TE Vfgh Erkenntnis 2020/9/21 E4111/2019

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.09.2020
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

StGG Art2
B-VG Art7 Abs1
VwGVG §38, §45
VStG §24
AVG §19 Abs3
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Entscheidung eines Landesverwaltungsgerichts betreffend eine Geldstrafe nach dem KFG wegen Nichtbeantwortung einer Lenkeranfrage; keine "ordnungsgemäße Ladung" bei Versäumung der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus gesundheitlichen Gründen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 6. März 2019 wurde über den Beschwerdeführer als zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer näher bezeichneten Firma wegen Nichtbeantwortung einer Lenkeranfrage gestützt auf §103 Abs2 KFG eine Geldstrafe bzw eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, in der er bestritt, im Anfragezeitpunkt zur Auskunftserteilung verpflichtet gewesen zu sein, und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.

2. Mit Erkenntnis vom 7. Oktober 2019 wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Beschwerde mit der Begründung ab, dass der Beschwerdeführer nicht bestritten habe, die Auskunft nicht erteilt zu haben. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers sei er zum Zeitpunkt der Zustellung der Lenkeranfrage Geschäftsführer jener Gesellschaft gewesen, an die die Lenkeranfrage gerichtet gewesen sei. Dass die Eintragung seiner Funktion im Firmenbuch erst später erfolgt sei, ändere an seiner Verpflichtung nichts.

Zur Durchführung der mündlichen Verhandlung finden sich in der Entscheidung wörtlich folgende Ausführungen:

"Zur Verhandlung wurden beide Verfahrensparteien ordnungsgemäß geladen. Dem Bf wurde die diesbezügliche Ladung mittels RSb-Sendung nachweislich zugestellt. Der Beschwerdeführer konnte an der Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen; seine Abwesenheit war daher entschuldigt. Auch eine Vertreterin der belangten Behörde hat an der Verhandlung nicht teilgenommen. Die Behörde hat sich mit Schreiben vom 4. Juli 2019 hinsichtlich der Teilnahme an der Verhandlung entschuldigt.

Die mündliche Verhandlung fand in Abwesenheit des Bf und der belangten Behörde statt, wobei das Nichterscheinen zur Verhandlung gemäß §45 Abs2 VwGVG deren Durchführung nicht entgegenstand."

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren, auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht wird.

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich und die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land haben die Gerichts- bzw Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I 33/2013, idF BGBl I 57/2018, lauten:

"Anzuwendendes Recht

§38. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art130 Abs1 B-VG in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG, BGBl Nr 52/1991, mit Ausnahme des 5. Abschnittes des II. Teiles, und des Finanzstrafgesetzes – FinStrG, BGBl Nr 129/1958, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

[…]

Durchführung der Verhandlung

§45. (1) Die Verhandlung beginnt mit dem Aufruf der Rechtssache. Zeugen haben daraufhin das Verhandlungszimmer zu verlassen.

(2) Wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, dann hindert dies weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses.

(3) Zu Beginn der Verhandlung ist der Gegenstand der Verhandlung zu bezeichnen und der bisherige Gang des Verfahrens zusammenzufassen. Sodann ist den Parteien Gelegenheit zu geben, sich zu äußern."

2. §24 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl 52, idF BGBl I 58/2018, lautet:

"II. Teil: Verwaltungsstrafverfahren

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

§24. Soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, gilt das AVG auch im Verwaltungsstrafverfahren. Die §§2, 3, 4, 11, 12, 13 Abs8, 14 Abs3 zweiter Satz, 37 zweiter Satz, §39 Abs3 bis 5, 41, 42, 44a bis 44g, 51, 57, 68 Abs2 und 3, 75 und 78 bis 82 AVG sind im Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden."

3. §19 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl 51, idF BGBl I 58/2018, lautet auszugsweise:

"Ladungen

§19 (1) - (2) […]

(3) Wer nicht durch Krankheit, Behinderung oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, hat die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt war; sie obliegt den Vollstreckungsbehörden."

III. Erwägungen

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

2. §45 Abs2 VwGVG regelt die Rechtsfolgen des Ausbleibens ua des Beschuldigten von der mündlichen Verhandlung. Er sieht vor, dass auch in Abwesenheit einer Partei eine Verhandlung durchgeführt und ein Erkenntnis erlassen werden darf, wenn die Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist. Das Vorliegen eines der in §19 Abs3 AVG genannten Gründe rechtfertigt das Nichterscheinen des Geladenen. Liegt ein solcher Rechtfertigungsgrund vor, kann nicht von einer "ordnungsgemäßen Ladung", die zur Durchführung der Verhandlung auch in Abwesenheit der Partei berechtigt, gesprochen werden (VwGH 19.4.2018, Ra 2018/08/0007).

3. Dem Beschwerdeführer wurde die Ladung nachweislich mittels RSb-Sendung zugestellt. Mit Schreiben vom 9. September 2019 beantragte er – implizit gestützt auf einen Rechtfertigungsgrund des §19 Abs3 AVG – die "Verlegung" des Verhandlungstermines. Wie sich aus der unter Pkt. I.3. wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ergibt, ist das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich auch vom Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ausgegangen (arg. "[…] seine Abwesenheit war entschuldigt."), was es denkunmöglich macht, dass die Folgen einer ordnungsgemäßen Ladung eintreten.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher mit Willkür behaftet und somit aufzuheben.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Da der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt, ist der Ersatz der Eingabengebühr nicht zuzusprechen.

Schlagworte

Verhandlung mündliche, Ladung, Verwaltungsgerichtsverfahren, Verwaltungsgericht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4111.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten