TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/30 W277 2233293-1

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Veröffentlicht am 30.07.2020
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Entscheidungsdatum

30.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs1 Z4
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §19
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs5
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W277 2233293-1/3E

W277 2233295-1/3E

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. ESCHLBÖCK, MBA über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. XXXX , vertreten durch die XXXX , gegen Spruchpunkt VI. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zlen. 1.) XXXX und 2.) XXXX zu Recht:

A)

Den Beschwerden gegen Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide wird Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge: BF1) XXXX , geb. XXXX , ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers (in der Folge: BF2) XXXX , geb. XXXX . Gemeinsam werden sie als Beschwerdeführer (in der Folge: BF) bezeichnet. Das Vorbringen der BF steht in untrennbarem Zusammenhang, weshalb es gemeinsam abzuhandeln ist.

1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der XXXX , reiste am XXXX in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte für sich und den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer als seine gesetzliche Vertreterin am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts erstbefragt.

Zu den Fluchtgründen brachte sie vor, dass sie im XXXX versucht habe, eine „Familienzusammenführung zu bekommen“, dabei aber ein Fehler unterlaufen und ihr Antrag abgelehnt worden sei. Ihr Mann lebe in Österreich und sie möchte mit ihrem Sohn bei ihm leben. Dies seien alle ihre Fluchtgründe, seitens der Regierung habe sie nichts zu befürchten und es gebe keine sonstigen Gründe, weshalb sie nach Österreich gekommen sei.

2. Am XXXX wurde die BF1 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Der Ehemann der BF1 wurde als Zeuge einvernommen.

3. Mit Bescheiden des BFA vom XXXX , Zlen. 1.) XXXX und 2.) XXXX , wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom XXXX sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, als auch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat XXXX abgewiesen (Spruchpunkt II.). Weiters wurde den BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die XXXX gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 55 Abs. 1 a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

4. Mit Schriftsatz vom XXXX erhoben die BF, vertreten durch die XXXX , das Rechtsmittel der Beschwerde und stellten Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Sie brachten darin im Wesentlichen vor, dass den BF internationaler Schutz nach § 3 AsylG zu gewähren gewesen wäre und die Rückkehrentscheidung ohne Berücksichtigung des Kindeswohls getroffen wurde, was gegen Art. 1 und 2 BVG über die Rechte der Kinder widerspreche und auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des VfGH eine Verletzung des Art. 8 EMRK darstellt.

Die BF brachten vor, dass ihren Anträgen die aufschiebende Wirkung aufgrund einer Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 8 EMRK zuzuerkennen sei.

5. Die gegenständliche Beschwerde langte samt Verwaltungsakt am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte betreffend die BF1 eine Strafregisterabfrage durch. Es scheint keine Verurteilung auf. Der BF2 ist strafunmündig.

II. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich daraus wie folgt:

1. Feststellungen

Die BF sind Staatsangehörige der XXXX .

Die BF1 ist seit XXXX mit XXXX , XXXX , dem Vater des BF2, standesamtlich verheiratet. Die BF1 hat ihren Ehemann im XXXX über soziale Netzwerke kennenlernt. Er besuchte sie im XXXX sowie im XXXX in der Ukraine.

XXXX lebt seit XXXX in Österreich und verfügt über den Aufenthaltstitel XXXX .

Von Mitte XXXX bis Mitte XXXX verbrachte die BF1 drei Monate in Österreich. Im August reiste sie nach Tschetschenien aus. (AS 128).

Der BF2 wurde am XXXX in Tschetschenien als Sohn der BF1 und XXXX geboren.

Die BF1 reiste am XXXX mit dem BF2 mit einem gültigen ukrainischen Reisepass nach Österreich ein.

Die BF1 ist seit XXXX im österreichischen Bundesgebiet gemeldet. Seit XXXX sind die BF am gleichen Wohnsitz mit XXXX gemeldet.

Die BF1 stellte einen Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels XXXX nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz. Dieser wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien am XXXX abgewiesen. Dagegen erhob die BF1 Beschwerde.

Sie stellte am XXXX für sich und den minderjährigen BF2 als seine gesetzliche Vertreterin im österreichischen Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheiden vom XXXX , Zlen. 1.) XXXX und 2.) XXXX , wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom XXXX sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 als auch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat XXXX abgewiesen (Spruchpunkt II.). Weiters wurde den BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die XXXX gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 55 Abs. 1 a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

Begründend führte das BFA aus, dass zwar ein Familienleben gemäß Art. 8 EMRK bestehe, sich die Ehegatten aber sowohl vor als auch nach ihrer Eheschließung nur vereinzelte Male gesehen hätten und das Familienleben daher nicht entsprechend ausgeprägt war. Zudem stehe schon die kurze Aufenthaltsdauer einer Verletzung von Art. 8 EMRK entgegen. Es liege in der Verantwortung der BF1 als gesetzlicher Vertreterin des BF2, sich um eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung zu bemühen, daher sei im weiteren Verlauf nicht mit einer Kindeswohlgefährdung zu rechnen.

Die BF haben gegen die Bescheide vom XXXX fristgerecht Beschwerden erhoben sowie Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.

Die BF führten aus, dass eine Aberkennung der aufschiebenden Wirkung das Kindeswohl des BF2, genauer Art. 1 und 2 BVG Kinderrecht sowie Art. 8 EMRK, verletze.

Die BF sind gesund. Die BF1 ist strafgerichtlich unbescholten, der BF2 ist strafunmündig.

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Identitäten der BF1 und des BF2 stehen aufgrund der Vorlage gültiger, ukrainischer Reisepässe fest (AS 35-39 zu BF1 sowie AS 15-17 zu BF2). Eine diesbezügliche Feststellung ist auch den Bescheiden des BFA zu entnehmen (Bescheid S. 12 zu BF1 sowie Bescheid S. 12 zu BF2).

Dass XXXX über den Aufenthaltstitel XXXX verfügt, ist einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu entnehmen.

Die Feststellungen zu den gegenseitigen Besuchen der BF1 und ihres Ehemannes in der Ukraine sowie deren Dauer sind den insoweit glaubhaften Angaben der BF1 beim BFA zu entnehmen (AS 130). Es ist kein Grund hervorgekommen, an diesen Angaben zu zweifeln.

2.2. Die Feststellung zur Einreise, der Asylantragsstellung, den Bescheiden und den Beschwerden sowie dem Antrag der BF1 auf Erteilung des Aufenthaltstitel XXXX sind dem unbestrittenen Akteninhalt zu entnehmen. Die Feststellungen bezüglich der Wohnsitzmeldungen der BF ist einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu entnehmen (AS 31).

2.3. Die standesamtliche Eheschließung der BF1 mit XXXX am XXXX ergibt sich aus der Heiratsurkunde XXXX

2.4. Dass die BF gesund sind, ist den diesbezüglichen Angaben der BF1 im Verfahren zu entnehmen (AS 137).

2.5. Dass die BF1 unbescholten ist, ist einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister zu entnehmen.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

3.1. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptungen des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

3.2. Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten, vielmehr handelt es sich bei dieser um eine der Sachentscheidung vorgelagerte Entscheidung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es - im Sinne einer Grobprüfung - von vornherein ausgeschlossen scheint, dass die Angaben des Beschwerdeführers als "vertretbare Behauptungen" zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.

3.3. Gem. § 18 Abs. 5 BFA-VG 2014 hat das Bundesverwaltungsgericht über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG 2014 bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheides binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde mit (Teil-)Erkenntnis abzusprechen (VwGH vom 19.10.2017, Ra 2017/18/0278.). Es ist daher mit Teilerkenntnis zu entscheiden.

Die relativ kurze Frist des § 18 Abs. 5 BFA-VG steht einer Entscheidung über die gesamten dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Beschwerden entgegen. Die BF machten in ihrem Schriftsatz das Risiko einer Verletzung der hier zu berücksichtigenden Konventionsbestimmung betreffend BF2 iSd. Art 8 EMRK geltend. Sie bezogen sich darauf, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung das Kindeswohl des BF2 verletze. Dabei stützten sie sich auf Art. 1 BVG Kinderrechte sowie auf die Verletzung von Art. 8 EMRK und Art. 2 BVG Kinderrechte, zumal jedes Kind Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen habe.

Die BF leben mit dem Ehemann der BF1 bzw. dem Vater des BF2 im gemeinsamem Haushalt. Die BF1 und der Kindsvater des BF2 sind seit XXXX standesamtlich verheiratet. Die BF verfügen im Bundesgebiet somit, wie auch das BFA in seinem Bescheid feststellt, über ein Familienleben gemäß Art. 8 EMRK (Bescheid S. 45 und 46).

Ob das Familienleben tatsächlich, wie im Bescheid angeführt, nicht ausreichend ausgeprägt ist, konnte im Zuge einer groben Prüfung und allein anhand des Akteninhalts nicht mit hinreichender Sicherheit bestätigt werden (Bescheid S. 45).

Da die Gefahr einer Verletzung von Art. 8 EMRK somit nicht von vornherein auszuschließen war, ist spruchgemäß zu entscheiden.

3.4. Den Beschwerden ist daher hinsichtlich Spruchpunkt VI. stattzugeben und diesen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

3.5. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte zur Beurteilung der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen.

Zu B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eine Frage des Einzelfalles ist, der grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung ersatzlose Teilbehebung Kassation real risk reale Gefahr sicherer Herkunftsstaat Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W277.2233293.1.00

Im RIS seit

04.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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