RS Vfgh 2020/10/1 G259/2019 (G259/2019-19)

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Veröffentlicht am 01.10.2020
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Index

L8500 Straßen

Norm

B-VG Art7 Abs1
B-VG Art118 Abs2
B-VG Art118 Abs3 Z4
B-VG Art139 Abs1 Z6
B-VG Art140 Abs1 Z1 litb
B-VG Art140 Abs2
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
Stmk LStVG 1964 §7 Abs1 Z5, §8 Abs3, §13, §27, §45, §46, §58a
V des Gemeinderats der Gemeinde Seiersberg-Pirka vom 13.12.2016 betr die Erklärung von Straßen mit öffentlichem Verkehr auf bestimmten Grundstücken zu öffentlichen Interessentenwegen
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Legaldefinition des Stmk LandesstraßenverwaltungsG 1964 betreffend öffentliche Interessentenwege; unsachlicher Wertungswiderspruch zum System des LStVG 1964 durch Erklärung von öffentlichen Interessentenwegen zu Straßen, die nicht überwiegend für den lokalen Verkehr von Bedeutung sind, für einen unbegrenzten Personenkreis; Verstoß gegen die Schranken der Gemeindeautonomie durch Erweiterung des Personenkreises und Entfall der Wortfolge "von örtlicher Bedeutung" für Verkehrsflächen der Gemeinde

Rechtssatz

Aufhebung der Wortfolge ", das sind Straßen für den öffentlichen Verkehr, die überwiegend nur für die Eigentümer, Besitzer, Bewohner und Benützer einer beschränkten Anzahl von Liegenschaften dienen und als solche erklärt wurden (§8)" in §7 Abs1 Z5 Stmk LandesstraßenverwaltungsG 1964 (LStVG 1964), LGBl 154 (WV) idF LGBl 137/2016, mit Ablauf des 30.09.2021. Keine Aufhebung der Wortfolgen "5. Öffentliche Interessentenwege" in §7 Abs1 Z5 LStVG 1964 idF LGBl 137/2016, und "sowie eines öffentlichen Interessentenweges (§7 Abs1 Z5)" in §8 Abs3 LStVG 1964 idF LGBl 60/2008, sowie §58a LStVG 1964 idF LGBl 60/2008.

Kein untrennbarer Zusammenhang zwischen den in Prüfung gezogenen Bestimmungen und den §13, §27 Abs1, §45 und §46 LStVG 1964: Bei den Bestimmungen der §27 Abs1, §45 und §46 LStVG 1964 handelt es sich um solche, in denen der Begriff der öffentlichen Interessentenwege vorkommt bzw zur Kategorie der öffentlichen Interessentenwege Regelungen getroffen werden. §13 leg cit regelt die Gemeindeaufsicht und verweist für diese in Straßenangelegenheiten auf die Bestimmungen der Gemeindeverfassung.

Die §27 Abs1, §45 und §46 LStVG 1964 werden auch nach einer teilweisen Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen, insbesondere des §7 Abs1 Z5 leg cit, nicht unanwendbar. Die Bestimmungen sind weiterhin anwendbar, die Kategorie der "öffentlichen Interessentenwege" wird durch die Aufhebung der Legaldefinition in §7 Abs1 Z5 LStVG 1964 nicht abgeschafft, sondern es wird der Inhalt, den der Landesgesetzgeber dem Begriff beimisst, aufgehoben. Die Straßenkategorie an sich bleibt erhalten und kann in den Bestimmungen der §27 Abs1, §45 und §46 leg cit Regelungen unterworfen werden. Bei Anwendung dieser Regelungen ist der Begriff "öffentlicher Interessentenweg" dann (verfassungskonform) auszulegen, weil eine Legaldefinition nicht mehr vorhanden ist. Von einer Unanwendbarkeit der Bestimmungen kann aber nicht gesprochen werden.

Die Bestimmungen der §27 Abs1, §45 und §46 LStVG 1964 gebrauchen zwar den Begriff "öffentlicher Interessentenweg"; da sich die Bedenken des VfGH aber gerade gegen den Inhalt, den der Gesetzgeber der Straßenkategorie "öffentlicher Interessentenweg" seit der Novelle LGBl 137/2016 zumisst, richten, wird die Verfassungswidrigkeit bereits durch die teilweise Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen beseitigt.

Kein untrennbarer Zusammenhang zwischen §13 LStVG 1964 und §58a LStVG 1964: Der Umstand, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Verweis auf die Gemeindeverfassung ins Leere ginge, vermag keinen untrennbaren Zusammenhang zu begründen. Im vorliegenden Fall wäre die Verweisung ins Leere die einzige Konsequenz der Aufhebung des §58a LStVG 1964.

Dem Verwaltungsorgan Gemeinderat kommt es nach Art140 Abs2 B-VG nicht zu, in das vom VfGH amtswegig eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren einzugreifen, indem es die im Anlassfall angefochtene Verordnung im Umfang des Hauptantrages der Volksanwaltschaft aufhebt. Im Hinblick darauf hat die Zurückziehung des Antrages durch die Volksanwaltschaft im Anlassverfahren in Folge der Aufhebung der angefochtenen Verordnung im Umfang des Hauptantrages im vorliegenden Fall keinen Einfluss auf das amtswegig eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren.

Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot:

Die Novellierung des §7 Abs1 Z5 LStVG 1964 durch LGBl 137/2016 ist - bei Zugrundelegung einer historischen Interpretation - deutlich von der Intention getragen, (auch) Straßen von überörtlicher Bedeutung als Interessentenwege einreihen zu können, wobei als Interessenten - mangels gesetzlicher Definition im LStVG 1964 - auch die Kategorie der "Benützer einer beschränkten Anzahl von Liegenschaften" in Betracht kommt und der Gesetzgeber dabei gegebenenfalls auch von einem unbegrenzten Personenkreis ausgegangen ist.

Mit der Streichung der Wortfolge "von örtlicher Bedeutung" und der Einfügung der "Benützer" sind Interessentenwege - ungeachtet des Umstandes, dass mit der Anknüpfung an eine "beschränkte Anzahl von Liegenschaften" eine Einschränkung der Verkehrsbedeutung gegenüber den übrigen Straßenkategorien einhergeht - nicht mehr ausschließlich jene Straßen, die nach dem System des LStVG 1964 die geringste öffentliche Verkehrsbedeutung haben.

Kennzeichnend für die anderen in §7 Abs1 Z1 bis Z4 LStVG 1964 geregelten Straßengruppen ist es allerdings, dass sie nicht vorwiegend einem bestimmten Kreis von Benützern dienen. Dieser Umstand führt dazu, dass der Gesetzgeber primär das Land bzw die Gemeinde als Träger der Straßenbaulast vorsieht, wobei im Gesetz punktuelle Ausnahmen normiert werden, die allerdings nichts daran ändern, dass der weitaus überwiegende Teil der Straßenbaulast den genannten Gebietskörperschaften zufällt.

Auch bei Interessentenwegen besteht nach §7 Abs1 Z5 LStVG 1964 ein allgemeines Interesse an der öffentlichen Zugänglichkeit - andernfalls könnten diese nicht als öffentliche Straßen gewidmet werden - was dazu führt, dass diese einer Erhaltungspflicht und behördlichen Aufsicht unterworfen werden; allerdings erfordert die Einreihung in diese Straßengattung zusätzlich, dass sie überwiegend einem näher definierten Interessentenkreis dienen, was auch Kostentragungspflichten für diese Personen nach sich zieht.

Mit der vom Gesetzgeber gewählten Erfassung eines Kreises von Interessenten, der gegebenenfalls auch unbegrenzt sein kann und sich auch auf Straßen bezieht, deren Bedeutung über den überwiegend lokalen Verkehr hinausgeht, ist diese Straßengattung allerdings nicht mehr eindeutig von anderen Straßengruppen abgrenzbar. Das Interesse von individuell nicht mehr erfassbaren Benutzergruppen lässt sich nicht mehr ausreichend vom allgemeinen Verkehrsinteresse unterscheiden.

Verstoß gegen Art118 Abs2 iVm Abs3 Z4 B-VG:

Unter "Verkehrsflächen der Gemeinde" sind nach der Rsp des VfGH solche zu verstehen, die überwiegend nur für den lokalen Verkehr von Bedeutung sind, wobei dieser Verkehr nicht auf das Gemeindegebiet beschränkt sein muss, sondern auch dann ein Lokalverkehr bleibt, wenn er zwar über die Gemeindegrenze führt, aber überwiegend den Interessen der einzelnen Gemeinden und nicht überwiegend übergeordneten Interessen dient. Entscheidend ist, dass eine Verkehrsfläche in ihrer Verkehrsbedeutung auf das Gemeindegebiet beschränkt ist; sie muss im überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft liegen. Zur Auslegung des Art118 Abs3 Z4 B-VG (Verwaltung der Verkehrsflächen der Gemeinde) ist daher entscheidend, ob überörtliche Interessen örtliche Interessen überwiegen. Eine allenfalls erforderliche Bedachtnahme auf überörtliche Belange nimmt einer Angelegenheit nicht die Merkmale, die für ihre Zuordnung zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde wesentlich sind. Aus der Verfassung selbst ergibt sich, dass die Zuordnung einer Angelegenheit zum eigenen Wirkungsbereich nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass die Angelegenheit überörtliche Interessen berührt. Eine Angelegenheit muss aber im "überwiegenden Interesse" der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen sein. Das Überwiegen ist im Wege einer Interessenabwägung festzustellen.

Der VfGH hält an seiner vorläufigen Annahme fest, dass Verkehrsflächen mit den Voraussetzungen des §7 Abs1 Z5 LStVG 1964 idgF nicht mehr ausschließlich solche der Gemeinde iSd Art118 Abs3 Z4 B-VG sind. Wenngleich die Anknüpfung an eine begrenzte Anzahl von Liegenschaften im Wortlaut der Norm verblieben ist, so werden die Grenzen des Art118 Abs3 Z4 B-VG nach Erweiterung des Nutzerkreises um die Gruppe der "Benützer" und der Streichung der Wortfolge "von örtlicher Bedeutung" in §7 Abs1 Z5 LStVG 1964 überschritten.

Eine Verkehrsfläche für den öffentlichen Verkehr, die überwiegend nur für die Eigentümer, Besitzer, Bewohner und Benützer einer beschränkten Anzahl von Liegenschaften dient und als solche erklärt wurde (§7 Abs1 Z5 LStVG 1964), ist (kann) - zumindest auch - eine solche (sein), die über das örtliche Interesse hinausgeht, und vor allem eine solche, die nicht überwiegend im örtlichen Interesse liegt, sodass dieser Fall von Art118 Abs3 Z4 B-VG nicht umfasst ist.

(Einstellung des Anlassverfahrens mit E v 01.10.2020, V44/2019).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Straßenverwaltung, Interessentenweg, Auslegung historische, VfGH / Verwerfungsumfang, Gemeindestraße, Wirkungsbereich eigener, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G259.2019

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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