TE Vfgh Beschluss 2007/6/27 G195/06

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Veröffentlicht am 27.06.2007
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/01 Strafprozeß

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StPO §48 Abs2, §90b, §90l Abs3

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungender Strafprozessordnung über die Stellung des Privatbeteiligtenmangels Legitimation; keine Betroffenheit des antragstellendenPrivatbeteiligten durch den Ausschluss eines Rechts auf Übernahme deröffentlichen Anklage nach Rücktritt des Staatsanwalts von derVerfolgung nach Einstellung des Strafverfahrens durchGerichtsbeschluss; zumutbarer Weg über ein gerichtlichesRechtsmittelverfahren hinsichtlich des mangelnden Beschwerderechtsdes Privatbeteiligten gegen die diversionelle Erledigung einesGerichtsverfahrens

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit seinem auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, die Bestimmungen der §§48 Abs2 und 90l Abs3 Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl. 631/1975 idF BGBl. I 55/1999, in eventu allein die Bestimmung des §48 Abs2 StPO als verfassungswidrig aufzuheben.

1.1. Der Antragsteller schloss sich einem beim Landesgericht Eisenstadt gegen einen bestimmten Täter wegen des Verdachtes des schweren Betruges nach §§146 f StGB geführten Strafverfahren gemäß §47 Abs1 StPO mit einem Schadensbetrag von € 25.000,-- als Privatbeteiligter an. Die Anklage warf dem Beschuldigten vor, das Vorliegen einer vom Antragsteller ausgestellten Vollmacht vorgetäuscht und dadurch Verfügungsberechtigte eines näher bezeichneten Sportvereins zur Überlassung eines Geldbetrages von @ 25.000,-- an ihn verleitet zu haben.

1.2. Das Landesgericht Eisenstadt stellte das Strafverfahren in der Hauptverhandlung vom 7. Juli 2006 mit Beschluss gemäß §90b iVm §90f StPO ("Diversion") unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig ein und erteilte dem Beschuldigten die Weisung, dem Antragsteller innerhalb der Probezeit € 5.000,-- (als Mindestschadensbetrag) zu zahlen und dies dem Gericht nachzuweisen.

1.3. Zur Frage seiner Anfechtungslegitimation führt der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass es ihm als Privatbeteiligten aufgrund der Bestimmung des §48 Abs2 StPO iVm §90l Abs3 StPO verwehrt sei, gegen den angeführten Gerichtsbeschluss über die (vorläufige) Einstellung des Strafverfahrens im Rahmen diversioneller Maßnahmen ein Rechtsmittel zu ergreifen (bzw. eine Subsidiaranklage zu erheben), um "gegen eine rechtswidrige Einstellung des Strafverfahrens vorgehen" und seine zivilrechtlichen Ansprüche (in Höhe des gesamten Schadenersatzanspruchs) verfolgen zu können. Mangels Rechtsmittelmöglichkeit bliebe es zudem "sanktionslos", dass er entgegen der Bestimmung des §90i Abs1 letzter Satz StPO vor der vorläufigen Einstellung des Strafverfahrens nicht gehört worden sei.

Über das Vermögen des Beschuldigten sei zwischenzeitlich Konkurs eröffnet worden, sodass eine Restschuldbefreiung im Schuldenregulierungsverfahren gemäß §215 Z1 KO nicht in Betracht komme.

Dem Antragsteller stehe kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, die Rechtsvorschriften der §§48 Abs2 und 90l Abs3 StPO zu bekämpfen. Ein Rechtsmittel gegen den in Rede stehenden Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt würde als unzulässig zurückgewiesen werden.

2. Die Bundesregierung beantragte in ihrer Äußerung, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen, in eventu "auszusprechen, dass die angefochtene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird".

II. Zur Rechtslage:

Die im V. Hauptstück der StPO mit der Überschrift "Vom Privatankläger und vom Privatbeteiligten" enthaltene Bestimmung des §48 StPO lautet (die angefochtene Regelung ist hervorgehoben):

"§48

(1) Außerdem ist der Privatbeteiligte berechtigt, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen statt des Staatsanwaltes die vffentliche Anklage zu erheben und durchzuführen:

1.

