TE Bvwg Beschluss 2020/7/16 W215 2167931-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2020
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Entscheidungsdatum

16.07.2020

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W215 2167931-2/2E


BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. STARK über die, durch mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.07.2020, Zahl 1090865401-200579362, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 22 Abs. 10 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, und § 22 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, eine Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12.10.2015 in Österreich seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2017, Zahl , wurde dieser Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2017, Zahl , brachte der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein, die, nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung am 08.08.2018, mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.05.2019, Zahl W267 2167931-1/19E, als unbegründet abgewiesen und eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde. Dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wurde dem Beschwerdeführer noch am selben Tag zugestellt und erwuchs damit in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer kam danach seiner Ausreiseverpflichtung aber nicht nach und musste deshalb am XXXX in Schubhaft genommen werden, von der er am XXXX entlassen wurde.

Am XXXX wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers für XXXX fixiert und gebucht.

Da der Beschwerdeführer an seiner Meldeadresse zwecks Mitnahme für die Abschiebung nicht angetroffen werden konnte, musste der Abschiebetermin verschoben und für den XXXX anberaumt werden.

Auch danach war der Beschwerdeführer, trotz mehrmaliger Versuche ihn anzutreffen, nicht mehr an seiner Meldeadresse aufhältig, weshalb auch die für XXXX geplante Abschiebung nicht stattfinden konnte.

Da der Beschwerdeführer nicht an seiner Adresse aufhältig war, wurde er am XXXX von Amts wegen abgemeldet.

Nachdem der Beschwerdeführer monatelang „untergetaucht“ war bzw. sich bewusst den österreichischen Behörden entzog, wurde er am XXXX , im Rahmen einer fremdenrechtlichen Kontrolle, aufgegriffen und zum Zwecke der Abschiebung Schubhaft verhängt.

2. Am 19.06.2020 stellte der Beschwerdeführer, im Stande der Schubhaft, seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, zu dem er noch am selben Tag erstbefragt wurde. Er gab zusammengefasst an, dass er sich seit über seit einem Jahr illegal in Österreich aufhalte, wiederholte sein Vorbringen aus dem ersten Asylverfahren und gab neu an, dass er seit sieben Monaten keinen Kontakt zu seiner im Iran lebenden Familie habe, seine Familie vor zwei Monaten aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt sei und sein Vater zwei Tage nach dessen Rückkehr von den Taliban entführt und ermordet worden wäre. Der Beschwerdeführer fürchte nach wie vor getötet zu werden, weshalb er einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz stelle.

Am 29.06.2020 wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal niederschriftliche befragt und gab zusammengefasst an, dass sich seit Rechtskraft seines letzten Asylverfahrens bezüglich seiner persönlichen Verhältnisse bzw. seines Privat- und Familienlebens in Österreich nichts geändert habe. Den letzten Kontakt zu seiner Familie habe der Beschwerdeführer vor sieben Monaten gehabt. Am XXXX habe er Post von seiner Familie an die Adresse eines Freundes bekommen und den Kontakt zur Familie über XXXX hergestellt. Der Beschwerdeführer hätte bereits im letzten Asylverfahren Angaben zu seinem Heimatort gemacht, diese Angaben aber mittlerweile wieder vergessen. Er wisse aber, dass er im Juni 2015 aus Afghanistan ausgereist sei. Der Beschwerdeführer habe sich aus Angst vor seiner Abschiebung in Österreich versteckt gehalten. Den zweiten Antrag auf internationalen Schutz habe er gestellt, weil seine im Iran lebenden Familie nach Afghanistan zurückgekehrt und sein Vater zwei Tage nach dessen Rückkehr von den Taliban getötet worden sei. Andere Gründe habe er nicht. Der Beschwerdeführer habe ein Foto das seinen toten Vater zeige, könne aber nicht beweisen, dass es sich bei dem Toten um seinen Vater handle oder, dass dieser von Taliban ermordet wurde. Zudem habe der Beschwerdeführer nach wie vor jene Probleme, die er bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht habe. Im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat werde der Beschwerdeführer von den Taliban ermordet. Der Beschwerdeführer gab an, dass, wenn er die geschilderten Probleme nicht hätte, er in einer der XXXX , leben könnte. Nach fünf Jahren in Österreich würde es nicht gehen, dass der Beschwerdeführer, nach so langer Zeit, das Land wieder verlasse.

