TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/7 Ro 2019/01/0005

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2020
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
10/10 Datenschutz
19/05 Menschenrechte
20/03 Sachwalterschaft
41/01 Sicherheitsrecht

Norm

DSG 2000 §1
MRK Art8
SPG 1991 §4 Abs2
UbG §39a Abs1
UbG §39a Abs2
VwGG §47 Abs3
VwGG §47 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Landespolizeidirektion Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. Dezember 2018, Zl. VGW-102/013/8876/2018, betreffend Betretungsverbot nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz (mitbeteiligte Partei: W V, vertreten durch Dr. Reinhard Schäfer, Rechtsanwalt in 1140 Wien, Hauptstraße 37), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der Amtsrevisionswerberin auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Mitbeteiligten wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Wegweisung und Verhängung eines Betretungsverbots) durch Organe der Landespolizeidirektion Wien (LPD) mit der Maßgabe statt, „als das Betretungsverbot trotz ausführlicher Schilderung der Krankengeschichte seiner Ehegattin durch den Beschwerdeführer im Zuge der nachfolgenden Beschuldigtenvernehmung und trotz Anzeichen einer beginnenden akuten Psychose nach der Einvernahme der Gattin ohne Überprüfung ihres psychischen Zustandes und trotz nachfolgender zwangsweiser Unterbringung der Gattin am 25.06.2018 auch über den folgenden Tag (26.06.2018) hinaus noch aufrecht erhalten wurde.“ Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab (I.). Weiters verpflichtete es den „Rechtsträger der belangten Behörde (Bund)“ näher bezeichnete Kosten zu ersetzen (II.) und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für zulässig (III.).

2        Begründend stellte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren relevant und daher auf das Wesentliche zusammengefasst - fest, die Gattin des Mitbeteiligten sei am 22. Juni 2018 kurz nach Mitternacht aus ihrer Wohnung in Wien auf eine nahegelegene Baustelle geflüchtet und habe einen Bauarbeiter um Hilfe gebeten, weil sie vom Mitbeteiligten geschlagen worden sei. Der Bauarbeiter habe die Polizei verständigt. Gegenüber einer namentlich genannten Polizeibeamtin habe die Gattin des Mitbeteiligten ebenfalls angegeben, von diesem geschlagen worden zu sein. Der Mitbeteiligte sei beim Bundesheer und habe eine Waffe bei sich. Sie habe weiters eine Verletzung am rechten Oberarm vorgewiesen und dazu angegeben, dass es sich dabei um Misshandlungsspuren des Mitbeteiligten von letzter Woche handle. Nach Überstellung auf die Polizeiinspektion L habe die Gattin des Mitbeteiligten den Vorfall etwas anders und zum Teil widersprüchlich geschildert. Bei genauerem Nachfragen sei sie immer aggressiver, lauter und ungehaltener geworden. Daraufhin seien Polizeibeamte zur Wohnung des Mitbeteiligten gefahren und hätten diesen letztlich auf die Verletzungen seiner Gattin angesprochen. Der Mitbeteiligte habe daraufhin angegeben, seiner Gattin gegenüber nie gewalttätig geworden zu sein, er habe jedoch Äußerungen zu mehreren psychischen Erkrankungen seiner Frau gemacht. Obwohl diese Angaben betreffend psychotische Schübe seiner Frau der die Amtshandlung leitenden Polizeibeamtin durchaus glaubwürdig erschienen seien, habe sie um ca. 2:10 Uhr gegen den Mitbeteiligten ein Betretungsverbot verhängt. Bei einer nachfolgenden Vernehmung habe der Mitbeteiligte ua geschildert, dass die Verletzungen seiner Gattin auf die Massage einer Sehnenscheidenentzündung zurückgehen dürften. Zuvor, aber bereits nach Verhängung des Betretungsverbots, habe sich die Gattin des Mitbeteiligten bei ihrer Einvernahme zuletzt aggressiv und auffallend verhalten, sodass die vernehmende Polizeibeamtin an die Möglichkeit gedacht habe, es könnte sich um einen psychotischen Schub handeln. Am 24. Juni 2018 sei die Gattin des Mitbeteiligten gemäß § 9 UbG in einer näher genannten Krankenanstalt zur Vorstellung gebracht worden, weil sie am Roten Berg nackt schreiend herumgelaufen sei und sich dabei die Lippen aufgeschlagen habe. Der Patientenbrief dazu sei am folgenden Tag verfasst worden, an dem die Gattin mit Sanitätern in eine andere Krankenanstalt verbracht worden sei, wo sie aufgrund eines näher bezeichneten psychotischen Zustandsbildes bis 16. Juli 2018 verblieben sei. Die LPD habe auf diese „zwangsweise Unterbringung nicht reagiert, zumal offensichtlich auch über das einschlägige auffällige Verhalten der Gattin des [Mitbeteiligten] keine Vormerkung getroffen worden war, welche es innerhalb der [LPD] ermöglicht hätte, die durch Beamte derselben Behörde erfolgte Vorführung an die Psychiatrie der Rudolfsstiftung mit dem für das Betretungsverbot Anlass gebenden Vorfall in Verbindung zu bringen.“

