TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/28 W126 2223923-1

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Veröffentlicht am 28.07.2020
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Entscheidungsdatum

28.07.2020

Norm

ASVG §67 Abs10
ASVG §83
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W126 2223923-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Sabine FILZWIESER-HAT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch die twsc Rechtsanwälte OG, Josefstraße 13, 3100 St. Pölten, gegen den Bescheid der damaligen Wiener Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse – Landesstelle Wien, vom 22.05.2019, Zl. 11-2019-BE-VER10-0008Y, nach Beschwerdevorentscheidung vom 21.08.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben der damaligen Wiener Gebietskrankenkasse (im Folgenden: WGKK) vom 08.04.2019 wurde der Beschwerdeführer darüber informiert, dass auf dem Beitragskonto der XXXX GesmbH, XXXX , (im Folgenden: Primärschuldnerin) aus Beiträgen samt Nebengebühren ein Rückstand in der Höhe von EUR 23.697,14 zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen bestehe. Der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Primärschuldnerin wurde ersucht, den Rückstand bis spätestens 30.04.2019 zu begleichen bzw. innerhalb dieser Frist alle Tatsachen vorzubringen, die seiner Ansicht nach gegen eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sprechen.

2. In der Stellungnahme des anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers vom 23.04.2019 wurde vorgebracht, dass sich aus dem Schreiben der WGKK kein Tatsachensubstrat entnehmen lasse, aus welchem Grund eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG gegeben wäre. Der Beschwerdeführer habe als Geschäftsführer keine Nettolöhne mehr ausbezahlt, sodass eine Haftung bereits aus diesem Grund ausscheide.

3. In der E-Mail der WGKK an die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers vom 24.04.2019 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Sachverhalt im Hinblick auf die Vertreterhaftung durch die Urkunden im Konkursakt ausreichend geklärt sei und unter Ausführung der Rechtslage und Judikatur dargelegt, dass der Beschwerdeführer als Vertreter der Gesellschaft den Gleichbehandlungsnachweis zu erbringen und zu bescheinigen habe, dass die Primärschuldnerin die WGKK bei Zahlungen nicht schlechter behandelt habe als die sonstigen Gesellschaftsgläubiger.

4. Mit Bescheid der WGKK vom 22.05.2019 wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Primärschuldnerin der WGKK gemäß § 67 Abs. 10 ASVG in Verbindung mit § 83 ASVG die zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Juni 2018 und August bis November 2018 von EUR 23.503,34 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das sind ab 09.01.2019 3,38 % p.a. aus EUR 23.192,05, schulde.

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Primärschuldnerin die im Spruch angeführten Beiträge nicht entrichtet und diese nicht unaufgefordert bei Fälligkeit an die WGKK entrichtet habe. Das Landesgericht St. Pölten habe mit Beschluss vom 08.01.2019 über das Vermögen der Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet und mit 30.01.2019 bekannt gemacht, dass Massenunzulänglichkeit bestehe. Die gegenständlich offenen Beiträge seien im Konkursverfahren angemeldet worden und mangels einheitlicher Verteilungsquote für die Konkursgläubiger uneinbringlich. Laut Firmenbucheintrag sei der Beschwerdeführer handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin und habe als Vertreter alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihm Vertretenen obliege, insbesondere hätte er dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die er verwalte, entrichtet werden.

Dem Beschwerdeführer sei mit E-Mail vom 24.04.2019 die Gelegenheit geboten worden darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei. Ausdrücklich sei dabei auf die Gelegenheit zur Erbringung des Nachweises der Gläubigergleichbehandlung hingewiesen worden. Eine Stellungnahme sei nicht eingelangt, weshalb die Haftung auszusprechen gewesen sei. Zudem werde auf die Haftung des Beschwerdeführers gemäß dem Bürgschaftsvertrag vom 13.04.2017 als Bürge und Zahler hingewiesen.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

Geltend gemacht wurden darin wesentliche Verfahrensfehler sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung. Zu den Verfahrensfehlern wurde angeführt, dass im Schreiben der WGKK vom 24.04.2019 keine Frist zur Stellungnahme gesetzt und daher nicht davon ausgegangen werden könne, dass eine ausreichende Frist zur Stellungnahme eingeräumt worden sei. Zur Haftung des Beschwerdeführers aufgrund des Bürgschaftsvertrages wurde ausgeführt, dass es sich dabei – falls es diesen gebe - um einen zivilrechtlichen Vertrag handle, der nicht zur Begründung einer persönlichen Haftung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens herangezogen werden könne.

Die unrichtige rechtliche Beurteilung gründe sich im Wesentlichen darauf, dass im Zeitraum 2011 bis 2017 eine frühere Mitarbeiterin einen Betrag in Höhe von insgesamt EUR 70.000 veruntreut habe und diese Veruntreuung zu Liquiditätsengpässen geführt habe, die bei einem normalen Geschäftsgang auch behoben werden hätten können. Zudem habe der Beschwerdeführer seit Sommer 2018 an Problemen mit Heiserkeit gelitten, weshalb er ab November 2018 aus Krankheitsgründen keinerlei Tätigkeiten für die Primärschuldnerin mehr ausüben habe können. Da die Tätigkeit auf die Person des Beschwerdeführers zugeschnitten gewesen sei, habe die Primärschuldnerin auch Insolvenz anmelden müssen.

Aufgrund der Fälligkeit der Beiträge ergebe sich, dass sowohl die Gläubiger gleichbehandelt worden seien und dass bei Fälligkeit sowohl der Löhne als auch der Sozialversicherungsbeiträge der Beschwerdeführer als Geschäftsführer bereits krankheitsbedingt ausgefallen gewesen sei.

Der Beschwerde wurde eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft, eine Ambulanzkarte des AKH und das Anmeldeverzeichnis im Konkursverfahren der Primärschuldnerin beigelegt.

6. Mit Beschwerdevorentscheidung der WGKK vom 21.08.2019 wurde die Beschwerde abgewiesen und begründend ausgeführt, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich des Einwandes der fehlenden Frist zur Stellungnahme übersehe, dass er bereits am 08.04.2019 (Übernahme des Schreibens am 10.04.2019) unter Festsetzung einer Frist bis zum 30.04.2019 zur Stellungnahme aufgefordert worden sei. Am 23.04.2019 sei die Bevollmächtigung des Rechtsvertreters bekannt gegeben worden, ein Ansuchen um Fristerstreckung sei aber nicht erfolgt. Am 24.04.2019 sei der Rechtsvertreter per E-Mail darauf hingewiesen worden, dass eine Gleichbehandlung nachzuweisen bzw. zu bescheinigen sei. Dem Recht auf Parteiengehör sei daher genüge getan worden.

Hinsichtlich des angeführten Bürgschaftsvertrags wurde festgehalten, dass dieser angeführt worden sei, damit sich der Beschwerdeführer auf eine potentielle zivilrechtliche Klage „einstellen“ könne, damit er von einem solchen Vorgehen nicht überrascht werde.

Zum Vorbringen bezüglich der Veruntreuung wurde im Wesentlichen dargelegt, dass den Geschäftsführer eine Überwachungspflicht treffe und diese gegenüber den Mitarbeitern der Gesellschaft und anderen Mitgliedern der Geschäftsleitung gelte. Diese ergebe sich aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht, wonach Geschäftsführer dazu verpflichtet seien, bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Der Geschäftsführer habe daher entweder eine eigene Kontrolle über die Geschäftskonten und den Kassabestand vorzunehmen oder ein effektives Kontrollsystem zu errichten. Gerade über den behaupteten Zeitraum von sechs Jahren hätten dem Beschwerdeführer Unregelmäßigkeiten auffallen müssen. Darüber hinaus sei im angefochtenen Bescheid lediglich der Zeitraum 06/2018 bis 11/2018 herangezogen worden. Welche Auswirkungen die behauptete Veruntreuung auf diesen Zeitraum gehabt habe, sei nicht ausgeführt bzw. bescheinigt worden. Selbst wenn die behauptete Veruntreuung zu einem gravierenden Liquiditätsengpass geführt hätte, wäre der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2017 nach § 69 IO verpflichtet gewesen, einen Insolvenzantrag zu stellen.

Zu den behaupteten Krankheitsgründen wurde angemerkt, dass ein Geschäftsführer, welcher seine Tätigkeit nicht mehr ausüben könne, verpflichtet sei, seine Funktion niederzulegen und als Geschäftsführer auszuscheiden. Bleibe der Geschäftsführer weiterhin tätig, obwohl er sich in seiner Pflichterfüllung behindert sehe, verletze er seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Entrichtung der die Gesellschaft treffenden Abgaben.

Der Beschwerdeführer sei zudem aufgefordert worden, die Gleichbehandlung nachzuweisen bzw. zu bescheinigen und dieser Nachweis sei nicht erbracht worden. Aus dem übermittelten Anmeldeverzeichnis lasse sich eine Gleichbehandlung der Gläubiger – unter Anwendung der Berechnungsmethoden der Rechtsprechung – nicht ableiten. Der Beschwerdeführer sei rechtsanwaltlich vertreten, weshalb eine besondere Manuduktionspflicht nicht erforderlich gewesen sei.

7. Gegen diese Beschwerdevorentscheidung erhob der Beschwerdeführer fristgerecht einen Vorlageantrag.

8. Mit Schreiben vom 26.09.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht der Vorlageantrag samt Verwaltungsakt von der WGKK vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer war seit 07.10.2013 selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin.

Mit Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom 08.01.2019 zu 14 S 6/19a wurde ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin eröffnet. Mit Beschluss vom 15.01.2019 wurde die Schließung des Unternehmens angeordnet und in der Folge vom Masseverwalter angezeigt, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um Masseforderungen zu erfüllen (Masseunzulänglichkeit; Beschluss vom 30.01.2019).

Im Insolvenzverfahren wurde eine Forderung der WGKK in Höhe von EUR 23.503,34 festgestellt. Es handelt sich dabei um die zu entrichtenden Beiträge aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Juni 2018 und August bis November 2018.

Mit Schreiben der WGKK vom 08.04.2019 wurde der Beschwerdeführer über die Eröffnung des Haftungsprüfungsverfahrens gemäß § 67 Abs. 10 ASVG gegen ihn informiert und aufgefordert, den Rückstand zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen zu begleichen bzw. innerhalb dieser Frist alle Tatsachen vorzubringen, die seiner Ansicht nach gegen eine Haftung sprechen.

Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hat weder eine erfolgte Einstellung sämtlicher Zahlungen noch die Gläubigergleichbehandlung nachgewiesen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verwaltungsakt sowie dem durch das Bundesverwaltungsgericht eingeholten Firmenbuchauszug betreffend die Gesellschaft der Primärschuldnerin. Aus dem vorliegenden Akt ergibt sich der wesentliche maßgebliche Sachverhalt zweifelsfrei und unstrittig.

