TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/29 Ra 2020/17/0074

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
VStG §19
VwGG §42 Abs2
VwGVG 2014 §44

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und den Hofrat Mag. Berger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Ing. T W in G, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 19. Mai 2020, LVwG-S-720/003-2019, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 12. Februar 2019 wurde der Revisionswerber der Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 erstes Tatbild iVm § 2 Abs. 2 und 4 iVm § 4 Glücksspielgesetz - GSpG schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe (für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt, weil er in einem näher bezeichneten Lokal zur Tatzeit unter Verwendung eines Glücksspielgerätes verbotene Ausspielungen veranstaltet habe.

2        2.1. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) wies die vom Revisionswerber erhobene Beschwerde zunächst nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 10. September 2019 ab, ergänzte die Strafsanktionsnorm und verpflichtete den Revisionswerber zum Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3        2.2. Dieses Erkenntnis wurde vom Verwaltungsgerichtshof aufgrund der außerordentlichen Revision des nunmehrigen Revisionswerbers mit hg. Erkenntnis vom 12. Februar 2020, Ra 2019/17/0104, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, infolge des gänzlichen Fehlens von im Indikativ gehaltenen maßgeblichen Feststellungen, etwa dazu, welche Handlungen der Revisionswerber gesetzt habe sowie auf wessen Rechnung und Gefahr die Veranstaltung der verbotenen Ausspielungen im Sinne des ersten Tatbildes des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG erfolgt sei, sei die vorgenommene rechtliche Subsumtion des LVwG nicht nachvollziehbar. Es werde dem Verwaltungsgerichtshof verunmöglicht, die angefochtene Entscheidung in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen. Im Übrigen habe das LVwG keine Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine Kohärenzprüfung im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes möglich sei.

4        2.3. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 19. Mai 2020 wies das LVwG die Beschwerde des Revisionswerbers erneut ab, ergänzte die Strafsanktionsnorm und sprach aus, dass für das Beschwerdeverfahren ein Kostenbeitrag in bestimmter Höhe zu leisten sei. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

5        2.4. Das LVwG traf unter der Überschrift „Erwägungen“ u.a. auch einige Feststellungen zur Durchführung der gebotenen Kohärenzprüfung, führte zuvor jedoch keine (weitere) mündliche Verhandlung durch.

6        3.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7        3.2. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

8        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen.

9        4.1. Die revisionswerbende Partei bringt zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision im Wesentlichen (u.a.) vor, das LVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil im zweiten Rechtsgang keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei. Die Voraussetzungen für ein Unterbleiben der mündlichen Verhandlung gemäß § 44 Abs. 2 bis Abs. 5 VwGVG seien nicht erfüllt gewesen. Weiters hätte das LVwG das Absehen von der mündlichen Verhandlung begründen müssen.

10       4.2. Die Revision erweist sich aus diesem Grund als zulässig und begründet.

11       4.2.1. Gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht in Verwaltungsstrafsachen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung ist vom Verwaltungsgericht nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen (vgl. VwGH 26.4.2019, Ra 2018/02/0260, 0261).

12       4.2.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt der Grundsatz der mündlichen Verhandlung in Verwaltungsstrafsachen auch nach Aufhebung von Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtes im zweiten Rechtsgang, selbst wenn im ersten Rechtsgang eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, sodass das Verwaltungsgericht auch im zweiten Rechtsgang nur von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen kann, wenn die Voraussetzungen des § 44 VwGVG vorliegen. Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn das Verwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang Sachverhaltselemente wie das Verschulden klären muss (vgl. VwGH 12.2.2020, Ra 2019/02/0148, 0149, mwN).

13       Ebenso ist dies nicht der Fall, wenn das Verwaltungsgericht sein Ermittlungsverfahren zu ergänzen hat, um (neue) Feststellungen zu treffen (vgl. VwGH 8.9.2020, Ra 2020/17/0037).

14       Eine Begründung für das Absehen von einer Verhandlung im zweiten Rechtsgang findet sich im angefochtenen Erkenntnis nicht. Da das LVwG mit Erkenntnis entschieden hat bzw. kein Antrag der Parteien vorliegt, kommt ein Absehen nach § 44 Abs. 2 und 4 VwGVG nicht in Betracht. Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG wurde nicht festgestellt. Auch die Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 VwGVG liegen nicht vor, weil der Revisionswerber in seiner Beschwerde die Durchführung einer Verhandlung beantragt hatte.

15       Da im zweiten Rechtsgang ein Ermittlungsverfahren hinsichtlich der fehlenden Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob die Monopolregelung den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht, zu führen war und der Sachverhalt aufgrund des Vorbringens des Revisionswerbers hiezu nicht geklärt war, wäre das Verwaltungsgericht gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG verpflichtet gewesen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

16       5.1. Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

17       5.2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

18       6. Für das fortzusetzende Verfahren wird das LVwG auf Folgendes hingewiesen:

19       Die unter Umständen als Feststellungen zu deutenden „Erwägungen“ des LVwG weisen keine Beweiswürdigung auf. Wie der Verwaltungsgerichtshof jedoch bereits mehrfach ausgesprochen hat, sind im Sinne des § 60 AVG in der Begründung nicht nur die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, sondern auch die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen klar und übersichtlich zusammenzufassen. Eine ausreichende Begründung erfordert (u.a.) in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts sowie in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen. Die bloße Zitierung von Beweisergebnissen wie z. B. von Zeugenaussagen ist weder erforderlich noch hinreichend (vgl. u.a. VwGH 12.2.2020, Ra 2019/17/0104, mwH).

20       Zur Durchführung einer allfälligen Strafbemessung wird darauf hingewiesen, dass eine erste Vorstrafe den (erhöhten) Strafsatz bestimmt und eine allfällige weitere Vorstrafe einen Erschwerungsgrund darstellt (vgl. VwGH 15.2.2013, 2011/09/0009; 21.3.2013, 2012/09/0069). Sofern eine Vormerkung jedoch zur Heranziehung eines erhöhten Strafsatzes führt, ist diese nicht noch zusätzlich als Erschwerungsgrund zu werten (vgl. VwGH 29.10.2019, Ra 2019/09/0084).

Wien, am 29. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020170074.L00

Im RIS seit

10.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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