TE Vwgh Beschluss 2020/9/30 Ra 2020/01/0249

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Veröffentlicht am 30.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §20
BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der M M in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juni 2020, Zl. W254 2230391-1/3E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Antrag der Revisionswerberin, einer syrischen Staatsangehörigen und Angehörigen der Volksgruppe der Kurden, auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (der Revisionswerberin wurde bereits mit dem erstinstanzlichen Bescheid der belangten Behörde subsidiärer Schutz zuerkannt und ein befristete Aufenthaltsbewilligung erteilt).

2        Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin habe weder bei ihrer Erstbefragung noch bei ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde einen schlüssig nachvollziehbaren (asylrelevanten) Fluchtgrund darlegen können. Das Vorbringen der Revisionswerberin habe sich darauf beschränkt, Syrien gemeinsam mit ihrer Familie aufgrund des Krieges und Wehrdienstproblemen ihrer Brüder verlassen zu haben. In diesem Vorbringen könne keine individuelle die Revisionswerberin betreffende Verfolgung erkannt werden. Vielmehr habe die Revisionswerberin in ihrer Einvernahme dezidiert ausgeschlossen, in Syrien verfolgt worden zu sein.

3        In der Beschwerde seien auch nähere und vor allem konkretere Ausführungen in Bezug auf eine individuelle Verfolgungsgefahr der Revisionswerberin in Zusammenhang mit der behaupteten Wehrdienstverweigerung ihrer Brüder und ihres (nunmehrigen) Ehemannes unterblieben. Eine derartige Gefährdung aufgrund der Wehrdienstverweigerung sei von der Revisionswerberin auch in der Einvernahme vor der belangten Behörde überhaupt nicht thematisiert worden.

4        Die erstmals in der Beschwerde vorgebrachte geschlechterspezifische Gewalt, der Frauen in Syrien ausgesetzt seien, unterliege dem Neuerungsverbot gemäß § 20 BFA-VG. Davon abgesehen seien den Schilderungen der Revisionswerberin derartige Befürchtungen nicht substantiiert zu entnehmen. So habe die Revisionswerberin keine ihrer lediglich in den Raum gestellten Befürchtungen durch konkrete Angaben oder persönliche Erlebnisse stützen können. Im Übrigen sei die in der Beschwerde durch eine Accord-Anfragebeantwortung vorgebrachte Situation von alleinstehenden Frauen in den vom Regime kontrollierten Gebieten nicht mit der Situation von alleinstehenden Frauen in den Kurdengebieten vergleichbar.

5        In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin sei nicht als Familienangehörige nach § 2 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 anzusehen, da sie ihren seit 2014 im Bundesgebiet asylberechtigten Ehemann erst 2018 in Dänemark und damit nach ihrer erstmaligen Einreise nach Österreich 2016 geheiratet habe.

6        Die Revisionswerberin habe im Verfahren keine konkrete und gezielt gegen ihre Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität glaubhaft gemacht. Die in der Beschwerde vorgebrachte Gruppenverfolgung als alleinstehende Frau in Syrien liege aus näher bezeichneten Gründen nicht vor. Die allgemeine schlechte Situation in Syrien habe zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz geführt, führe aber nicht zur Zuerkennung des Status der Asylberechtigten.

7        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof zu § 21 Abs. 7 B-VG habe bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstoße. Vorliegend habe eine mündliche Verhandlung unterbleiben können, da die Beschwerde keine neuen wesentlichen Aspekte vorbringe und somit kein klärungsbedürftiger Sachverhalt vorliege. Was das Vorbringen der Revisionswerberin betreffe, finde sich in diesem kein neues bzw. kein ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen hinsichtlich allfälliger sonstiger Fluchtgründe. Das BVwG sei im Wesentlichen von Tatsachen ausgegangen, die bereits im erstinstanzlichen Bescheid auf unbedenklicher Weise festgestellt worden seien.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Vorliegend bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, weil die Revisionswerberin in der Beschwerde ausreichend substantiiert eine Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen und aufgrund ihrer Eigenschaft als Angehörige von Wehrdienstverweigerern gerügt habe. Weiters habe das BVwG die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht bloß unwesentlich ergänzt.

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist für die Verhandlungspflicht nach § 21 Abs. 7 BFA-VG beachtlich, dass in der Beschwerde ein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet wird, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 9.3.2020, Ra 2019/01/0499, mwN).

14       Mit dem erwähnten Zulässigkeitsvorbringen übersieht die Revision, dass das BVwG fallbezogen davon ausgegangen ist, dass das neu in der Beschwerde erstattete Vorbringen (auch) dem Neuerungsverbot gemäß § 20 BFA-VG unterlag und somit nach der erwähnten Rechtsprechung schon deshalb keine Verhandlungspflicht begründen konnte. Dagegen bringt die Revision nichts vor.

15       Aus diesem Grund fehlt auch dem in der Revision gerügten Verfahrensmangel, das Verwaltungsgericht habe veraltete Länderberichte herangezogen, die ausreichende Relevanz (vgl. zur notwendigen Relevanzdarstellung etwa VwGH 6.4.2020, Ra 2019/01/0430, mwN).

16       Soweit die Revisionswerberin erstmals in der Revision eine mangelnde Auseinandersetzung mit den Richtlinien des UNHCR in Bezug auf ihre Ausreise und die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes im Ausland rügt, steht der Berücksichtigung dieses Vorbringens im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof das aus § 41 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen, weil die Revisionswerberin eine Verfolgung aus diesen Gründen im gesamten Verfahren nicht vorgebracht hat (vgl. zum Neuerungsverbot etwa VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0147, mwN).

17       In der Revision werden aus diesen Gründen keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 30. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010249.L00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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