TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/4 W231 2174905-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2020
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Entscheidungsdatum

04.06.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch

W231 2174905-1/34E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die DIAKONIE Flüchtlingsdienst GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG in Verbindung mit § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. Spruchpunkt IV. wird ersatzlos behoben.

III. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

XXXX

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer [in Folge: "BF"] stellte in Österreich am 30.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 02.08.2015 gab er an, er sei Staatsangehöriger Afghanistans, der Volksgruppen der Hazara zugehörig und bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Er stamme aus Ghazni, sie ledig, und habe die Grundschule in Kabul bis zur 5. Klasse besucht. Er sei als Kameramann ab und zu bei Hochzeiten beschäftigt gewesen. Die Familie hätten ein Haus in Ghazni geerbt, sei aber weggezogen und habe jetzt nichts. Zu seiner Familie habe er keinen Kontakt. Sein Fluchtgrund sei, dass er mit den Taliban Probleme habe. Sein Leben sowie das seiner Familie sei in Gefahr, sie hätten aber nur Geld für die Flucht des BF gehabt. In Folge wurden Gutachten zur medizinischen Altersdiagnose durchgeführt (AS 121, 127, 129, 149).

I.3. Bei seiner Einvernahme am 19.07.2017 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark (in Folge: BFA) an, dass er Hazara und schiitischer Moslem sei. Er stamme aus der Provinz Ghazni und habe dort zuletzt mit seiner Familie gelebt. Er sei 5 Jahre in Kabul zur Schule gegangen und habe bis ca. 2014 dort gelebt, seine Eltern seien aktuell noch immer in Ghazni und lebten im Heimathaus. Er habe als Kameramann und in einer Bäckerei gearbeitet. 2014 habe er Afghanistan verlassen und sei über den Iran nach Europa gekommen. Die Reise in den Iran sei von seinem Vater finanziert worden, im Iran habe er gearbeitet und ein Cousin habe ihn unterstützt.

Zu seinem Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, dass er ein Problem mit den Taliban hätte. Er sei mit seinem Cousin in Ghazni unterwegs gewesen, als sie von Taliban aufgehalten worden seien. Diese hätten sein Geld und seine Tazkira weggenommen. Bei seinem Cousin hätten sie eine Karte für einen Englisch-Kurs gefunden, weshalb man ihn als Verräter bezeichnet bzw. ihm vorgeworfen habe, für die Verräter zu arbeiten. Als der BF seinen Cousin unterstützen habe wollen, hätten die Taliban dem BF ins Gesicht geschlagen. Der BF und sein Cousin seien auf dem Boden gelegen, und seien weiter von den Taliban geschlagen worden. Der BF habe gedacht, wenn er nichts tue, würden sie getötet. So habe er den Talib mit einem Stein auf den Kopf geschlagen. Dieser sei zu Boden gefallen und habe sein Gewehr verloren. Der BF habe das Gewehr genommen und den Talib ins Bein geschossen. Der Talib habe geschrien und sich das Bein gehalten. Der BF habe das Gewehr und das Motorrad des Talibn einen Abhang hinuntergeworfen. Der BF und sein Cousin seien über die Straße geflüchtet. Dort habe der BF ein Transportfahrzeug angehalten und sich dem Fahrer anvertraut. Als der BF seinem Vater die Geschichte erzählte, sei dieser ganz aufgeregt gewesen, weil die Taliban nun seine Tazkira und sein Foto hätten. Sie seien dann zur Polizei gegangen und hätten Anzeige erstattet. Die Polizei habe gesagt, dass es nicht genug Polizeikräfte gäbe und niemand vor dem Haus des BF positioniert werden könne. Sein Vater habe keinen anderen Ausweg gesehen und den BF und seinen Cousin in den Iran geschickt. Nach einer Woche hätte er Afghanistan verlassen. Seine Angehörigen (Vater, Mutter, zwei jüngere Brüder und eine jüngere Schwester) lebten nach wie vor im Heimatort in Ghazni. Der BF habe telefonischen Kontakt zu ihnen. Sie hätten Angst vor den Taliban. Die Taliban hätten die Tazkira des BF mit dem Foto, und ein weiteres Foto aus der Geldbörse, damit könnten sie den BF finden.