Wenn der Staatsanwalt die Anzeige des Verletzten zurückweist und die gerichtliche Verfolgung, sei es sofort, sei es nach Vornahme von Vorerhebungen (§90), ablehnt, hat er ihn davon zu verständigen. Der Verletzte ist in diesem Fall, insofern er sich dem Strafverfahren anzuschließen erklärt, berechtigt, den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung bei der Ratskammer einzubringen, die über diesen Antrag nach allenfalls gepflogenen Erhebungen Beschluß zu fassen hat.

2.

Wenn der Staatsanwalt von der Verfolgung einer strafbaren Handlung zurücktritt, ehe der Beschuldigte ihretwegen rechtskräftig in den Anklagestand versetzt ist, so ist der Privatbeteiligte hievon in Kenntnis zu setzen; er ist berechtigt, binnen vierzehn Tagen nach seiner Verständigung mündlich oder schriftlich beim Untersuchungsrichter die Erklärung abzugeben, daß er die Verfolgung aufrechterhalte. Wenn der durch die strafbare Handlung Verletzte vom Rücktritte des Staatsanwaltes nicht amtlich verständigt wurde, kann er diese Erklärung binnen einem Jahr nach der Einstellung des Verfahrens abgeben. In beiden Fällen ist die Erklärung, in der sowohl der Beschuldigte als auch die ihm zur Last gelegte Tat genau bezeichnet sein muß, samt allen Akten dem Gerichtshofe zweiter Instanz vorzulegen. Dieser verfügt, sofern er nicht erachtet, daß kein Grund zur weiteren Verfolgung des Beschuldigten vorliege, die Einleitung oder Wiederaufnahme der Voruntersuchung. Ist der Beschuldigte über die gegen ihn erhobene Anschuldigung bereits vernommen worden, so kann der Gerichtshof zweiter Instanz auch auf Grund der Erklärung des Privatbeteiligten sofort die Versetzung in den Anklagestand aussprechen.

3.

Tritt der Staatsanwalt von der Anklage zu einer Zeit zurück, wo die Versetzung in den Anklagestand bereits rechtskräftig ist, so ist dies dem Privatbeteiligten mit der Eröffnung mitzuteilen, daß er berechtigt sei, die Anklage aufrechtzuerhalten, dies jedoch binnen vierzehn Tagen beim Gerichtshof erster Instanz zu erklären habe. Auf eine später abgegebene Erklärung kann keine Rücksicht genommen werden.

(2) Wenn der Staatsanwalt nach dem IXa. Hauptstück von der Verfolgung zurücktritt, ist der Privatbeteiligte hingegen nicht berechtigt, die öffentliche Anklage zu erheben oder zu übernehmen."

Die Vorschriften über die Diversion sind im IXa. Hauptstück der StPO ("Vom Rücktritt von der Verfolgung nach Zahlung eines Geldbetrages, nach Erbringung gemeinnütziger Leistungen, nach einer Probezeit und nach außergerichtlichem Tatausgleich [Diversion]") geregelt. Die für den vorliegenden Fall maßgeblichen (auszugsweise wiedergegebenen) Bestimmungen haben folgenden Wortlaut (die bekämpfte Vorschrift ist hervorgehoben):

"I. Allgemeines

§90a

(1) Der Staatsanwalt hat nach diesem Hauptstück vorzugehen und von der Verfolgung einer strafbaren Handlung zurückzutreten, wenn auf Grund hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, daß ein Zurücklegen der Anzeige nach §90 nicht in Betracht kommt, eine Bestrafung jedoch im Hinblick auf

1.

die Zahlung eines Geldbetrages (§90c) oder

2.

die Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§90d) oder

3.

die Bestimmung einer Probezeit, allenfalls in Verbindung mit Bewährungshilfe und der Erfüllung von Pflichten (§90f), oder

4.

einen außergerichtlichen Tatausgleich (§90g) nicht geboten erscheint, um den Verdächtigen von strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

(2) Ein Vorgehen nach diesem Hauptstück ist jedoch nur zulässig, wenn

1.

die strafbare Handlung nicht in die Zuständigkeit des Schöffen- oder Geschworenengerichts fällt,

2.

die Schuld des Verdächtigen nicht als schwer anzusehen wäre und

3.

die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat.

§90b

Das Gericht hat die für den Staatsanwalt geltenden Bestimmungen dieses Hauptstückes sinngemäß anzuwenden und nach Einleitung der Voruntersuchung oder Erhebung der Anklage das Verfahren wegen einer von Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlung unter den für den Staatsanwalt geltenden Voraussetzungen bis zum Schluß der Hauptverhandlung mit Beschluß einzustellen.

II. Rücktritt von der Verfolgung nach Zahlung

eines Geldbetrages

§90c

(1) Unter den Voraussetzungen des §90a kann der Staatsanwalt von der Verfolgung einer strafbaren Handlung zurücktreten, wenn der Verdächtige einen Geldbetrag zugunsten des Bundes entrichtet.

(2) Der Geldbetrag darf den Betrag nicht übersteigen, der einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zuzüglich der im Fall einer Verurteilung zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens (§§389 Abs2 und 3, 391 Abs1) entspricht. Er ist innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung der Mitteilung nach Abs4 zu bezahlen. Sofern dies den Verdächtigen unbillig hart träfe, kann ihm jedoch ein Zahlungsaufschub für längstens sechs Monate gewährt oder die Zahlung von Teilbeträgen innerhalb dieses Zeitraums gestattet werden.

(3) Soweit dies möglich und zweckmäßig ist, ist der Rücktritt von der Verfolgung nach Zahlung eines Geldbetrages überdies davon abhängig zu machen, daß der Verdächtige binnen einer zu bestimmenden Frist von höchstens sechs Monaten aus der Tat entstandenen Schaden gutmacht und dies unverzüglich nachweist.

(4) Der Staatsanwalt hat dem Verdächtigen mitzuteilen, daß die Durchführung eines Strafverfahrens gegen ihn wegen einer bestimmten strafbaren Handlung beabsichtigt sei, aber unterbleiben werde, wenn er einen festgesetzten Geldbetrag und gegebenenfalls Schadensgutmachung in bestimmter Höhe leiste. Des weiteren hat der Staatsanwalt den Verdächtigen im Sinne des §90j sowie über die Möglichkeit eines Zahlungsaufschubs (Abs2) zu belehren, soweit er ihm einen solchen nicht von Amts wegen in Aussicht stellt.

(5) Nach Leistung des Geldbetrages und allfälliger Schadensgutmachung hat der Staatsanwalt von der Verfolgung zurückzutreten, sofern das Verfahren nicht gemäß §90h nachträglich einzuleiten oder fortzusetzen ist.

[...]

IV. Rücktritt von der Verfolgung nach einer Probezeit

§90f

(1) Unter den Voraussetzungen des §90a kann der Staatsanwalt von der Verfolgung einer strafbaren Handlung unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bis zu zwei Jahren vorläufig zurücktreten. Der Lauf der Probezeit beginnt mit der Zustellung der Verständigung |ber den vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung.

(2) Soweit dies möglich und zweckmäßig ist, ist der vorläufige Rücktritt von der Verfolgung überdies davon abhängig zu machen, daß sich der Verdächtige ausdrücklich bereit erklärt, während der Probezeit bestimmte Pflichten zu erfüllen, die als Weisungen (§51 StGB) erteilt werden könnten, und sich durch einen Bewährungshelfer (§52 StGB) betreuen zu lassen. Dabei kommt insbesondere die Pflicht in Betracht, den entstandenen Schaden nach Kräften gutzumachen oder sonst zum Ausgleich der Folgen der Tat beizutragen.

(3) Der Staatsanwalt hat dem Verdächtigen mitzuteilen, daß die Durchführung eines Strafverfahrens gegen ihn wegen einer bestimmten strafbaren Handlung für eine bestimmte Probezeit vorläufig unterbleibe, und ihn im Sinne des §90j zu belehren. Gegebenenfalls hat der Staatsanwalt dem Verdächtigen mitzuteilen, daß dieser vorläufige Rücktritt von der Verfolgung voraussetze, daß er einen Kostenbeitrag leiste (§388) und sich ausdrücklich bereit erklärt, bestimmte Pflichten auf sich zu nehmen und sich von einem Bewährungshelfer betreuen zu lassen (Abs2). In diesem Fall kann der Staatsanwalt auch eine in der Sozialarbeit erfahrene Person um die Mitteilung und Belehrung sowie darum ersuchen, den Verdächtigen bei der Erfüllung solcher Pflichten zu betreuen (§29b des Bewährungshilfegesetzes).

(4) Nach Ablauf der Probezeit und Erfüllung allfälliger Pflichten hat der Staatsanwalt von der Verfolgung endgültig zurückzutreten, sofern das Verfahren nicht gemäß §90h nachträglich einzuleiten oder fortzusetzen ist.

[...]

VI. Nachträgliche Einleitung oder Fortsetzung

des Strafverfahrens

§90h

(1) Nach einem nicht bloß vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung des Verdächtigen nach diesem Hauptstück (§§90c Abs5, 90d Abs5, 90f Abs4 und 90g Abs1) ist eine Einleitung oder Fortsetzung des Strafverfahrens nur unter den Voraussetzungen der ordentlichen Wiederaufnahme zulässig. Vor einem solchen Rücktritt ist das Strafverfahren jedenfalls dann einzuleiten oder fortzusetzen, wenn der Verdächtige dies verlangt.

(2) Hat der Staatsanwalt dem Verdächtigen vorgeschlagen, einen Geldbetrag zu bezahlen (§90c Abs4), gemeinnützige Leistungen zu erbringen (§90d Abs4) oder eine Probezeit und allfällige Pflichten auf sich zu nehmen (§90f Abs3), oder ist der Staatsanwalt von der Verfolgung der strafbaren Handlung vorläufig zurückgetreten (§§90d Abs1, 90f Abs1), so hat er das Strafverfahren einzuleiten oder fortzusetzen, wenn

1.

der Verdächtige den Geldbetrag samt allfälliger Schadensgutmachung oder die gemeinnützigen Leistungen samt allfälligem Tatfolgenausgleich nicht vollständig oder nicht rechtzeitig zahlt oder erbringt,

2.

der Verdächtige übernommene Pflichten nicht hinreichend erfüllt, den Kostenbeitrag (§388 Abs1 und 2) nicht leistet oder sich beharrlich dem Einfluß des Bewährungshelfers entzieht oder

3.

gegen den Verdächtigen vor Zahlung des Geldbetrages samt allfälliger Schadensgutmachung oder vor Erbringung der gemeinnützigen Leistungen samt allfälligem Tatfolgenausgleich oder vor Ablauf der Probezeit wegen einer anderen strafbaren Handlung ein Strafverfahren eingeleitet wird. In diesem Fall ist die nachträgliche Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens zulässig, sobald gegen den Verdächtigen wegen der neuen oder neu hervorgekommenen strafbaren Handlung Anklage erhoben wird, und zwar auch noch während eines Monats nach Erhebung dieser Anklage, selbst wenn inzwischen der Geldbetrag gezahlt, die gemeinnützigen Leistungen erbracht oder der Tatfolgenausgleich bewirkt wurde oder die Probezeit abgelaufen ist. Das nachträglich eingeleitete oder fortgesetzte Strafverfahren ist jedoch nach Maßgabe der übrigen Voraussetzungen einzustellen, wenn das neue Strafverfahren auf andere Weise als durch einen Schuldspruch beendet wird.

(3) Von der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens kann jedoch abgesehen werden, wenn dies in den Fällen des Abs2 Z1 aus besonderen Gründen vertretbar erscheint, in den Fällen des Abs2 Z2 und 3 nach den Umständen nicht geboten ist, um den Verdächtigen von strafbaren Handlungen abzuhalten. Im übrigen ist die Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens in den im Abs2 angeführten Fällen außer unter den in Z1 bis 3 angeführten Voraussetzungen nur zulässig, wenn der Verdächtige den dort erwähnten Vorschlag des Staatsanwalts nicht annimmt.

(4) Wenn der Verdächtige den Geldbetrag nicht vollständig oder nicht rechtzeitig zahlen oder den übernommenen Verpflichtungen nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommen kann, weil ihn dies wegen einer erheblichen Änderung der für die Höhe des Geldbetrages oder die Art oder den Umfang der Verpflichtungen maßgeblichen Umstände unbillig hart träfe, so kann der Staatsanwalt die Höhe des Geldbetrages oder die Verpflichtung angemessen ändern.

(5) Verpflichtungen, die der Verdächtige übernommen, und Zahlungen, zu denen er sich bereit erklärt hat, werden mit der nachträglichen Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens gegenstandslos. Die Bewährungshilfe endet; §197 bleibt jedoch unberührt. Vom Verdächtigen in diesem Zusammenhang erbrachte Leistungen sind bei einer allfälligen Strafbemessung zu berücksichtigen. Wird der Verdächtige freigesprochen oder sonst außer Verfolgung gesetzt, so sind nur nach §90c geleistete Geldbeträge zurückzuzahlen, andere Leistungen jedoch nicht zu erstatten.

VII. Rechte und Interessen des Verletzten

§90i

(1) Bei einem Vorgehen nach diesem Hauptstück sind stets die Interessen des Verletzten zu prüfen und, soweit sie berechtigt sind, im größtmöglichen Ausmaß zu fördern. Um beurteilen zu können, ob eine Schadensgutmachung oder ein sonstiger Tatfolgenausgleich möglich und zweckmäßig ist, hat der Staatsanwalt erforderlichenfalls entsprechende Erhebungen zu veranlassen. Der Verletzte hat das Recht, eine Vertrauensperson beizuziehen. Er ist jedenfalls sobald wie möglich umfassend über seine Rechte zu belehren und über geeignete Opferschutzeinrichtungen zu informieren. Vor einem Rücktritt von der Verfolgung ist er zu hören, soweit dies nach Maßgabe seiner Interessen geboten erscheint.

(2) Der Verletzte ist jedenfalls zu verständigen, wenn sich der Verdächtige bereit erklärt, aus der Tat entstandenen Schaden gutzumachen oder sonst zum Ausgleich der Folgen der Tat beizutragen. Gleiches gilt für den Fall, daß der Verdächtige eine Pflicht übernimmt, welche die Interessen des Verletzten unmittelbar berührt.

[...]

IX. Gemeinsame Bestimmungen

[...]

§90l

(1) Der Staatsanwalt kann nach diesem Hauptstück von der Verfolgung zurücktreten, solange er noch nicht Anklage erhoben hat. Danach hat er bei Gericht zu beantragen, das Verfahren einzustellen (§90b).

(2) Gerichtliche Beschlüsse nach diesem Hauptstück sind während der Voruntersuchung vom Untersuchungsrichter, in der Hauptverhandlung vom erkennenden Gericht, sonst vom Vorsitzenden, in der Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht jedoch vom Schwurgerichtshof zu fassen. Bevor das Gericht dem Verdächtigen eine Mitteilung nach den §§90c Abs4, 90d Abs4, 90f Abs3 oder einen Beschluß, mit dem das Verfahren eingestellt oder seine Einleitung abgelehnt wird, zustellt, hat es den Staatsanwalt zu hören. Ein solcher Beschluß ist dem Verdächtigen überdies erst dann zuzustellen, wenn er dem Staatsanwalt gegenüber in Rechtskraft erwachsen ist.

(3) Gegen einen Beschluß, mit dem ein Strafverfahren nach diesem Hauptstück eingestellt oder dessen Einleitung abgelehnt wird (§§90c Abs5, 90d Abs1 und 5, 90f Abs1 und 4, 90g Abs1 in Verbindung mit §90b) steht dem Staatsanwalt, gegen eine Abweisung des Antrags auf Einstellung des Strafverfahrens dem Verdächtigen und dem Staatsanwalt die binnen 14 Tagen nach Zustellung einzubringende Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu. Solange über eine solche Beschwerde noch nicht entschieden wurde, ist die Durchführung einer Hauptverhandlung nicht zulässig.

(4) [...]"

III. Der Antrag ist nicht zulässig.

1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

2. Die Regelung des angefochtenen §48 Abs2 StPO normiert ausdrücklich, dass der Privatbeteiligte (anders als im Fall des Rücktritts des Staatsanwaltes von der Verfolgung aus anderen Gründen - §48 Abs1 Z1-3 leg.cit.) nicht berechtigt ist, die öffentliche Anklage zu erheben oder zu übernehmen, wenn der Staatsanwalt nach dem IXa. Hauptstück (Diversion) von der Verfolgung zurücktritt.