3        Beweiswürdigend betonte das Verwaltungsgericht unter anderem, die Aussage des Mitbeteiligten sei mit jenen der beiden vernommenen Zeuginnen im Wesentlichen in Einklang gestanden; strittig sei vielmehr die Bewertung der Vorgänge.

4        In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht - soweit für den Revisionsfall von Bedeutung - aus, die Annahme einer Gefährdung durch den Mitbeteiligten sei aufgrund des Erscheinungsbildes der mutmaßlich Gefährdeten, ihrer Verletzungen und der schlüssigen Schilderung ihres Zustandekommens zunächst durchaus vertretbar gewesen. Allerdings hätte sich die LPD „auch zumindest grob über die weitere Entwicklung des Zustandes des mutmaßlichen Opfers informieren müssen bzw. jedenfalls einen Vermerk anbringen müssen, der es erlaubt hätte, die kurz darauf erfolgte zwangsweise Vorführung des mutmaßlichen Opfers in die Psychiatrie mit dem Betretungsverbot in Verbindung zu setzen und dieses nach neuerlicher Abwägung gegebenenfalls aufzuheben.“ Dass ein solcher Konnex auch noch am zweiten Tag nach der zwangsweisen Unterbringung nach § 9 UbG bzw. einen Tag nach Verbringung der Gattin des Mitbeteiligten ins SMZ-Ost nicht hergestellt worden sei, sei der LPD als Verstoß gegen § 38a Abs. 6 SPG zur Last zu legen.

5        Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit fehlender höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen eine Behörde während der Laufzeit eines Betretungsverbotes aktiv neue Tatsachen erforschen und eine Neuevaluierung vornehmen müsse.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision der LPD.

7        Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit den Anträgen auf Abweisung der Amtsrevision und auf Aufwandersatz.

8        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

9        Ergänzend zur Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichtes bringt die Amtsrevision vor, es existiere bislang keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob es sich bei der vorliegenden (erkennbar gemeint: einer) Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz (UbG) um eine Tatsache handle, deren Kenntnis die Behörde zu weiteren amtswegigen Prüfungen im Hinblick auf die Unverhältnismäßigkeit eines verhängten Betretungsverbotes verpflichte oder berechtige. Die Anforderung des Verwaltungsgerichtes verstoße gegen das in § 39a UbG verankerte Verwertungsverbot.

10       Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtslage

11       Das Bundesgesetz über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz - SPG), BGBl. Nr. 566/1991, in der vorliegend (ausgehend vom Zeitpunkt der Maßnahme) maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 61/2016, lautet auszugsweise:

Betretungsverbot und Wegweisung zum Schutz vor Gewalt

§ 38a. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einem Menschen, von dem auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit begehen werde (Gefährder),

1.   das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, und deren unmittelbarer Umgebung oder

2.   sofern es sich bei dem Gefährdeten um einen unmündigen Minderjährigen handelt, das Betreten

a)   einer vom gefährdeten Unmündigen zur Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht im Sinne des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985, besuchten Schule oder

b)   einer von ihm besuchten institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung oder

c)   eines von ihm besuchten Horts

samt eines Bereichs im Umkreis von fünfzig Metern, zu untersagen.

...