Am 09.07.2020 wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal niederschriftliche befragt und gab, in Gegenwart seines Rechtsberaters, an, dass er seine bisherigen Angaben Aufrecht erhalte. Seit er im Anhaltezentrum sei, nehme der Beschwerdeführer jeden Abend Schlaftabletten, welche im von Arzt des Anhaltezentrums verschrieben worden seien. Schlafprobleme habe er sei ca. einem Jahr, sei aber deswegen davor nie beim Arzt gewesen. Danach wurde gegenständlicher Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Zahl 1090865401-200579362, mündlich verkündet.

3. Der erstinstanzliche Verwaltungsakt samt Beschwerdevorlage langte am 13.07.2020 im Bundesverwaltungsgericht ein, was dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch am selben Tag mitgeteilt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die Identität des volljährigen Beschwerdeführers steht fest. Er ist ledig, kinderlos und Staatsangehöriger Afghanistans.

2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2017, Zahl , wurde der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2017, Zahl , brachte der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein, die, nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.05.2019, Zahl W267 2167931-1/19E, als unbegründet abgewiesen und eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde. Darin wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer aus dem XXXX , in Afghanistan stammt und in Afghanistan auf der XXXX mitgeholfen hat. Die Eltern und der jüngere Bruder leben in XXXX , Iran. Sein Vater arbeitet XXXX . Im Heimatdorf besitzt die Familie ein Haus und XXXX Grundstücke. Der Beschwerdeführer steht im regelmäßigen Kontakt mit seinen Eltern und seinem Onkel. Ein Onkel mütterlicherseits lebt im Iran und arbeitet XXXX Der Beschwerdeführer lebte ungefähr bis August 2015 in Afghanistan. Er reiste dann in den Iran, wo er bis zu seiner Ausreise nach Österreich ungefähr einen Monat lang aufhältig war. Im Iran lebte er in XXXX . Er arbeitete dort mit seinem Onkel XXXX .

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer Verfolgung und damit einhergehender physischer und/oder psychischer Gewalt, durch Mullahs bzw. die Taliban insbesondere auf Grund einer Weigerung sich den Taliban bzw. dem Dschihad anzuschließen, ausgesetzt ist. Der Beschwerdeführer ist auf Grund der Tatsache, dass er sich im Iran und in Europa aufgehalten hat und damit einhergehend „westlicher“ orientiert ist, in Afghanistan keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt bzw. hat er (oder jeder derartige „Rückkehrer“) eine solche im Falle seiner Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer wegen einem freundschaftlichen Umgang mit Mitgliedern der XXXX in Österreich in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt ist bzw., dass er eine solche im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte. Insgesamt ist der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht. Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass das gesamter Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen angeblichen Fluchtgründen nicht glaubhaft und eine Gefährdung im Fall des Beschwerdeführers nicht anzunehmen ist. Aufgrund der widersprüchlichen, teilweise nicht plausiblen und insgesamt auch nach dem persönlichen Eindruck nicht glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers, kommt diesem, im Hinblick auf seine angeführten Fluchtgründe, keine Glaubwürdigkeit zu. Dem Beschwerdeführer ist es insgesamt nicht gelungen, eine versuchte Zwangsrekrutierung und eine daraus resultierende Gefährdung seiner Person im Falle einer Rückkehr glaubhaft zu machen. Im Übrigen wäre selbst unter der – bloß hypothetischen – Annahme der Richtigkeit der Angaben, dass der Beschwerdeführer aufgrund des von ihm geschilderten Vorfalls von den Taliban verfolgt worden wäre, nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund diese am Beschwerdeführer jetzt noch ein Interesse haben und ihn jetzt noch verfolgen sollten. Zudem könnte sich der Beschwerdeführer durch Umzug in einen anderen sicheren Landesteil, wie die XXXX , den Verfolgern entziehen. Es ist nicht davon auszugehen, dass sie den Beschwerdeführer weiträumig verfolgen würden, weil einerseits mehrere Jahre vergangen sind und andererseits der Beschwerdeführer für diese keine besondere Bedeutung hat. Im Falle einer Verbringung des in seinen Herkunftsstaat droht dem Beschwerdeführer kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimatprovinz ist nicht möglich. Dem Beschwerdeführer steht aber eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in XXXX zur Verfügung. Der Beschwerdeführer hat bis zu seiner Ausreise in diesen XXXX nicht gelebt. Der Beschwerdeführer kann XXXX von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug auf Grund der vorhandenen internationalen Flughäfen erreichen. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach XXXX ausschließen würden, liegen nicht vor. Der Beschwerdeführer leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Der Beschwerdeführer ist mobil, anpassungsfähig und befindet sich im erwerbsfähigen Alter. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer liefe im Falle einer Rückkehr XXXX nicht maßgeblich Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er ist in der Lage, in XXXX eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen. Der Beschwerdeführer ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und einer weit verbreiteten Sprache seines Herkunftsstaates vertraut. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Nach seinen eigenen Angaben ist er auch in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit den dortigen Behörden. Er ist kein Mitglied einer politischen Partei und war auch sonst nicht politisch aktiv. Der Beschwerdeführer hält sich seit Oktober 2015 in Österreich auf. Er hat keine Familienangehörige bzw. Verwandte in Österreich. Der Beschwerdeführer hat in Österreich österreichische und afghanische Freunde. Der Beschwerdeführer besuchte zwischenzeitlich Kurse, darunter einen Orientierungskurs und Deutschkurse (Deutsch als Fremdsprache: Lesen & Schreiben 1, Deutsch als Fremdsprache: Lesen & Schreiben 2, Deutsch als Fremdsprache: Lesen & Schreiben 3, Deutsch als Fremdsprache Kurs A1.1, Deutsch als Fremdsprache Kurs A1.2, Deutsch als Fremdsprache Kurs A1.3) sowie ein Abfallcoaching. Er treibt in seiner Freizeit Sport und nahm insb. beim XXXX am Fußballtraining teil. Der Beschwerdeführer war bisher in Österreich nicht erwerbstätig. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verrichtete ehrenamtliche Tätigkeiten in seiner Flüchtlingsunterkunft. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage vom 07.07.2018 als Lehrling bei XXXX .

Dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.05.2019, Zahl
W267 2167931-1/19E, wurde dem Beschwerdeführer noch am selben Tag zugestellt und erwuchs damit in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer kam nach rechtskräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und musste in Folge am XXXX in Schubhaft genommen werden, von der er am XXXX entlassen wurde. Am XXXX wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers für XXXX fixiert und gebucht. Da der Beschwerdeführer an seiner Meldeadresse zwecks Mitnahme für seine Abschiebung nicht angetroffen werden konnte, musste der Abschiebetermin verschoben und für den XXXX anberaumt werden. Auch danach war der Beschwerdeführer, trotz mehrmaliger Versuche ihn anzutreffen, nicht mehr an seiner Meldeadresse aufhältig, weshalb auch die für XXXX geplante Abschiebung nicht stattfinden konnte. Nachdem der Beschwerdeführer monatelang „untergetaucht“ war bzw. sich bewusst den österreichischen Behörden entzog, wurde er am XXXX , im Rahmen einer fremdenrechtlichen Kontrolle, aufgegriffen, zum Zwecke der Abschiebung Schubhaft verhängt und stellte er, in Stande der Schubhaft, am 19.06.2020 seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

3. Es kann weder festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen zweiten Asylverfahren - im Vergleich zum vor weniger als vierzehn Monaten rechtskräftig abgeschlossenen ersten Asylverfahren - neue Fluchtgründe glaubhaft vorgebracht hat noch, dass sich die allgemeine Lage in Afghanistan in den vergangenen Monaten für ihn entscheidungswesentlich verändert hat.

4. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich an der Situation in Österreich für den Beschwerdeführer - mit Ausnahme des Umstandes, dass er monatelang „untergetaucht “ war bzw. sich bewusst den österreichischen Behörden entzog - seit seinem rechtskräftig abgeschlossenen ersten Asylverfahren etwas geändert hat.

5. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in gegenständlichem Bescheid wird zur aktuellen Lage in Afghanistan festgestellt:

Länderfeststellungen zu Afghanistan letzte Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 29.06.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.05.2020; vgl. JHU 26.06.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.06.2020). In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.06.2020). In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.06.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 08.06.2020). Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.06.2020). Dem Lock-down Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 08.06.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.06.2020). Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei welchem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.06.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.06.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.06.2020; vgl. TN 15.06.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.05.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 08.06.2020; vgl. RA KBL 19.06.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 08.06.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.06.2020). Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.06.2020). Afghanistan hat mit 24.06.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.06.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.06.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.06.2020; vgl. GN 09.06.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.06.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.06.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.06.2020). Seit 01.01.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.06.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.06.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.06.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.06.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.06.2020). Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.06.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.06.2020).

(AF - Asia Foundation (24.06.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.06.2020

AJ - al-Jazeera (08.06.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.06.2020

AnA – Andolu Agency (24.06.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.06.2020

GN – Gulf News (09.06.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.06.2020

HRW - Human Rights Watch (18.06.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.06.2020

JHU -John Hopkins Universität (26.06.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.06.2020

RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (19.06.2020): Antwortschreiben per Mail, liegt bei der Staatendokumentation auf.

TN – Tolonews (15.06.2020): Govt Will Resume Bread Distribution: Palace, https://tolonews.com/afghanistan/govt-will-resume-bread-distribution-palace, Zugriff 29.06.2020

TN – Tolonews (15.06.2020): Poor Claim ‘Unjust’ Bread Distribution in Jawzjan, https://tolonews.com/afghanistan/poor-claim-%E2%80%98unjust%E2%80%99-bread-distribution-jawzjan, Zugriff 29.06.2020

UNHCR – (20.06.2020): Border Monitoring Update COVID-19 Response 14-20 June 2020, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/77302, Zugriff 26.06.2020

WHO – World Health Organization (25.03.2020): Coronavirus disease 2019 (COVID-19) Situation Report –65, https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200325-sitrep-65-covid-19.pdf?sfvrsn=2b74edd8_2, Zugriff 16.04.2020

WP - Washington Post (25.06.2020): Coronavirus sweeps through Afghanistan’s security forces, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-security-forces-military/2020/06/24/0063c828-b4e2-11ea-9a1d-d3db1cbe07ce_story.html, Zugriff 26.06.2020

XI – Xinhua (23.06.2020): Pakistan receives 1st Afghan export since COVID-19 pandemic, http://www.xinhuanet.com/english/2020-06/23/c_139159139.htm, Zugriff 26.06.2020)

Stand: 18.05.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.04.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.04.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.04.2020; vgl. QA 16.04.2020; NYT 22.04.2020; ARZ KBL 07.05.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.04.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.04.2020). Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.04.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.04.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.03.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 07.04.2020a). Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.04.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.04.2020; vgl. QA 16.04.2020; ARZ KBL 07.05.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 07.05.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.04.2020; vgl. ARZ KBL 07.05.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 09.04.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 08.04.2020; vgl. DW 22.04.2020; QA 16.04.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.04.2020; vgl. ARZ KBL 07.05.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 07.05.2020). Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.04.2020; vgl. NYT 22.04.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 07.04.2020b; vgl. DW 22.04.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 07.04.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.04.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 07.04.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 08.04.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.04.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 01.04.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.04.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 09.04.2020a). Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.04.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 01.04.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.04.2020). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.05.2020; vgl. IOM 11.05.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.05.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.05.2020; vgl. IOM 11.05.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 02.04.2020; vgl. TD 02.04.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommission gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 02.04.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.03.2020). Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 07.04.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.05.2020). IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.05.2020). Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.05.2020). Mit Stand 18.05.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.05.2020). Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.05.2020).

(AnA – Andalous (21.04.2020): COVID-19 rips through fragile Afghan health system, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/covid-19-rips-through-fragile-afghan-health-system-/1812821, Zugriff 23.04.2020

ARZ KBL – Arzt in Kabul (07.05.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

BBC (09.04.2020): Coronavirus: The porous borders where the virus cannot be controlled, https://www.bbc.com/news/world-asia-52210479, Zugriff 09.04.2020

DW – Deutsche Welle (22.04.2020): Coronavirus: Tough times ahead as Afghanistan struggles to manage pandemic, https://www.dw.com/en/coronavirus-tough-times-ahead-as-afghanistan-struggles-to-manage-pandemic/a-53207173, Zugriff 23.04.2020

IOM AUT – International Organization for Migration in Austria (27.03.2020): Antwortschreiben per E-Mail.

IOM KBL – International Organization for Migration Kabul Chapter (13.05.2020): Antwortschreiben per E-Mail.