Was die ziffernmäßige Bestimmtheit der Höhe des Haftungsbetrags anbelangt, so legte die WGKK ihrem Bescheid einen Rückstandsausweis vom 08.04.2019 zugrunde. Der Rückstandsausweis ist eine öffentliche Urkunde und begründet nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld (vgl. VwGH 12.01.2016, Ra 2014/08/0028). Der Haftungsbetrag wurde im Rückstandsausweis näher aufgegliedert; die Aufschlüsselung entsprach den Vorgaben des § 64 Abs. 2 ASVG. Der Beschwerdeführer hat die Höhe der verfahrensgegenständlichen Rückstände im Verfahren nicht bestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG haben die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist die Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehende gesetzliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung von Beiträgen schuldhaft (leichte Fahrlässigkeit genügt) verletzt hat. Eine solche Pflichtverletzung kann darin bestehen, dass er die Beitragsschulden (ohne rechtliche Grundlage) insoweit schlechter behandelt als sonstige Verbindlichkeiten, indem er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt, bzw. im Fall des Fehlens ausreichender Mittel nicht für eine zumindest anteilsmäßige Befriedigung Sorge trägt. Der Geschäftsführer wäre nur dann exkulpiert, wenn er entweder nachweist, im fraglichen Zeitraum, in dem die Beiträge fällig geworden sind, insgesamt über keine Mittel verfügt und daher keine Zahlungen geleistet zu haben, oder zwar über Mittel verfügt zu haben, aber wegen der gebotenen Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern die Beitragsschuldigkeiten - ebenso wie die Forderungen aller anderen Gläubiger - nicht oder nur zum Teil beglichen zu haben, die Beitragsschuldigkeiten also nicht in Benachteiligung der Gebietskrankenkasse in einem geringeren Ausmaß beglichen zu haben als die Forderungen anderer Gläubiger. (VwGH 20.06.2018, Ra 2018/08/0039, mwN; siehe auch zuletzt VwGH 09.01.2020, Ra 2020/08/0180)

Ungeachtet der grundsätzlichen amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde trifft denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt, - über die ihn stets allgemein treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus - die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls angenommen werden darf, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist. (ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, zB VwGH 29.06.1999, 99/08/0075) Allerdings darf diese besondere Behauptungslast und Beweislast einerseits nicht überspannt, andererseits nicht so aufgefasst werden, dass die Behörde jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre. Hat der Geschäftsführer nicht nur ganz allgemeine, sondern einigermaßen konkrete, sachbezogene Behauptungen aufgestellt, die nicht schon von vornherein aus rechtlichen Gründen unmaßgeblich sind, so hat ihn die Behörde vorerst zu einer solchen Präzisierung und Konkretisierung seines Vorbringens und zu entsprechenden Beweisanboten aufzufordern, die ihr - nach allfälliger Durchführung eines danach erforderlichen Ermittlungsverfahrens - die Beurteilung ermöglichen, ob der Geschäftsführer gegen die ihm obliegende Gleichbehandlungspflicht verstoßen hat und ob und in welchem Ausmaß ihn deshalb eine Haftung trifft. Kommt der haftungspflichtige Geschäftsführer dieser Aufforderung nicht nach, so bleibt die Behörde zur eben angeführten Annahme berechtigt, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist. Konsequenterweise haftet der Geschäftsführer dann für die (von der Haftung betroffenen) Beitragsschuldigkeiten zur Gänze. (VwGH 12.10.2017, Ra 2017/08/0070).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat ein zur Haftung Herangezogener nicht nur allgemein darzutun, dass er dem Benachteiligungsverbot Rechnung getragen habe. Vielmehr hat dieser die im Beurteilungszeitraum fälligen unberichtigten Beitragsschulden und die fälligen offenen Gesamtverbindlichkeiten sowie die darauf jeweils geleisteten Zahlungen darzulegen. (VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038)

3.2. Für das vorliegende Verfahren bedeutet dies folgendes:

Der Beschwerdeführer war im verfahrensgegenständlichen Zeitraum handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Er gehört zum Kreis der nach § 67 Abs. 10 ASVG haftenden Personen. Er ist seiner Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen der Primarschuldnerin nicht nachgekommen, sodass es zu dem oben festgestellten Rückstand der Sozialversicherungsbeiträge gekommen ist.

Es liegt hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Betrages Uneinbringlichkeit vor, da im Rahmen des Insolvenzverfahrens der Primärschuldnerin Masseunzulänglichkeit festgestellt wurde.