(6) Die Anordnung eines Betretungsverbotes ist der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen 48 Stunden zu überprüfen. Stellt die Sicherheitsbehörde fest, dass das Betretungsverbot nicht hätte angeordnet werden dürfen, so hat sie dieses dem Gefährder gegenüber unverzüglich aufzuheben; der Gefährdete ist unverzüglich darüber zu informieren, dass das Betretungsverbot aufgehoben werde; die Aufhebung des Betretungsverbotes sowie die Information des Gefährdeten haben nach Möglichkeit mündlich oder schriftlich durch persönliche Übergabe zu erfolgen. Die nach Abs. 2 abgenommenen Schlüssel sind mit Aufhebung des Betretungsverbotes dem Gefährder auszufolgen, im Falle eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO beim ordentlichen Gericht zu erlegen.

(6a) Ist das Betretungsverbot nach Abs. 6 nicht aufzuheben, so kann der Gefährder von der Sicherheitsbehörde während eines aufrechten Betretungsverbots (Abs. 8) vorgeladen werden, um über rechtskonformes Verhalten nachweislich belehrt zu werden, wenn dies wegen der Persönlichkeit des Gefährders oder der Umstände beim Einschreiten erforderlich erscheint (präventive Rechtsaufklärung). § 19 AVG gilt.

...

Vorführung

§ 46. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Menschen, von denen sie aus besonderen Gründen annehmen, daß sie an einer psychischen Krankheit leiden und im Zusammenhang damit ihr Leben oder ihre Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährden, einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt oder einem Polizeiarzt vorzuführen, sofern dies notwendig ist, um eine Untersuchung des Betroffenen durch diesen Arzt zu ermöglichen. Weiters sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, solche Menschen einer Krankenanstalt (Abteilung) für Psychiatrie vorzuführen, sofern der Arzt die Voraussetzungen für eine Unterbringung bescheinigt.

(2) Bei Gefahr im Verzug sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, den Betroffenen auch ohne Untersuchung und Bescheinigung einer Krankenanstalt (Abteilung) für Psychiatrie vorzuführen.

(3) Im übrigen ist in diesen Fällen gemäß § 9 UbG vorzugehen. Die Sicherheitsbehörde ist ermächtigt, von der Vorführung in die Krankenanstalt (Abteilung) für Psychiatrie einen Angehörigen, der mit dem Betroffenen wohnt oder für ihn sorgt, sofern kein solcher bekannt ist, einen Angehörigen aus dem Kreis der Kinder, Ehegatten und Eltern von der Amtshandlung zu verständigen.“

12       Das Unterbringungsgesetz (UbG), BGBl. Nr. 155/1990, in der vorliegend (nach dem Zeitpunkt der Maßnahme) maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 131/2017 lautet auszugsweise:

Unterbringung ohne Verlangen

§ 8. Eine Person darf gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine psychiatrische Abteilung gebracht werden, wenn sie ein/eine im öffentlichen Sanitätsdienst stehende/r Arzt/Ärztin, ein Polizeiarzt/- ärztin oder ein Arzt/eine Ärztin einer Primärversorgungseinheit, die hierfür gemäß § 8 Abs. 7 des Primärversorgungsgesetzes, BGBl. I Nr. 131/2017 verpflichtet wurde, untersucht und bescheinigt, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im Einzelnen die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachtet.

§ 9. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind berechtigt und verpflichtet, eine Person, bei der sie aus besonderen Gründen die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachten, zur Untersuchung zum Arzt (§ 8) zu bringen oder diesen beizuziehen. Bescheinigt der Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung, so haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine psychiatrische Abteilung zu bringen oder dies zu veranlassen. Wird eine solche Bescheinigung nicht ausgestellt, so darf die betroffene Person nicht länger angehalten werden.

(2) Bei Gefahr im Verzug können die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person auch ohne Untersuchung und Bescheinigung in eine psychiatrische Abteilung bringen.

...

