TE Vfgh Erkenntnis 1995/11/27 B3026/95

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Veröffentlicht am 27.11.1995
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 Abs1 idF BGBl 187/1994
ZivildienstG §5 Abs1
ZivildienstG §5 Abs2
AVG §6 Abs1
AVG §61 Abs4

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung durch Feststellung des Nichteintretens der Zivildienstpflicht wegen Fristversäumnis infolge Übersendung der Erklärung an eine unzuständige Behörde; richtige Einbringung der Zivildiensterklärung durch Übersendung an die im Informationsblatt angegebene Behörde; Verpflichtung zur Information der Wehrpflichtigen nicht weniger bedeutsam als Rechtsmittelbelehrung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seines Rechtsvertreters, die mit S 19.800,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der in Graz wohnhafte Beschwerdeführer wurde am 2. Juni 1995 von der Stellungskommission des Militärkommandos Steiermark in Graz für tauglich zum Wehrdienst befunden. Er gab am 30. Juni 1995 eine an das Militärkommando Burgenland gerichtete Zivildiensterklärung zur Post. Sie langte bei diesem Militärkommando am 3. Juli 1995 ein und wurde in der Folge (gleichfalls im Postweg) vom genannten Militärkommando an das Militärkommando Steiermark weitergeleitet, wo sie am 6. Juli 1995 eintraf.

b) Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres (BMI) vom 14. September 1995 wurde gemäß §5a Abs4 iVm §5a Abs3 Z2 des Zivildienstgesetzes 1986 - ZDG, BGBl. 679, idF der Novelle BGBl. 187/1994, festgestellt, daß der Einschreiter "am 05.07.1995" eine Zivildiensterklärung eingebracht habe. Diese könne wegen Fristversäumnis die Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen.

Der Bescheid wird wie folgt begründet:

"Gem. §2 Abs1 ZDG können Wehrpflichtige, die erstmals tauglich zum Wehrdienst befunden wurden, nur innerhalb eines Monates nach Abschluß des Stellungsverfahrens eine Zivildiensterklärung einbringen. Ihre im Spruch genannte Erklärung wurde erst nach Fristablauf eingebracht.

Da gem. §5a Abs3 Z2 ZDG Zivildiensterklärungen mangelhaft sind, wenn die Frist für die Abgabe der Zivildienst-erklärung abgelaufen ist, dies hier der Fall war und gem. §5a Abs4 ZDG der Nichteintritt der Zivildienstpflicht bei mangelhaften Zivildiensterklärungen festzustellen ist, war spruchgemäß zu entscheiden."

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. In der Beschwerde wird zum Sachverhalt unter anderem ausgeführt, daß der Beschwerdeführer die Zivildiensterklärung am 30. Juni 1995 zur Post gegeben habe, und zwar "laut des ihm übergebenen, (der Beschwerde) beiliegenden Informationsblattes". Die Erklärung sei "beim Militärkommando offensichtlich erst am 5.7.1995" eingelangt.

3.a) Der BMI als jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt.

b) Auf diese Ausführungen des BMI replizierte der Beschwerdeführer mit einem ergänzenden Schriftsatz.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das durch §2 Abs1 iVm Abs2 Zivildienstgesetz 1986 - ZDG, BGBl. 679, idF der Novelle BGBl. 187/1994, (wie schon zuvor durch §2 Abs1 idF der Novelle BGBl. 675/1991) verfassungsgesetzlich verbürgte Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung hat zunächst zum Inhalt, daß die in dieser Norm umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Zivildienstpflicht und die damit verbundene Ausnahme von der Wehrpflicht von der Behörde richtig beurteilt werden; das genannte Recht wird aber auch dann verletzt, wenn grobe Verfahrensfehler dazu führen, daß eine nach §2 Abs1 ZDG abgegebene Erklärung von der Behörde als nicht rechtswirksam qualifiziert wird (vgl. VfSlg. 13496/1993; VfGH 4.3.1994 B 1115/93, S 8).

2. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Gemäß §2 Abs1 ZDG kann der Wehrpflichtige im Sinne des Wehrgesetzes 1990, der erstmals tauglich zum Wehrdienst befunden wurde, innerhalb eines Monates nach Abschluß des Stellungsverfahrens eine (näher umschriebene) Zivildiensterklärung abgeben.

§5 Abs2 erster Satz ZDG normiert, wo (und in welcher Form) die Zivildiensterklärung abzugeben ist:

"§5. (1) ...