I.4. Mit angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 07.10.2017 wies diese den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass eine Verfolgung des BF durch die Taliban in Afghanistan nicht wahrscheinlich sei und der BF insgesamt keine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan glaubhaft machen habe können. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gem. § 8 AsylG 2005 führen könnten; der BF habe Angehörige in Afghanistan, er könne seinen Lebensunterhalt auch selbst bestreiten.

I.5. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde. Dem BF drohe asylrelevante Verfolgung durch private Akteure, nämlich die Taliban. Der BF sei, als er mit seinem Cousin unterwegs gewesen sei, an einem "Checkpoint" von Mitgliedern der Taliban aufgehalten und kontrolliert worden. Einer habe bei seinem Cousin eine Visitenkarte eines Englisch-Kursinstitutes gefunden und habe ihm daraufhin unterstellt, für die Verräter zu arbeiten. Dem BF wurde sein Geld sowie die Tazkira abgenommen. Der Talib habe begonnen, mit dem Gewehrkolben auf den Cousin einzuschlagen. Auch der BF sei verletzt worden. Der BF habe es geschafft, den Talib mit einem Steinschlag auf den Kopf zu überwältigen und ihn kurzfristig seiner Waffe zu entledigen. Es sei zu einem Schusswechsel gekommen, der BF habe den Talib am Bein verletzt und dem BF und seinem Cousin sei gelungen zu flüchten. Zu Hause angekommen hätten sie sich sofort auf den Weg zur Polizei gemacht, weil es den Taliban mit der Tazkira des BF leicht gelingen könnte, den BF ausfindig zu machen, aber sie seien mit der Begründung, dass es zu wenig Polizeikräfte gäbe, um ihnen Personenschutz zu geben, weggeschickt worden. Der BF habe keinen Ausweg gesehen als nach Europa zu flüchten, der Cousin lebe mittlerweile im Iran. Der BF habe sein Heimatland aus asylrelevanter, wohlbegründeter Furcht vor den Taliban verlassen. Ihm drohe auch Verfolgung als Angehöriger der Hazara. Ghazni zähle zu den volatilen Provinzen, sodass der BF dorthin nicht zurückkehren könne, es gäbe auch keine IFA für den BF. Der BF absolviere in Österreich eine Lehre und sei sehr gut integriert.

I.6. Am 07.10.2019 und am 03.03.2020 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seiner Rechtsvertretung statt. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts wurde verzichtet. Der BF legte weitere Bescheinigungsmittel vor und gab an, am Bakterium Helicobacter zu leiden. Im Zuge der Verhandlung wurden zwei Zeugen (Lehrherr, Vertrauensperson) einvernommen. Die Rechtsvertretung ersuchte um eine Frist von zwei Wochen u.a zur Abgabe einer Stellungnahme zum Länderinformationsblatt Afghanistan 11/2019, sowie am 18.03.2020 um Erstreckung dieser Frist, die gewährt wurde.

I.7. Am 16.04.2020 wurde der BF zur Vorlage von Unterlagen zu seinem Gesundheitszustand und Nachweisen über das aktuell aufrechte Lehrverhältnis einschließlich Lohn/Gehaltsabrechnungen 2020 aufgefordert.

I.8. Am 15.05.2020 langte eine ausführliche Stellungnahme des BF samt Unterlagen ein; er sei als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara gefährdet, der Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt und so weit "westlich orientiert", dass ihm auch deshalb in Afghanistan asylrelevante Verfolgung drohen würde. Außerdem leide der BF an Helicobacter, in Zusammenschau mit der COVID-19-bedingten Lage in Afghanistan sei ihm subsidiärer Schutz zu gewähren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF:

Der BF ist volljährig, führt den im Spruch genannten Namen und das dort genannte Geburtsdatum, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum muslimischen Glauben schiitischer Richtung. Die Muttersprache des BF ist Dari. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

II.1.2. Der BF stammt aus einem Dorf in der Provinz Ghazni, wo er zuletzt mit seiner Familie lebte. Zwischenzeitig war der BF mit seiner Familie auch in Kabul aufhältig, wo der BF bis zur 5. Klasse die Grundschule besuchte. Er hat als Kameramann-Praktikant bei Hochzeiten und als Hilfsarbeiter in einer Bäckerei gearbeitet, weiters seinem Vater beim Anbau auf den familieneigenen landwirtschaftlichen Grundstücken geholfen, als er noch sehr jung war. Der BF verließ Afghanistan 2014 und ging zunächst in den Iran, wo ein Cousin des BF schon länger legal aufhältig war. Dort lebte der BF für etwa 4-5 Monate und arbeitete bei einer Baufirma am Bau.

Die Angehörigen des BF (Eltern, Geschwister) lebten auch nach der Flucht des BF in Ghazni im Heimatdorf und gingen erst Ende 2018 nach Eroberung von Teilen Ghaznis sowie der Stadt Ghazni durch die Taliban nach Pakistan. Onkeln und Tanten des BF lebten in Ghazni und gingen Ende 2018 vermutlich ebenfalls nach Pakistan. Die Familie des BF besitzt in Ghazni ein Haus und kleine landwirtschaftliche Grundstücke, auf denen früher Kartoffeln angebaut wurden. Der Vater des BF arbeitete in Ghazni auch als Straßenverkäufer und in Pakistan als Hilfsarbeiter. Der BF hat Kontakt zu seiner Familie in Pakistan. Sein Vater arbeitet dort als Hilfsarbeiter am Bau.

Der BF begann in Österreich zunächst ab 01.04.2017 eine Lehre als Elektrotechniker - Elektro- und Gebäudetechnik. Seit 06.10.2017 absolviert er eine Lehre als Kälteklimatechiker; sein Lehrverhältnis endet voraussichtlich am 05.07.2021. Der BF arbeitet unter der Woche und ist im Unternehmen und bei seinen Kollegen beliebt und bei seinem Arbeitgeber geschätzt. Der Lehrherr würde den BF auch nach Abschluss seines Lehrverhältnisses gerne weiter beschäftigen.

Am Wochenende trifft sich der BF mit Freunden oder seiner Vertrauensperson und deren Familie, seiner Patenfamilie. Dabei handelt es sich um seine ehemalige Deutsch-Lehrerin und deren Familie, zu denen der BF mittlerweile ein freundschaftliches bzw. familiäres Verhältnis aufgebaut hat. Der BF versteht sich auch sehr gut mit den Söhnen der Patin. Der BF besucht seine Patenfamilie regelmäßig, sie kochen und spielen zusammen und unternehmen viel gemeinsam, sie besuchen etwa auch kulturelle Veranstaltungen. Der BF wohnt nicht bei seiner Patenfamilie und wird nicht regelmäßig von ihr finanziell unterstützt.

Der BF hat sich aus dem Umfeld der Berufsschule, dem Fußball sowie dem Fitness-Center einen Freundeskreis aus österreichischen und afghanischen Freunden in Österreich aufgebaut. Sie betreiben gemeinsam Sport, gehen wandern und schwimmen, und besuchen Feste oder eine Disco.

Der BF konnte ein Interesse für die österreichische Geschichte, Kultur und Politik darlegen.

Der BF hat Deutschkurse absolviert (ÖSD-Zertifikat A1, A2, B1) und sich auch durch Unterstützung seiner Vertrauensperson sehr gute Deutschkenntnisse angeeignet.

Der BF hat an verschiedenen Ausbildungsmaßnahmen teilgenommen: Erste Hilfe Grundkurs (AS 221), Projekt Zukunft Bildung ALT (AS 229), ISOP-Zertifikat Zukunft Bildung (AS 231), Schwimm- und Sicherheitstraining (AS 233).

Empfehlungsschreiben für den BF liegen vor (AS 223, 225, 227, 245; OZ 32). Der BF wird durchwegs als fleißig, verlässlich, hilfsbereit, pünktlich und strebsam beschrieben.

Der BF leidet am Bakterium Helicobacter; ihm wurde nach Einnahme von Antibiotika die Einnahme von Pantoloc, Novalgin, Buscopan sowie Schonkost verordnet. Der BF leidet immer noch an Magenschmerzen, sein gesundheitlicher Zustand wird weiter abgeklärt; eine für Mai 2020 angesetzte Magenspiegelung musste, bedingt durch die COVID-19-Pandemie, auf August 2020 verschoben werden. Die Behandlung von Magenschmerzen mittels Einnahme von Schmerzmitteln, Magenschutz und Schonkost ist in Afghanistan möglich. Ansonsten ist der BF gesund, arbeits- und überdurchschnittlich anpassungsfähig; XXXX .

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

II.1.3. Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 30.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der BF war seit seiner Asylantragstellung in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig. Der BF hält sich seit seiner Einreise nach Österreich im Juli 2015 knapp fünf Jahre im Bundesgebiet auf.

II.1.4. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF war in Afghanistan nicht Mitglied einer politischen Organisation oder eines politischen Vereins und wurde von staatlicher Seite weder bedroht noch verfolgt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch die Taliban verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe in diesem Zusammenhang zu befürchten hätte. Die vom BF vorgebrachten Gründe für seine Ausreise werden mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht festgestellt. Auch die drohende Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban wird nicht festgestellt. Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht dem BF aus den vorgebrachten Gründen weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban oder durch andere Personen.

Dem BF droht auch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder einer "westlichen Orientierung" oder als Rückkehrer aus Europa keine Verfolgung in Afghanistan.

Der BF konnte insgesamt nicht glaubhaft machen, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.

II.1.5. Zur Rückkehrsituation des BF:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan in seinem Recht auf das Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Dem BF kann bei einer Rückkehr nach Afghanistan in seine Herkunftsprovinz Ghazni ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Dem BF steht jedoch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in Mazar-e Sharif zur Verfügung. Die grundlegende Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist in Mazar-e Sharif gewährleistet. Die Gesundheitsversorgung ist in Mazar-e Sharif durch Krankenhäuser bzw. Gesundheitszentren sowie durch zwei Einrichtungen zur Betreuung von psychischen Krankheiten sichergestellt. Die Wohnraum- und Versorgungslage in Mazar-e Sharif ist zwar angespannt, der BF kann jedoch bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Neuansiedlung in Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF verfügt über langjährige Schulbildung in Kabul und Berufserfahrung in der Landwirtschaft, als Kameramann, in einer Bäckerei und am Bau. Wenn der BF nach Abschluss seiner Lehre als Kälteklimatechniker in sein Herkunftsland zurückkehrt, verfügt er auch über eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem technischen Beruf. Er spricht eine Landessprache des Herkunftsstaates (Dari) und hat bis zu seiner Ausreise in Afghanistan gelebt, ist somit mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut. Er ist durch seinen Aufenthalt in Kabul auch mit städtischen Strukturen in Afghanistan vertraut. Der BF hat die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form von Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif ausschließen, liegen nicht vor. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF.

XXXX .

II.1.7. Zur aktuellen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan (in der Folge auch "LIB") vom 13.11.2019, Seite 12).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, Seite 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, Seite 18ff).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden sind, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen, um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, Seite 19).

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registriert. Im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, Seite 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 01.06.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 01.12.2018 und 15.05.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, Seite 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, Seite 26).

Taliban

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, Seite 26; Seite 29). Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest seien Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, Seite 27). Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, Seite 27).

Haqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, Seite 27).

Islamischer Staat (IS/Daesh)

Islamischer Staat Khorasan Provinz: Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, Seite 27f). Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungsziele bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, Seite 29).

Al-Qaida

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, Seite 29).

Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen (LIB 13.11.2019, Seite 257f).

UNAMA dokumentierte glaubwürdige Vorwürfe über die Rekrutierung von 23 Buben durch regierungsfeindliche Gruppen (darunter pakistanische Taliban, afghanische Taliban und IS) im ersten Halbjahr 2018. In einzelnen Fällen wurden Kinder insbesondere in den südlichen Provinzen als Selbstmordattentäter, menschliche Schutzschilde oder Bombenleger eingesetzt (USDOS 13.3.2019) Obwohl die Taliban eine interne Richtlinie haben, keine Kinder zu rekrutieren, gibt es Hinweise auf Kinderrekrutierungen, insbesondere postpubertärer Buben (EASO 6.2018). Die Taliban wenden, laut Berichten von NGOs und UN, Täuschung, Geldzusagen, falsche religiöse Zusammenhänge oder Zwang an, um Kinder zu Selbstmordattentaten zu bewegen (USDOS 13.3.2019; vgl. EASO 6.2018, DAI/CNRR 10.2016), teilweise werden die Kinder zum Training nach Pakistan gebracht (LIB 13.11.2019, Seite 257f).

Taliban

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich (LIB 13.11.2019, Seite 257f).

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.6.2017). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.6.2017). Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (LIB 13.11.2019, Seite 257f).

Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache und Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LIB 13.11.2019, Seite 257f).

Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations-und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LIB 13.11.2019, Seite 257f).

Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (LIB 13.11.2019, Seite 257f).

Quellen haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind (LI 27.6.2017). Eine Quelle verweist hier auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet, meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen. Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Die erweiterte Familie kann einer Quelle zufolge allerdings auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LIB 13.11.2019, Seite 257f).

Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, Seite 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, Seite 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, Seite 251).

Lage in der Herkunftsprovinz des BF (Ghazni):

Grundinformationen:

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans und grenzt an die Provinzen Bamyan und Wardak im Norden, Logar, Paktya und Paktika im Osten, Zabul im Süden und Uruzgan und Daykundi im Westen. Ghazni liegt an keiner internationalen Grenze (UNOCHA 4.2014). Die Provinz ist in 19 Distrikte unterteilt: die Provinzhauptstadt Ghazni-Stadt sowie den Distrikte Ab Band, Ajristan, Andar (auch Shelgar genannt (AAN 22.5.2018)), De Hyak, Gelan, Giro, Jaghatu, Jaghuri, Khwaja Omari, Malistan, Muqur, Nawa, Nawur, Qara Bagh, Rashidan, Waghaz, Wali Muhammad Shahid (Khugyani) und Zanakhan. Nach Schätzungen der CSO für den Zeitraum 2019-20 leben 1.338.597 Menschen in Ghazni. Die Provinz wird von Paschtunen, Tadschiken und Hazara sowie von mehreren kleineren Gruppen wie Bayats, Sadats und Sikhs bewohnt. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken (LIB 13.11.2019, Seite 86).

Die Stadt Ghazni liegt an der Ring Road, welche die Hauptstadt Kabul mit dem großen Ballungszentrum Kandahar im Süden verbindet und auch die Straße zu Paktikas Hauptstadt Sharan zweigt in der Stadt Ghazni von der Ring Road ab, die Straße nach Paktyas Hauptstadt Gardez dagegen etwas nördlich der Stadt. Die Kontrolle über Ghazni ist daher von strategischer Bedeutung. Einem Bericht vom Dezember 2018 zufolge steht die Ghazni-Paktika-Autobahn unter Taliban-Kontrolle und ist für Zivil- und Regierungsfahrzeuge gesperrt, wobei die Aufständischen weiterhin Druck auf die Kabul-Kandahar-Autobahn ausüben, bzw. Straßenkontrollen durchführen. Im Mai 2019 war die Ghazni-Paktika-Autobahn seit einem Jahr geschlossen. Auch die Ghazni-Paktia-Autobahn war Anfang März 2019 trotz einer 20-tägigen Militäroperation gegen die Taliban immer noch gesperrt. Im Mai 2019 führten die Regierungskräfte an den Rändern von Ghazni-Stadt Räumungsoperationen zur Befreiung der Verkehrswege durch. Die Kontrolle über die Straße nach Gardez, der Provinzhauptstadt von Paktia ist bedeutsam für die Verteidigung von Ghazni, da sich die Militärbasis des für die Provinz zuständigen Corps dort befindet (LIB 13.11.2019, Seite 86).

Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Ghazni 2018 nicht zu den zehn wichtigsten schlafmohnanbauenden Provinzen Afghanistans. Während die Provinz zwischen 2013 und 2016 schlafmohnfrei war, wurden 2017 etwa 1.000 Hektar angebaut. Im Jahr 2018 nahm die Anbaufläche um 64% ab. Der größte Teil von Ghazni's Schlafmohn wurde 2018 im volatilen Distrikt Ajristan angebaut (LIB 13.11.2019, Seite 86).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Ghazni gehörte im Mai 2019 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben (LIB 13.11.2019, Seite 87).

Aufgrund der Präsenz von Taliban-Aufständischen in manchen Regionen der Provinz, gilt Ghazni als relativ unruhig, so standen beispielsweise Ende 2018, einem Bericht zufolge, acht Distrikte der Provinz unter Kontrolle der Taliban gestanden haben, fünf weitere Distrikte waren stark umkämpft. Im Jänner 2019 wurde berichtet, dass die administrativen Angelegenheiten der Distrikte Andar, Deh Yak, Zanakhan, Khwaja Omari, Rashidan, Jaghatu, Waghaz und Khugyani aufgrund der Sicherheitslage bzw. Präsenz der Taliban nach Ghazni-Stadt oder in die Nähe der Provinzhauptstadt verlegt wurden. Aufgrund der Sicherheitslage sei es für die Bewohner schwierig, zu den neuen administrativen Zentren zu gelangen. Dem Verteidigungsminister zufolge, sind in der Provinz mehr Taliban und Al-Qaida-Kämpfer aktiv, als in anderen Provinzen. Dem Innenminister zufolge, hat sich die Sicherheitslage in der Provinz verschlechtert und die Taliban erlitten bei jüngsten Zusammenstößen schwere Verluste (LIB 13.11.2019, Seite 87).

In Ergänzung zur Afghan National Police (ANP), der Afghan Local Police (ALP) und der paramilitärischen Kräfte des National Directorate of Security (NDS) entsteht im Distrikt Jaghuri im Rahmen eines Pilotprojekts eine neu eingerichtete Afghan National Army Territorial Force (ANA TF). Diese lokale Einheit soll die Bevölkerung schützen und Territorium halten, ohne von lokalen Machthabern oder Gruppeninteressen vereinnahmt zu werden (AAN 15.1.2019). Während des Angriffs auf Ghazni-Stadt im August 2018 wurden die afghanischen Regierungskräfte von US-amerikanischen Streitkräften unterstützt - laut einer Quelle nicht nur durch Luftangriffe, sondern auch von US-Spezialeinheiten am Boden (TM 23.8.2018). Ghazni liegt im Verantwortungsbereich des 203. ANA Tandar Corps das der Task Force Southeast untersteht, die von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (LIB 13.11.2019, Seite 87).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 653 zivile Opfer (253 Tote und 400 Verletzte) in Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 84% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und gezielten oder vorsätzlichen Morden. Im ersten Halbjahr 2019 zählte UNAMA Ghazni mit insgesamt 186 zivilen Opfern (77 Tote, 109 Verletzte) zu den fünf Provinzen mit den größten Auswirkungen des Konflikts auf Zivilisten in Afghanistan. Einem UN-Bericht zufolge, war Ghazni neben Helmand und Farah zwischen Februar und Juni 2019 eines der aktivsten Konfliktgebiete Afghanistans. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Bei manchen militärischen Operationen werden beispielsweise Taliban getötet. Außerdem kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Auch verlautbarte die Regierung im September 2019 nach wie vor Offensiven gegen die Aufständischen in der Provinz zu führen, um das Territorium der Taliban zu verkleinern (LIB 13.11.2019, Seite 87f).

