TE Vwgh Beschluss 2020/10/12 Ra 2020/19/0230

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Veröffentlicht am 12.10.2020
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
MRK Art3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des S S, vertreten durch MMag. Johannes Duy, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 26/7a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Mai 2020, W264 2202060-1/15E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 20. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, seine Familie sei von den Taliban bedroht worden. Sein Vater sei Kesselflicker und von den Taliban aufgefordert worden, für sie Gefäße zum Drogenschmuggel herzustellen, oder an seiner Stelle den Revisionswerber zu schicken, um für die Taliban zu arbeiten.

2        Mit Bescheid vom 23. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, der Revisionswerber habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BVwG zusammengefasst damit, dass dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat - die zuletzt genannte Stadt ist nach den Feststellungen auch der Herkunftsort des Revisionswerbers - offenstehe.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe sich im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht mit den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender auseinandergesetzt. Der Revisionswerber gehöre dem Risikoprofil der Männer im wehrfähigen Alter im Kontext der Zwangsrekrutierung und der Kinder mit bestimmten, näher genannten Profilen an.

9        Aus diesen UNHCR-Richtlinien ergibt sich nicht, dass allen Personen mit den genannten Profilen asylrelevante Verfolgung drohe. Vielmehr ist die Gefahr einer solchen Verfolgung im Einzelfall zu prüfen (vgl. die genannten UNHCR-Richtlinien, S 62 und 97: „abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles“; vgl. auch VwGH 21.8.2020, Ra 2020/18/0315).

10       Das BVwG ist - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers auseinandersetzte - zu dem Ergebnis gelangt, der Revisionswerber habe mangels persönlicher Glaubwürdigkeit und infolge eines gesteigerten Vorbringens eine konkret und gezielt gegen ihn gerichtete Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe im Entscheidungszeitpunkt nicht glaubhaft machen können. Die Revision tritt dieser Beweiswürdigung nicht konkret entgegen.

11       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit auch vor, das Bundesverwaltungsgericht habe sich in Zusammenhang mit der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative weder mit den genannten UNHCR-Richtlinien noch mit einem näher genannten EASO-Leitfaden (Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018), insbesondere im Hinblick auf die Kategorie von „verwestlichten“ Personen und von außerhalb Afghanistans geborenen bzw. lange außerhalb Afghanistans lebenden Personen, auseinandergesetzt.

12       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung“). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben sich die Asylbehörden (und dementsprechend auch das BVwG) mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533). Auch den von EASO herausgegebenen Informationen ist Beachtung zu schenken (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160).

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2018/19/0606, mwN).

14       Dies gelingt der Revision nicht. Das Revisionsvorbringen, das BVwG hätte sich mit der Kategorie von Personen, die außerhalb Afghanistans geboren bzw. lange außerhalb Afghanistans gelebt hätten, auseinandersetzen müssen, geht schon deswegen ins Leere, weil das BVwG feststellte, der Revisionswerber sei in Afghanistan geboren und habe dort bis zu seiner behaupteten Flucht (im Jahr 2015) gelebt.

15       Das BVwG traf Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in den Städten Herat und Mazar-e Sharif und setzte sich auch mit der Frage auseinander, ob dem Revisionswerber als Rückkehrer aus dem Westen Verfolgung drohe. Es legte seiner Beurteilung hinsichtlich einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu Grunde, beim Revisionswerber handle es sich um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann ohne besondere Vulnerabilitäten, der über Schulbildung und Berufserfahrung in Afghanistan verfüge. Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision nicht auf, dass die Einschätzung des BVwG, dem Revisionswerber stehe jedenfalls in der Stadt Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, fallbezogen an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet (vgl. zu nicht im Herkunftsstaat aufgewachsenen Staatsangehörigen Afghanistans etwa VwGH 13.2.2020, Ra 2018/19/0628; 8.6.2020, Ra 2020/19/0155; jeweils mwN).

16       Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit ferner geltend, im angefochtenen Erkenntnis fehlten Länderfeststellungen betreffend die COVID-19-Situation in Afghanistan. Aus dem „aktuellen Länderinformationsblatt“ hätte sich ergeben, dass die Stadt Herat als „der“ COVID-19-Hotspot in Afghanistan gelte, sodass eine Rückkehr des Revisionswerbers dorthin nicht zumutbar sei.

17       Dieses Vorbringen geht schon deswegen ins Leere, weil das angefochtene Erkenntnis Ausführungen in Bezug auf COVID-19 in Afghanistan enthält und das BVwG eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht nur in Herat, sondern auch in Mazar-e Sharif angenommen hat, wozu die Revision in Zusammenhang mit COVID-19 kein Vorbringen enthält (vgl. zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif unter dem Aspekt einer durch die Covid-19-Pandemie bewirkten schwierigeren wirtschaftlichen Lage VwGH 20.8.2020, Ra 2020/19/0239, mwN). Die Revision behauptet auch nicht, dass der Revisionswerber an COVID-19 erkrankt sei oder diesbezüglich einer Risikogruppe angehöre.

18       Wenn die Revision in Zusammenhang mit der Aktualität der Länderfeststellungen vorbringt, das BVwG habe die Vorlage neuerer Länderinformationen auf den Revisionswerber überwälzt, wodurch es gegen das Überraschungsverbot und das Recht auf Parteiengehör verstoße, macht es Verfahrensmängel geltend, ohne aber deren Relevanz darzulegen.

19       Schließlich wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision geltend gemacht, das BVwG hätte angesichts des sechs Monate übersteigenden Zeitraums zwischen der Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Erlassung des Erkenntnisses in Hinblick auf die COVID-19-Situation und das Privatleben des Revisionswerbers eine neuerliche mündliche Verhandlung durchführen müssen. Die Revision, die nicht ausführt, zu welchen anderen Feststellungen das BVwG auf Grund einer weiteren mündlichen Verhandlung gekommen wäre, legt somit nicht dar, dass bzw. inwiefern sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt seit der Durchführung der mündlichen Verhandlung so maßgeblich geändert hätte, dass die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung notwendig gewesen wäre (vgl. zum Erfordernis der Relevanz bei Behauptung eines derartigen Verfahrensfehlers - auch im Anwendungsbereich von Art. 47 GRC bzw. von Art. 6 EMRK - VwGH 4.11.2019, Ra 2019/18/0326; 28.11.2019, Ra 2019/19/0328; 21.2.2020, Ra 2020/18/0002).

20       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 12. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190230.L00

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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