TE Vwgh Beschluss 2020/9/28 Ra 2020/20/0339

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Veröffentlicht am 28.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, in der Rechtssache der Revision des J K in E, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in 4070 Eferding, Kirchenplatz 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Februar 2020, W104 2200326-1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 26. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2        Mit Bescheid vom 4. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag vollinhaltlich ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 14. Juli 2020, E 1884/2020-8, die Behandlung derselben ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5        In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe Negativfeststellungen getroffen, wonach „nicht festgestellt werden“ könne, ob dem Revisionswerber Übergriffe oder die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder Angriffen Aufständischer zu Tode zu kommen, drohten. Das Bundesverwaltungsgericht unterstelle damit, „dass die Beweislast dafür, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 Asylgesetz bestehe“, zu Lasten des Revisionswerbers als Asylwerber gehe. Dieses Vorbringen übersieht, dass die genannten Feststellungen im Zusammenhang mit der Beurteilung, ob der Revisionswerber sein Fluchtvorbringen glaubhaft machen konnte, getroffen wurden, nicht aber im Zusammenhang mit der Frage, ob ihm die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar sei. Dass das Bundesverwaltungsgericht aber das Vorbringen des Revisionswerbers in sachverhaltsmäßiger Hinsicht der Entscheidung gerade nicht zugrunde gelegt und diesem Vorbringen entsprechende Tatsachen als nicht gegeben festgestellt hat, ist dem angefochtenen Erkenntnis - trotz der im angefochtenen Erkenntnis wiederkehrend verwendeten Formulierung, dass näher beschriebene Umstände nicht hätten festgestellt werden „können“ - mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen.

10       Die Revision begründet ihre Zulässigkeit weiters damit, dass das Bundesverwaltungsgericht „Negativfeststellungen [...] ohne nähere Ermittlungen durchzuführen“ getroffen, sich in der Beweiswürdigung auf die „Lebenserfahrung des Richters“ zurückgezogen, „Unterschiede in Details“ der Aussagen des Revisionswerbers zu seinen Lasten gewertet (Hinweis auf VwGH 18.6.2015, Ra 2014/20/0174) und damit eine Rechtsansicht vertreten habe, die im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stehe.

11       Soweit dieses Vorbringen die Vollständigkeit des Ermittlungsverfahrens bemängelt, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 17.5.2019, Ra 2019/01/0066; 30.7.2020, Ra 2019/20/0383, mwN). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 20.11.2019, Ra 2019/20/0286; 28.1.2020, Ra 2020/20/0011, mwN). Dass dies hier der Fall wäre, zeigt die Zulässigkeitsbegründung, in der jegliche Ausführungen dazu fehlen, welche Art „näherer Ermittlungen“ durchzuführen gewesen wären, nicht auf.

12       Soweit sich das genannte Vorbringen auf die Beweiswürdigung bezieht, ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof nach ständiger Rechtsprechung als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (VwGH 23.3.2020, Ra 2020/14/0084, mwN).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich - nach Durchführung einer Verhandlung - mit den Aussagen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und seine Schlussfolgerung nicht ausschließlich auf die „Lebenserfahrung des Richters“ oder „Unterschiede in Details“, sondern zusätzlich auf eine Reihe von (ausführlich dargelegten) Unstimmigkeiten in den Aussagen des Revisionswerbers gestützt. Das in der Revision zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Juni 2015, Ra 2014/20/0174, hat sich mit der Frage, wann von einer Verhandlung seitens des Bundesverwaltungsgerichts Abstand genommen werden darf, befasst, weshalb es im vorliegenden Zusammenhang nicht einschlägig ist. Der Revision gelingt es nicht, eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung aufzuzeigen.

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beantwortung der Frage, ob die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar ist, eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001). Wenn die Revision in Bezug auf die Frage der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten meint, es sei nicht „abschließend geklärt“, unter welchen Kriterien von der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative gesprochen werden könne, und ob dabei die räumliche Entfernung zum Heimatort einzubeziehen sei, unterlässt sie Ausführungen dazu, aus welchen Gründen die Entfernung vom Heimatort auf die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Revisionsfall von Einfluss wäre. Eine Rechtsfrage im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG wird damit nicht aufgezeigt.

14       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 28. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200339.L00

Im RIS seit

06.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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