(2) Die Zivildiensterklärung ist im Stellungsverfahren bei der Stellungskommission, sonst bei dem nach dem Wohnsitz des Wehrpflichtigen zuständigen Militärkommando schriftlich einzubringen oder mündlich zu Protokoll zu geben. ..."

Gemäß §5 Abs1 ZDG sind die Wehrpflichtigen im Zuge des Stellungsverfahrens über das Recht und die Möglichkeiten, eine Zivildiensterklärung abzugeben, in geeigneter Weise zu informieren.

3.a) Der Beschwerdeführer hat sich bei der Adressierung seiner Zivildiensterklärung (an das Militärkommando Burgenland) auf das Informationsblatt gestützt, welches ihm im Rahmen seiner Stellung in Graz am 2. Juni 1995 zugekommen ist. Es trägt die Bezeichnung "Zusatz zur Information über Zivildienst des BMLV". Links oben befindet sich folgender Stempelaufdruck: "MILITÄRKOMMANDO STEIERMARK Ergänzungsabteilung Stellungskommission". In dem Informationsblatt heißt es auszugsweise wörtlich:

"1. Die schriftlich, formlos ausgeführte Zivildiensterklärung mit der Beilage Lebenslauf ist an das 'Militärkommando Burgenland, Ergänzungsabteilung, MARTIN Kaserne, Ing. Hans Sylvesterstraße, 7000 EISENSTADT" eingeschrieben zu richten, kann aber auch direkt in der Einlaufstelle der Ergänzungsabteilung abgegeben werden. ...

2. - 5. ..."

b) Über telefonische Anfrage des Verfassungsgerichtshofes teilte das Militärkommando Steiermark mit, daß in Graz (somit beim Militärkommando Steiermark) zeitweise auch die Stellung von Wehrpflichtigen stattfinde, deren Wohnsitz im Burgenland liegt. Zur Information dieser - und zwar ausschließlich dieser - Wehrpflichtigen sei das oben zitierte Informationsblatt bestimmt. Weiters wurde mitgeteilt, daß am 2. Juni 1995 (Tag der Stellung des Beschwerdeführers) tatsächlich auch Wehrpflichtige aus dem Burgenland in Graz der Stellung unterzogen worden seien.

4. Der Beschwerdeführer hat die Adressierung der Zivildiensterklärung offenkundig im Vertrauen auf die Angaben im oben zitierten Informationsblatt vorgenommen. Dies ist nicht nur den Beschwerdeausführungen zu entnehmen; auch in den Verwaltungsakten findet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß der in Graz wohnhafte Beschwerdeführer aus anderen Motiven - etwa aufgrund einer weiteren Wohnadresse im Burgenland (s. dazu VfGH 4.10.1995 B655/95) - seine Zivildiensterklärung an das Militärkommando Burgenland gesendet hat.

5. Der BMI beruft sich in seiner Gegenschrift auf §6 (Abs1) AVG. Dieser Bestimmung zufolge hat die Behörde Anbringen, die bei ihr einlangen und zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten. Dies sei im vorliegenden Fall (durch Weiterleitung der Zivildiensterklärung vom örtlich unzuständigen Militärkommando Burgenland an das Militärkommando Steiermark) geschehen. Die vom Beschwerdeführer erwähnte Information enthalte "Hinweise zur richtigen Einbringung einer Zivildiensterklärung". Es könne sohin die Fristversäumnis nur dem Beschwerdeführer angelastet werden.

6. Diese Auffassung ist verfehlt:

a) Der BMI übersieht, daß der in dem erwähnten Informationsblatt enthaltene Verweis auf das Militärkommando Burgenland dem konkreten Beschwerdeführer gerade eben keinen Hinweis zur "richtigen" Einbringung einer Zivildiensterklärung gibt. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, daß die Fristversäumnis "nur dem Beschwerdeführer angelastet werden" könne:

Die in §5 Abs1 ZDG normierte Anordnung, die Wehrpflichtigen im Zuge des Stellungsverfahrens "über das Recht und die Möglichkeiten, eine Zivildiensterklärung abzugeben, in geeigneter Weise zu informieren", wäre ad absurdum geführt, wenn der Wehrpflichtige auf die eindeutig und unmißverständlich formulierten Angaben eines in diesem Zusammenhang von der dazu befugten Behörde verwendeten und ihm im Rahmen seiner Stellung (wenngleich offenkundig irrtümlich) zugekommenen Informationsblattes nicht vertrauen dürfte.

b) Um ein solches Ergebnis zu vermeiden, ist neben dem zuvor genannten §6 Abs1 AVG auch §61 Abs4 AVG in die Betrachtung miteinzubeziehen. Die eben erwähnte Bestimmung lautet:

"§61. (1) - (3) ...

(4) Enthält der Bescheid keine oder eine unrichtige Angabe über die Behörde, bei der das Rechtsmittel einzubringen ist, so ist das Rechtsmittel auch dann richtig eingebracht, wenn es bei der Behörde, die den Bescheid ausgefertigt hat, oder bei der angegebenen Behörde eingebracht wurde.

(5) ..."

In diesem besonderen Fall erfolgt die allfällige Weiterleitung der Eingabe von der unzuständigen an die (für die Einbringung) zuständige Behörde also nicht "auf Gefahr des Einschreiters", wie dies §6 AVG vorsieht.

§61 trägt dem Umstand Rechnung, daß Bescheide eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten haben (§58 Abs1 AVG); auf sie soll der Bescheidadressat vertrauen können. Es ist nicht zu erkennen, inwiefern der in §5 Abs1 ZDG normierten Verpflichtung zur Information der Wehrpflichtigen über das Recht und die Möglichkeiten zur Abgabe einer Zivildiensterklärung für den Betroffenen geringere Bedeutung zukommen sollte als der Rechtsmittelbelehrung eines Bescheidadressaten. Immerhin ist zu bedenken, daß der Wehrpflichtige (ähnlich einem Rechtsmittelwerber bei der Einbringung eines Rechtsmittels) bei der Abgabe einer Zivildiensterklärung an eine bestimmte Frist gebunden ist; deren Versäumung schließt ihn von dem in §2 Abs1 ZDG normierten Grundrecht (s.o., Pkt. II.1) aus. Ein ordentliches Rechtsmittel gegen den (vom BMI zu erlassenden) Bescheid betreffend seine Zivildiensterklärung steht dem Wehrpflichtigen, der eine solche Erklärung abgegeben hat, nicht offen. Beim betroffenen Personenkreis handelt es sich durchwegs um junge Menschen, die zuweilen (so etwa auch im Fall des Beschwerdeführers (er wurde am 23. November 1977 geboren)) in dem für die Abgabe der Zivildiensterklärung maßgeblichen Zeitraum noch nicht einmal volljährig sind. Der Information nach §5 Abs1 ZDG kommt unter diesen Umständen erhebliches Gewicht zu.

c) Aufgrund dieser Erwägungen ist der vorliegende Fall nicht anders zu beurteilen als jener, auf den sich §61 Abs4 AVG bezieht.

In analoger Anwendung dieser Bestimmung hat daher der Beschwerdeführer seine Zivildiensterklärung "richtig" eingebracht, indem er sie an die (im Informationsblatt angegebene) Behörde (= das Militärkommando Burgenland) übersendet hat.

Er hat die Zivildiensterklärung am 30. Juni 1995 - somit "innerhalb eines Monates nach Abschluß des Stellungsverfahrens" (§2 Abs1 ZDG) und daher rechtzeitig - zur Post gegeben.

d) Der BMI gelangte - bedingt durch einen groben Fehler bei der Beurteilung der formalen Voraussetzungen für die Abgabe einer ordnungsgemäßen Zivildiensterklärung - zum Ergebnis, diese Erklärung habe nicht die Ausnahme des Beschwerdeführers von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung bewirkt, weil sie (durch Übersendung an eine unzuständige Behörde) erst nach Fristablauf eingebracht worden sei. (Bei dem im angefochtenen Bescheid als Einbringungsdatum der Zivildiensterklärung angeführten 5. Juli 1995 handelt es sich offenbar um den Tag ihrer Weiterleitung vom Militärkommando Burgenland an das Militärkommando Steiermark. (Der betreffende Poststempel ist unleserlich.))

Dieses Ergebnis ist nach dem zuvor Gesagten unrichtig.

Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt.

Der Bescheid war deshalb aufzuheben.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

Die Erstattung des ergänzenden Schriftsatzes durch den Beschwerdeführer hat sich als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig erwiesen, weshalb dafür Kosten in Höhe von S 1.800,-- zuzusprechen waren.

Im Gesamtbetrag von S 19.800,-- ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.300,-- enthalten.

8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Zuständigkeit Verwaltungsverfahren, Behördenzuständigkeit, Bescheid Rechtsmittelbelehrung, Zivildienst, Rechtsmittelbelehrung, Fristen (Verwaltungsverfahren), Manuduktion

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B3026.1995

Dokumentnummer

JFT_10048873_95B03026_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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