Der Antragsteller behauptet indes gar nicht, durch eine Konstellation iSd §48 Abs2 StPO betroffen zu sein, weil das Strafverfahren, dem er sich angeschlossen hatte, nach seiner Darstellung nicht zufolge Rücktritts des Staatsanwaltes von der Verfolgung (vorläufig) eingestellt wurde, sondern (ohne Vorliegen eines darauf abzielenden Antrags der Anklagebehörde) aufgrund gerichtlicher Entscheidung (nach den Vorschriften des §90b iVm §90l StPO). Schon nach dem Antragsvorbringen berührt die allein auf den Rücktritt des Staatsanwaltes (nicht aber auf einen - das Verfahren vorläufig beendenden - Gerichtsbeschluss bezogene) Bestimmung des §48 Abs2 StPO die Rechtssphäre des Antragstellers mithin nicht unmittelbar und aktuell.

Selbst unter der Annahme, dass der Antragsteller die Betroffenheit in seiner Rechtssphäre im Fehlen einer Rechtsvorschrift erblickt, die ihm im gegebenen Zusammenhang eine Rechtsmittelbefugnis einräumt, läge der Sitz einer allfälligen Verfassungswidrigkeit nicht in §48 Abs2 StPO.

Hinsichtlich der Vorschrift des §48 Abs2 StPO fehlt dem Antragsteller daher (worauf die Bundesregierung in ihrer Äußerung zu Recht verweist) schon deshalb die Antragslegitimation.

3. Aber auch zur Anfechtung des §90l Abs3 StPO ist der Antragsteller nicht berechtigt.

Diese Bestimmung räumt dem Staatsanwalt und dem Verdächtigen das Recht ein, gegen einen Gerichtsbeschluss, mit dem ein Strafverfahren diversionell erledigt oder ein darauf abzielender Antrag abgelehnt wurde, Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu erheben. Ein Beschwerderecht des Privatbeteiligten sieht diese Vorschrift - wie der Antragsteller zutreffend darlegt - hingegen nicht vor.

Der Auffassung des Antragstellers zuwider wäre ihm jedoch zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Regelung ein zumutbarer Weg über ein gerichtliches (Rechtsmittel-)Verfahren zur Verfügung gestanden: Er hatte nämlich die Möglichkeit, durch Einbringung einer Beschwerde gegen den in Rede stehenden Einstellungsbeschluss an den übergeordneten Gerichtshof eine - sei es auch bloß zurückweisende - Entscheidung herbeizuführen und seine Bedenken gegen §90l Abs3 StPO dem Beschwerdegericht mit der Anregung auf Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof zu unterbreiten (vgl. zB VfSlg. 13.815/1994; VfGH 1.3.2007, B301/06). Außergewöhnliche Umstände, welche die Einbringung eines Individualantrages zufolge Unzumutbarkeit eines anderen Weges ausnahmsweise zulässig machen können (zB weil die Erhebung eines unzulässigen Rechtsmittels mit einer besonderen Härte verbunden wäre), liegen hier (anders als etwa in den Fällen VfSlg. 15.786/2000 und 16.772/2002) nicht vor.

Gemäß Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG wäre das Rechtsmittelgericht - das bei Prüfung der Beschwerdelegitimation des Antragstellers auch (und gerade) die bekämpfte Vorschrift des §90l Abs3 StPO heranzuziehen gehabt hätte - zur Anfechtung dieser Regelung verpflichtet gewesen, sofern es die vom Antragsteller dagegen vorgetragenen Bedenken geteilt hätte.

Im Übrigen wird die Rechtsstellung des Privatbeteiligten hinsichtlich seiner zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche durch eine Diversionsentscheidung (insbesondere durch die dem Beschuldigten auferlegte Pflicht zur Zahlung eines Teilschadensbetrages innerhalb der Probezeit) nicht berührt.

4. Der Antrag war daher zur Gänze gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Strafprozeßrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:G195.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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