Die WGKK informierte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 08.04.2019 über die Eröffnung des Haftungsprüfungsverfahrens gemäß § 67 Abs. 10 ASVG gegen ihn und forderte ihn auf, alle Tatsachen vorzubringen, die seiner Ansicht nach gegen eine Haftung sprechen.

In der Stellungnahme des anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers vom 23.04.2019 wurde ausgeführt, dass sich dem Schreiben der WGKK kein Tatsachensubstrat entnehmen lasse, aus welchem Grund eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG gegeben wäre und der Beschwerdeführer als Geschäftsführer keine Nettolöhne mehr ausbezahlt habe, sodass eine Haftung bereits aus diesem Grund ausscheide.

In der E-Mail der WGKK an den vom Beschwerdeführer bevollmächtigten Vertreter wurde ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung die Vermutung bestehe, dass den Vertreter am Nichtentrichten der Beiträge durch die Gesellschaft Verschulden treffe und der Vertreter darzutun habe, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Behörde eine schuldhafte Verletzung anzunehmen habe. Der Vertreter habe die Gelegenheit, den Gleichbehandlungsnachweis zu erbringen und zu bescheinigen, dass die Gesellschaft die WGKK bei Zahlungen nicht schlechter behandelt habe, als die sonstige Gesellschaftsgläubiger.

In der E-Mail der WGKK wurde auch die Möglichkeit der telefonischen Kontaktaufnahme angeführt.

Der Beschwerdeführer ist dieser konkretisierten Aufforderung nicht nachgekommen und hat damit seine Nachweispflichten verletzt. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde wurde dem Beschwerdeführer ausreichend die Möglichkeit eingeräumt, seiner Mitwirkungspflicht nachzukommen. Nach der oben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann, wenn der Vertreter seiner Darlegungspflicht nicht nachkommt, angenommen werden, dass er die ihm obliegenden Pflichten nicht erfüllt hat.

Darüber hinaus wurden weder mit der Beschwerde noch im Laufe des Beschwerdeverfahrens Bescheinigungsmittel bzw. Unterlagen vorgelegt oder ein Vorbringen erstattet.

Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren auch nicht vor, im fraglichen Zeitraum, in dem die Beiträge fällig geworden sind, insgesamt über keine Mittel zu verfügen. Er führte in der Stellungnahme an, dass keine Nettolöhne ausbezahlt wurden, ohne einen konkreten Zeitpunkt anzugeben, und stützt sich in der Beschwerde auf „Liquiditätsengpässe“. Dass die Primärschuldnerin im verfahrensrelevanten Zeitraum insgesamt über keine Mittel verfügte, wurde im Verfahren nicht durch Vorlage entsprechender Unterlagen nachgewiesen, obwohl – wie oben angeführt – den Vertreter auch in diesem Fall die Pflicht zum Nachweis, dass die Gesellschaft alle Zahlungen eingestellt hat und es daher nicht zu einer Gläubigerungleichbehandlung gekommen ist, trifft.

Was den Einwand des Beschwerdeführers betreffend die vorgebrachten Veruntreuungen der Prokuristin angehe, ist darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtungen der Gesellschaft nach § 58 Abs. 5 ASVG den Beschwerdeführer als Geschäftsführer treffen und dieser dafür zu sorgen hat, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die er verwaltet, entrichtet werden. Geschäftsführer trifft eine allgemeine Sorgfaltspflicht, aufgrund welcher sie dazu verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmannes anzuwenden. Geschäftsführer haben zudem dafür zu sorgen, dass ein effektives Kontrollsystem geführt wird. Wie in der Beschwerdevorentscheidung ausgeführt wurde, trifft Geschäftsführer auch eine Überwachungspflicht (vgl. dazu auch VwGH 30.05.1989, 89/14/0044). Der Beschwerdeführer vermochte im Verfahren nicht darzulegen, inwieweit er diesen Verpflichtungen nachgekommen ist.

Eine allfällige Haftung der Prokuristin, welche nicht Gegenstand des gegenständlichen Verfahrens ist, fällt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Prokuristen nicht haften, weil unter den zur Vertretung berufenen Personen nur die gesetzlich berufenen, nicht aber die gewillkürten Vertreter zu verstehen sein sollen, aus (Derntl in Sonntag, ASVG Jahreskommentar10 (2019) § 67 Rz 78 mit Verweis auf VwGH 05.03.1991, 89/08/0223).

Für die Haftung des Geschäftsführers ist nicht entscheidungswesentlich, ob den Geschäftsführer an der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ein Verschulden trifft und ob er auf Grund dieser Insolvenz selbst einen Schaden erlitt, weil nicht das Verschulden an und der Schaden aus der Insolvenz ins Gewicht fallen, sondern das Verschulden an der nicht ordnungsgemäßen (rechtzeitigen) Beitragsentrichtung vor Insolvenzeröffnung. Es ist somit nicht die Schuldlosigkeit des Vertreters an den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen der Gesellschaft relevant, sondern die Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit den anderen Verbindlichkeiten in Bezug auf ihre Bezahlung (Derntl in Sonntag, ASVG Jahreskommentar10 (2019) § 67 Rz 80c). Wie oben dargelegt, hat der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren keine Nachweise zur Gläubigergleichbehandlung erbracht.

Soweit der Beschwerdeführer in der Beschwerde vorbringt, dass er aus Krankheitsgründen ab November 2018 seine Tätigkeit nicht mehr ausüben habe können, ist dem entgegenzuhalten, dass ein allenfalls gegebener schlechter Gesundheitszustand, der die Leistungsfähigkeit erheblich einschränkt, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein Grund ist, eine Pflichtverletzung zu rechtfertigen, zumal sich der Beschwerdeführer bei seinen Aufgaben auch hätte vertreten oder unterstützen lassen können (VwGH 20.04.2005, 2003/08/0277, mwN). Der Beschwerdeführer hat weder in der Stellungnahme noch in der Beschwerde dargelegt, dass und gegebenenfalls von wem er sich tatsächlich in seiner Geschäftsführerfunktion hat vertreten lassen.

Die Höhe des festgestellten Haftungsbetrages ergibt sich aus dem Rückstandsausweis vom 08.04.2019. Weder der Stellungnahme noch der Beschwerde sind konkrete Einwendungen bezüglich der Höhe der offenen Forderung zu entnehmen. Derartiges wurde auch nicht im Beschwerdeverfahren geltend gemacht; ebenso wenig wurden entsprechende Unterlagen vorgelegt.

Zusammenfassend ist von einer schuldhaften Verletzung der den Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Primärschuldnerin treffenden Pflicht zur rechtzeitigen Entrichtung der fälligen Beiträge auszugehen, die für die nunmehrige Uneinbringlichkeit dieser Forderungen kausal war.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

3.3. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer nicht beantragt.

Es wurde von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, da sich im gegenständlichen Fall klar aus der Aktenlage ergab, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der Sachverhalt stellte sich aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als hinreichend geklärt dar und war im vorliegenden Fall unstrittig. Es wurden keine Rechts- oder Tatfragen aufgeworfen, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. ua VfGH 18.06.2012, B 155/12, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität ist). Dem Entfall der Verhandlung stehen weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die Entscheidungsfindung im gegenständlichen Fall war nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von über den konkreten Einzelfall hinausgehender Bedeutung abhängig; sie erging in Anlehnung an die unter Punkt 3.2. der Erwägungen zu Spruchpunkt A) dargelegte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 Abs. 10 ASVG. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich auf eine klare Rechtslage stützen.

Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Beitragsrückstand Geschäftsführer Gleichbehandlung Haftung Nachweismangel Pflichtverletzung Uneinbringlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W126.2223923.1.00

Im RIS seit

13.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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