Vertraulichkeit

§ 39a. (1) Die Sicherheitsbehörden, denen die Amtshandlungen nach §§ 8 und 9 dieses Bundesgesetzes sowie nach § 46 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991, zuzurechnen sind, und die in § 8 genannten Ärzte dürfen, vorbehaltlich des Abs. 2, die genannten Amtshandlungen sowie die hierüber erstellten Aufzeichnungen und Bescheinigungen weder offenbaren noch verwerten. Die Aufzeichnungen und Bescheinigungen dürfen nicht in einer Weise bearbeitet oder in Evidenzen verzeichnet werden, die eine, wenn auch nur erleichterte, Auffindbarkeit der Aufzeichnungen oder Bescheinigungen nach einem auf die psychische Erkrankung oder die Unterbringung hindeutenden Merkmal ermöglichen würde.

(2) Die in Abs. 1 genannten Amtshandlungen sowie die Aufzeichnungen und Bescheinigungen dürfen jedoch geoffenbart oder verwertet werden

1.   für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Amtshandlung;

2.   für gerichtliche Straf-, Unterbringungs- und Sachwalterschaftsverfahren;

3.   für die Erfüllung der Pflichten nach § 39b.

...“

Zu den Voraussetzungen der Anordnung eines Betretungsverbotes

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Betretungsverbot (und Wegweisung) gleichermaßen an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (vgl. VwGH 22.6.2018, Ra 2018/01/0285, mwN).

In der vorliegenden Rechtssache ist nicht strittig, dass die (ursprüngliche) Anordnung des Betretungsverbotes gegen den Mitbeteiligten den oben angeführten Anforderungen entsprochen hat. Strittig ist vielmehr die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, dass die (nachfolgende) Aufrechterhaltung des Betretungsverbotes durch die Amtsrevisionswerberin rechtswidrig war.

Diese Auffassung stützte das Verwaltungsgericht tragend auch auf die (der Anordnung des Betretungsverbotes nachfolgende) zwangsweise Unterbringung der Gattin des Mitbeteiligten nach den §§ 8 und 9 UbG. In diesem Zusammenhang verweist die Amtsrevision auf § 39a UbG.

Zum Einfluss der Unterbringung einer/es Gefährdeten auf ein zuvor verhängtes, damit im Zusammenhang stehendes Betretungsverbot

14       § 39a Abs. 1 UbG ordnet soweit - wie hier ausgehend vom im Revisionsverfahren unstrittigen Sachverhalt - keine der Ausnahmen des Abs. 2 Z 1 bis Z 3 leg. cit. erfüllt ist, als Offenbarungs- und Verwertungsverbot eine besondere Form des Datenschutzes an, sofern nicht Informationen erfasst sind, die auch gleichzeitig für andere, zB (verwaltungsstrafrechtliche) Verfahren gegen den Betroffenen, erhoben werden. Jede derartige Evidenzhaltung ist nach Abschaffung der bisherigen umstrittenen „Geisteskrankenevidenzen“ unzulässig (vgl. etwa Kopetzki, Datenflüsse nach der UbG-Novelle 1997, RdM 1997, 163 ff [Punkt II.3.c)]; Ganner in Gitschthaler/Höllwerth [Hrsg], AußStrG II [2017] § 39a UbG Rn. 1 ff; Koppensteiner in Neumayr/Resch/Wallner [Hrsg], Gmundner Komm zum Gesundheitsrecht § 39a UbG Rn. 1).

15       Diese mit der Novelle 1997, BGBl. I Nr. 12/1997, in das UbG eingeführte Bestimmung dient dem Schutz des Betroffenen vor einer übermäßigen und ungerechtfertigten Datenverwendung ua und gerade auch durch die Sicherheitsbehörden und ist einfachgesetzlicher Ausfluss des verfassungsrechtlichen Geheimnisschutzes gemäß Art. 8 EMRK und § 1 DSG (s. Kopetzki, RdM 1997, 163 ff [Punkt I.]; Aigner, Datenschutz - Patientenschutz aus gesundheitspolitischer Sicht, RdM 2012, 84 [87, mwH]; Ganner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 39a UbG Rn. 1; Drexler/Weger, StVG [2018] § 39a UbG Rz 1; Schweighofer, Unterbringungsgesetz [UbG] - Kurzkommentar [2019] § 39a Rz. 1).

16       Adressat dieses Offenbarungs- und Verwertungsverbotes ist zunächst und soweit für das Revisionsverfahren allein relevant auch jene Sicherheitsbehörde, der die Amtshandlung zuzurechnen ist (vgl. etwa Kopetzki, RdM 1997, 163 ff [Punkt II.2.b)]).

17       Das Vertraulichkeitsgebot des § 39a Abs. 1 UbG wirkt - von den wie eben gesagt hier allesamt nicht einschlägigen Ausnahmen des § 39a Abs. 2 Z 1 bis 3 UbG abgesehen - mit der Wirkung absolut, dass von diesen Ausnahmen abgesehen die Verwertung für behördeninterne Zwecke ebenso wie die Offenbarung gegenüber einem Dritten ausnahmslos unzulässig ist (vgl. erneut Kopetzki, RdM 1997, 163 ff [Punkt II.3.c)]; denselben, Grundriss des Unterbringungsrechts³ [2012] Rz. 189/2; Halmich, Unterbringungsgesetz - Praxiskommentar [2014] § 39a Abs. 1 Anm. 6; Ganner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 39a UbG Rn. 5; denselben in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 39b UbG Rn. 10).

18       Die Sicherheitsbehörden, zu denen ua auch die Landespolizeidirektionen zählen (vgl. § 4 Abs. 2 SPG), dürfen damit ihnen aus einem Unterbringungsverfahren zugekommene Informationen in anderen Angelegenheiten nicht verwerten; solches Wissen darf mit anderen Worten auch in anderen Verfahren nicht entscheidungsrelevant werden (vgl. wiederum Ganner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II, § 39a UbG Rn. 5 mwN; Koppensteiner in Neumayr/Resch/Wallner, Gmundner Komm zum Gesundheitsrecht, § 39b UbG Rn. 4, mwN; Keplinger/Pühringer, SPG18, 174).

Einzelfallbezogene Beurteilung

19       Die LPD durfte aufgrund der absoluten Wirkung des Offenbarungs- und Verwertungsverbotes gemäß § 39a Abs. 1 UbG zur Verfügung stehende Informationen aus dem die Gattin des Mitbeteiligten betreffenden Unterbringungsverfahren nicht in anderen Angelegenheiten, daher insbesondere auch nicht in der vom Verwaltungsgericht als bedeutsam angesehenen Frage der weiteren Aufrechterhaltung des Betretungsverbotes gegen den Mitbeteiligten, verwerten. Einer innerhalb der LPD vorzunehmenden Verwertung stand das in § 39a Abs. 1 UbG offenbarte Offenbarungs- und Verwertungsverbot entgegen.

Die Frage, ob die LPD daher allenfalls verpflichtet gewesen sein könnte, nach § 38a Abs. 6 SPG die Ergebnisse des Unterbringungsverfahrens gegen die Gattin des Mitbeteiligten im Verfahren über das Betretungsverbot gegen den Mitbeteiligten zu verwerten, ist damit zu verneinen, ohne dass auf die näheren Voraussetzungen des § 38a Abs. 6 SPG einzugehen wäre.

Ergebnis

20       Von dieser Rechtslage ist das Verwaltungsgericht abgewichen, weil die von ihm als rechtsrelevant erkannte Frage, ob die LPD das ihr - allenfalls - zugekommene Wissen aus dem Unterbringungsverfahren dazu hätte veranlassen müssen, die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Betretungsverbotes gegen den Mitbeteiligten, aus den dargelegten Gründen zu verneinen ist.

21       Aus diesen Erwägungen hat das Verwaltungsgericht Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet.

22       Diese Rechtswidrigkeit schlägt auch auf die Kostenentscheidung in Spruchpunkt II. durch, sodass das angefochtene Erkenntnis insgesamt gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

23       Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei in dem hier vorliegenden Fall einer Amtsrevision gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz, weshalb der diesbezügliche Antrag der LPD abzuweisen war (vgl. etwa VwGH 25.9.2018, Ra 2018/01/0291, mwN).

24       Der Mitbeteiligte hat bei diesem Ergebnis gemäß § 47 Abs. 3 VwGG ebenfalls keinen Anspruch auf Aufwandersatz (vgl. etwa VwGH 10.7.2018, Ra 2018/01/0094).

Wien, am 7. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019010005.J00

Im RIS seit

19.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten