TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/2 I407 1425081-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.09.2020
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Entscheidungsdatum

02.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §54 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
IntG §11 Abs2
IntG §9
NAG §81 Abs36
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I407 1425081-3/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Ghana alias Nigeria, vertreten durch RA Mag. Dr. Anton KARNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.08.2018, Zl. 810572406/170479257, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.08.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. XXXX wird §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 eine "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Nach illegaler Einreise stellte der Beschwerdeführer am 12.06.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.02.2012, Zl. 11 05.724-BAG abgewiesen wurde.

2.       Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.11.2016 negativ erledigt und zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: belangte Behörde) zurückverwiesen.

3.       Mit Bescheid der belangten Behörde vom 02.02.2017, Zl. 810572406-1949289, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.03.2017 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

4.       Am 20.04.2017 stellt der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Artikel 8 EMRK zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens.

5.       Mit Schreiben vom 27.11.2017 forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer zur Vorlage eines Identitätsdokumentes sowie zur schriftlichen Begründung des Antrages auf. Der Beschwerdeführer erstattete die entsprechende Stellungnahme mit Schreiben seines Rechtsvertreters vom 05.12.2017.

6.       Am 26.06.2018 wurde der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen.

7.       Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 29.08.2018, Zl. 810572406/170479257, wies die belangte Behörde diesen Antrag des Beschwerdeführers vom 20.04.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK ab (Spruchpunkt I.) und erließ gem. § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG 2005 (Spruchpunkt II.). Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana gem. § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und wurde die Frist für die freiwillige Ausreise gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

8.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 02.10.2018 wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes der angefochtenen Entscheidung.

9.       Mit Schriftsatz vom 02.10.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 05.10.2018, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

10.      Am 31.08.2020 fand in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner zeugenschaftlich einvernommenen Lebensgefährtin eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Ghana. Seine Identität steht nicht fest. Er hält sich zumindest seit 12.06.2011 in Österreich auf.

Er führt seit 2013 eine Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin und lebt mit dieser und den beiden gemeinsamen, 2015 und 2019 geborenen Kindern (ebenfalls österreichische Staatsbürger) seit September 2017 im gemeinsamen Haushalt.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Er bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung und lebt von finanziellen Zuwendungen der Caritas und seiner Lebensgefährtin.

Der Beschwerdeführer hat ein ÖSD-Zertifikat auf Niveau A2 erworben und kann eine Einstellungszusage - unter der aufschiebenden Bedingung der Erteilung eines Aufenthaltstitels - vorweisen. Zudem engagiert er sich ehrenamtlich in einer katholischen Pfarre und vertreibt die Straßenzeitung XXXX .

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser sowie die schriftliche Stellungnahme vom 05.12.2017, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz, sowie durch die Angaben des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 31.08.2020. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Dauer des Aufenthalts in Österreich beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers sowie den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, welche nicht bekämpft wurden. Mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels steht die Identität des Beschwerdeführers nicht zweifelsfrei fest.

Die Feststellungen zur Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin, dem Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes sowie zu den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 31.08.2020, dem damit übereinstimmenden Beschwerdevorbringen, den vorgelegten Geburtsurkunden sowie den eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellung bezüglich der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers konnte aufgrund des vorliegenden Arbeitsvorvertrages (AS 235) sowie der Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 31.08.2020, wonach er gesund sei, getroffen werden.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers folgt einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 02.09.2020.

Die Feststellungen zur finanziellen Unterstützung durch seine Lebensgefährtin und durch die Caritas sowie zum Fehlen des Bezugs von Leistungen aus der Grundversorgung beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme am 26.06.2018, in der mündlichen Verhandlung am 02.09.2020 sowie auf dem dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden, am 02.09.2020 abgefragten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

Die Feststellungen zum Erwerb eines Deutschzertifikates, zum Vertrieb der Straßenzeitung XXXX und zum Engagement in einer Pfarre ergeben sich aus dem vorgelegten ÖSD-Zertifikat sowie der vorliegenden Bestätigungen über den Vertrieb der Straßenzeitung bzw. der entsprechenden Pfarre.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

Eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wäre gemäß § 55 Abs. 1 Ziffer 1 leg. cit. zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8 EMRK geboten ist und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Zu prüfen ist im gegenständlichen Fall, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, oder ob eine Trennung bzw. Fortführung des Familienlebens außerhalb Österreichs, respektive im Heimatstaat des Beschwerdeführers zumutbar ist, respektive ob eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG einen zulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt (Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK).

Zu seinem Familienleben ist grundsätzlich auszuführen, dass das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK das Zusammenleben der Familie schützt. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung auch nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. "legitimate family" bzw. "famille légitime") oder einer unehelichen Familie ("illegitimate family" bzw. "famille naturelle"), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.).

Unbestritten besteht zwischen jedem Elternteil und seinem Kind ein unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls schützenswertes familiäres Band, also grundsätzlich auch zwischen dem Beschwerdeführer und seinen beiden Söhnen. Wie der EGMR in seinem Urteil vom 12.07.2001, Rs 25702/94 in Rz 150 ausführt, bedarf es aber auch hier einer Beurteilung faktischer Umstände ("..the existence or non-existence of "family life" is essentially a question of fact depending upon the real existence in practice of close personal ties"). Im gegenständlichen Fall ist somit grundsätzlich festzustellen, dass ein Familienleben in Österreich vorliegt, dies insbesondere durch den gemeinsamen Haushalt und die finanzielle Unterstützung des Beschwerdeführers durch seine Lebensgefährtin.

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt.

Bei dieser Interessensabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007 sowie VwGH vom 03.04.2009, Zl. 2008/22/0592; vom 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216; vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479 und vom 26.01.2006, Zl. 2002/20/0423).

Bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes ist immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls im Detail abzustellen. Eine Ausweisung hat daher immer dann zu unterbleiben, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Im gegenständlichen Fall ist zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit 2011 im Bundesgebiet aufhält. Zudem hat bereits das erste Verfahren des Beschwerdeführers 6 Jahre bis zur rechtskräftigen Erledigung gedauert.

Dass er sich zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Familienlebens seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste, tritt angesichts des dargelegten Ausmaßes des tatsächlichen Bestehens des Familienlebens sowie des Umstandes, dass die Verfahrensdauer primär von Behörden und nicht vom Beschwerdeführer selbst zu verantworten ist, in den Hintergrund (vgl. VfGH 13.03.2008, B1032/07; VfGH 15.12.2011, U760-764, vgl. VfGH 7.10.2010, B 950/10 u.a., wonach es die Verantwortung des Staates ist, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass den nunmehrigen Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre - 7 Jahre verstreichen). Im gegenständlichen Fall ist die insgesamt sechsjährige Verfahrensdauer bis zur ersten Entscheidung über internationalen Schutz nicht dem Beschwerdeführer anzulasten.

Laut übereinstimmenden Angaben leben der Beschwerdeführer, seine Lebensgefährtin und die gemeinsamen Kinder seit 2017 im gemeinsamen Haushalt. Zudem konnte glaubhaft dargelegt werden, dass der Vater während der Arbeitszeiten der Mutter die Betreuung der gemeinsamen Kinder sicherstellt und daher eine wichtige Bezugsperson in ihrer derzeit (klein-)kindlichen Entwicklung darstellt.

Es kann daher auch nicht ausgeschlossen werden, dass es durch die Ausweisung des Vaters zu einer Traumatisierung der Kinder kommen wird, bzw. würde durch eine Ausweisung ein zweifellos enges Familienband zerrissen (siehe dazu auch EGMR Urteil vom 2.4.2015, Sarközi und Mahran gegen Österreich). Im gegenständlichen Fall konnte der Beschwerdeführer in Zusammenschau mit den Angaben seiner Lebensgefährtin nämlich glaubhaft darlegen, dass er aufgrund seiner Erwerbslosigkeit seiner Obsorge und somit seinen Pflichten bei der Erziehung und Beaufsichtigung der beiden Kinder in einem entscheidungsrelevanten Ausmaß nachkommt und damit auch der Mutter die Möglichkeit eingeräumt wird, eine Berufsausbildung zu absolvieren, sodass das verfahrensgegenständliche Familienleben zweifelsfrei die erforderliche Intensität im Sinne des Art 8 EMRK aufweist.

Es ist richtig und entspricht zweifellos der höchstgerichtlichen Judikatur und der des EGMR, dass aufgrund des Eingehens des Familienlebens trotz prekären Aufenthaltsstatus eine Verletzung von Art 8 EMRK nur mehr in außergewöhnlichen Umständen bejaht werden kann (vgl nur zuletzt EGMR, 28.06.2011, Nunez v Norwegen, Rs 55597/09, Rz 70 letzter Satz), es entspricht aber auch der Judikatur des EGMR , dass das Wohl und das Interesse der Kinder, besonders zu berücksichtigen sind und wird das Vorliegen dieser Umstände im gegenständlichen Fall unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohles zu bejahen sein (siehe auch Erkenntnis Rodrigues da Silva and Hookkamer v. the Netherlands vom 31.1.2006. in dem festgestellt wurde, dass der weitere Verbleib der Bf eindeutig im Interesse der Tochter gelegen sei und dem wirtschaftlichen Wohl des Landes überwiege).

Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch überwiegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes im vorliegenden Fall die familiären Interessen des Beschwerdeführers angesichts der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens. Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen.

In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden wiederholt von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ausgegangen (vgl. etwa VwGH 26.08.2010, 2010/21/0009; 26.08.2010, 2010/21/0206, und darauf Bezug nehmend das Erkenntnis vom 20.01.2011, 2010/22/0158; siehe idS auch VwGH 25.09.2009, 2007/18/0538, vgl. auch die noch zum FrG 1997 ergangenen Erkenntnisse VwGH 11.11.2005, 2002/21/0124; 04.09.2003, 2003/21/0057). Es wird aber auch nicht verkannt, dass im Falle, dass der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, ausnahmsweise Ausweisungen auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (vgl. dazu VwGH 10.05.2011, 2011/18/0100; VwGH vom 10.02.2017, Ra 2016/18/0268; VwGH vom 17.10.2016, Ro 2016/22/0005; VwGH vom 22.03.2017, Ra 2017/19/0028). Im gegenständlichen Fall hat der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet neun Jahre gedauert. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass er die Zeit überhaupt nicht genutzt hat, sich zu integrieren, so spricht der Beschwerdeführer Deutsch auf Niveau A2, kann eine Einstellungszusage vorweisen, engagiert sich ehrenamtlich in einer Pfarrgemeinde und hat neben seiner Familie auch soziale Kontakte im Bundesgebiet.

Zwar zeigt die relevante Rechtsprechung auch, dass es besondere Fälle geben kann, in denen bereits ein Verweis auf Besuchsmöglichkeiten oder sonstige fernmündliche Kontakte (statt einer dauerhaften Übersiedlung) genügt, um eine Verletzung von Art. 8 EMRK zu vermeiden. Es darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass es der Lebensgefährtin, die österreichische Staatsbürgerin ist und über keine maßgeblichen sozialen Kontakte in Ghana verfügt, nicht zugemutet werden kann, mit den beiden kleinen Kindern - ebenfalls österreichische Staatsbürger - nach Ghana zu reisen, sodass es sich auch nicht um eine zeitlich nur untergeordnete Trennung der Familie handeln würde. Insoweit ein solcher Umzug angedacht würde, so ist dem entgegenzuhalten, dass dabei vorrangig das Interesse und Wohl der Kinder zu berücksichtigen wäre, insbesondere im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die sich den Kindern im Heimatland des Beschwerdeführers stellen würden und den sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zu Österreich in Gegenüberstellung zu den nicht vorhandenen Bindungen in Ghana.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der genannten besonderen Umstände dieses Beschwerdefalles zum Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer unzulässig ist. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind und es war daher gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

Im vorliegenden Fall ist zudem davon auszugehen, dass für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" die Voraussetzungen nach Z 1 und Z 2 des § 55 Abs. 1 AsylG kumulativ vorliegen müssen und ist daher nicht nur zu prüfen, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels für die Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung deren Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, sondern auch, ob der Beschwerdeführer das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt (Z 1), einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt (Z 2), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3), einen Aufenthaltstitelt "Rot-Weiß-Rot Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Gemäß § 11 Abs. 2 Integrationsgesetz umfasst die Prüfung Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolgt ist mit "Bestanden" oder "Nicht bestanden" zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

Gemäß den Übergangsbestimmungen des § 81 Abs. 36 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.

Gemäß den maßgeblichen Bestimmungen des NAG (idF vor BGBl I. Nr. 68/2017) ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige gemäß § 14a Abs. 4 Z 2 leg. cit. einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 [= Kenntnisse der deutschen Sprache zur vertiefenden elementaren Sprachverwendung] vorlegt.

Der Aufenthaltstitel ""Aufenthaltsberechtigung" unterscheidet sich von der "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 54 Abs. 1 AsylG nur in Bezug auf die Berechtigung zur Ausübung von Erwerbstätigkeiten, und zwar dahin, dass die "Aufenthaltsberechtigung" insoweit weniger Rechte einräumt. Statt wie bei der "Aufenthaltsberechtigung plus", die einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt iSd § 17 AuslBG vermittelt, besteht nämlich für die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit das Erfordernis einer Berechtigung nach dem AuslBG.

Im gegenständlichen Fall verfügt der Beschwerdeführer über ein Deutsch Zertifikat A2 der „Österreichischen Orient-Gesellschaft Hammer-Purgstall“, einem anerkannten Prüfzentrum für das Österreichische Sprachdiplom (ÖSD), ausgestellt am 17.10.2016, weshalb er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetz BGBl. Nr. 68/2017 erfüllt hat.

Gemäß der zitierten Übergangsbestimmung ist die mangelnde Absolvierung eines Wertekurses gemäß § 11 Abs. 2 IntG als Nachweis, dass der Beschwerdeführer mit den Werten der Republik Österreich in Kenntnis und verbunden ist, nicht maßgeblich für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 AsylG Abs. 1, soweit er die Voraussetzungen des Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG idF vor dem BGBl. I Nr. 68/2017, vor dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens erfüllt hat.

Der Beschwerdeführer erfüllt somit auch ohne Vorlage eines Nachweises über die Absolvierung eines Wertekurses über die Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich bzw. nur mittels Vorlage seines Sprachzertifikates auf dem Niveau A2 die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und der Vorlage des Zertifikats A2 gegeben sind, war dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu gewähren.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher - unter der Voraussetzung der Erfüllung der allgemeinen Mitwirkungspflicht im Sinne des § 58 Abs. 11 AsylG - dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel im Sinne des § 58 Abs. 4 AsylG auszufolgen haben.

Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

Da dem Beschwerdeführer gem. § 55 Abs 1 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen war, waren in Erledigung der Beschwerde die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß aufzuheben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist teilweise zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung ersatzlose Teilbehebung Integration Interessenabwägung Kassation mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I407.1425081.3.00

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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