TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/30 96/08/0372

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Veröffentlicht am 30.09.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §67 Abs10;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse, Wien X, Wienerbergstraße 15-19, gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 4. November 1996, Zl. MA 15-II-C 7/93, betreffend Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: H in W, vertreten durch Dr. Herbert Gartner, Dr. Thomas Furherr, Rechtsanwälte in Wien VI, Mariahilfer Straße 57-59/12a), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 27. Oktober 1993 sprach die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse aus, der Mitbeteiligte sei als Geschäftsführer gemäß § 67 Abs. 10 ASVG im Zusammenhang mit § 83 ASVG verpflichtet, ihr die auf dem Beitragskonto einer näher bezeichneten GmbH rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 5. August 1992) im Betrage von S 272.428,32 zuzüglich Verzugszinsen seit 6. August 1992 (berechnet von S 218.880,03) binnen 14 Tagen zu zahlen. Begründend wurde u.a. ausgeführt, es handle sich um 40 % der Beitragsschulden der GmbH, als deren Geschäftsführer der Mitbeteiligte hafte. Über das Vermögen der GmbH sei der Konkurs eröffnet worden. Nach einem Schreiben des Masseverwalters vom 13. Oktober 1993 seien die Beiträge im Ausmaß von 40 % uneinbringlich.

Das Schreiben des Masseverwalters vom 13. Oktober 1993 an die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse lautete wie folgt:

"Bezugnehmend auf das Telefonat vom 12.10.1993 wiederholte ich vorerst, daß ich mit Sicherheit noch keine Aussagen über eine allfällige Quote machen kann, mit relativer Sicherheit jedoch die erzielbare Quote 60 % der anerkannten Konkursforderungen nicht übersteigen wird."

Im Einspruch gegen den Bescheid vom 27. Oktober 1993 bestritt der Mitbeteiligte - mit dem Argument, das Konkursverfahren sei noch nicht abgeschlossen - u.a. die Uneinbringlichkeit der Beiträge bei der GmbH.

In der Verhandlung am 21. Jänner 1994 wurde den Parteien seitens der belangten Behörde angekündigt, nach Vorlage der Unterlagen über die Gleichbehandlung der Beitragsforderungen werde der Masseverwalter befragt werden, welche Quote im Konkurs der GmbH zu erwarten sei.

Nach Fristerstreckungsanträgen des Mitbeteiligten vom 4. März 1994, 4. Mai 1994, 2. August 1994, 16. Dezember 1994, 29. Juni 1995, 29. Dezember 1995 und 16. April 1996 wurde am 26. April 1996 für den 14. Mai 1996 eine weitere Verhandlung anberaumt. Zugleich wurde der Masseverwalter brieflich ersucht, "mitzuteilen, wie hoch die Quote sein wird, die die Gläubiger ... voraussichtlich erhalten werden". Sollte der Masseverwalter aufgrund des Verfahrensstandes "nicht in der Lage sein, die Höhe der Befriedigungsquote konkret anzugeben", so werde um Mitteilung ersucht, "welche Quote mit Sicherheit nicht erreicht werden wird".

Hierauf antwortete der Masseverwalter am 2. Mai 1996 (bei der belangten Behörde eingelangt am 7. Mai 1996) wie folgt:

"Leider kann ich weder die eine noch die andere Frage beantworten. Da noch Außenstände vorhanden sind, über die prozessiert wird, ist die endgültige Quote derzeit nicht annähernd vorauszusagen. Sicher ist, daß sie 60 % oder 70 % nicht übersteigen wird, was jedoch nicht heißt, daß dieser Prozentsatz auch nur annähernd erreicht werden wird. Ich bedaure nichts besseres mitteilen zu können und zeichne ..."

In der Verhandlung am 14. Mai 1996 kam diese Auskunft nach dem Inhalt der über die Verhandlung aufgenommenen Niederschrift nicht zur Sprache. Dem Mitbeteiligten wurde für die Erbringung des Gleichbehandlungsnachweises eine (weitere) Frist von drei Wochen eingeräumt.

Nach weiteren Fristerstreckungsanträgen des Mitbeteiligten vom 4. Juni 1996, 28. Juni 1996 und (telefonisch) 5. Juli 1996 erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid vom 4. November 1996, mit dem sie über den Einspruch des Mitbeteiligten dahingehend entschied, daß der Bescheid vom 27. Oktober 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben werde.

Begründend führte die belangte Behörde nach einer Darstellung des Inhaltes des erstinstanzlichen Bescheides und einem Hinweis auf die Haftungsvoraussetzung der Uneinbringlichkeit der Beiträge folgendes aus:

"Da im Einspruch die Uneinbringlichkeit der Beiträge bei der Beitragsschuldnerin in Frage gestellt wurde, ersuchte die angerufene Behörde den Masseverwalter der Beitragsschuldnerin um Auskunft über die Höhe der im Konkurs zu erwartenden Quote bzw. welche Quote im Konkurs mit Sicherheit nicht erreicht werden wird. Mit Schreiben vom 2. Mai 1996 teilte der Masseverwalter mit, daß er leider weder die eine noch die andere Frage beantworten könne, da noch Außenstände vorhanden seien, über die prozessiert werde. Die endgültige Quote sei daher derzeit nicht annähernd vorauszusagen.

Da aufgrund der Aktenlage somit kein ausreichender Nachweis vorhanden ist, daß der dem Einspruchswerber vorgeschriebene Haftungsbetrag bei der Beitragsschuldnerin uneinbringlich geworden ist, war der angefochtene Bescheid entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aufzuheben."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse als Verletzung des Parteiengehörs geltend macht, die Mitteilung des Masseverwalters vom 2. Mai 1996 sei ihr vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides - im besonderen auch in der Verhandlung vom 14. Mai 1996 - nicht zur Kenntnis gebracht worden. Nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides habe die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse einerseits Akteneinsicht genommen und dabei festgestellt, daß der zweite Teil der Auskunft des Masseverwalters (wonach er "sicher" sei, daß die Quote 60 % oder 70 % nicht übersteigen werde) im angefochtenen Bescheid nicht wiedergegeben worden sei, obwohl auf der Grundlage dieser Auskunft der erstinstanzliche Bescheid nach Ansicht der Gebietskrankenkasse zumindest im Umfang einer Haftung des Mitbeteiligten für 30 % der Beitragsschulden zu bestätigen gewesen wäre. Andererseits habe sich die Beschwerdeführerin aufgrund der Ergebnisse der Akteneinsicht mit dem Masseverwalter in Verbindung gesetzt und zunächst telefonisch die Auskunft erhalten, der Masseverwalter habe die Anfrage vom 26. April 1996 mißverstanden und mit einer Quote von 60 % oder 70 % nicht die Befriedigungsquote im Konkurs, sondern die "Quote der Uneinbringlichkeit" gemeint. Dies entspreche der schon in einem Gespräch im Februar 1994 erteilten Auskunft des Masseverwalters, daß bestenfalls eine Befriedigungsquote von 30 bis 40 % erzielbar sein werde. In einem Schreiben vom 25. November 1996 habe der Masseverwalter dies schließlich bestätigt.

Dieses der Beschwerde angeschlossene Schreiben lautet wie folgt:

"Auf neuerliche Anfrage teile ich als Masseverwalter mit, daß für den Fall der Einbringlichkeit aller derzeit offenen Forderungen wegen der hohen Masseforderungen die Obergrenze einer allfälligen Konkursquote bei 30 % liegen kann, voraussichtlich aber geringer sein wird."

Die Beschwerdeführerin führt dazu weiter aus, daß sie dann, wenn ihr von der belangten Behörde zur Auskunft des Masseverwalters vom 2. Mai 1996 das Parteiengehör gewährt worden wäre, "eine klare Auskunft, wie sie jetzt im Schreiben vom 25. November 1996 vorliegt" hätte einholen können und durch Rückfrage beim Masseverwalter auch die unklare Formulierung in seiner Auskunft vom 2. Mai 1996 hätte klären können.

Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie hinsichtlich des Erfordernisses der Uneinbringlichkeit auf das hg. Erkenntnis vom 17. Jänner 1995, Zl. 94/08/0248, verweist und den vollständigen Inhalt der Auskunft vom 2. Mai 1996 nun dahingehend wertet, daß "diese Angaben keine verläßlichen Aufschlüsse" gegeben hätten, mit welcher Quote im Konkurs zu rechnen sei. Auf das Beschwerdeargument, zumindest die Haftung im Ausmaß von 30 % wäre in jedem Fall zu bestätigen gewesen, und auf die in der Beschwerde gerügte Verletzung des Parteiengehörs der Gebietskrankenkasse geht die Gegenschrift nicht ein.

Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der er die Auffassung vertritt, die belangte Behörde habe ihre Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhalts nicht verletzt, weshalb das Vorbringen über die Auskünfte des Masseverwalters vom Februar 1994 und vom 25. November 1996 gegen das Neuerungsverbot verstoße, und die Auskunft vom 25. November 1996 enthalte keine Angabe einer maximalen Konkursquote von 30 %, weil der Masseverwalter nur angegeben habe, daß die Quote bei 30 % liegen "könne". Da eine "Kann-Quote" für die Haftung nicht ausreichend sei, sei eine allfällige Verletzung des Parteiengehörs der Beschwerdeführerin nicht wesentlich.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die im vorliegenden Fall entscheidenden Rechtsfragen wurden vom Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 22. März 1994, Zlen. 93/08/0210, 0211, Slg. Nr. 14021/A, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird und das auch dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 17. Jänner 1995, Zl. 94/08/0248, zugrunde liegt, gelöst. Danach wäre der belangten Behörde zu folgen, wenn sie aus der bloßen Auskunft des Masseverwalters, weder die eine noch die andere der ihm gestellten Fragen beantworten zu können, und ohne Hinweise auf andere Ermittlungsmöglichkeiten die Schlußfolgerung gezogen hätte, eine ziffernmäßig bestimmbare Uneinbringlichkeit könne noch nicht festgestellt werden. Demgegenüber verweist die Beschwerdeführerin aber mit Recht darauf, daß diese mangelnde Feststellbarkeit nach dem Inhalt des weiteren, mit den Worten "sicher ist, daß" eingeleiteten Satzes in der Auskunft des Masseverwalters vom 2. Mai 1996 zumindest in bezug auf 30 % der Beitragsschulden nach der der belangten Behörde bekannt gegebenen Ansicht des Masseverwalters offenbar nicht gegeben war. Dieser Teil der Auskunft hätte - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - allerdings noch nicht ausgereicht, um die strittige Frage der Uneinbringlichkeit zumindest hinsichtlich dieser 30 % als geklärt anzusehen. Hiefür hätte es vielmehr konkreter, nachvollziehbarer Feststellungen über die Befriedigungsaussichten, im besonderen über das zur Befriedigung der Konkursforderungen verfügbare Massevermögen bedurft (vgl. dazu aus der zu vergleichbaren abgabenrechtlichen Haftungsnormen ergangenen Rechtsprechung grundlegend das Erkenntnis vom 10. Juni 1980, Zl. 65/79, und zuletzt etwa das Erkenntnis vom 6. August 1996, Zl. 92/17/0186). In erster Linie wäre daher der Masseverwalter aufzufordern gewesen, seine insgesamt unklare und widersprüchliche Auskunft entsprechend zu verdeutlichen und zu konkretisieren, und es wäre das Ergebnis mit den Parteien zu erörtern gewesen, um Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, ob und in welchem Ausmaß die zweifelsfreie Feststellung der Uneinbringlichkeit der Beiträge bei der GmbH möglich sei. Indem dies unterblieb und stattdessen der zweite Teil der Auskunft des Masseverwalters vom 2. Mai 1996 im angefochtenen Bescheid nicht wiedergegeben wurde, wurden Ermittlungs- und Begründungspflichten verletzt, von denen es zumindest möglich ist, daß die belangte Behörde bei ihrer Einhaltung zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Zu diesem Ergebnis führt auch die Berücksichtigung der nachträglichen telefonischen und schriftlichen Auskünfte des Masseverwalters, auf die sich die Beschwerdeführerin ohne Verstoß gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot beruft, um die Relevanz der geltend gemachten Verletzung des Parteiengehörs (§ 45 Abs. 3 AVG) darzutun. Die Auskunft vom 2. Mai 1996 läßt allerdings - entgegen den Beschwerdebehauptungen über telefonische Äußerungen des Masseverwalters - nicht die Auslegung zu, es sei statt der Befriedigungsquote eine "Quote der Uneinbringlichkeit" gemeint gewesen. Mit der Formulierung, es sei nicht sicher, daß der angegebene Prozentsatz "auch nur annähernd erreicht werden" würde, wäre dies (auch vor dem Hintergrund der in der Auskunft vom 13. Oktober 1993 genannten Quote von 60 %) nicht vereinbar. Das Nebeneinander unterschiedlicher, kaum näher begründeter und zum Teil auch in sich selbst unklarer Auskünfte des Masseverwalters könnte vielmehr lediglich zu dem Schluß führen, daß diese Auskünfte insgesamt nicht geeignet sind, die erforderlichen Feststellungen darauf zu gründen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der Deutung der Auskunft vom 25. November 1996 durch den Mitbeteiligten nicht zu folgen ist. Wenn der Masseverwalter in dieser Auskunft ausführt, daß "für den Fall der Einbringlichkeit aller derzeit offenen Forderungen" die Obergrenze einer allfälligen Konkursquote bei 30 % liegen "könne", voraussichtlich aber geringer sein werde, so kommt darin nicht zum Ausdruck, die Quote könne nach der Einschätzung des Masseverwalters auch höher ausfallen. Die mangelnde Konkretheit und ziffernmäßige Nachvollziehbarkeit auch dieser Auskunft und die mit dem bloßen Hinweis auf "hohe Masseforderungen" nicht ausreichend erläuterte Revision der der belangten Behörde am 2. Mai 1996 erteilten Auskunft (und der Auskunft vom 13. Oktober 1993) hätten aber jedenfalls weitere Ermittlungen erfordert. Daß diese bei Beachtung der dem Erkenntnis vom 22. März 1994, Zlen. 93/08/0210, 0211, und den erwähnten abgabenrechtlichen Erkenntnissen entnehmbaren Kriterien zu einem anderen Bescheid geführt hätten, ist zumindest nicht auszuschließen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, wobei die Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat ergehen konnte, weil die zu erörternden Rechtsfragen durch die zitierte Rechtsprechung bereits klargestellt waren.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996080372.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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