IOM – International Organization for Migration (11.05.2020): Return of Undocumented Afghans - Weekly Situation Report (03-09 May 2020), https://afghanistan.iom.int/sites/default/files/Reports/iom_afghanistan-return_of_undocumented_afghans-_situation_report_03-09_may_2020.pdf, Zugriff 13.05.2020

NYT – New York Times (22.04.2020): Afghanistan’s Next War, https://www.nytimes.com/interactive/2020/04/22/magazine/afghanistan-coronavirus.html?searchResultPosition=3, Zugriff 24.04.2020

NZZ – Neue Züricher Zeitung (07.04.2020): Die Taliban, dein Freund und Helfer, https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-taliban-betreiben-corona-praevention-ld.1550115, Zugriff 09.04.2020

TG – The Guardian (01.04.2020): 'No profit, no food': lockdown in Kabul prompts hunger fears, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/no-profit-no-food-lockdown-in-kabul-prompts-hunger-fears, Zugriff 02.04.2020

TG – The Guardian (01.04.2020a): Afghanistan braces for coronavirus surge as migrants pour back from Iran, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/afghanistan-braces-for-coronavirus-surge-as-migrants-pour-back-from-iran, Zugriff 02.04.2020

TN – Tolonews (09.04.2020): 40 New COVID-19 Cases in Afghanistan, Total 484, https://tolonews.com/health/40-new-covid-19-cases-afghanistan-total-484, Zugriff 09.04.2020

TN – Tolonews (09.04.2020a): Andarabi: All Kabul Roads Will be Blocked, https://tolonews.com/afghanistan/andarabi-all-kabul-roads-will-be-blocked, Zugriff 09.04.2020

TN – Tolonews (08.04.2020): Only '300' Ventilators in Afghanistan to Treat COVID-19: MoPH, https://tolonews.com/index.php/afghanistan/only-300-ventilators-afghanistan-treat-covid-19-moph, Zugriff 09.04.2020

TN – Tolonews (08.04.2020a): Kabul Clinic Shut Down After Doctor Dies from COVID-19, https://tolonews.com/index.php/health/amiri-medical-complex%E2%80%99s-activities-suspended-health-ministry, Zugriff 09.04.2020

TN – Tolonews (07.04.2020): Number of COVID-19 Cases in Afghanistan: 367, https://tolonews.com/health/number-covid-19-cases-afghanistan-367, Zugriff 08.04.2020

TN – Tolonews (07.04.2020a): Coronavirus Testing Lab Opens in Kandahar: Officials, https://tolonews.com/health/coronavirus-testing-lab-opens-kandahar-officials, Zugriff 08.04.2020

TN – Tolonews (07.04.2020b): 41 Health Workers Test Positive for Coronavirus in Herat, https://tolonews.com/afghanistan/41-health-workers-test-positive-coronavirus-herat, Zugriff 08.04.2020

UD – Undark (02.04.2020): With Taliban Help, Afghanistan Girds for a Virus, https://undark.org/2020/04/02/afghanistan-covid-19/, Zugriff 08.04.2020

WHO MIT – Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Mazar-e Sharif (10.05.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

WP – Washington Post (20.4.2020): More than a dozen staff members in Afghanistan’s presidential palace test positive for coronavirus, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-presidential-palace/2020/04/20/5836a856-8308-11ea-81a3-9690c9881111_story.html, Zugriff 24.04.2020)

Politische Lage

Letzte Änderung: 18.05.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.04.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.05.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019). Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 03.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004). Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.05.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.09.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.04.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.02.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.02.2020; vgl. REU 25.02.2020; UNGASC 17.03.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.02.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.02.2020; vgl. REU 25.02.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.02.2020). Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.04.2020). Am 09.03.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.04.2020; vgl. TN 16.04.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.05.2020; vgl. TN 11.05.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.05.2020; vgl. BBC 17.05.2020; DW 17.05.2020). Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.05.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.04.2019). Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.04.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.03.2019). Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 13.03.2019, Casolino 2011). Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 02.09.2019). Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.04.2019; vgl. USDOS 13.03.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019). Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.03.2019). Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.05.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.05.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004; USDOS 29.05.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche
Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.01.2004). Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 02.09.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.03.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 02.09.2019; vgl. AAN 06.05.2018, DOA 17.03.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 02.09.2019). Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein patrimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.03.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.04.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 07.05.2020; vgl. NPR 06.05.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 07.05.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 06.05.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 07.05.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.04.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.04.2020; vgl. USDOS 29.02.2020).

(AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (02.09.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.09.2019

AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (15.04.2019): Afghanistan: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/afghanistan-node/-/204718, Zugriff 07.06.2019

AAN – Afghanistan Analysts Network (17.05.2019): The Results of Afghanistan’s 2018 Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga, https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/, Zugriff 07.06.2019

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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