BF gemeinsam mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt hat, und nicht auch mit seinem Vater und seinen Brüdern. Der BF gibt an, dass sein Vater und seine Brüder in Moskau geblieben seien, sie aber keinen Kontakt mehr zueinander hätten. Ein telefonsicherer Kontaktierungsversuch in der mündlichen Verhandlung blieb erfolglos. Ansonsten hat die erkennende Richterin keine substantiierten Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben, der Vater und die Brüder hielten sich beim Onkel in Moskau auf, nicht der Wahrheit entsprechen.
Der BF gab auch an, dass die Familie im Heimatdorf ein Haus und ein Geschäft gehabt hat. Da die Zerstörung dieser Besitztümer im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen steht, das allerdings als unglaubwürdig gewertet wird (siehe dazu II.2.6.), ist auch nicht davon auszugehen, dass das Haus und Geschäft tatsächlich zerstört wurden und folglich davon, dass diese Besitztümer dem BF bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz