TE Vwgh Erkenntnis 2020/10/9 Ro 2019/13/0025

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Veröffentlicht am 09.10.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E09301000
E6J
32/04 Steuern vom Umsatz

Norm

EURallg
UStG 1994 §22
UStG 1994 §22 Abs1
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art295
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art296 Abs1
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art296 Abs2
62015CJ0340 Nigl VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Waldviertel in 3500 Krems an der Donau, Rechte Kremszeile 58, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 26. Februar 2019, Zl. RV/7101189/2018, betreffend Umsatzsteuer 2013 bis 2015 (mitbeteiligte Partei: N in S, vertreten durch die Accurata Steuerberatungs GmbH & Co KG in 3500 Krems an der Donau, Rechte Kremszeile 62), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GesBR), deren Rechtsnachfolger der Mitbeteiligte ist, in der Folge vereinfachend als mitbeteiligte Partei bezeichnet, war in den Jahren 2013 bis 2015 im Weinbau tätig. In diesem Zeitraum wurden deren Umsätze und Vorsteuern unter Anwendung der Pauschalierungsregelung für nichtbuchführungspflichtige Land- und Forstwirte gemäß § 22 UStG 1994 festgesetzt.

2        Im angeführten Zeitraum arbeitete die mitbeteiligte Partei eng mit zwei weiteren, ebenfalls im Weinbau tätigen GesBR zusammen, deren Gesellschafter - ebenso wie die Gesellschafter der mitbeteiligten Partei - Mitglieder der Familie X waren. Die Gesellschafter aller drei GesBR waren zudem Gesellschafter einer GmbH, die den Großteil der Produkte der drei GesBR zukaufte und vermarktete und zum Teil den Produktionsmitteleinkauf sowie einen großen Teil der Administration für die drei GesBR übernahm. Hinsichtlich der genauen Ausgestaltung dieser Zusammenarbeit wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 2019, Ro 2017/13/0012, verwiesen.

3        Aufgrund der engen Zusammenarbeit zwischen den drei GesBR und der GmbH sowie der familiären Verbundenheit ihrer Gesellschafter wurde im Rahmen einer Außenprüfung u.a. der Standpunkt vertreten, die drei GesBR stellten in ihrer Gesamtheit ein Unternehmen im Sinne des § 2 UStG 1994 dar. Die Gesellschafter der drei GesBR brachten gegen die im Anschluss an diese Außenprüfung ergangenen Bescheide Berufungen (nunmehr Beschwerden) ein.

4        Im Rahmen des anschließenden (nicht revisionsgegenständlichen) Verfahrens legte das Bundesfinanzgericht dem EuGH neben der Frage, ob die GesBR in dieser Sachverhaltskonstellation als eigenständige Unternehmer im Sinne des Mehrwertsteuerrechts anzusehen seien, auch die nachstehend angeführte Frage zur Anwendbarkeit der von den GesBR in Anspruch genommenen Pauschalierungsregelung des § 22 UStG 1994 zur Vorabentscheidung vor:

„4.

Falls die drei Personenvereinigungen als drei eigenständige Unternehmer (Steuerpflichtige) anzusehen sind, sind diese als Winzer und damit als landwirtschaftliche Erzeuger Pauschallandwirte, wenn diese wirtschaftlich kooperierenden Personenvereinigungen zwar jeweils für sich unter die Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger fallen, jedoch die Kapitalgesellschaft, eine aus den Mitgliedern der drei Personenvereinigungen gebildete eigene Personenvereinigung oder eine aus der Kapitalgesellschaft und den Mitgliedern der drei Personenvereinigungen gebildete eigene Personenvereinigung auf Grund der Betriebsgröße oder der Rechtsform nach nationalem Recht von der Pauschalregelung ausgenommen ist?“

5        Der EuGH stellte im Urteil vom 12. Oktober 2016, Nigl, C-340/15, fest, dass die einzelnen GesBR in der streitgegenständlichen Sachverhaltskonstellation als eigenständige mehrwertsteuerpflichtige Unternehmer zu sehen seien, und führte zu der die Pauschalierung betreffenden Frage in Rn. 37 bis 46 aus:

„Es ist darauf hinzuweisen, dass die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger eine abweichende Regelung ist, die eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung der Sechsten Richtlinie und der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt und daher nur insoweit angewandt werden darf, als dies zur Erreichung ihres Ziels erforderlich ist (Urteile vom 15. Juli 2004, Harbs, C-321/02, EU:C:2004:447, Rn. 27, vom 26. Mai 2005, Stadt Sundern, C-43/04, EU:C:2005:324, Rn. 27, und vom 8. März 2012, Kommission/Portugal, C-524/10, EU:C:2012:129, Rn. 49).

Zu den beiden Zielen dieser Regelung gehört jenes, dem Vereinfachungserfordernis zu entsprechen, das mit dem Ziel eines Ausgleichs der Mehrwertsteuer-Vorbelastung für die Landwirte in Einklang gebracht werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Mai 2005, Stadt Sundern, C-43/04, EU:C:2005:324, Rn. 28, und vom 8. März 2012, Kommission/Portugal, C-524/10, EU:C:2012:129, Rn. 50).

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 25 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie und Art. 296 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Mitgliedstaaten auf Landwirte eine Pauschalregelung anwenden ‚können‘, wenn bei diesen die Anwendung der normalen Steuerregelung oder der vereinfachten Regelung auf insbesondere verwaltungstechnische Schwierigkeiten stieße.

Außerdem ergibt sich aus Art. 25 Abs. 9 der Sechsten Richtlinie und Art. 296 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass zum einen die Mitgliedstaaten bestimmte Gruppen landwirtschaftlicher Erzeuger von der Pauschalregelung ausnehmen können‘.

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die nationalen Rechtsvorschriften keine allgemeine Ausnahme einer Gruppe landwirtschaftlicher Erzeuger von der Pauschalregelung mit der Begründung vorsehen, diese Erzeuger würden mittels einer Kapitalgesellschaft oder einer Vereinigung wie der in Rn. 36 des vorliegenden Urteils genannten wirtschaftlich eng zusammenarbeiten.

Zum anderen sind nach Art. 25 Abs. 9 der Sechsten Richtlinie und Art. 296 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger solche ausgenommen, denen die Anwendung der normalen oder der vereinfachten Regelung keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten bereitet.

Der vom vorlegenden Gericht geltend gemachte Umstand, dass eine Kapitalgesellschaft, eine aus den Mitgliedern mehrerer Gesellschaften bürgerlichen Rechts gebildete Personenvereinigung oder eine aus der Kapitalgesellschaft und den Mitgliedern dieser Gesellschaften bürgerlichen Rechts gebildete Personenvereinigung aufgrund ihrer Größe oder ihrer Rechtsform nicht unter die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger fällt, kann sich aber nicht auf die Anwendung dieser Regelung auf die Gesellschaften bürgerlichen Rechts auswirken, da durch einen solchen Umstand an sich nicht nachgewiesen werden kann, dass ihnen die Anwendung der normalen oder der vereinfachten Regelung keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten bereiten würde.

Anders verhielte es sich jedoch, wenn Gesellschaften bürgerlichen Rechts wie die des Ausgangsverfahrens wegen ihrer Verbindungen zu einer Kapitalgesellschaft oder einer Vereinigung wie den oben in Rn. 36 genannten faktisch in der Lage wären, die Verwaltungskosten im Zusammenhang mit den sich aus der Anwendung der normalen oder der vereinfachten Regelung ergebenden Aufgaben zu tragen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

In diesem Fall kann die Tatsache, dass die Anwendung der Pauschalregelung immerhin geeignet ist, die mit der Anwendung der Mehrwertsteuerregelung verbundenen Verwaltungskosten zu senken, dagegen nicht berücksichtigt werden, da der Unionsgesetzgeber die Pauschalregelung nur zugunsten jener landwirtschaftlichen Erzeuger eingerichtet hat, bei denen die Anwendung der normalen Steuerregelung oder der vereinfachten Regelung auf insbesondere verwaltungstechnische Schwierigkeiten stieße.

Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 25 der Sechsten Richtlinie und Art. 296 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass sie der Möglichkeit, die Anwendung der in diesen Artikeln vorgesehenen gemeinsamen Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger auf mehrere Gesellschaften bürgerlichen Rechts wie die des Ausgangsverfahrens, die als mehrwertsteuerpflichtige eigenständige Unternehmer angesehen werden und untereinander zusammenarbeiten, mit der Begründung abzulehnen, dass eine Kapitalgesellschaft, eine aus den Mitgliedern dieser Gesellschaften bürgerlichen Rechts gebildete Personenvereinigung oder eine aus der Kapitalgesellschaft und den Mitgliedern der Gesellschaften bürgerlichen Rechts gebildete Personenvereinigung aufgrund der Betriebsgröße oder der Rechtsform nicht unter die Pauschalregelung fällt, auch dann nicht entgegenstehen, wenn die Gesellschaften bürgerlichen Rechts nicht zu einer Gruppe von der Pauschalregelung ausgenommener Erzeuger gehören, sofern sie aufgrund ihrer Verbindungen zur Kapitalgesellschaft oder einer dieser Vereinigungen faktisch in der Lage sind, die Verwaltungskosten im Zusammenhang mit den sich aus der Anwendung der normalen oder der vereinfachten Mehrwertsteuerregelung ergebenden Aufgaben zu tragen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.“

6        Unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom 12. Oktober 2016, dessen Ausgangsverfahren die umsatzsteuerliche Behandlung einer zwischen der Mitbeteiligten und den anderen beiden GesBR allenfalls bestehenden „Gesamt-Gesellschaft“ in Vorjahren betraf, erließ das Finanzamt im revisionsgegenständlichen Verfahren Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2015, in denen es die Umsätze und Vorsteuern unter Anwendung der allgemeinen umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften festsetzte.

7        Begründend führte das Finanzamt aus, die Aussagen des EuGH zum Vorliegen verwaltungstechnischer Schwierigkeiten bei Anwendung des normalen Umsatzsteuerregimes seien in richtlinienkonformer Interpretation direkt auf § 22 UStG 1994 zu übertragen, obwohl § 22 UStG 1994 und die §§ 124 und 125 BAO auf eine solche Voraussetzung nicht Bezug nähmen. Durch die enge Verbindung der GesBR mit einer GmbH, die alle administrativen Tätigkeiten (Buchhaltung, Erstellung der Rechnungen und Gutschriften usw.) übernehme, sei im Lichte des EuGH-Urteils davon auszugehen, dass die GesBR faktisch in der Lage sei, die Verwaltungskosten des normalen Mehrwertsteuerregimes zu tragen. Die in § 22 UStG 1994 - der hinsichtlich seiner Entstehungsgeschichte genau denselben Zweck wie Art. 25 der Sechsten Richtlinie bzw. Art. 296 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufweise - vorgesehene Pauschalbesteuerung sei daher im Streitfall nicht anwendbar.

8        Die mitbeteiligte Partei brachte gegen die Umsatzsteuerbescheide 2013 bis 2015 Beschwerde ein.

9        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und änderte die Umsatzsteuerbescheide 2013 bis 2015 dahingehend ab, dass es die Umsätze und Vorsteuern unter Anwendung der Pauschalierungsregelung des § 22 UStG 1994 festsetzte. Begründend führte es aus, die mitbeteiligte Partei habe in den Streitjahren die Voraussetzungen für die Pauschalierung erfüllt, die der nationale Gesetzgeber in § 22 UStG 1994 formuliert habe, und vertrat - mit näherer Begründung - den Standpunkt, das Unionsrecht erfordere für die Anwendung der Pauschalierung kein über das Abstellen auf die Buchführung und bestimmte eindeutig nachvollziehbare Wertgrenzen hinausgehendes Kriterium. Die Frage einer richtlinienkonformen Interpretation des § 22 Abs. 1 UStG 1994 stelle sich im gegenständlichen Fall daher von vornherein nicht. Abgesehen davon - so das Bundesfinanzgericht weiter - verbiete der äußerste Wortsinn des § 22 Abs. 1 UStG 1994, den dort (iVm §§ 124 und 125 BAO) ausdrücklich genannten Kriterien für die Pauschalregelung (Nichtüberschreiten einer bestimmten Umsatzgrenze, Nichtüberschreiten einer bestimmten Einheitswertgrenze, Fehlen einer Buchführungspflicht) im Auslegungsweg ein weiteres, noch dazu im Hinblick auf Art. 18 B-VG sehr unbestimmtes Kriterium „verwaltungstechnische Schwierigkeiten im Einzelfall“ hinzuzufügen.

10       Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob infolge des EuGH-Urteils vom 12. Oktober 2016, Nigl, C-340/15, eine Auslegung des § 22 UStG 1994 dahingehend vorzunehmen sei, dass zu den im Gesetzeswortlaut genannten Tatbestandsvoraussetzungen für die land- und forstwirtschaftliche Pauschalierung „das Vorliegen von verwaltungstechnischen Schwierigkeiten im Einzelfall“ als weitere Voraussetzung hinzutrete.

11       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des Finanzamts, in der wie im Verwaltungsverfahren der Standpunkt vertreten wird, die GesBR sei - aufgrund der Auslagerung der administrativen Tätigkeiten (Buchhaltung, Erstellung der Rechnungen und Gutschriften usw.) in eine GmbH - in der Lage, die Verwaltungskosten des normalen Mehrwertsteuerregimes zu tragen, weshalb die in § 22 UStG 1994 vorgesehene Pauschalbesteuerung in richtlinienkonformer Interpretation im Streitfall nicht anwendbar sei.

12       Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14       Art 296 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) lauten:

„(1) Die Mitgliedstaaten können auf landwirtschaftliche Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder gegebenenfalls der Sonderregelung des Kapitels 1 auf Schwierigkeiten stoßen würde, als Ausgleich für die Belastung durch die Mehrwertsteuer, die auf die von den Pauschallandwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen gezahlt wird, eine Pauschalregelung nach diesem Kapitel anwenden.

(2) Jeder Mitgliedstaat kann bestimmte Gruppen landwirtschaftlicher Erzeuger sowie diejenigen landwirtschaftlichen Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder gegebenenfalls der vereinfachten Bestimmungen des Artikels 281 keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten mit sich bringt, von der Pauschalregelung ausnehmen.“

15       § 22 Abs. 1 erster Satz UStG 1994 in der bis 31. Dezember 2014 anwendbaren Fassung des Steuerreformgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 106/1999, lautet:

„(1) Bei nichtbuchführungspflichtigen Unternehmern, die Umsätze im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausführen, wird die Steuer für diese Umsätze mit 10% der Bemessungsgrundlage festgesetzt.“

16       § 22 Abs. 1 erster Satz und Abs. 1a UStG 1994 in der ab 1. Jänner 2015 anwendbaren Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2014 (BudBG 2014), BGBl. I Nr. 40/2014, lauten:

„(1) Bei nichtbuchführungspflichtigen Unternehmern, deren im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausgeführte Umsätze 400 000 Euro nicht übersteigen, wird die Steuer für diese Umsätze mit 10% der Bemessungsgrundlage festgesetzt.

[...]

(1a) Für die Ermittlung der Umsatzgrenze von 400 000 Euro nach Abs. 1 und den Zeitpunkt des Eintritts der aus Über- oder Unterschreiten der Umsatzgrenze resultierenden umsatzsteuerlichen Folgen ist § 125 BAO sinngemäß anzuwenden.“

17       Im Revisionsfall ist nicht strittig, dass die mitbeteiligte Partei die Voraussetzungen für die Anwendung des § 22 UStG 1994 dahingehend erfüllte, dass sie Umsätze im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes (Weinbau) ausführte, nicht buchführungspflichtig war und im Jahr 2015 die - mit dem BudBG 2014 eingeführte - Umsatzgrenze nicht nachhaltig iSd § 125 BAO überschritten hat.

18       Im Urteil vom 12. Oktober 2016, Nigl, C-340/15, hat der EuGH im Hinblick auf den Ausgangsfall, an dem auch die mitbeteiligte Partei beteiligt war, zunächst darauf verwiesen, dass die Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger eine abweichende Regelung sei, die eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung darstelle und daher nur insoweit angewandt werden dürfe, als dies zur Erreichung ihres Ziels erforderlich sei.

19       Der EuGH führt weiters aus, dass - neben der Möglichkeit der Mitgliedstaaten, bestimmte Gruppen landwirtschaftlicher Erzeuger von der Pauschalregelung auszunehmen - nach Art. 296 Abs. 2 der MwStSystRL von der Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger solche „ausgenommen [seien]“, denen die Anwendung der normalen oder der vereinfachten Regelung keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten bereite.

20       Bezogen auf den Ausgangsfall ergebe sich daraus - so der EuGH weiter -, dass Art. 296 der MwStSystRL dahin auszulegen sei, dass er der Möglichkeit, die Anwendung der in diesem Artikel vorgesehenen gemeinsamen Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger auf mehrere GesBR (zu denen auch die revisionsgegenständliche mitbeteiligte Partei gehört), die als mehrwertsteuerpflichtige eigenständige Unternehmer angesehen würden und untereinander zusammenarbeiteten, mit der Begründung abzulehnen, dass eine Kapitalgesellschaft, eine aus den Mitgliedern dieser Gesellschaften bürgerlichen Rechts gebildete Personenvereinigung oder eine aus der Kapitalgesellschaft und den Mitgliedern der Gesellschaften bürgerlichen Rechts gebildete Personenvereinigung aufgrund der Betriebsgröße oder der Rechtsform nicht unter die Pauschalregelung falle, auch dann nicht entgegenstünde, wenn die Gesellschaften bürgerlichen Rechts nicht zu einer Gruppe von der Pauschalregelung ausgenommener Erzeuger gehörten, sofern sie aufgrund ihrer Verbindungen zur Kapitalgesellschaft oder einer dieser Vereinigungen faktisch in der Lage seien, die Verwaltungskosten im Zusammenhang mit den sich aus der Anwendung der normalen oder der vereinfachten Mehrwertsteuerregelung ergebenden Aufgaben zu tragen, was das vorlegende Gericht zu prüfen habe.

21       Der EuGH hat im Urteil vom 12. Oktober 2016 keine Aussage dazu getroffen, ob das Kriterium der „verwaltungstechnischen Schwierigkeiten“ in jedem Einzelfall oder nur in bestimmten Fallkonstellationen zu prüfen sei.

22       Er hat aber ausdrücklich klargestellt, dass Art. 296 Abs. 1 MwStSystRL dahingehend auszulegen sei, dass der Anwendungsbereich der Pauschalregelung auf landwirtschaftliche Erzeuger beschränkt ist, denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung verwaltungstechnische Schwierigkeiten bereitet, und jene landwirtschaftlichen Erzeuger, bei denen keine diesbezüglichen Schwierigkeiten vorliegen, aus dem Kreis der Pauschallandwirte auszuschließen sind.

23       Wie bereits ausgeführt, hat Österreich mit § 22 UStG 1994 die in Art. 295 ff MwStSystRL normierte Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger zunächst dahingehend umgesetzt, dass nur nichtbuchführungspflichtige Unternehmer die Pauschalregelung in Anspruch nehmen können. Seit dem 1. Jänner 2015 ist als zusätzliches Kriterium vorgesehen, dass die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausgeführten Umsätze den Betrag von 400.000 € nicht (nachhaltig) übersteigen. Die in Art. 296 der MwStSystRL genannten verwaltungstechnischen Schwierigkeiten mit dem normalen Mehrwertsteuerregime sind - abgesehen davon, dass die Verpflichtung, Bücher zu führen, naturgemäß mit einem höheren verwaltungstechnischen Aufwand verbunden ist - nach dem Wortlaut des § 22 UStG 1994 keine Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Pauschalierung.

24       Bei Anwendung des nationalen Rechts, insbesondere der Vorschriften eines speziell zur Durchführung einer Richtlinie erlassenen Gesetzes, haben die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden die Auslegung im Lichte der Richtlinie vorzunehmen (Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung; vgl. VwGH 20.2.2008, 2006/15/0161, VwSlg. 8312/F).

25       § 22 Abs. 1 UStG 1994 ist daher grundsätzlich richtlinienkonform auszulegen (vgl. etwa VwGH 28.5.2019, Ro 2019/15/0002, zur richtlinienkonformen Auslegung bezüglich der von der Pauschalregelung erfassten Umsätze).

26       Im gegenständlichen Fall scheidet eine solche Auslegung jedoch angesichts des eindeutig weiteren Wortlauts des Anwendungsbereichs von § 22 Abs. 1 UStG 1994 („nichtbuchführungspflichtigen Unternehmern, die Umsätze im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausführen“ bzw. ab 2015 „nichtbuchführungspflichtigen Unternehmern, deren im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausgeführte Umsätze 400 000 Euro nicht übersteigen“) gegenüber dem ihm aufgrund seiner unionsrechtlichen Grundlage grundsätzlich zu unterstellenden Bedeutungsinhalt (unter Hinzudenken der unionsrechtlich geforderten generellen Einschränkung „denen die Anwendung des normalen Mehrwertsteuerregimes verwaltungstechnische Schwierigkeiten bereitet“) aus. Die Erweiterung der innerstaatlich normierten Voraussetzungen für die Pauschalierung um die in Art. 296 der MwStSystRL genannten verwaltungstechnischen Schwierigkeiten mit dem normalen Mehrwertsteuerregime würde den Auslegungsspielraum der zulässigen Ermittlung des Norminhalts nach innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und im Ergebnis die unmittelbare Anwendung einer nicht umgesetzten zusätzlichen Voraussetzung bedeuten. Ein solches Vorgehen kommt jedoch zu Lasten des Abgabepflichtigennicht in Betracht (vgl. VwGH 13.9.2017, Ro 2017/13/0015, sowie 5.9.2012, 2009/15/0213, VwSlg. 8741/F).

27       Aus den dargelegten Gründen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

28       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. Oktober 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62015CJ0340 Nigl VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019130025.J00

Im RIS seit

26.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

26.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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