Mitte August 2018 eroberten die Taliban große Teile der Stadt Ghazni, was zu heftigen Kämpfen zwischen den Aufständischen und den Regierungskräften führte. Nach fünf Tagen erlangte die Regierung wieder die Kontrolle über die Provinzhauptstadt. Die dabei durchgeführten Luftangriffe führten zu zivilen Opfern und zerstörten Häuser von Zivilisten. Im November 2018 starteten die Taliban eine Großoffensive gegen die von Hazara dominierten Distrikte Jaghuri und Malistan, nachdem die Aufständischen bereits Ende Oktober das benachbarte Khas Uruzgan in der Provinz Uruzgan angegriffen hatten. Bis Ende November 2018 wurden die Taliban aus Jaghuri und Malistan vertrieben (LIB 13.11.2019, Seite 89).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 46.311 konfliktbedingt aus der Provinz Ghazni vertriebene Personen, die hauptsächlich im Distrikt Ghazni (37.611) und im geringeren Ausmaß in der Provinz Bamyan, in Kabul und Daikundi, sowie anderen Provinzen Zuflucht fanden. Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 3.099 aus der Provinz Ghazni vertriebene Personen, die in Ghazni blieben, sowie nach Kabul und in geringerem Ausmaß nach Herat gingen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 37.779 Vertriebene in die Provinz Ghazni, die alle in den Distrikt Ghazni kamen. Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 2.746 konfliktbedingt binnenvertriebene Personen in die Provinz Ghazni, welche auch aus der Provinz selbst stammten (LIB 13.11.2019, Seite 90).

Lage in der Provinz Balkh bzw. in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif:

Grundinformationen:

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (LIB 13.11.2019, Seite 60 f.). Im Zeitraum 01.01.2018 bis 30.06.2019 kamen rund 30.000 Binnenvertriebe in die Provinz Balkh (LIB 13.11.2019, Seite 60 f.)

Erreichbarkeit:

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, Seite 61 und 336).

Sicherheitslage:

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, Seite 62). Im Jahr 2018 wurden 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, Seite 63). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, Seite 89 und 92 f.).

Wirtschaftslage:

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen. Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (LIB 13.11.2019, Seite 61 und 336).

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwendigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).

Medizinische Versorgung:

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind. Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben. Weiters gibt es in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 13.11.2019, Seite 347 und 351 f.).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, Seite 327).

Meldewesen

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, Seite 328).

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, Seite 264).

Korruption:

Die Korruption ist in Afghanistan sehr hoch. Es bestehen zwar strafrechtliche Sanktionen gegen Korruption, diese werden jedoch nicht effektiv umgesetzt. Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt, unter anderem in der Justiz, bei der Beschaffung von Gütern, bei Staatseinnahmen und bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates (LIB 13.11.2019, Seite 254 f.).

Medizinische Versorgung:

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, Seite 344).

Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, Seite 350).

Wirtschaft

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, Seite 333).

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, 334 f.).

Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Seite 29 f.).

Rückkehrer:

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, Seite 353).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, Seite 354).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, Seite 354).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, Seite 355).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, Seite 355).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, Seite 355).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, Seite 356).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, Seite 356).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).

In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als in ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).

Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten, da dies billiger ist. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Seite 31).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 13.11.2019, Seite 362).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, Seite. 287 f).

Hazara:

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul (LIB 13.11.2019, Seite 286 f).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB 13.11.2019, Seite 287).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (LIB 13.11.2019, Seite 287).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an (LIB 13.11.2019, Seite 288).

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 211 Todesopfer. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in S

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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