TE Vfgh Beschluss 1995/11/27 KI-11/95

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Veröffentlicht am 27.11.1995
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art138 Abs1 lita
EMRK Art5 Abs1 lita
EMRK Art5 Abs4

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen einem Landesgericht und einem Unabhängigen Verwaltungssenat betreffend neuerlicher Durchführung des Strafverfahrens des zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Antragstellers wegen behaupteter (Menschenrechts-) Konventionswidrigkeit des gegenwärtigen Strafvollzugs; keine Verneinung der Zuständigkeit durch das Gericht sondern Zurückweisung wegen entschiedener Sache

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit seiner durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebrachten Eingabe vom 29.8.1995 begehrt der Einschreiter, der zur Zeit aufgrund eines rechtskräftigen Urteiles des Obersten Gerichtshofes vom 2.7.1986 in der Justizanstalt Mittersteig eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt, die Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes gemäß Art138 Abs1 lita B-VG zwischen dem Landesgericht Korneuburg und dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien. Diesem Begehren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.2. Mit Beschluß des Landesgerichtes Korneuburg vom 1.12.1993 wurde das Begehren des nunmehrigen Antragstellers auf Einleitung des Verfahrens nach Art5 Abs4 EMRK, auf Anberaumung und Durchführung einer mündlichen Verhandlung, auf Feststellung der Konventionswidrigkeit des gegenwärtigen Strafvollzuges gemäß Art5 Abs4 EMRK iVm Art5 Abs1 lita EMRK aufgrund des Urteiles des EGMR vom 21.9.1993, Z29/1992/374/448, (= ÖJZ 1994, 210 ff.), sowie auf sofortige Entlassung aus der Strafhaft mangels Berechtigung zurückgewiesen.

Dies wurde damit begründet, daß sich schon aus dem Wortlaut des Art5 Abs4 EMRK ergebe, daß diese Bestimmung nur anzuwenden sei, wenn noch kein ordentliches Gericht mit der Sache befaßt sei, nicht aber, wenn bereits eine rechtskräftige Verurteilung durch ein ordentliches Gericht vorliege. Ein Verfahren wie das begehrte habe der Antragsteller bereits durch das abgeführte ordentliche Gerichtsverfahren gehabt. Auch kenne weder die Strafprozeßordnung noch das Strafvollzugsgesetz eine Regelung, wonach aufgrund des Art5 EMRK mit einer Enthaftung eines in Strafhaft Befindlichen vorgegangen werden könne. Außerdem sei eine Konventionswidrigkeit des Strafvollzuges nicht gegeben. Im übrigen liege hinsichtlich aller Elemente des Begehrens res judicata vor.

1.3. Am 1.12.1994 brachte der nunmehrige Antragsteller beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien je eine Beschwerde gegen den Leiter der Justizanstalt Mittersteig, den Bundesminister für Justiz, den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten, den Bundeskanzler und die Bundesregierung wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ein, in denen er - unter Berufung auf das schon genannte Urteil des EGMR - u.a. begehrte, seine (weitere) Anhaltung in der Justizanstalt Mittersteig für rechts- und konventionswidrig zu erklären und der (jeweils) belangten Behörde aufzutragen, ihn sofort zu entlassen.

Diese Beschwerden wurden mit Bescheiden vom 6. und 7.12.1994 gemäß §67 c Abs3 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

Die Bescheide wurden im wesentlichen damit begründet, daß das Urteil des Obersten Gerichtshofes, das die Rechtsgrundlage für die Anhaltung des Beschwerdeführers bildet, weiterhin dem Rechtsbestand angehöre, weshalb die die Haft ausführenden Verwaltungsorgane auf Anordnung des Gerichtes tätig seien, sodaß es sich bei der bekämpften Anhaltung nicht um einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt handle. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien sei daher zur Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Anhaltung nicht zuständig.

Die Behandlung der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 15.3.1995, B44- 48/95, abgelehnt. In weiterer Folge sind sie aufgrund eines nachträglichen Antrages an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten worden.

2. Der Antrag ist unzulässig.

Ein verneinender (negativer) Kompetenzkonflikt iSd Art138 Abs1 lita B-VG liegt vor, wenn zwei Behörden in derselben Sache angerufen wurden und beide Behörden die Entscheidung in der Sache abgelehnt haben, aber eine zu Unrecht (VfSlg. 2429/1952, 4554/1963, 6046/1969). Die Voraussetzungen für einen verneinenden Kompetenzkonflikt liegen jedoch nicht vor, wenn eine der angerufenen Behörden den gestellten Antrag nicht wegen Unzuständigkeit, sondern deshalb abgewiesen hat, weil dem Antragsteller die Legitimation fehlt, die Aufhebung eines bestimmten ihm gegenüber in Rechtskraft erwachsenen Verwaltungsaktes zu begehren (VfSlg. 383/1925).

Wie sich aus der Begründung des Beschlusses des Landesgerichtes Korneuburg vom 1.12.1993 ergibt, hat das Gericht die seinerzeitigen Anträge des nunmehrigen Antragstellers nicht aus dem Grunde seiner Unzuständigkeit zurückgewiesen, sondern weil ihnen "keine Berechtigung" zukam. Das Gericht hat festgestellt, daß ein "solches Verfahren, das der Antragsteller nun mit seinem Antrag fordert, ... er durch das abgeführte ordentliche Gerichtsverfahren bereits gehabt" habe und daß die von ihm behauptete Konventionswidrigkeit des gegenwärtigen Strafvollzuges nicht gegeben sei; es liege hinsichtlich aller Teile des Begehrens res judicata vor.

Aus den Ausführungen in der Begründung des Beschlusses des Landesgerichtes Korneuburg erhellt somit eindeutig, daß die Zurückweisung der Anträge nicht aus dem Grunde der Unzuständigkeit erfolgt ist, sondern wegen entschiedener Sache. Das Gericht ging also davon aus, daß dem Begehren des Antragstellers aufgrund des vorangegangenen, mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 2.7.1986 rechtskräftig beendeten Strafverfahrens keine Berechtigung zukomme, was nichts anderes bedeutet, als daß es die Legitimation des Antragstellers zu seinem Einschreiten in der vorgenommenen Art, nicht aber die Zuständigkeit verneint hat.

Da somit eine Behörde ihre Zuständigkeit nicht verneint hat, liegt ein verneinender Kompetenzkonflikt nicht vor. Der Antrag war daher zurückzuweisen.

3. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, Strafvollzug, Rechtskraft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:KI11.1995

Dokumentnummer

JFT_10048873_95K0I011_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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